home *** CD-ROM | disk | FTP | other *** search
-
- **************************************************************
- Der folgende Brief stammt aus dem Anhang des Buches
- James A. Beverley: Crisis of Allegiance.
- A Study of Dissent Among Jehovah's Witnesses
- (Welsh Publ., Burlington, Ontario, Canada 1986. Bezugsadresse:
- Hart Publishers, 525 25th St. South, Lethbridge, Alberta, Canada
- T1J 3P5. 12,95 US-$ incl. Vers.)
- ***************************************************************
-
- M. James Penton 10. August 1979
- Lethbridge, Alberta, Kanada
-
- An die
- Watch Tower Bible and Tract Society
- 124 Columbia Heights
- Brooklyn, N. Y. 11201
-
-
- Liebe Brder,
- zunchst mchte ich Euch im voraus um Entschuldigung dafr
- bitten, dass mein Brief so lang ist. Ich kann das, was ich
- sagen mchte, einfach nicht auf wenige Worte beschrnken.
- Zugleich mchte ich Euch auch fr Euern freundlichen Brief vom
- Frhjahr danken.
- Wie ich Euch bereits schrieb, bin ich schon seit lngerem
- zutiefst besorgt ber den Mangel an geistiger Gesundheit bei
- den Brdern in der ganzen Welt, insbesondere auf Grund des
- grossen Abfalls in den letzten 10 Jahren und vor allem seit
- 1975. Als Geschichtswissenschaftler, der sich seit Jahren mit
- dem Gebiet der Kirchengeschichte befasst und der die neuzeit-
- liche Geschichte der Zeugen Jehovas intensiv erforscht hat,
- habe ich seit einigen Jahren die Probleme unserer Gemeinschaft
- genau untersucht. Dazu habe ich selbstverstndlich die Wacht-
- turm-Literatur, die seit den Tagen Pastor Russells erschienen
- ist, studiert und habe die vielen geschichtlichen und soziolo-
- gischen Werke ber Jehovas Zeugen, die in den letzten Jahr-
- zehnten von verschiedenen Forschern verfasst wurden, sorgfl-
- tig geprft. Zudem habe ich gebetsvoll mit der Organisation
- zusammengearbeitet und mich bemht, meine privaten, familiren
- und sonstigen Probleme als treuer Christ, als Diener und
- ltester zu lsen. Doch als jemand, der sich als Gesalbter zum
- Leib Christi gehrend betrachtet und der stets dem edlen
- Vorbild der Berer Christen aus Apostelgeschichte 17:11 ge-
- folgt ist, sehe ich mich jetzt in der Situation des Elihu, so
- wie sie in Hiob 32:6-22 beschrieben wird, und eines Paulus in
- Antiochien (gemss Galater 2:11-21). Mit Elihu will ich des-
- halb sagen: "Ich werde meinen Teil antworten, ja ich; ich
- werde meine Erkenntnis verknden, ja ich; denn ich bin voll
- von Worten geworden; Geist hat mich gedrngt in meinem Leib."
- Deshalb will ich liebevoll, aber freimtig darber sprechen,
- was meiner Ansicht nach das Hauptproblem unserer Organisation
- ist, was sie krank gemacht hat und wofr die leitende Krper-
- schaft die grsste Last der Verantwortung trgt.
- Mit christlichem Freimut der Rede (Galater 5:1) mchte ich
- feststellen, dass es die unangebrachte, unbiblische berbeto-
- nung des Predigtwerks ist, die zu dem maroden Zustand der
- Organisation gefhrt hat, die sie auch jetzt noch krank macht
- und das auch so lange tun wird, bis es den ihm angemessenen
- Platz zugewiesen bekommt. Zwar gehrt es notwendig zu dem
- Zeugnis, das die Christenversammlung der Welt gibt, doch es
- ist nicht wichtiger als andere christliche Werke, die die
- Bibel nennt (Jakobus 1:27). Wenn das auch manchen wie Ketzerei
- klingen mag, ich werde mich fr diese Feststellung nicht ent-
- schuldigen. Ich liebe und achte meine Brder sehr, aber ich
- habe grssere Achtung vor Christus, meinem Knig, und vor
- meinem Gott Jehova, sowie seinem Wort, der Heiligen Schrift.
- In den letzten Jahren hatten wir einen Rckgang in der Zahl
- der Verkndiger, und - was noch mehr wiegt - Tausende haben
- sich von uns zurckgezogen. Die Grnde dafr liegen auf der
- Hand. Sicher sind viele ein Opfer des Materialismus und ihres
- eigenen sinnlichen Verlangens geworden, doch das hat es zu
- allen Zeiten gegeben. Viel schwerwiegender war, dass im Jahr
- 1975 nichts geschah und dass die Gesellschaft in dieser Frage
- bis zum Sommer dieses Jahres keine ehrliche und offene Stel-
- lungnahme abgegeben hat. In Sprche 13:12 heisst es: "Hin-
- ausgeschobene Erwartung macht das Herz krank."
- Und fr diese Krankheit der Herzen sind genau diejenigen
- Brder verantwortlich, die zu sorglos mit ihren prophetischen
- Spekulationen waren, niemand sonst. Ausserdem sind viele dem
- geistigen Tod nahe, weil sie die Superfrmmigkeit und die
- Werkgerechtigkeit nicht mehr ertragen knnen, die die ganze
- Organisation durchdringen. Das Thema "Kleidung und ussere
- Erscheinung" ist mittlerweile so hufig durchgekaut worden,
- dass einem davon bel werden kann und viele schon gar nicht
- mehr hinhren, weil es ihnen vllig gleichgltig geworden ist.
- Von der Lnge der Haare haben wir so oft geredet, dass wir
- schon ganz dsig im Kopf sind. Und jetzt geht es genauso gegen
- die Discos los, nicht in der vernnftigen Weise, wie sie im
- Erwachet! beschrieben wurde, sondern nach der Art des Heiligen
- Georg, der den Drachen erschlagen will. Htten wir nur die
- Hlfte der Zeit, die wir fr das Kritisieren bestimmter Sitten
- und Gebruche mit Texten aus unserem unsichtbaren Talmud
- zugebracht haben, fr positive Dinge verwendet, gbe es viel
- mehr Freude unter den Brdern.
- In Brooklyn erkennt man leider anscheinend nicht, dass viele
- Schwierigkeiten in der Organisation von den Anweisungen der
- Gesellschaft herrhren und nicht von den Brdern in den Ver-
- sammlungen. Die Brder werden immer strker angetrieben, in
- den Predigtdienst zu gehen, so als sei dies ein Allheilmittel.
- Solange wir eine Mehrung verzeichnen, scheinen uns die, die
- sich von der Wahrheit zurckziehen, berhaupt nicht zu km-
- mern. Um die verlorenen Schafe sorgen wir uns fast gar nicht
- (Matthus 18:12-14). Stattdessen beginnen wir eine wilde Jagd
- nach neuen, obwohl Johannes uns sagt, wir seien vom Tod zum
- Leben bergegangen, weil wir die Brder lieben - nicht weil
- wir predigen gehen! (1. Johannes 3:14) Und ich glaube, dass
- wir mit dieser unertrglichen Betonung des Verkndigungswerks
- den heiligen Geist betrben.
- Zu den anderen Dingen, die Gottes Namen nicht ehren, gehrt,
- dass im letzten Jahr zahlreiche Redner auf Kongressen, viele
- Bethelredner und viele Artikel in unseren Verffentlichungen
- etliche Bibeltexte aus dem Zusammenhang gerissen haben, um die
- Brder zum Predigen zu drngen. So wurde auf den internationa-
- len Kongressen 1978 der Text aus 1. Petrus 2:21 als Grundlage
- genommen, um zum Pionierdienst aufzurufen, obwohl dieser Text
- mit dem Pionierdienst so wenig zu tun hat wie mit anderen
- christlichen Werken. Der Zusammenhang zeigt, dass hier von
- unserem Verhalten bei Leiden die Rede ist und von nichts
- sonst.
- In der Juni-Nummer des Knigreichsdienstes (Ausgabe fr Kana-
- da) wird die Ansicht vertreten, dass wahrscheinlich 500 Mn-
- ner, Frauen und Kinder dabei waren, als Christus den Aposteln
- das Gebot aus Matthus 28:19, 20 gab. 1. Korinther 15:6 be-
- zieht sich nicht auf die Zusammenkunft Christi mit den Jngern
- in Galila. In Matthus 28:16 heisst es ausdrcklich: "Die elf
- Jnger dagegen gingen nach Galila zu dem Berg, wohin Jesus
- sie bestellt hatte." Elf waren es also, nicht 500.
- In diesem Frhjahr sandte das kanadische Zweigbro einen
- Redner in unseren Landesteil. Viele von uns reisten Hunderte
- von Kilometern, um ihn ein weiteres Mal die Wichtigkeit des
- Predigtwerks hervorheben zu hren. Schokiert hat mich aber,
- dass er sagte, wir mssten predigen, ob wir nun Liebe haben
- oder nicht. Als Beweis zitierte er 1. Korinther 9:16 - wieder
- aus dem Zusammenhang gerissen. Was Paulus dann kurz darauf in
- 1. Korinther 13:1-3 sagte, schien er ganz vergessen zu haben.
- Und doch gingen viele lteste nach Hause und glaubten ihm,
- weil er ein offizieller Vertreter der Wachtturm-Gesellschaft
- war.
- Ja, viele sind wirklich so wie meine liebe alte Grosstante,
- auf deren Grund und Boden in Compton (Kalifornien) die Gesell-
- schaft nach ihrem Tod ein regionales Literaturlager einrichte-
- te. Sie sagte mir einmal: "Wenn im Wachtturm stnde, der Mond
- sei aus grnem Kse, dann wrde ich das glauben."
- Wenn auch im Wachtturm niemals derartig schwachsinnige Behaup-
- tungen aufgestellt wurden, so standen in ihm doch in der
- letzten Zeit einige der schlimmsten Beispiele von Schriftver-
- drehung. Um ein einfaches Beispiel zu bringen: Der Text in
- Matthus 24:14 wurde als ein Gebot bezeichnet, was er einfach
- nicht ist. Analysiert man das griechische Wort kerychthesetai
- (wird gepredigt werden), so steht es in der dritten Person
- Indikativ Futur Passiv. Es ist kein Imperativ und hat keiner-
- lei Gebotscharakter. Viel schwerwiegender ist aber, was in dem
- Artikel "Der Eifer fr das Haus Jehovas" im englischen Wacht-
- turm vom 15. Juli 1979 steht. Dagegen mchte ich ernste Ein-
- wnde erheben. An manchem gibt es zwar nichts auszusetzen,
- doch vieles stimmt mit den biblischen Grundlehren, mit anderen
- Lehren der Wachtturm-Gesellschaft und mit den Tatsachen nicht
- berein.
- Auf Seite 12, Absatz 17 und 18 des englischen Wachtturms vom
- 15. Juli 1979 werden die Wrter kat' oikous aus Apostelge-
- schichte 20:20 erklrt. Der Schreiber behauptet, dieser Aus-
- druck habe die Bedeutung "von Haus zu Haus". Als Sttze werden
- Dr. A. T. Robertson sowie eine Anzahl Bibelbersetzungen
- zitiert. Gegen diese bersetzung wird natrlich niemand etwas
- einzuwenden haben, vorausgesetzt, man meint sie in dem Sinne
- "in den verschiedenen Husern". Gleichrangig damit ist aber
- die bersetzung von kat' oikous mit "in euren Husern" oder
- "privat" im Gegensatz zu "ffentlich" (demosia), wie sie in
- vielen bersetzungen zu finden ist. Dafr aber, dass der Aus-
- druck "von Haus zu Haus" auch "von Tr zu Tr" bedeuten kann,
- so wie ihn unser Durchschnittsverkndiger heute versteht, gibt
- es keinerlei Basis, und es ist falsch, diesen Eindruck zu
- erwecken.
- In Lukas 10:1-7 gab Jesus den 70 die Anweisung, in jede Stadt
- und jeden Ort zu gehen, in die er selbst kommen wrde. Wenn
- sie dorthin kmen, sollten sie nicht von Tr zu Tr gehen. Sie
- sollten vielmehr ein Haus suchen und dort bleiben: "Esst und
- trinkt, was sie bereitstellen, denn der Arbeiter ist seines
- Lohnes wrdig." Darauf erhielten sie ausdrcklich die Anord-
- nung, nicht von einem Haus in ein anderes umzuziehen, oder
- gemss der Mehrzahl der vom Wachtturm am Fuss der Seite 12
- angegebenen bersetzungen: "Gehet nicht von Haus zu Haus" (z.
- B. Jerusalemer Bibel). An dieser Stelle kommt das Wort kata
- natrlich nicht vor, doch die Bedeutung ist ganz klar die in
- der New International Version wiedergegebene: "Wechselt nicht
- von einem Haus zum andern ber" (siehe Wilckens).
- Was Jesus in diesem Fall wollte, war wohl: Geht, belehrt eine
- kleine Gruppe von Leuten in jeder Gemeinde ber die Wahrheit.
- Diese wiederum knnten dann ihrerseits ihre Nachbarn ber den
- Messias belehren - was wir heute als informelles Zeugnisgeben
- bezeichnen wrden. Mit anderen Worten, die Betonung lag auf
- dem Lehren, nicht dem einfachen Predigen. Damals haben sie
- ihre Gebiete nicht ruckzuck am Zeitschriftentag einmal ganz
- bearbeitet; gedruckte Literatur, die man bei den Nachbarn
- zurcklassen konnte, gab es nicht.
- In Apg. 20:20 bedeutet kat' oikous zweifellos, dass Paulus
- interessierte Menschen besuchte und in ihren Husern blieb, um
- sie die Wahrheit zu "lehren", nicht ihnen zu predigen. Es gibt
- keinerlei historische Anhaltspunkte dafr, dass er oder irgend
- jemand sonst im Rahmen eines Verkndigungswerkes Werbefeldzge
- von Tr zu Tr unternahm. Auch aus dem griechischen Text von
- Apg. 20:20 lsst sich das nicht herleiten. Folgende drei Par-
- allelbeispiele aus Apostelgeschichte veranschaulichen den
- "distributiven" Gebrauch von kata in Verbindung mit oikos:
- In Apg. 5:42 heisst es von den Aposteln, sie lehrten und,
- verkndigten die gute Botschaft im Tempel und kat' oikon. Das
- Wort oikos steht hier im Akkusativ Singular statt im Akkusativ
- Plural, ansonsten stimmen die Worte genau mit denen in Apg.
- 20:20 berein. In einzelnen bersetzungen wird kat' oikon zwar
- mit "von Haus zu Haus" wiedergegeben, so z.B. in der Neuen-
- Welt-bersetzung, der Douay und der New International Version,
- doch in den meisten Bibelbersetzungen steht "in den Husern"
- oder "zu Hause" (Einheitsbersetzung, Luther, Gute Nachricht,
- Vulgata, King James Version, American Standard, Smith/Good-
- speed, Moffatt, Revised Standard, Rotherham, English Revised
- Version 1881, Emphatic Diaglott, New English Bible, Montgome-
- ry, Bible in Living English, Weymouth, Jerusalemer Bibel, Luis
- Segond, la Version Moderna, Nacar-Colunga sowie el Nuevo
- Testamento de P. Agustin Magana). Es wre also unangebracht zu
- sagen, die Apostel seien gemss Apg. 5:42 von Tr zu Tr
- gegangen.
- In Apg. 2:46 wird genau derselbe Ausdruck kat' oikon ge-
- braucht. Die Zrcher Bibel sagt dort: "Und tglich verharrten
- sie einmtig im Tempel, und abwechselnd von Haus zu Haus
- brachen sie das Brot und nahmen die Speise zu sich mit Froh-
- locken und in Lauterkeit des Herzens" (hnlich in der King
- James Bible). Die Mehrzahl der neuzeitlichen bersetzungen,
- einschliesslich der Neuen-Welt-bersetzung, gibt kat' oikon
- hier aber natrlich nicht mit "von Haus zu Haus" wieder. Der
- Grund liegt auf der Hand. Dieser Ausdruck, der fr die ber-
- setzer der King James und der Douay Version im 17. Jahrhundert
- offenbar "in den jeweiligen Husern der Jerusalemer Christen"
- bedeutete, hat im heutigen Sprachgebrauch einen etwas ver-
- nderten Sinn. Bestimmt nahmen die Christen in Jerusalem nicht
- ihr Mittagessen an den Trschwellen ihrer Nachbarn ein, wh-
- rend sie von Tr zu Tr gingen, und das meinten die bersetzer
- der King James Version auch gar nicht. Geht man also von
- diesem Text aus, so wird die bersetzung "von Haus zu Haus" in
- ihrer heutigen Bedeutung fr die Stellen in Apg. 5:42 und Apg.
- 20:20 unmglich, und das ganz besonders dann, wenn jemand -
- wie der Verfasser des Artikels "Der Eifer fr das Haus Jeho-
- vas" - versucht, in diesen Ausdruck etwas hineinzulesen, was
- ursprnglich nicht beabsichtigt war.
- Und schliesslich stehen in Apg. 8:3 die Worte kata tous oi-
- kous, fast dieselben Worte wie in Apg. 20:20, nur dass hier
- zwischen der Prposition kata und dem Nomen oikous der be-
- stimmte Artikel tous eingeschoben ist. Luther sagt hier inter-
- essanterweise: "Saulus aber suchte die Gemeinde zu zerstren,
- ging von Haus zu Haus, schleppte Mnner und Frauen fort und
- warf sie ins Gefngnis" (hnlich die New International Ver-
- sion). Heisst das etwa, dass er die Strassen entlang ging und
- an jeder Tr klopfte, um herauszufinden, wo berall ein Christ
- wohnte? Oder heisst es, dass er in "jedes Haus [der Christen]"
- eindrang, wie die King James Version es sagt? Oder bedeutet
- es, dass er "in ein [christliches] Haus nach dem anderen
- eindrang", wie die Stelle in der Neuen-Welt-bersetzung lau-
- tet? Die Antwort darauf ist eindeutig, und wieder einmal
- sttzt sie die Behauptung im Wachtturm ber Apg. 20:20 nicht.
- Doch was ist gegen diese besondere Auslegung von Apg. 20:20
- einzuwenden? Ist es denn verkehrt, von Tr zu Tr zu gehen, um
- die gute Botschaft zu predigen? Nein, das meine ich nicht.
- Nach der Bibel kommt es auf die Botschaft an und nicht auf die
- Art und Weise, wie sie berbracht wird. Wenn das Zeugnisgeben
- von Tr zu Tr Erfolg hat, dann ist es eine durchaus legitime
- Methode des Verkndigens. Darum geht es hier aber gar nicht.
- Beim Bibelstudium kann nachlssiger Umgang mit dem Text und
- fehlerhaftes Auslegen einfach nicht akzeptiert werden. Wir
- mssen Gott in Geist und Wahrheit anbeten. Was aber noch
- wichtiger ist, ich muss mich ganz kategorisch dagegen ausspre-
- chen, dass angedeutet wird, jeder Christ msse ein bestimmtes
- Werk auf eine ganz bestimmte Weise ausfhren, als wre dies
- ein Gebot der Bibel. Was ich damit meine, ist, dass die Ge-
- sellschaft das Predigtwerk - in diesem Fall das Predigen von
- Tr zu Tr - buchstblich zu einem Sakrament gemacht hat, wie
- man es in der rmisch-katholischen Kirche kennt. Wenn es in
- dem Watchtower vom 15. Juli 1979 auf Seite 14 in Absatz 4
- heisst: "Durch unser Ausharren im Verknden dieser guten
- Botschaft vom Knigreich knnen wir die Rettung erlangen",
- dann wird damit etwas Falsches gelehrt. Gegen diese Art der
- Werkgerechtigkeit ist Luther im 16. Jahrhundert aufgestanden.
- Und was noch wichtiger ist: dies ist die Art Gesetzlichkeit,
- gegen die Paulus in Rmer, Epheser und Galater schrieb. Ganz
- gewiss ist es unser in Liebe ttiger Glaube - der "vorzgli-
- chere Weg" (1. Korinther 13:1) -, der Gerechtsprechung und
- Rettung bringt, nicht irgendein spezielles Werk. Durch unser
- Predigen erwerben wir mit Sicherheit kein Verdienst. Kann die
- Gesellschaft die bewegenden Worte von Paulus in Epheser 2:8, 9
- so schnell vergessen: "Durch diese unverdiente Gte seid ihr
- tatschlich durch Glauben gerettet worden; und dies habt ihr
- nicht euch zu verdanken, es ist Gottes Gabe. Nein, es ist
- nicht Werken zu verdanken, damit kein Mensch Grund zum Rhmen
- habe." Gibt es denn im Bethel in Brooklyn keinen, der be-
- greift, was die Lehre der Rettung aus Glauben bedeutet? Wie
- ist es mglich, dass die Gesellschaft im englischen Erwachet!
- vom 8. Juni 1979 einen so wunderschnen Artikel wie "Warum die
- Betonung der christlichen Freiheit?" verffentlicht und dann
- im Wachtturm den Artikel "Der Eifer fr das Haus Jehovas"?
- Sieht denn niemand den Widerspruch in der Lehre? Mgen wir
- niemals in der frchterlichen Schlinge der Werkgerechtigkeit
- Roms oder des jdischen Gesetzesdenkens gefangenbleiben!
- Aber sttzt sich das heutige Predigtwerk der Zeugen Jehovas
- nicht auf das Vorbild des 1. Jahrhunderts, wie dies auf Seite
- 15 des Watchtower vom 15. Juli 1979 gesagt wird? Und handelt
- es sich nicht beim Haus-zu-Haus-Dienst um die wirkungsvollste
- Predigtmethode? In Erwiderung der ersten Frage will ich ganz
- offen sagen, dass die dafr vorgetragenen Argumente schwach
- sind. In Apg. 20:20 ist davon die Rede, dass Paulus kat'
- oikous ging und nicht "ttige Mnner und Frauen" oder die
- gesamte christliche Gemeinde. In Apg. 5:28 wird ausdrcklich
- von den Aposteln gesprochen (siehe Apg. 5:27) und nicht von
- der gesamten Christenversammlung. Was der Historiker E. Arnold
- darber sagt, ist nicht von Belang. Er sagt nmlich nicht, auf
- welche Weise "auch die einfachsten Mitglieder ihrer [der
- Christen] Gemeinden Sendboten waren". Knnte es sich dabei
- nicht auch um ihre Lebensweise gehandelt haben, durch die sie
- das taten, oder durch "informelles Zeugnisgeben", statt durch
- organisiertes Predigen von Tr zu Tr? So scheint es aus 1.
- Petrus 2:9-12 hervorzugehen. Und was die Aussage von H. G.
- Wells angeht, so beweist sie nur, wie sehr sich fehlbare
- Menschen bisweilen irren knnen. Die Urkirche war erheblich
- strker organisiert, als er meint. Das geht aus der Bibel ganz
- klar hervor. Man lese z.B. Rmer 12, 1. Kor. 12, Eph. 4:11, 1.
- Tim. 3, Titus 1, Offb. 1:19, 20. Und darf ich dazu abschlies-
- send die Frage stellen, wie die Wachtturm-Gesellschaft die
- Worte aus Rmer 10:9, 10 versteht? Je nach Bedarf scheint die
- Deutung eine andere. Ist damit das Predigtwerk gemeint, wie es
- der Watchtower vom 15. Juli 1979 sagt, oder gilt das, was im
- Watchtower vom 1. November 1978 in Absatz 16 auf Seite 15
- steht? Und weshalb wird homologeo an dieser Stelle mit "f-
- fentlich verkndigen" wiedergegeben, an anderer Stelle aber -
- wie in Matthus 7:23 - mit "bekennen"?
- Was die Wirksamkeit des Predigens von Tr zu Tr angeht, so
- wird im Watchtower vom 15. Juli 1979 auf Seite 16, Absatz 9,
- gesagt: "Bis zum heutigen Tage erweist sich das Predigen von
- Haus zu Haus mit den Zeitschriften Erwachet! und Wachtturm als
- eine der wirkungsvollsten Methoden, um die Menschen mit der
- guten Botschaft zu erreichen." Bedauerlicherweise gibt es fr
- diese Behauptung kaum objektive Beweise. Das Material, das
- vorliegt - und das ist immerhin schon einiges -, beweist
- offensichtlich genau das Gegenteil. Die Gesellschaft hat
- mehrfach aus der Studie von Bryan Wilson ber die Zeugen
- Jehovas in Japan zitiert, um zu zeigen, wie effektiv die Haus-
- zu-Haus-Ttigkeit ist. Doch in einer Tabelle, die Wilson auf
- Seite 109 in der Fachzeitschrift Social Compass (Jg. 24, Nr.
- 1, 1977) verffentlicht hat, zeigt er recht drastisch, dass
- von 377 japanischen Zeugen, mit denen er sich befasst hatte,
- nur 2,3 Prozent durch die Literatur der Wachtturm-Gesellschaft
- erstmals an der Wahrheit interessiert wurden. Das ist nun
- wirklich nicht gerade berauschend. Zwar zeigt Wilson, wie
- wichtig die "Hausbesuche" in Japan sind, denn 58,3 Prozent der
- von ihm untersuchten Gruppe kamen aufgrund dieser Ttigkeit zu
- den Zeugen. Daraus aber zu schliessen, dass der Zeitschriften-
- dienst oder allgemein der Haus-zu-Haus-Dienst in anderen
- Lndern auch nur entfernt dieselbe Effektivitt hat, wre
- verkehrt. In Grossbritannien und den Niederlanden fhlen sich
- weit weniger Menschen von jeglicher Form des Haus-zu-Haus-
- Dienstes angesprochen. (Siehe J. A. Beckford: The Trumpet of
- Prophecy, [1975] S. 160, 161; Q. J. Munters: "Le recrutement
- des candidats" in: Social Compass 24 [1977] Nr. 1.) Das glei-
- che trifft offenbar auf Sambia zu. (Siehe Norman Long: Social
- Change and the Individual: a Study of the Social and Religious
- Responses to Innovation in a Zambian Rural Community, S.
- 218-233.)
- Einzeluntersuchungen von Brdern in den USA und in Skandina-
- vien sowie meine eigenen Untersuchungen in Kanada deuten
- darauf hin, dass in vielen Gegenden lediglich zwischen 5 und
- 30 Prozent durch das Predigen von Tr zu Tr Zeugen wurden.
- Ganz egal, wie sehr die Gesellschaft den Haus-zu-Haus-Dienst
- anpreist und frdert, es gibt kaum Hinweise darauf, dass er
- wirklich ein wirksames Mittel zur Verkndigung der guten
- Botschaft ist. Man sollte ihn zwar nicht abschaffen, denn er
- hat seinen Platz, doch wir mssen weitere Mglichkeiten fin-
- den, wie wir predigen und lehren knnen.
- Wenn die Gesellschaft and die leitende Krperschaft wirklich
- daran interessiert wren, die Botschaft vom Knigreich zu
- verkndigen, dann tten sie gut daran, einmal die Wirksamkeit
- verschiedener Formen der Evangelisierung unvoreingenommen
- untersuchen zu lassen. Mit der Berufung auf die hergebrachte
- Methode der Organisation und dem Bezug auf das prophetische
- Wort von einem "Heuschreckenheer" ist es nicht getan. Seit es
- das Fernsehen und die anderen elektronischen Medien gibt,
- lesen die Menschen weit weniger als frher. Es ist darum, wie
- Wilson zeigt, wenig erfolgreich, tonnenweise Literatur ab-
- zusetzen. Auch hat keiner in der Organisation richtig zur
- Kenntnis genommen, dass viele durch den Haus-zu-Haus-Dienst
- abgestossen werden. Mir ist aufgefallen, dass man vielerorts
- mit dem Haus-zu-Haus-Dienst genau das Gegenteil von dem er-
- reicht, was man mchte. Viele Menschen, die den Verkndigern
- die Tr vor der Nase zuschlagen, sind bei anderer Gelegenheit
- fr unsere Botschaft sehr empfnglich.
- Wenn die Organisation wirklich so fortschrittlich wre, wie
- sie stndig vorgibt, dann wrde sie sich um neue und bessere
- Wege bemhen, das Evangelium zu predigen. Vor ein paar Jahren
- berichteten mir Brder aus der Versammlung Highland Park in
- South Pasadena, dass Brder in Los Angeles seien bereit, fr
- die Gesellschaft unter deren Aufsicht ein paar kurze Filme zu
- drehen. Aber weiter habe ich davon nichts mehr gehrt. Weshalb
- frdert die leitende Krperschaft diese Bemhungen nicht? Das
- Zweigbro hier in Kanada hat sehr guten Erfolg mit Videoauf-
- zeichnungen von Fernsehsendungen, wenn auch die Qualitt noch
- sehr zu wnschen brig lsst.
- Und warum ermuntert die Organisation eigentlich wissenschaft-
- lich ttige Brder nicht, unabhngige Studien zu verfassen?
- Das Buch Kreuzzug gegen das Christentum von Brd. Franz Zrcher
- war ein gewaltiges Zeugnis, doch es wurde nie ins Englische
- bersetzt. Die Artikel von Hayden Covingten und Glen How fr
- das Canadian Bar Journal und das Journal of the Canadian
- Medical Association haben in unserem Land sehr viel bewirkt.
- Die Bcher von Marley Cole und A. H. Macmillan waren von
- grossem Wert. Das Gleiche lsst sich von den Arbeiten Victor
- Blackwells und von meinen sagen. Ich konnte viele Vortrge vor
- Fachleuten halten und bin Dutzende von Malen im Radio und
- Fernsehen gewesen. Und trotzdem wird jemand, der etwas ver-
- ffentlicht, selbst wenn es vllig auf der Linie der Organisa-
- tion ist, nicht ermutigt; manchmal geht man sogar recht ruppig
- mit ihm um.
- Warum lsst die Gesellschaft nicht jemand wie Bruder How, der
- nun wirklich ein erstklassiger und treu ergebener Mann ist,
- eine Studie ber die Wirkung der Zeugen Jehovas auf die Ge-
- setzgebung verfassen? Warum arbeiten wir nicht etwas Ordentli-
- ches zum Thema Medizin und Recht aus, unter der Federfhrung
- von Brdern, die beschlagen sind auf diesen Gebieten? Warum
- lassen wir nicht von Historikern eine umfassende, ungeschmink-
- te Geschichte der Organisation erstellen, durch die viele
- Anwrfe von Gegnern auf ehrliche Weise entkrftet wrden?
- Warum erzhlen wir nicht die zahlreichen Beispiele des Glau-
- bens und Mrtyrertums unserer lieben Brder in Nazideutsch-
- land, den kommunistischen Lndern, in Malawi, Lateinamerika,
- den USA und Kanada? Wir knnten Brder darber schreiben
- lassen und historische Darstellungen fr Film und Fernsehen
- daraus machen. Und wenn jemand mit seinem Namen dafr ver-
- antwortlich zeichnet, wrde das keinen biblischen Grundstzen
- widersprechen. Immer wieder berichtet die Bibel ganz ausfhr-
- lich ber die Glaubenstaten einzelner Menschen, ganz im Gegen-
- satz zu unserem Kult der gesichtslosen Anonymitt.
- berhaupt tun wir sehr wenig, um ganze Bevlkerungsschichten
- zu erreichen, die regelrecht nach der Wahrheit drsten. Tau-
- sende von jungen Menschen an den Universitten und auf dem
- College wrden die Botschaft anhren, wenn man sich die Zeit
- nehmen wrde, sie auf die ihnen gemsse Art anzusprechen.
- Fundamentalisten, Moonies, Charismatiker tun dies bereits.
- Doch wir haben kaum jemand, der dem Beispiel des Apostels
- folgen und allen Menschen alles werden knnte, und ignorieren
- diese wichtige Gruppe fast vllig. Stattdessen rmpfen die
- Organisation und die Mehrheit der Brder die Nase ber die
- Universittsausbildung, und dabei wissen die wenigsten ber-
- haupt etwas darber. Vieles von dem, was die Brder ffentlich
- zu diesem Thema sagen und was in unserer Literatur geschrieben
- steht, lsst sich, offen gesagt, bestenfalls als irregeleitet
- bezeichnen, ja wirkt geradezu verletzend.
- Weiter: Was tun wir auf dem Gebiet der Werke der Barmherzig-
- keit und wie legen wir hier Zeugnis von unserem Glauben ab?
- Immer wieder bemngeln wir an anderen Religionen, sie seien
- nicht geistig gesinnt und konzentrierten sich ganz auf ihre
- wohlttigen Werke, die den fleischlichen Menschen versorgen.
- Wir rhmen uns unseres Predigens. Doch Jesus hat whrend
- seines Dienstes ohne Zweifel die Kranken geheilt, viele Men-
- schen gespeist, Tote auferweckt, Wasser zu Wein gemacht und
- vieles andere getan, weil er die Menschen liebte. Bitte sagt
- nicht, er habe diese Wunder nur vollbracht, um zu veranschau-
- lichen, was er whrend der Tausendjahrherrschaft tun werde.
- Die Bibel sagt, er habe zartes Mitgefhl mit den Menschen
- gehabt. Wo bleibt unser "zartes Mitgefhl" fr die Lahmen, die
- Krppel und die Blinden? Wenn andere in einer Hinsicht unaus-
- gewogen sind, so sind wir es in einer anderen. Ich danke Gott,
- dass wir uns allmhlich diesen Aufgaben zuwenden, doch wir tun
- noch viel zu wenig auf diesem Gebiet.
- Die Betonung oder berbetonung des Predigens hat bewirkt, dass
- wir uns weit davon entfernt haben, auf diesem Gebiet die
- christliche Liebe zu erweisen, von der wir immer behaupten,
- wir htten sie. Pioniere, Kreisaufseher und lteste vernach-
- lssigen die Besuche bei Kranken und Alten sehr hufig; sie
- mssen ja "ihre Stunden zusammenkriegen". Ich kenne zwei
- Pionierschwestern, die ihren alten Grossvater, der in einem
- Altersheim ist, buchstblich nie besuchen. Sie "haben keine
- Zeit". Wenn Kreisaufseher in unsere Versammlung kommen, erkun-
- digen sie sich nie darber, ob die Brder die Frchte des
- Geistes hervorbringen; sie sehen sich mit Kennerblick die
- Karteikarten der Verkndiger an und prgeln dann auf die
- ltesten und Dienstamtgehilfen ein, sie sollten "mehr Stunden
- im Dienst verbringen". Den Umstnden des einzelnen wird selten
- Beachtung geschenkt. Wir sagen zwar, dass wir das Scherflein
- der Witwe annehmen, doch was die Zeit fr das Predigen angeht,
- fordern wir in Wahrheit die Silberschekel ein.
- So haben wir eine Organisation von Evangelisten aufgebaut, und
- niemand in ihr erhlt eine leitende Funktion, wenn er nicht
- "im Felddienst eifrig ttig ist". Fr diese Haltung gibt es
- aber ganz einfach keine biblische Grundlage. Weshalb die
- Gesellschaft bis heute noch nicht begriffen hat, dass die
- Menschen unterschiedliche Gaben haben und dass die Verantwor-
- tung gemss der Bibel in vernnftiger Weise auf mehrere Schul-
- tern verteilt werden sollte - wie es wiederum in Rmer 12, 1.
- Korinther 12 und Epheser 4:11 betont wird -, geht ber mein
- Fassungsvermgen. Schliesslich wurden doch einige als Evange-
- listen gegeben, nicht alle. Und in der frhen Christenversamm-
- lungen gab man den Hirten und Lehrern den Vorrang, nicht den
- Evangelisten (1. Korinther 12:28; 1. Timotheus 5:17).
- Traurigerweise haben wir eine Hierarchie von Evangelisten
- geschaffen und sind eine Gemeinschaft geistiger Hochleistungs-
- sportler geworden. Und was noch trauriger ist, viele in ver-
- antwortungsvoller Stellung in der Organisation treten und
- schlagen die Schafe. Zwei der Kreisaufseher, die in den letz-
- ten sechs bis sieben Jahren unserem Kreis zugeteilt wurden,
- waren nichts weiter als geistige Polizisten. Sie haben grosse
- Feldzge wegen Kleidung und usserer Erscheinung gefhrt,
- haben die Brder wegen ihrer zu geringen Anzahl von Predigt-
- dienststunden eingeschchtert und bei vielen einen grossen
- geistigen Schaden angerichtet. Es gab Rcktritte von ltesten
- und Dienstamtgehilfen, und andere haben sich geweigert, zu den
- Zusammenknften zu gehen, wenn diese Mnner da waren. Und
- unsere Beschwerden bei der Gesellschaft fruchten nichts. Wie
- bei der Armee, im Geschftsleben oder anderen weltlichen In-
- stitutionen blich, halten die Leitenden zu ihren Untergebe-
- nen. Wir bitten um Brot und bekommen einen Stein; wir ersuchen
- um einen Fisch und erhalten oft genug eine Schlange. Dann sagt
- man uns: "Diese Mnner vertreten den treuen und verstndigen
- Sklaven." Doch mich, der ich dieser Sklavenklasse angehre,
- vertreten sie nicht; und genauso wenig vertreten sie meiner
- Ansicht nach unseren sanften Herrn Jesus. Es war nicht der
- treue Sklave aus Matthus 24:45, der anfing, die Brder zu
- schlagen; das war vielmehr der bse Sklave aus Matthus 24:48-
- -51.
- Wir knnten aus der Geschichte der Kirche viel lernen, wenn
- wir nur wollten. Ist eine Gruppe jung und voll des Geistes, so
- betont sie die Spontaneitt der christlichen Freiheit, wie es
- Paulus gegenber den Galatern tat. Doch wenn sie alt wird,
- hebt sie oft die Superfrmmigkeit und die Werkgerechtigkeit
- hervor. Die ersten Christen waren bestimmt nicht vom Thema
- "Kleidung und ussere Erscheinung" besessen. Ich kann mir
- nicht vorstellen, dass sie jemand wie Emily Post zum Thema
- Hosen fr Frauen zitiert htten. Es war der fanatische Tertul-
- lian des zweiten und dritten Jahrhunderts, der sich einer
- extremen Gruppe wie den Montanisten anschloss, dem man das
- zutrauen wrde. Lest in einer ruhigen Minute einmal nach, was
- er "ber die Kleidung der Frauen" und "Bescheidenheit" schrieb
- und stellt dann fest, wie sehr manche unserer Redner ihm und
- nicht Jesus oder Paulus gleichen. Man beachte auch, wie viele
- der frhen Protestanten, die allesamt die katholische Werkge-
- rechtigkeit ablehnten, nach und nach selbst der Werkgerechtig-
- keit verfielen. Die frhen Wiedertufer entwickelten sich zu
- den Mennoniten und Hutterern. Interessant ist, wie der deut-
- sche Soziologe Max Weber in seiner berhmten Arbeit Die prote-
- stantische Ethik und der Geist des Kapitalismus genau be-
- schreibt, dass dies der Entwicklungsgang vieler Gruppen war.
- Als Historiker sehe ich, wie vieles davon jetzt bei uns genau
- so abluft. Wir rhmen uns unseres geistigen Reichtums, sind
- aber gleich den Laodizern arm (Offb. 3:17).
- Warum betonen wir also nicht die Freude, die aus der christli-
- chen Freiheit erwchst, sowie das zarte Mitgefhl der ersten
- Christen und das ganze Spektrum des Dienstes Christi, nicht
- nur das Predigtwerk? Tte man dies, knnten viele geistig
- Kranke wiederbelebt werden, die Besuche der Kreisaufseher
- wrden nicht mehr als bischfliche Visitationen oder militri-
- sche Inspektionen empfunden werden, sondern als freudige
- Ereignisse, die allen zur Erbauung dienen. Die leitende Kr-
- perschaft und die Gesellschaft sollten sich deshalb im Licht
- der Bibel erforschen und Rat annehmen. Htten sie dies ange-
- sichts all der Autoritt, die sie haben, stets richtig getan,
- wren wir viel reicher gesegnet worden, als es der Fall war.
- Ihr mgt meine usserungen als die eines unzufriedenen Mecke-
- rers abtun. Doch das wre verkehrt. Ich habe grosse Liebe zu
- Euch, meinen Brdern, und zur ganzen Organisation. Genau aus
- diesem Grunde schreibe ich berhaupt mit soviel Freimut. Wenn
- ich diese Liebe und diese tiefe Sorge nicht htte, dann wre
- ich wie so viele schon einfach gegangen und htte die Schafe
- im Stich gelassen. Doch stattdessen habe ich diesen Brief
- geschrieben, um nachdrcklich die drastischen nderungen zu
- fordern, die wir fr unsere Gemeinschaft so dringend brauchen.
- Nur mit der unverdienten Gte Jehovas, mit Gebet und einem in
- Liebe ttigen Glauben werden wir die Rettung als Gabe Gottes
- erringen und auch anderen dabei eine Hilfe sein. Ich bitte
- Euch daher instndig, meine Brder, dass Ihr dies alles als
- von einem Mitbruder in Christo kommend anseht.
-
- Mit freundlichen Grssen
- M. James Penton
-
- Kopie an: Schreibkomitee der leitenden Krperschaft der Zeugen
- Jehovas
-
- (Anm. d. bers.:
- Anderthalb Jahre nach Absenden dieses Briefes, am 17.2.81,
- wurde der Verfasser ausgeschlossen, nachdem man ihm zuvor
- bereits sein ltestenamt aberkannt hatte. Im Jahr 1985 ver-
- ffentlichte er das wissenschaftliche Standardwerk Apocalypse
- Delayed. The Story of Jehovah's Witnesses.)
-
- Deutsch von Rainer Ref und Helmut Lasarcyk (1.89)
- **************************************************************