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- S e k t e m a c h t s e e l i s c h
- u n d f i n a n z i e l l a b h a e n g i g
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- von Moritz Boehm
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- Dezember 1989. Walter Berger (der Name wurde von der Redaktion
- geaendert, weil seine Witwe bis heute nicht vor den Scientologen
- sicher ist) faehrt mit seiner Nobellimousine in Hamburg
- auf die Koehlbrandbruecke. Er steigt aus. Den Motor laesst er
- laufen. Er beugt sich ueber das Gelaender und springt in die Tiefe.
- Walter Berger macht Schluss, weil es aus der Sackgasse, in die
- er sich verrannt hat, anscheinend keinen Ausweg mehr gibt. Ein
- Einzelfall? Was den Freitod Walter Bergers angeht, ist sicherlich
- nicht die Regel, aber in der Ausweglosigkeit enden die meisten
- Karrieren von Menschen, die sich einer bestimmten Sekte
- verschrieben haben: Der Scientology-Church. "Scientology macht
- Menschen psychisch und finanziell abhaengig", weiss Wilhelm
- Knackstedt (Foto), Weltanschauungsbeauftragter der hannoverschen
- Landeskirche.
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- Einstieg bei Scientology wirkt zunaechst harmlos
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- Dabei ist der Einstieg bei Scientology auf den ersten Blick ganz
- harmlos. Meistens laeuft er ueber einen Persoenlichkeitstest, der
- von Werbern auf der Strasse angeboten wird. Die Auswertung ergibt,
- dass der Getestete ein gestoertes Persoenlichkeitsbild hat erkennen
- lassen. Das sei schlecht fuer den Erfolg im spaeteren Leben. Aber
- ueber Kurse bei Scientology gebe es die Moeglichkeit, etwas gegen
- diese Schwaeche zu tun. Das geht natuerlich nicht ohne Geld.
- Nach dem kostenlosen Persoenlichkeitstest folgt ein
- Kommunikationskurs fuer wenige hundert Mark. Es schliessen sich
- die sogenannten Auditings an, in denen der Mensch sich selbst
- befreit. Die gehen dann allerdings schnell in die Tausende. "Ich habe
- Abrechnungen von Leuten", sagt Wilhelm Knackstedt, "die innerhalb
- von vier Monaten 70.000 Mark in solche Unternehmen gesteckt haben."
- In einem Fall investierte eine Lehrerin 300.000 Mark, weil sie
- hoffte, durch die Kurse besseren Unterricht geben zu koennen. Am Ende
- war sie ihr gesamtes Vermoegen los.
- Schulen, Kindergaerten, Krankenhaeuser, Arztpraxen, Beratungsstellen
- - all das sind Orte, an denen die Scientology-Sekte besonders gern
- und intensiv aktiv wird. Der Fall einer hannoverschen Lehrerin,
- die Scientology-Inhalte in den Unterricht einbrachte, beschaeftigt zur
- Zeit Elternvertreter und Schulbehoerde. Im Winter duerfe kein
- Neonlicht eingeschaltet werden, weil das die Vitamine aus dem
- Koerper ziehe, sagte sie ihren Schuelerinnen und Schuelern. Und
- bei Verletzungen brauche man keinen Arzt, sondern solle nur die
- Kraefte fliessen lassen, die einem als Scientologen antrainiert
- werden.
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- Scientologen treten selbstsicher auf
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- Theorien, die man nur belaecheln kann? Scientologen glauben
- allen Ernstes, dass es Mittel und Moeglichkeiten gibt, eigenen
- Erfolg zu programmieren. Dafuer muesse man sich nur von allen
- negativen Einfluessen befreien. Im Gegensatz zur Psychologie
- verspricht Scientology garantienen Erfolg. "Die Leute kommen mit
- folgender Einstellung", beschreibt Norbert Potthoff, ehemals
- Pressesprecher der Scientology-Church, seine Erfahrungen, "ich
- druecke auf einen Knopf und dann kommt etwas dabei raus. Genauso wird
- es auch den Leuten verkauft. Bei Scientology ist das eben so."
- Soviel Selbstsicherheit verfehlt ihre Wirkung nicht.
- Auf der Ostseeinsel Usedom kamen die Karrieresuchenden gleich
- reihenweise in ein Haus der Scientologen. Managerkurse wurden dort
- angeboten. Als Arbeitsbeschaffungsmassnahme vom Arbeitsamt
- mit erheblichen Summen gefoerdert. Als Pastor Friedrich von Kymmel
- auf die Gefahr aufmerksam machte, die dort in seiner Gemeinde drohte,
- wurde er wegen Beleidigung und Geschaeftsschaedigung verklagt. Er
- hatte naemlich festgestellt, dass die Arbeitsmethoden in diesem
- Trainingszentrum den Bespitzelungsmethoden der Stasi aehnelten.
- Die Teilnehmer an den Managerkursen sollten Berichte uebereinander
- schreiben.
- Die Klage wurde abgewiesen. Von Kymmel, so sah es das Landgericht
- Stralsund, habe nur seine persoenliche Meinung gesagt. Und das duerfe
- in Deutschland niemandem verboten werden.
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- Sekte strengt Klagen an als Mittel zur Abschreckung
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- Das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Meinungsaeusserung
- bildet ueberhaupt die Grundlage in Prozessen, in denen sich
- Kritiker gegen Scientology verteidigen muessen. "Die Klagen der
- Scientologen", erlaeuten der Schleswiger Rechtsanwalt Dr. Ralf Abel
- (Foto), "sind in erster Linie ein Mittel zur Abschreckung. In den
- Verfahren wird dann deutlich, dass kein Gericht in der Bundesrepublik
- bereit ist, das Recht auf freie Meinungsaeusserung
- einzuschraenken." Er raet jedem, sich von Scientology nicht
- einschuechtern zu lassen. "Solange niemand beleidigt wird oder sich
- es nicht um unhaltbare Schmaehkritik handelt, besteht keine Gefahr der
- Verurteilung."
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- Vielfaeltige Methoden der Einschuechterung
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- Dennoch scheuen sich viele, Kritik an Scientology zu aeussern. Zu
- den wichtigsten Aufgaben der Sekte gehoert es naemlich, dafuer zu
- sorgen, dass die Oeffentlichkeit ein positives Bild von Scientology
- hat. Kritiker werden mit allen moeglichen Mitteln "gehandhabt", wie es
- in der Sprache der Scientologen heisst. Zunaechst werden sie
- telefonisch angesprochen, um sie von der Seriositaet der Sekte zu
- ueberzeugen. Wirkt das nicht, werden vorsichtige Drohungen
- ausgesprochen. Die Angst vor einem Prozess hat schon viele mundtot
- gemacht. Gelingt das jedoch nicht, werden die Bandagen haerter.
- Stuendliche Anrufe in der Nacht, ueble Nachrede im Bekanntenkreis
- oder am Arbeitsplatz, Druck auf Angehoerige. Die Methoden, mit
- denen Scientology arbeitet, sind nahezu unbegrenzt und kaum
- vorstellbar.
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- Wer aussteigen will, wird massiv unter Druck gesetzt
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- Auch Sektenmitglieder, die aussteigen wollen, werden massiv unter
- Druck gesetzt. Meistens haben sie einen Arbeitsvertrag mit Scientology
- oder sind durch Kursgebuehren dermassen verschuldet, dass sie gar
- kein normales Leben mehr fuehren koennten. Aber auch hier weiss
- Ralf Abel einen Ausweg: "Die Arbeitsvertraege sind in
- vielen Faellen sittenwidrig", hat er festgestellt. "Und was die
- Schulden betrifft, so lassen sie sich oft mit dem Lohn
- verrechnen, den man von den Scientologen aufgrund des
- Arbeitsvertrages eigentlich haette kassieren muessen, der aber nie
- gezahlt wurde."
- Ist jemand ausgestiegen, dann werden zunaechst die Methoden
- angewandt wie bei Kritikern, denn es passt nicht ins Bild der Sekte,
- dass jemand aussteigen will. Helfen alle Rueckholmethoden nicht;
- dann gilt der Aussteiger als kriminell oder geisteskrank.
- Vielleicht wurde die Scientology-Church gerade wegen ihrer obskuren
- Machenschaften lange Jahre nicht ernstgenommen, oft sogar
- belaechelt. Moeglich war das aber nur, weil kaum jemand sich die
- Zeit nahm, die wirklichen Ziele dieser Organisation zu
- durchleuchten. Das waere allerdings schon immer ganz leicht
- gewesen, denn Sektengruender Ron Lafayette Hubbard hat seine Absichten
- immer offen geaeussert.
- "Das Religious Technology Center in Los Angeles hat weltweit ein
- totalitaeres Netzwerk aufgebaut", weiss Norbert Potthoff. "Daraus
- soll eine Weltregierung entstehen." Hubbard selbst habe dazu gesagt,
- dieser Planet gehoere den Scientologen.
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- Ziel ist die Ausschaltung des demokratischen Systems
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- Mit dem Aufbau einer Weltregierung ist aber nicht gemeint, dass
- die Scientology-Sekte irgendwann als Partei auftreten wird, um so den
- Weg durch die Parlamente zu gehen. Norbert Potthoff malt ein
- duesteres Bild: "Politik, so wie wir sie demokratisch verstehen,
- hoert einfach auf zu existieren. Scientology setzt sich
- einfach mit ihrer Gesamtstruktur ueber das demokratische System und
- schaltet es aus."
- Funktionieren soll das, indem alle Positionen im sozialen Bereich und
- in den Manageretagen von Scientologen uebernommen werden.
- Eigene Kindergaerten und Schulen haben sie schon. Und wenn die
- Privatisierung im Gesundheitswesen fortschreitet, werden eigene
- Krankenhaeuser hinzukommen. In Hamburg gelten bereits 40 Prozent des
- Wohnungsmarktes als von Scientologen kontrolliert. Grosse Unternehmen
- haben sich, ohne es zu ahnen, von scientologischen
- Unternehmensberatern helfen lassen und verloren ganze
- Betriebszweige an die Sekte. Sogar komplette Unternehmen sind
- schon in die Faenge der Scientologen geraten und versuchen, den
- Virus auf Zulieferer und Kunden zu uebertragen. Wenn 25 Prozent des
- deutschen Managements und der deutschen Meinungsbildner Scientologen
- sind, dann, so meint die Sekte, habe sie die
- Machtuebernahme geschafft.
- Trotz eindeutiger machtpolitischer Ziele geniesst die
- Scientology-Sekte den Schutz des Artikels 4 des Grundgesetzes, der
- Religionsgemeinschaften besonders schuetzt. Cornelia Yzer,
- Staatssekretaerin im Bundesministerium fuer Jugend und Frauen,
- sieht in diesem Punkt auch keinen Handlungsbedarf. "Wir
- muessen andere verfassungsrechtliche Gueter, Persoenlichkeitsrechte,
- Schutz der koerperlichen Unversehrtheit abwaegen und sehen, wie wir
- hier eingreifen koennen." Die Geschichte habe gezeigt, dass der
- Rechtsstaat sich bewaehrt habe, und so werde man auch mit
- religioesen Bewegungen wie den Scientologen fertig.
- Die Hamburger Buergerschaft sah das anders.
- Sie entzog einem Teil der Sekte, naemlich dem, der mit Buechern
- und Dienstleistungen handelt, die Gemeinnuetzigkeit und damit
- einen grossen Teil der Finanzkraft.- Und ein Verbot von
- Scientology scheint dort nur eine Frage der Zeit. In Bremen sieht
- der Senat dagegen im Augenblick keinerlei Handlungsbedarf, weil
- man den Scientologen keine kriminellen Absichten nachweisen
- koenne. Die, so sagt Ralf Mucha, Vorsitzender der Aktion
- Psychokultgefahren aus Duesseldorf, sind aber anhand von
- Eigenaussagen der Scientologen belegbar. Und er hat eine Hoffnung
- nicht aufgegeben: "Wenn die Menschen noch in der Lage waeren
- nachzudenken und Informationen haetten ueber Scientology, ich glaube
- dann haette sich das Thema erledigt. Dann wuerden die Menschen
- nicht mehr hingehen. Dann wuerden sie mit den Fuessen
- abstimmen, wie die Buerger aus der Ex-DDR."
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- Quelle: EZ vom 27.09.1992, Nr. 39
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