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- Artikel aus dem Spiegel 50/1992:
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- Weder Gott noch Goetter - Der Verfassungsschutz haelt die Scientology-Sekte
- fuer verfassungsfeindlich.
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- Die Maulwuerfe des Koelner Bundesamtes fuer Verfassungsschutz (BfV) observieren
- Extremisten von A bis Z. Das Register des Jahresberichts 1991 reicht von der
- franzoesischen Terrorgruppe Action directe ueber die marxistische Partei "Die
- Nelken" bis zum deutsch-kanadischen Neonazi Ernst Zuendel.
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- Neuerdings beschaeftigt sich der Koelner Dienst auch mit einer Gruppierung,
- die nach Beobachtung der Behoerde "weder links noch rechts eingeordnet werden
- kann". Dennoch, so die BfV-Recherchere, gebe es "Anhaltspunkte", dass sie "ver-
- fassungsfeindiche Bestrebungen verfolgt".
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- Als Verfassungsfeinde verdaechtigen die Staatschuetzer den Psycho-Mulit "Scien-
- tology Church" (SC). In einem Gutachten fuer das Bundesinnenministerium ("VS -
- Vertraulich, amtlich geheimgehalten") kommt das BfV zu dem Schluss, die Sekte
- erfuelle "die Voraussetzungen fuer eine Beobachtung".
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- Die im November fertiggestellte Expertise soll in Kuerze von den Innenministern
- der Laender beraten werden. Die Zustimmung zur Observation gilt als wahr-
- scheinlich. Schon im Mai hatten die Justizminister und -senatoren des Bundes
- und der Laender eine Pruefung der Methoden und Ziele angeregt.
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- Das Treiben der Psycho-Sekte hat die Politiker aufgeschreckt. Die Union rea-
- gierte mit einem in der deutschen Parteiengeschichte einmaligen Ausgrenzungs-
- beschluss. "Die Mitgliedschaft in der Scientology Church (Sekte)", beschloss
- im Fruehjahr der Dresdner Bundesparteitag, "ist mit der CSU-Mitgliedschaft
- unvereinbar". Auch die Hamburger SPD duldet keine SC-Mitglieder in ihren
- Ortsvereinen.
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- Doch der Einsatz des fuer Spionageabwehr und politische Extremisten zustaendigenVerfassungsschutzes gegen eine Sekte ist ein Novum.
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- Die SC ist das umstrittenste und wohl einflussreichste Unternehmen der auch im
- deutschen Osten prosperierenden Kultbranche.
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- Allein in der Bundesrepublik unterhaelt der Seelenfaenger-Konzern derzeit 10
- "Kirchen" und 30 "Missionen"; die Zahl der deutschen Anhaenger wird von
- Experten auf 20.000 bis 200.000 geschaetzt, der Jahresumsatz auf 150 Millionen
- bis eine Milliarde Mark. Ueber Tarnorganisationen mit unverfaenglichen Namen
- versucht die in ueber 30 Laendern vertretene Heilsfirma (Hauptverwaltung: Los
- Angeles) seit einiger Zeit, in der deutschen Wirtschaft Fuss zu fassen (SPIE-
- GEL 14/1991).
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- Nach Ansicht des BfV gewinnen die Scientologen auch in der Politik gefahrlich
- an Einfluss. Die "Zielsetzung" der SC, heisst es in dem Gutachten der Koelner,
- sei "im erheblichen Masse" politisch. Zwar beteilige sich der Verein "weder
- direkt noch indirekt an Wahlen" und habe auch "kein politisches Programm". Aber
- Sektenmitlgieder wuerden "allein im Sinne der SC ihre Taetigkeiten ausrichten -
- auch im politischen Leben".
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- Die SC, so die Erkenntnis der Geheimdienstler, verfolge "mit der von ihr be-
- absichtigten 'Befreiung und Vervollkommnung des Menschen' nach ihrer Methode
- Bestrebungen, die auf die Abschaffung der durch Artikel 1 des GG gewaehrleiste-
- ten Unantastbarkeit der Wuerde des Menschen" hinausliefen.
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- Nach Auffassung der Verfassungsschuetzer kann die SC
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- "keine Volkssouveraenitaet ... keine Gewaltenteilung ... keinen Grundsatz der
- Unabhaengigkeit der Gerichte anerkennen ... keine Verantwortlichkeit der Re-
- gierung akzeptieren ... letzlich das Mehrheitsprinzip und damit auch das Mehr-
- parteienprinzip und das Oppositionsrecht und die Chancengleichheit der Parteien
- nicht anerkennen, sondern muss diese abschaffen. Denn damit wuerde die Ziel-
- setzung der SC als abloesbar anerkannt und somit relativiert: Das waere mit
- dem Absolutheitsanspruch der SC nicht vereinbar."
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- Auch kenne die SC keine "innenorganisatorische Demokratie". Die Koelner Aus-
- werter schliessen sich ausdruecklich der Staatsanwaltschaft Muenchen an, die
- vor Jahren zu dem Ergebnis kam, dass es sich "bei dem System Scientology" um
- eine "Ideologie mit ausgepraegten totalitaeren Grunsprinzipien" handele.
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- Heil und Heilung verspricht die Lehre des 1986 gestorbenen amerikanischen
- Sektengruenders Ron Hubbard aus einem diffusen Mischmasch von Science-fiction
- und Psycho-Exerzitien, angereichert mit Okkultismus und Geheimbund-Kraemerei.
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- Beispiel: Durch ein Intensiv-Verhoer an einem "E-Meter" sollen die Anhaenger
- gelaeutert werden udn zu einem OT ("Operierenden Thetan") erstarken, der gegen
- atomare Strahlung, Homosexualitaet, Arthritis und alle moeglichen Unbilden
- der Zivilisation gefeit ist.
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- Die Verwendung eines solchen "Luegendetektors" sowie die Anwendung von "Gehirn-
- waesche" zeigen, so die Verfassungsschuetzer, dass die SC die Wuerde des
- Menschen "grundsaetzlich negiert". Die Schlapphuete aus Koeln stuetzen ihr Ur-
- teil auf die Aussage des ehemaligen Scientologen Norbert Potthoff, der bis
- 1987 Pressespracher und einer der Leiter der Duesseldorfer Scientology-Depen-
- dance war. Potthoffs Warnung: Die "wirkliche Gefahr geht von Wirrkoepfen aus,
- die das Hubbard-Zeug lesen und wortwoertlich nehmen".
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- Auch der Name fuehrt nach Ansicht der Verfassungsschuetzer in die Irre. Die SC
- nenne sich zwar Kirche, habe aber, so das BfV, "nichts mit Religion zu tun.
- Sie kennt weder einen Gott noch mehrere Goetter". Fuer die BfV-Experten ist
- das durchaus von Bedeutung: Der Artikel 4 GG schuetzt ausdruecklich Religions-
- gemeinschaften vor staatlicher Ausforschung.
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- Das BfV-Gutachten billigt der Sekte allenfalls die Merkmale einer "Weltanschau-
- ungsgemeinschaft" zu. Solche Vereinigungen duerfen zwar observiert werden,
- sind aber durch Artikel 140 GG vor einem Verbot weitgehend geschuetzt.
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- Die Beobachtung der Scientologen durch den Verfassungsschutz koennte zum
- Krieg der Maulwuerfe ausarten: Denn die SC verfuegt nach Berichten von Insidern
- laengst ueber einen eigenen Geheimdienst, der auch schon mal Gegner auf Schwach-
- stellen ueberprueft.
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- --Ende Artikel--
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