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Text File | 1991-12-14 | 248.9 KB | 4,470 lines |
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- Diese Diskete ist FREEWARE. Das bedeutet, sie darf frei kopiert und
- weitergegeben werden. Es drfen aber keine nderungen vorgenommen
- werden. Der Text unterliegt wie ein Buch den Copyright-Bestimmungen.
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- Zur
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- seelischen Gesundheit
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- von Zeugen Jehovas
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- Jerry R. Bergman
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- Inhaltsverzeichnis
- Seite
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- Vorwort von Prof. Carl Thornton 3
- ber den Autor 4
- Wichtige Vorbemerkung zu den Fallgeschichten 5
- Einfhrung 6
- Kap. 1: Jehovas Zeugen und das Problem der psychischen Erkrankungen 9
- Kap. 2: Zur Hufigkeit psychischer Erkrankungen bei Zeugen Jehovas 10
- Kap. 3: Wie die Zeugen auf Forschungen auf diesem Gebiet reagieren 13
- Kap. 4: Welche Faktoren zur hohen Zahl Erkrankungen beitragen 14
- Kap. 5: Weitere krankheitsfrdernde Umstnde 27
- Kap. 6: Die Problemfelder Gemeinschaftsentzug und lteste 36
- Kap. 7: Das Leben als Zeuge Jehovas 37
- Kap. 8: Die Familie 52
- Kap. 9: Die Leitung - "die Organisation an die erste Stelle setzen" 55
- Kap. 10: Zieht die Wachtturm-Religion psychisch labile Personen an? 58
- Kap. 11: Wie man die Trennung von den Zeugen heil bersteht 62
- Kap. 12: Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 68
- Anhang: Der Watchtower in Afrika (Kitawala) (entfllt)
- Bibliographische Hinweise 75
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- Der folgende Text ist eine autorisierte bersetzung von Auszgen
- aus dem 171seitigen Werk "The Mental Health of Jehovah's Witnes-
- ses." USA 1987. Bestelladresse: Witness Inc., P. O. Box 597,
- Clayton, CA 94517, U.S.A. Preis: 8,95 Dollar (Stand 1990)
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- Vorwort von Dr. phil. Carl Thornton,
- Professor der Psychologie in Flint, Michigan:
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- Dr. Bergman und ich haben in unserem Lebenslauf einzigartige
- Erfahrungen gemeinsam: Wir wurden beide als Zeugen Jehovas erzogen,
- traten beide aus der Glaubensgemeinschaft aus, besuchten die
- Universitt und studierten Psychologie, und haben beide auf diesem
- Gebiet auch promoviert. Dieser gemeinsame Entwicklungsgang hat uns
- veranlasst, genauer zu erforschen, wieso von dieser Gemeinschaft so
- starke Wirkungen ausgehen, im Positiven wie im Negativen.
- Positiv lsst sich vermerken, dass die Zielgerichtetheit und die
- Selbstdisziplin, die wir als Kinder lernten, wesentlich zum Erfolg
- unserer akademischen Ausbildung beigetragen hat. Auf der Negativ-
- seite sehe ich (und ebenso Dr. Bergman) bei mir und anderen das
- Risiko, in eine regelrechte Arbeitssucht abzugleiten und nur mit
- Mhe ein ausgeglichenes Leben aufrechtzuerhalten.
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- Bei den Zeugen Jehovas beobachte ich ein unablssiges Bemhen,
- einer "vollkommenen" Verhaltensnorm zu entsprechen. Das hat oft ein
- vermindertes Selbstwertgefhl zur Folge ("Das schaffe ich nie"),
- und es kann zu psychosomatischen Erkrankungen fhren, zum Zusammen-
- bruch der Widerstandskraft des Krpers gegen Krankheiten und zu
- einem frhzeitigen Tod. Aus dem Schuldgefhl heraus ("Ich kann
- nicht genug tun") sowie aus der Angst vor dem bevorstehenden
- Weltuntergang ("Jeden Tag kann Harmagedon kommen") fordert man
- stndig mehr von sich, als man eigentlich schaffen kann. All dies
- zusammengenommen fhrt zu krperlichen Leiden: Geschwre, Migrne,
- Herzinfarkt und vielen weiteren. [...] Ein anderes Problem, das
- meiner Ansicht nach unter Zeugen Jehovas und ehemaligen Angehrigen
- dieser Gemeinschaft auffllt, ist das der Depressionen und
- Selbstmorde. Zwar liegen nur wenige statistische Daten vor, die das
- absichern knnten, doch Dr. Bergman und ich sind unabhngig
- voneinander zu denselben Schlussfolgerungen gelangt.
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- Jehovas Zeugen neigen sehr stark zu Selbstzweifeln und Schuldgefh-
- len, den wesentlichen Voraussetzungen fr Depression. Geht man von
- einer schwachen Persnlichkeit aus und zhlt die verheerenden
- Folgen des bei Jehovas Zeugen blichen Gemeinschaftsentzugs hinzu,
- wozu der totale Abbruch aller Kontakte von seiten smtlicher
- Freunde und Verwandten gehrt, so ergibt sich eine Belastung, der
- die meisten Menschen nicht gewachsen sind. Ich vermute, der
- Prozentsatz an Selbstmorden unter ehemaligen Zeugen Jehovas ist
- sehr hoch.
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- Es ist zu hoffen, dass Jerry Bergmans Buch dieses sehr bedeutende
- soziale Problem bewusst machen wird. Auch fr ehemalige Zeugen
- Jehovas kann es von Nutzen sein, da sie in der Vereinsamung ihrer
- Depression hchst selten fachliche Hilfe suchen, dieser sogar
- usserst misstrauisch gegenberstehen, wenn sie ihnen angeboten
- wird. Eine nchterne Analyse des Phnomens Jehovas Zeugen wird
- ihnen vor Augen fhren, dass sie nicht allein sind, sondern dass es
- viele wohlmeinende Menschen wie Dr. Bergman gibt, die ihnen ber
- die schweren Zeiten, die sie mit "der Gesellschaft" durchmachen
- mssen, hinweghelfen. Hierin kann dieses Buch von unschtzbarem
- Nutzen sein.
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- In einem Punkt unterscheiden sich Dr. Bergmans Ansichten und meine:
- Whrend er als auslsendes Moment fr psychische Probleme vor allem
- den Einfluss der sozialen Umwelt innerhalb der Zeugen Jehovas
- sieht, meine ich, gesttzt auf meine Forschungsarbeit auf dem
- Gebiet der Psychosen und des Alkoholismus, dass hierbei eine sehr
- starke genetische Komponente wirksam ist. In Bezug auf psychosoma-
- tische Erkrankungen und Depressionen stimme ich allerdings vllig
- mit ihm berein. Und ebenso teile ich seine Besorgnis. Die Tragik
- liegt meines Erachtens darin, dass die "ltesten" in den Versamm-
- lungen (Gemeinden) der Zeugen Jehovas nicht die geringste Ahnung
- davon haben, wie psychische Krankheitszustnde entstehen und wie
- sie zu behandeln sind. Diese Unwissenheit kann fr einen Betroffe-
- nen verheerende Folgen haben. Fr Mitglieder der Gemeinschaft der
- Zeugen Jehovas besteht eine reale Wahrscheinlichkeit, durch
- Selbstmord aus dem Leben zu scheiden oder dauernd behindert zu
- sein, weil sie nicht angemessen behandelt werden.
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- Dr. Bergman und ich hoffen, dass seine umfangreichen Forschungen,
- Analysen und Empfehlungen mehreren guten Zwecken dienen. Angehrige
- der helfenden Berufe knnen die Zeugen Jehovas und ehemaligen
- Zeugen Jehovas unter ihren Klienten und Patienten besser verstehen
- und darum bessere Therapieplne fr sie erstellen. Und auch dem
- Laien wird eine Einsicht in die Risiken vermittelt, die mit der
- Sozialstruktur der Zeugen Jehovas verbunden sind.
- Vielleicht fhren Werke wie dieses einmal zu einer positiven
- Vernderung bei den Zeugen Jehovas. Das darf man aber nur sehr
- vorsichtig und nur fr die fernere Zukunft erhoffen.
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- Dr. Carl Thornton
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- ber den Autor
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- Der Verfasser forscht seit zwei Jahrzehnten auf dem Gebiet der
- Besserung von Strafttern und der Psychologie. Seit ber einem
- Jahrzehnt lehrt er Psychologie und Soziologie im Hochschulbereich.
- Er hat ber 300 Artikel auf dem Gebiet der Psychologie und
- Soziologie verfasst, die sowohl in wissenschaftlichen wie in
- allgemeinen Zeitschriften verffentlicht wurden, und hat mehr als
- 20 Bcher, Buchbeitrge und Monographien geschrieben, darunter ein
- Lehrbuch fr das Gebiet Leistungsmessung und Psychometrie und eine
- Bibliographie zu den Zeugen Jehovas (Garland Press 1984).
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- Mit den Zeugen Jehovas befasst sich Dr. Bergman bereits seit
- langem. Aus seinen Forschungen zur seelischen Gesundheit der Zeugen
- Jehovas sind vier Zeitschriftenartikel und mehrere Vortrge auf
- wissenschaftlichen Fachkonferenzen hervorgegangen. Derzeit ist er
- der fhrende US-Experte in Fragen zur Psychologie der Zeugen
- Jehovas. Seine nchste Verffentlichung auf diesem Gebiet wird ein
- Buch ber die psychologische Beratung und Therapie von Zeugen
- Jehovas sein.
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- Seit ber 20 Jahren befasst sich Bergman auch ausfhrlich mit den
- Glaubensansichten der Zeugen Jehovas. Fast zwei Jahrzehnte lang
- besuchte er ihre religisen Zusammenknfte regelmssig und hat sich
- mit buchstblich allen Entwicklungsphasen dieser Glaubensgemein-
- schaft aktiv auseinandergesetzt. Zur Vorbereitung des vorliegenden
- Buches wurde die Literatur grndlich auf alle Hinweise durchfor-
- stet, die zum Verstndnis dieser Gruppe beitragen knnen.
- Darber hinaus wurden Tausende von Einzelgesprchen gefhrt mit
- einem Personenkreis, der von ausgeschlossenen Zeugen bis zu
- Mitgliedern der leitenden Krperschaft der Wachtturm-Organisation
- reicht. Neben seiner Beratungs- und Forschungsarbeit hat der
- Verfasser ber 100 psychisch kranke und verstrte Zeugen Jehovas
- psychologisch betreut, viele von ihnen mit schweren psychischen
- Funktionsstrungen, die bei manchen ein solches Ausmass erreicht
- hatten, dass man sie normalerweise in eine Anstalt eingewiesen
- htte, wenn dem nicht die Devise der Wachtturm-Organisation
- entgegengestanden htte, sich auf keine psychiatrische Behandlung
- einzulassen.
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- Wichtige Vorbemerkung zu den Fallgeschichten
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- Alle Fallgeschichten stammen aus der Arbeit des Autors, sofern
- nichts anderes angegeben wird. Die Namen der Personen, Orte und
- weitere Angaben, die der Identifizierung dienen knnten, wurden in
- allen Fllen gendert, teils um die Anonymitt der Betroffenen zu
- wahren, die traumatische Erfahrungen mit der Wachtturm-Organisation
- hinter sich haben. Viele ehemalige Zeugen Jehovas wollen diese
- Geschehnisse so weit wie mglich vergessen und jeden Kontakt mit
- ihrer frheren Glaubensgemeinschaft sowie alle Gesprche darber
- vermeiden. Darber hinaus sind (oder waren) viele hier erwhnte
- Personen Patienten in Nervenheilanstalten, so dass es von der
- Berufsethik und vom Gesichtspunkt des therapeutischen Prozesses her
- verkehrt wre, ihre Identitt preiszugeben. Andere sind aktive
- Zeugen und wollen die Probleme der Vergangenheit hinter sich
- bringen. Aus diesem Grund wurden zur Wahrung der Vertraulichkeit
- unwichtige Einzelheiten in vielen Fllen abgendert. Im wesentli-
- chen werden die Fallgeschichten aber so geschildert, wie sie sich
- zugetragen haben. [...] Man muss sich hten, aus den vorgetragenen
- Einzelfllen verallgemeinernde Schlsse zu ziehen. Sie knnen
- hchstens belegen, dass bestimmte Dinge sich tatschlich zutragen
- knnen. Jeder Fall zeigt eine ganz besondere Problemlage, jeder ist
- einzig in seiner Art. Wenn daher ein Zeuge bestimmte Probleme
- hatte, so heisst das nicht, dass diese allgemein verbreitet seien.
- Ich habe mich bemht herauszufinden, welche Muster typisch sind und
- wie oft sie auftreten, doch das ist ein sehr schwieriges Unter-
- fangen. Fallgeschichten beleuchten ihrer Natur nach vor allem das
- Aussergewhnliche. Aus mehreren hundert haben wir einzelne wenige
- ausgesucht, und jede veranschaulicht ein Problem oder einen
- Diskussionsgegenstand. [...]
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- Wenn bestimmte Klassen von Vorkommnissen hufig auftreten, so
- knnen wir daraus erkennen, dass eine bestimmte Beziehung besteht,
- doch diese Methode darf nicht mit dem experimentellen Nachweis
- eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs gleichgesetzt werden. Sobald
- man zur Besttigung einer Hypothese lediglich Einzelflle zitiert,
- neigt man dazu, gegenteilige Flle unbeachtet zu lassen oder ihnen
- nicht das richtige Gewicht zu geben. Will man wirklich angemessen
- abschtzen, weshalb es unter Jehovas Zeugen offenkundig so viele
- Flle psychischer Erkrankungen gibt, muss man systematisch
- vorgehen. [...] Dieser Untersuchung liegt ein Begriff von psychi-
- scher Krankheit zu Grunde, der die Mehrzahl der Psychosen als nur
- graduell verschieden von den Neurosen ansieht (wenn auch anerkannt
- wird, dass die Psychose vielfach eine gnzlich andere "Krankheit"
- ist als die Neurose). Eine neuere Besprechung dieses Problemkreises
- findet man bei Al-Issa (1982). Darber hinaus grndet die vor-
- liegende Arbeit auf der Annahme, dass - ohne die Faktoren Biologie,
- Vererbung und Ernhrung auszuschliessen - psychische Probleme vor
- allem durch den Faktor Umwelt hervorgerufen werden oder dass dieser
- zumindest die Schwere der Probleme, den Grad der Niedergeschlagen-
- heit und die Aussichten auf Heilung mitbestimmt. Mit dem Begriff
- "psychische Krankheit" ist in diesem Text gewhnlich nicht ein
- unerklrliches, sozial aufflliges Verhalten gemeint wie eine
- gespaltene Persnlichkeit, das in den Massenmedien so oft hoch-
- gespielt wird. Menschen, die psychisch erkrankt sind, haben Mhe,
- mit Problemen fertig zu werden, und sind deswegen sehr unglcklich.
- Manche der hier vorgestellten Flle mssen zwar genaugenommen als
- "abnorm" bezeichnet werden, z. B. solche mit somatischen Be-
- schwerden, Depressionen oder Halluzinationen, doch bei den meisten
- handelt es sich nicht um Psychosen, sondern Neurosen. Die Begriffe
- "psychische Erkrankung" und "Geisteskrankheit" haben viel Schaden
- gestiftet (Szasz 1970). Auch wenn die Etikettierung psychisch
- erkrankter Menschen oft in bester Absicht geschah, so sind sie doch
- in vieler Hinsicht vllig "normal"; sie sehen sich einfach nur mehr
- Problemen gegenber, als sie verkraften knnen (Laing 1978). Ein
- psychisches Leiden ist in mancher Hinsicht eine normale Anpassung
- an eine anormale Situation. Zwar ist die Fhigkeit, Probleme zu
- bewltigen, bei jedem Menschen unterschiedlich entwickelt, doch
- wrden wir wohl fast alle psychisch erkranken, wenn der ussere
- Druck zu gross wird. Ich habe mich bemht, Etikettierungen zu
- vermeiden, doch manche Fachbegriffe lassen sich einfach nicht
- umgehen. Sie wurden lediglich dort benutzt, wo sie hilfreich oder
- notwendig waren.
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- Einfhrung
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- Von welcher Warte man es auch sieht, Jehovas Zeugen sind eine
- bedeutende religise Sekte. Sie waren hchst einflussreich in der
- Ausformung des Verfassungsrechts und haben eine tiefgreifende
- Wirkung auf die Geschichte der USA, Kanadas, sowie zahlreicher
- afrikanischer Lnder gehabt (Kim 1963; Kernaghan 1966; Penton 1976,
- 1984; Maeson 1968; Manwaring 1959). Darber hinaus bt die
- Watchtower Bible and Tract Society (das leitende Unternehmen der
- Zeugen Jehovas) allergrssten Einfluss auf das Leben von Millionen
- Menschen aus. Die Gesamtzahl der Personen, die die grundlegenden
- Glaubensansichten der Zeugen teilen oder sich davon beeinflussen
- lassen, ist drei- bis fnfmal so hoch wie die Zahl der aktiven
- Zeugen (im Jahr 1989 wurden beim Gedchtnismahl etwa zehn Millionen
- Anwesende gezhlt). Aus Kanada liegen recht genaue offizielle
- statistische Angaben vor. Dort gaben im Jahr 1981 beinahe 200 000
- Personen an, Zeugen Jehovas zu sein (ein Prozent der Bevlkerung),
- obwohl derzeit lediglich 80 000 regelmssig bei den Zusammenknften
- anwesend sind (siehe auch Penton 1976:229). In den Knigreichssaal
- gehen etwa genauso viele Leute, wie die Anglikanische Kirche an
- regelmssigen Gottesdienstbesuchern zhlt - und diese ist die
- zweitgrsste protestantische Glaubensgemeinschaft in Kanada! Mit
- anderen Worten, was die Zahl der Aktiven angeht, gehren Jehovas
- Zeugen in vielen Lndern zu den zahlenstrksten unter den Weltreli-
- gionen. In mehreren Lndern Afrikas gehren sie auch der Mit-
- gliederzahl nach zu den grsseren Gemeinschaften.
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- Daraus folgt, dass die Zeugen einen weit grsseren Einfluss auf die
- Gesamtbevlkerung haben, als es zuerst den Anschein haben knnte.
- In manchen Lndern sind sie als Religion ebenso bedeutend wie die
- Katholische Kirche, die Baptisten oder die Lutheraner. Darber
- hinaus deutet manches darauf hin, dass es heute erheblich mehr
- ehemalige als aktive Zeugen Jehovas gibt (Franz 1983). Viele davon
- haben die Gemeinschaft zwar verlassen, halten aber an Ansichten und
- Bruchen der Zeugen fest.
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- Ist jemand als Zeuge Jehovas aufgewachsen oder hat eine gewisse
- Zeit unter ihrem Einfluss gestanden, so nimmt er oft bei seiner
- Trennung von der Gemeinschaft viele oder die meisten religisen
- Auffassungen, wie sie von der Wachtturm-Organisation gelehrt
- werden, mit. Seit etwa Mitte der siebziger Jahre ist es zu
- schockierend vielen Austritten gekommen, weit ber einer Million
- (Franz 1983). Als Hinweis darauf, wieviele Menschen unter dem
- Einfluss dieser Organisation stehen, lsst sich auch die Auflagen-
- zahl ihrer offiziellen Zeitschrift, des Wachtturms, verstehen. Von
- deren Abonnenten ist zu erwarten, dass sie entweder zu den Zeugen
- gehren oder ihnen freundlich gesinnt sind. Im Jahre 1975 erreichte
- Der Wachtturm eine Auflage von 10 025 000. Er wurde 1982 halbmonat-
- lich oder monatlich in 106 Sprachen verbreitet. Wenn auch viele
- Exemplare nicht gelesen werden, so zeigt doch die derzeitige
- Auflage von rund 14 000 000 Exemplaren deutlich an, dass die Zeugen
- weltweit einen beachtlichen Einfluss ausben. In dem Werk The Book
- of Lists (New York 1980) wird beispielsweise angegeben, die
- Wachtturm-Verffentlichung Die Wahrheit, die zu ewigem Leben fhrt
- sei das Buch mit der viertgrssten Auflage in der gesamten
- Menscheitsgeschichte. Bis 1986 waren davon weit ber 120 Millionen
- Exemplare gedruckt.
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- Frher oder spter sieht sich praktisch jeder klinisch ttige
- Psychologe und Psychiater mit Klienten konfrontiert, die sagen, sie
- seien als Zeugen Jehovas aufgewachsen, htten frher zu ihnen
- gehrt oder seien von ihnen beeinflusst. Diesen Menschen zu helfen
- ist sehr schwierig, wenn man nichts darber weiss, welche Trieb-
- kraft hinter den Lehren dieser Gemeinschaft liegt und welche
- allgemeinen Stressfaktoren aus dem Glaubensgebude und dem sozialen
- Milieu resultieren.
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- Zudem ist es fr einen einigermassen ausgeglichen lebenden Menschen
- oft schwer, die Lage anderer voll zu begreifen, besonders wenn sie
- einem so autoritren Glauben wie dem der Zeugen Jehovas angehren.
- Fr den Aussenstehenden gengt aber bereits eine kurze Orientie-
- rung, um ber einige der gravierendsten Probleme der Zeugen
- Bescheid zu wissen, ohne deren Kenntnis man dem einzelnen kaum
- helfen knnte. Das gilt fr professionelle Helfer genauso wie fr
- Familienangehrige, Freunde oder Nachbarn.
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- Das auslsende Moment fr die vorliegende Studie war und ist das
- tiefe Mitgefhl mit den Zeugen. Der Autor fhlt sich ihnen seit
- vielen Jahren zutiefst verbunden. Weil es darum geht zu helfen,
- wurde alles unternommen, um fair und genau zu sein. Vor allem
- sollen die Zeugen Jehovas als Menschen gesehen und verstanden
- werden. Geschichte und Lehren der Gemeinschaft werden nur dort
- angesprochen, wo es zum Verstndnis der psychologischen Zusammen-
- hnge gebraucht wird. Dieses Werk ist aufschlussreich fr alle
- diejenigen, die menschliches Verhalten untersuchen, insbesondere
- das innerhalb von kleinen Gruppen, sowie Erforscher der Religionen
- Nordamerikas und der Zeugen Jehovas als spezifischer religis-
- sozialer Gruppierung. Soziologen, Therapeuten, Lebensberater,
- Psychiater, Pfarrer, Gemeindeglieder und die Zeugen selbst werden
- aus diesem berblick Nutzen ziehen. Viele Psychologen haben ihr
- Interesse an einer psychologischen Untersuchung der Zeugen
- bekundet. Kogon (1946:365) schreibt:
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- Wie reizvoll wre es [...], [...] eine Psychologie der Bibel-
- forscher zu schreiben! Obwohl sie in der Regel mittelstnd-
- lerischen Berufsschichten von einfacher Denk- und Fhlart
- entstammten, entfalteten sie im Konzentrationslager einen
- wahren Regenbogen seelischer Reaktionen und usserer Verhal-
- tensweisen, der sich zwischen den Polen hoher Jenseitserwartung
- und tiefirdischen Ess-, ja Fressappetits spannte.
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- Was an soziologischen und psychologischen Erkenntnissen vorliegt,
- ist leider so verschwindend gering, dass man versucht ist, seine
- Schlussfolgerungen mehr auf persnliche Ansichten als auf saubere
- Forschung und aussagekrftige Daten sttzt. Die Zeugen Jehovas
- meinen oft, sie mssten "beweisen", dass es in ihren Reihen nur
- wenige Flle psychischer Erkrankungen gibt, whrend viele ihrer
- Gegner aller Schattierungen versessen darauf aus sind, das
- Gegenteil zu zeigen. Zur Feststellung der tatschlichen Gegebenhei-
- ten ist die vorurteilsfreie Untersuchung durch einen Wissen-
- schaftler notwendig, der kein Eigeninteresse daran hat, eine hohe
- oder niedrige Quote nachzuweisen. Notwendig ist allein das Ziel,
- die Wirklichkeit zu verstehen, und der Wunsch, den Zeugen zu
- helfen.
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- Das Problem der Kausalitt
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- Die Ermittlung der Ursachen stellt ein besonders verzwicktes
- Problem dar, das heisst die Frage, ob Faktor A den Faktor B
- hervorruft. Bei der Bewertung psychischer Erkrankungen sttzt man
- sich oft auf Korrelationsberechnungen, die nicht unbedingt
- beweisen, dass ein urschlicher Zusammenhang vorliegt, sondern
- einfach, dass berhaupt ein Zusammenhang besteht. So knnen die
- einen psychisch erkranken, weil sie Zeugen Jehovas sind, whrend
- andere Zeugen Jehovas werden, weil sie sehr unglcklich sind und
- eventuell der Ausbruch einer Krankheit bevorsteht. Meistens sind
- viele verschiedene Faktoren dafr verantwortlich, dass jemand ein
- Zeuge wird, und einige davon, aber auch viele weitere rufen auch
- psychische Erkrankungen oder Traurigkeit hervor. Manche erkranken
- auch aus anderen Grnden als den Faktoren A und B, so wie man
- inzwischen die Bedeutung von Erbfaktoren immer besser versteht. Das
- Tragische ist, dass viele unzureichend behandelt werden und dass
- man sie fr Krankheitszeichen verantwortlich macht, die auf
- Vererbung beruhen oder sonstwie ausserhalb ihrer Einflussmglich-
- keiten liegen.
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- Manche der Verallgemeinerungen in dieser Abhandlung sind zu-
- gegebenermassen meine eigenen. Sie grnden sich jedoch in den
- meisten Fllen nicht nur auf intensive Forschung, sondern auch auf
- eine ber zwanzigjhrige Erfahrung des Lebens als Zeuge Jehovas.
- Wie schon erwhnt, gab es wenige Forschungsergebnisse, auf die ich
- mich sttzen konnte. Nur sehr wenige Forscher haben sich mit den
- soziologischen und psychologischen Aspekten der Religion der Zeugen
- Jehovas befasst und noch viel weniger mit der Frage ihrer see-
- lischen Gesundheit. Da es in den USA nur reichlich eine dreiviertel
- Million Zeugen gibt, htte man selbst bei einer hohen Krankheits-
- quote nur eine verhltnismssig kleine Anzahl psychisch Kranker.
- Darber hinaus gibt es insgesamt nur sehr wenige gute psychologi-
- sche Untersuchungen ber die Beziehung zwischen seelischer
- Gesundheit und Religion, abgesehen von solchen, die die groben
- Kategorien "Katholisch, protestantisch, jdisch" zugrundelegen.
- Sogar innerhalb der grsseren protestantischen Sekten liegen wenige
- abgeschlossene und aussagekrftige Untersuchungen vor, und diese
- beruhen in weiten Teilen auf Spekulation (Penton 1985). Grosse
- Schwierigkeiten hat man auch deswegen, weil die Gruppen, um die es
- geht, statistisch gesehen so unbedeutend sind.
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-
- Kapitel 1:
- Jehovas Zeugen und das Problem der psychischen Erkrankungen
-
- "Jehovas Zeugen sind das glcklichste Volk auf Erden. Wir brauchen
- einen Psychiater noch weniger als sonst irgend jemand." Diese
- Behauptung wird gegenber Zeugen und Aussenstehenden oft erhoben
- (siehe beispielsweise in Erwachet! vom 22. Mai 1960, S. 27,28). Und
- Aussenstehende knnen auf den ersten Blick sehr wohl den Eindruck
- haben, dass sie "ein glckliches Volk" sind. In letzter Zeit aber
- ergibt sich aus der Forschungs- und der allgemeinen Literatur ein
- ganz anderes Bild. Es hat sich nmlich gezeigt, dass psychische
- Probleme unter Jehovas Zeugen ziemlich hufig auftreten. [...]
-
- Zusammenfassung
-
- Innerhalb des Glaubensgebudes der Zeugen Jehovas gibt es viele
- Faktoren, die eine positive geistige und emotionale Entwicklung
- ermglichen. Genauso aber auch viele Faktoren, die extrem beein-
- trchtigend wirken. Oft sind sie schwierig auseinanderzuhalten, und
- wie sie sich auswirken, hngt zum grossen Teil von der besonderen
- Lage des einzelnen ab. Doch trotz allem lassen sich klare Zusammen-
- hnge orten und herausschlen. Als sehr grosses Problem erweist
- sich allerdings die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Zeugen
- und den Angehrigen der helfenden Berufe. Die Tatsache, dass die
- Wachtturm-Gesellschaft sich in dieser und vielen anderen Fragen so
- unbeweglich verhlt, ist einer der Hauptgrnde dafr, dass
- psychische Erkrankungen auftreten und dass sich eine allgemein
- fortschreitende Entfremdung vieler Zeugen von ihrer Organisation
- einstellt.
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- Das Engagement in einer festgefgten, untersttzenden sozialen
- Gruppierung kann zu intellektuellem, spirituellem, emotionalem
- Wachstum und zu einer Verbesserung der Lebenstchtigkeit fhren,
- sofern diese Umgebung eine Entwicklung auf diesen Gebieten
- befrwortet. Wenn andererseits alle Gedanken um eine kurz bevor-
- stehende Zukunft kreisen, in der alle Probleme automatisch und
- schmerzlos gelst werden, dann wird man sich nicht um eine
- Besserung seiner gegenwrtigen Lage bemhen. Den Zeugen wird ganz
- offen davon abgeraten, Verbesserungen in den verschiedensten
- Lebensbereichen anzustreben, besonders dem der Bildung, des
- beruflichen Werdegangs und des wirtschaftlichen Aufstiegs, alles
- Bereiche, die sehr wichtig sind fr eine erfolgreiche Eingliederung
- in die Gesellschaft. Aktivitt wird nur auf jenen Gebieten
- gefrdert, die den Zielen der Wachtturm-Organisation dienen.
- Nicht immer ist der Einfluss, unter dem die Zeugen stehen, zum
- Guten. Wer sich mit der Sache der Zeugen immer mehr identifiziert
- und sich fr sie engagiert, wird sich auch gefhlsmssig daran
- binden. Wie zu erwarten, fhrt das zu einer Verteidigungshaltung
- gegenber Gedankengut, das als nicht vereinbar mit den theologi-
- schen Vorstellungen der Zeugen angesehen wird, unabhngig davon, ob
- diese Gedanken wahr oder falsch sind. Das fhrt dazu, dass die
- Glubigen immer weniger fhig sind, die Wirklichkeit korrekt
- einzuschtzen, sie stattdessen zensieren oder verzerren, weil sie
- alles durch die Brille ihres Glaubens sehen. Der feste Glaube an
- das Bevorstehen Harmagedons und eines ewigen Lebens auf der Erde
- wirkt sich auf den Glubigen sowohl gnstig wie ungnstig aus.
- Positiv wirken sich Wahnideen als Glaube an die eigene Unsterb-
- lichkeit aus, so dass man mit einer alles berwltigenden Angst vor
- einem bevorstehenden Tod besser fertig wird (Masserman
- 1953:324-333). rzte, die mit chronisch und unheilbar Kranken zu
- tun haben, stellen fest, dass Patienten mit festen religisen
- Ansichten ihre Krankheit viel besser bewltigen (Chesen 1972).
- Alles was den Glauben an die Unsterblichkeit reduziert, lst Angst
- vor dem Tod aus und ruft Depression und - ironischerweise - einen
- Anstieg der Selbstmordquote hervor. Selbstmord findet man daher
- hufig bei denen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind,
- denen, die ber 65 sind, den Verwitweten und berhaupt allen, die
- kurz zuvor einen geliebten Menschen verloren haben, denn dieses
- Erlebnis macht einem die Wirklichkeit des Todes hautnah sprbar,
- was nicht selten in die Verzweiflung fhrt (Klob 1977).
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- Kapitel 2:
- Zur Hufigkeit psychischer Erkrankungen bei Zeugen Jehovas
-
- Den im Gesundheitswesen Ttigen wird immer deutlicher bewusst, wie
- hoch die Anzahl psychischer Erkrankungen und Selbstmorde unter
- Jehovas Zeugen ist. Auf wissenschaftlichen Kongressen, so ist mir
- aufgefallen, kommt es gar nicht selten vor, dass man Jehovas Zeugen
- zur Sprache bringt, wenn das Thema Religion und seelische Gesund-
- heit behandelt wird. Flle von psychischen Erkrankungen unter den
- Zeugen sind so hufig, dass sie in schriftlichen Abhandlungen zu
- diesem Thema oft mit erwhnt werden. In manchen Orten, besonders in
- Grossstadtbereichen, kommen Probleme von Zeugen Jehovas routinems-
- sig in den Besprechungen von Gesundheitsbeamten vor (Pearsal 1981).
- Eine grosse Nervenheilanstalt hat schon den Spitznamen "Watchtower
- House" bekommen, zum Teil wegen der vielen Patienten dieser
- Glaubensgemeinschaft, doch vor allem, weil diese Patienten dort
- sehr auffallen durch aktives Verbreiten ihrer Ansichten. Die
- Probleme der Zeugen sind inzwischen wohlbekannt, nur die Grnde
- dafr werden noch nicht hinreichend verstanden.
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- Einige Probleme bei der Ermittlung von Hufigkeiten
-
- Mehrere Faktoren mssen untersucht werden, wenn man die Hufigkeit
- psychischer Erkrankungen ermitteln will. Die Hhe des Wertes ist
- abhngig von der Definition von "psychischer Erkrankung", fr die
- sich der Forscher entscheidet, denn dieser Begriff spaltet das
- Kontinuum zwischen vollkommener geistiger Gesundheit und voll-
- stndigem Irresein willkrlich in zwei Teile. Die Extreme sind
- leicht erkennbar, kommen aber selten vor. In Wahrheit sind wir alle
- irgendwo zwischen diesen beiden Extremen anzusiedeln. Legen wir
- einen weiten, offenen Massstab fr psychische Krankheit an, so
- knnten wir zu dem Ergebnis gelangen, dass 80 Prozent aller Zeugen
- psychisch krank sind. Nehmen wir einen strengen Massstab, stellen
- wir vielleicht fest, dass es nur zwei Prozent sind. Die Zahl kann
- also hoch oder niedrig sein, je nachdem, welchen Massstab wir
- whlen.
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- Die ideale Methode wre, nach dem Zufallsprinzip 1000 Zeugen
- Jehovas und genauso viele Nicht-Zeugen auszusuchen, jede Stichprobe
- reprsentativ fr die Gesamtbevlkerung des Landes. Wenn zwlf
- Prozent der US-Bevlkerung Schwarze sind, 52 Prozent Frauen usw.,
- dann sollte das bei der Kontrollgruppe ebenso sein. Als nchstes
- wrde der Forscher jeden Angehrigen dieser Gruppen nach strengen,
- objektiven Kriterien einer Serie psychologischer Tests unterziehen.
- Das Personal, das die Tests durchfhrt und auswertet, darf dabei
- nicht wissen, welche Gruppe gerade getestet wird. In einem letzten
- Schritt vergleicht man die Fhigkeit beider Gruppen zu psychischer
- Anpassung anhand der Testergebnisse. Auf diese Weise liesse sich
- das Anpassungsniveau der Zeugen im Vergleich zur Gesamtbevlkerung
- feststellen. Der Test msste sorgfltig ausgesucht werden, um
- sicherzustellen, dass er nur relevante Variablen misst. (Der MMPI-
- Test beispielsweise schtzt "normale" Zeugen Jehovas, die an
- Dmonen usw. glauben, verkehrt ein.)
-
- Leider wird es diese ideale Untersuchung niemals geben. Erstens
- nehmen Jehovas Zeugen kaum jemals an Untersuchungen teil, die ihre
- Organisation durchleuchten wollen, und wenn sie es tten, dann
- wrden sie versuchen, die Organisation im besten Licht erscheinen
- zu lassen. Sie glauben, Aussenstehende wollten doch nur kritisie-
- ren, so dass die ganze Mhe eine reine Zeitverschwendung sei. Sie
- wollen ihre Zeit in diesen letzten Tagen mit dem Predigen ver-
- bringen, nicht mit wertlosen Untersuchungen. Zudem wre eine solche
- Untersuchung sehr kostspielig. Kaum ein Geldgeber wird auch nur den
- Mindestsatz an Forschungsmitteln zur Verfgung stellen, wenn es
- sich um eine Randgruppe handelt, die nach Meinung vieler ohnehin
- bedeutungslos ist.
-
- Man sollte nicht nur die Hufigkeit von psychischen Erkrankungen
- erforschen, sondern auch die individuellen Faktoren, die dazu
- beitragen. Zum Beispiel liessen sich die Zeugen unterteilen in
- unttige, kaum ttige, durchschnittlich aktive, berdurchschnitt-
- lich aktive und usserst aktive und dann knnte man die seelische
- Gesundheit jeder einzelnen Gruppe erfassen. Damit liesse sich recht
- gesichert feststellen, inwieweit das Ausmass an Aktivitt bei den
- Zeugen zu psychischen Erkrankungen beitrgt. Nach meiner Erfahrung
- gibt es Hinweise darauf, dass der Grad des aktiven Engagements mit
- emotionalen Fehlanpassungen etwas zu tun hat, aber dass dies nur
- sehr untergeordnet ist. Die Zeugen nehmen zwar vor allem diejenigen
- wahr, die als sehr Aktive einen Zusammenbruch erleiden, doch nach
- meinen Statistiken ist der Grad der Aktivitt allein nicht
- unbedingt einer der Hauptfaktoren. Wer viel Zeit und Kraft seines
- Lebens in diese Sache gesteckt hat und viele schwere Enttuschungen
- erlebt, der wird oft ganz enttuscht sein, das Leben vergeudet zu
- haben. Oft ist die Enttuschung der Faktor, der die psychischen
- Probleme verursacht, nicht so sehr der Grad der Aktivitt. Solche,
- die sich ganz besonders engagiert haben, fallen am tiefsten,
- weshalb die Trennung fr sie am traumatischsten ist (Franz 1983).
- Und es gibt weitere Schwierigkeiten: Nach vielen Definitionen von
- psychischer Krankheit wrden Jehovas Zeugen schon wegen vieler
- ihrer Glaubensansichten als "auffllig" eingestuft werden, da sie
- nicht mit denen der Bevlkerungsmehrheit bereinstimmen. Aufgrund
- ihrer Lehren handeln und verhalten sie sich anders als der
- "Durchschnittsbrger". Ein Verhalten, das von der Norm abweicht,
- ist per Definition "anormal", "eigenartig". An eine unmittelbar
- bevorstehende Schlacht von Harmagedon zu glauben, in der fast die
- gesamte Welt vernichtet wird und nur die treuen Zeugen berleben
- werden (die dann fr immer auf einer paradiesischen Erde leben
- werden), das weicht vllig vom Weltbild der Allgemeinheit ab. Wer
- so etwas vertritt, setzt sich von der Mehrheit ab. Wer als Zeuge
- Jehovas alle Lehren seiner Gemeinschaft glaubt, zeigt ein ab-
- weichendes Verhalten, wenn man ihn mit einem Aussenstehenden
- vergleicht. Er verhlt sich aber sehr angepasst, vergleicht man ihn
- mit dem sozialen System innerhalb der Zeugen Jehovas. Vielfach sind
- Zeugen nicht in der Lage, sich gegenber Aussenstehenden anzupas-
- sen, knnen dies aber innerhalb der Gemeinschaft recht gut. Von
- solchen Fllen erfahren Psychologen und Psychiater fast nie etwas.
- Wrde man sie in der Statistik mit erfassen, so wre die Quote der
- seelischen Erkrankungen bei Jehovas Zeugen um ein Mehrfaches hher.
- (Viele Zeugen leiden an einem stndigen Misstrauen gegenber
- Aussenstehenden und versuchen, den Kontakt mit ihnen soweit irgend
- mglich zu meiden, abgesehen von den normalen Alltagskontakten.)
- Doch obwohl die meisten in ihrer eigenen Welt gut angepasst sind
- und bestens mit Ihresgleichen umgehen knnen, wrde die Diagnose
- recht hufig "paranoide Persnlichkeitsstruktur" lauten.
-
- Dieses Verhalten zeigen die meisten nach aussen abgeschlossenen
- Gruppen. Die klare Trennung in "Wir" und "die anderen" kennzeichnet
- sogar recht viele soziale Kollektive. Trotzdem sind viele Forscher
- der Ansicht, darin spiegele sich ein Fehlverhalten, und sehen es
- dementsprechend als pathologisch an, zumindest als schlecht
- angepasst. So sagt Christensen (in Oates 1961:247): "Ganz gleich,
- ob ein Glaube nun von einzelnen oder von der Gesellschaft als
- normal oder anormal angesehen wird, er lsst sich stets in
- pathologischer Weise einsetzen." Aus diesem Grund ist es ntig zu
- ergrnden, wie einzelne Zeugen mit bestimmten Glaubensansichten
- umgehen, wenn man ermitteln will, wie sie mit Alltagsproblemen
- fertigwerden. Der Glaube an eine bevorstehende neue Welt kann dazu
- benutzt werden, eine generell optimistische Grundhaltung zu
- erzeugen, dem Leben einen Sinn zu geben und sich von den Enttu-
- schungen des Alltags nicht zu sehr erschttern zu lassen. Ein
- anderer Zeuge dagegen kann denselben Glauben als Fluchtmittel
- benutzen, um den tglichen Problemen zu entgehen, und statt in der
- Gegenwart in seiner eigenen "neuen Welt" zu leben.
-
- Uns geht es daher hier nicht so sehr um die Ablehnung der Aus-
- senwelt durch die Zeugen (die sich bei vielen, doch keineswegs bei
- allen zeigt), noch um deren Bestreben, die eigene Gruppe zu
- glorifizieren, sondern um ihre mangelnde Anpassungsfhigkeit im
- Umgang mit Aussenstehenden und Glaubensgenossen gleichermassen. Im
- Licht der genannten Tatsachen ist es zwar schwierig, die Hufigkeit
- psychischer Erkrankungen bei den Zeugen genau zu ermitteln, doch
- die im folgenden zu besprechenden Studien zeigen, dass sehr vieles
- darauf hindeutet, dass die Quote signifikant ber derjenigen der
- Durchschnittsbevlkerung liegt. Die Ursache dafr ist in Faktoren
- zu suchen, die im wesentlichen ausserhalb des sozialen Systems der
- Zeugen liegen und die fr das pathologische Verhalten ausschlagge-
- bend sind. Einige Teile des sozialen Gefges der Wachtturm-Bewegung
- mssen scharf verurteilt werden, andere sind lobenswert. Darum
- fllt es vielen auch so schwer, sich von dieser Organisation zu
- trennen. [...] [Es folgt die Darstellung und Besprechung der
- Studien von Spencer (1975), Janner (1963), Pescor (1949), Rylander
- (1946) und Montague (1977).]
-
-
- Folgerungen aus den vorliegenden Untersuchungen
-
- Soweit das verffentlicht vorliegende Untersuchungsmaterial ber
- die seelische Gesundheit der Zeugen Jehovas. Das ganze Gebiet der
- Sekten muss unbedingt grndlicher und vertieft erforscht werden,
- zieht man die Auswirkungen in Betracht, die sie auf das Leben so
- vieler Menschen haben. Zur Zeit laufen mehrere Untersuchungen, die
- nicht nur die Frage der genauen Quote psychischer Erkrankungen
- unter Jehovas Zeugen, sondern auch die Ursachen fr die hohe Anzahl
- klren knnen.
- Aus den bisher vorliegenden Forschungsberichten lassen sich
- vergleichende Schlsse nur schwer ziehen, da sie aus verschiedenen
- Zeiten und Lndern stammen, doch stimmen sie auffllig darin
- berein, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen bei Jehovas
- Zeugen berdurchschnittlich ist. [...]
-
-
-
-
- Kapitel 3:
- Wie die Zeugen auf Forschungen auf diesem Gebiet reagieren
-
- Zusammenfassung
-
- Wenn Jehovas Zeugen von Beweisen fr eine hohe Anzahl psychischer
- Erkrankungen in ihren Reihen hren, reagieren sie darauf im
- allgemeinen so, dass sie erstens die Fakten leugnen, zweitens
- versuchen, beschwichtigende Grnde aufzufhren, drittens die Motive
- der beteiligten Wissenschaftler in Frage stellen, und viertens das
- Problem einfach ignorieren und nicht konkret darauf eingehen. Die
- letzte Reaktion ist die hufigste und wohl die tragischste.
- Die Wachtturm-Gesellschaft rt den Zeugen im allgemeinen davon ab,
- sich bei psychischen Erkrankungen den Rat des Fachmanns zu holen,
- wenn dies auch nicht kategorisch ausgeschlossen wird. Doch sind die
- meisten der festen berzeugung, sie sollten keinen Psychologen oder
- Psychiater aufsuchen. Das ist zum Teil darauf zurckzufhren, dass
- die Wachtturm-Gesellschaft das gesamte Fachgebiet hufig schlecht
- macht. Stattdessen soll man sich bei seelischen Problemen - kleinen
- wie grossen - an die ltesten der Versammlung wenden, die zum
- grossen Teil einer weltlichen Beschftigung als Arbeiter oder
- Handwerker nachgehen.
-
-
-
-
-
-
- Kapitel 4:
- Welche Faktoren zur hohen Zahl Erkrankungen beitragen
-
- Wer die Psychologie der Zeugen Jehovas verstehen will, muss
- untersuchen, wie sie die Wirklichkeit wahrnehmen. Ihre Sicht von
- der Welt wird von ihrem Ichideal verzerrt. Um wirkungsvoll im Leben
- zurechtzukommen, muss man sich ein funktionierendes Weltbild
- aufbauen. Dieses Idealbild wirkt sich dann seinerseits auf die
- Lebensweise und Handlungen aus. Ein genaues Weltbild ermglicht dem
- Menschen, ein sinnvolles und befriedigendes Leben zu fhren (Cox
- 1973).
-
- Die Deutung, die die Zeugen Jehovas der Wirklichkeit geben, wird
- fortlaufend verstrkt dadurch, dass sie sich gegen soziale Kontakte
- mit Personen ausserhalb der Wachtturm-Organisation aussprechen und
- dafr zum Umgang mit anderen Zeugen ermuntern. So sind sie fast
- ausschliesslich nur einer einzigen Sichtweise ausgesetzt, der der
- Wachtturm-Gesellschaft. Alle Fakten, die dieser widersprechen,
- werden als Teil der "Welt Satans" zurckgewiesen und sind darum
- wertlos. Oft wird Glaube mit Rigiditt, Starrheit, gleichgesetzt.
- Wer an den Wachtturm-Meinungen und -Ideen festhlt und sich nicht
- durch Vernunft oder Fakten davon so leicht abbringen lsst, gilt
- als "glaubensstark". Die Starrheit zeigt sich aber hauptschlich in
- den von der Religion unmittelbar betroffenen Lebensbereichen. So
- liessen sich die Zeugen in Malawi grausam verfolgen, weil sie sich
- weigerten, fr weniger als eine Mark eine Ausweiskarte zu kaufen,
- denn das htte nach ihrer Auffassung "Gtzendienst" bedeutet. Ihre
- Loyalitt gehrt voll und ganz der Wachtturm-Gemeinschaft, und
- deshalb knnen sie sich keiner anderen Autoritt anpassen, auch
- nicht rein usserlich. Da diese Starrheit sich auf ein Gebiet
- erstreckt, das ihrer Ansicht nach mit Religion in Zusammenhang
- steht, sehen sie sie als "Glauben" an (siehe Franz 1983). Auf
- anderen Gebieten, wie dem Bau von Versammlungssttten ("Knig-
- reichsslen"), sind die Zeugen usserst pragmatisch und offen fr
- die neuesten Entwicklungen.
-
- Rigiditt steht mit dem Auftreten von Selbstmorden und psychischen
- Erkrankungen in Verbindung (Wolff 1976, S.37). Durch eine streng
- autoritre Erziehung werden Jehovas Zeugen seit jeher angehalten,
- feindselige Gefhle zu unterdrcken oder zu sublimieren (Sprague
- 1943). Wer seine Gefhle auslebt, wird blicherweise streng
- zurechtgewiesen und damit gezwungen, die feindseligen Regungen nach
- innen zu lenken. Die Folge sind Depressionen oder sogar ver-
- schleierte Aggressionen. Dringen feindselige Triebe ins Bewusst-
- sein, so ruft das gewhnlich Schuld hervor. Das wiederum verstrkt
- die Feindseligkeit nur und fhrt, wie leicht vorhersehbar, zu noch
- mehr Depressionen. Die meisten sozialen Gruppen werden mit solchen
- feindseligen Gefhlen fertig, indem sie sie in konstruktive
- Ttigkeiten ableiten. Den Zeugen aber wird von den meisten gngigen
- konstruktiven Bettigungen abgeraten. Wie noch gezeigt werden wird,
- wendet man sowohl verbale Kritik wie auch Gruppendruck an, um die
- Zeugen von der Beschftigung mit ausgleichenden Ttigkeiten wie
- Fotografie, Modellbau, allen Formen des Sammelns und den meisten
- sportlichen Aktivitten (abgesehen von ganz seltener Ausbung in
- der Freizeit) abzuhalten. Die wenigen Ablenkungen, die sich die
- Zeugen gestatten, reichen gewhnlich nicht aus, um die bei manchen
- ber Jahre hinweg angestaute Feindseligkeit wirkungsvoll zu
- sublimieren.
-
- Selbst vom Einsatz von Tranquilizern und Anti-Depressiva bei
- psychischen Erkrankungen wird abgeraten. Bei den Zeuginnen ist es
- der Normalfall, in der Menopause jede Hormonbehandlung abzulehnen.
- Eine Zeugin litt an schweren Depressionen und Selbstzweifeln und
- hatte hochgradige Probleme im Umgang mit anderen, weil sie eine
- Hormonbehandlung ablehnte - bis dann im Erwachet! (vom 8. Oktober
- 1975) ein Artikel erschien, der den Zweck von Hormonspritzen erklrte.
- Es wurde darin angedeutet, dass es "nicht in jedem Fall unangebracht"
- sei, sich dieser Therapieform zu unterziehen. Doch bis der Wachtturm
- seine Gutheissung ausgesprochen hatte, befand sie sich bereits
- in einem solch schweren Stadium ihrer Depression, dass sie vllig
- verzweifelt war. Durch die richtigen Medikamente erholte sie
- sich usserst rasch und war bald vollstndig wiederhergestellt.
- Ihr Ehemann, ein ltester, stand der ganzen Entwicklung unbeteiligt
- gegenber und betonte, sie knne tun, was sie wolle.
-
- Dieser Fall veranschaulicht mehrere Dinge zugleich. Als erstes muss
- das typische Misstrauen gegenber allen Fachleuten, die nicht zur
- Wachtturm-Organisation zhlen, genannt werden, ganz besonders
- gegenber Medizinern und Psychologen (Salzman 1951; Penton 1985).
- Im beschriebenen Fall lehnte die Patientin die von ihrem Arzt
- empfohlene Hormonbehandlung ab. Viele Zeugen verlassen sich lieber
- auf eine "natrliche" Heilung, worunter sie vor allem gute
- Ernhrung, Vitamin- oder Mineralienkuren und Ruhe verstehen.
- Darber hinaus besteht eine Neigung, etwas nur dann als akzeptabel
- anzusehen, wenn die Wachtturm-Organisation es ausdrcklich
- gebilligt hat. Solange sie sich zu einer Behandlungsform oder
- Ttigkeit noch nicht geussert hat, frchtet man, sie knnte
- verkehrt sein, und man meint dann meistens, es sei das beste
- abzuwarten, bis man sicher sei (Rogerson 1969).
-
- Darber hinaus besteht ein generelles Misstrauen gegenber allen
- Glaubensfremden und damit praktisch gegenber allen rzten
- (insbesondere Psychiatern und Nervenrzten) und Psychologen.
- Ironischerweise kommt auch Misstrauen gegenber rzten aus den
- eigenen Reihen hufig vor. Fr die meisten Zeugen Jehovas zhlen
- die wenigen Zeugen, die rzte sind (etwa ein Arzt pro Bundesstaat
- in den USA [in Deutschland etwa ebenso; Anm.d.b.]) eher zu den
- Aussenstehenden. So kommt es, dass ein Zeuge Jehovas mit Hochschul-
- abschluss, selbst wenn er ltester ist, bis zu einem gewissen Grad
- als "Teil der Welt" angesehen wird. Da die Mehrzahl der Zeugen
- einfachen Beschftigungen nachgeht (bei den Mnnern trifft man in
- den USA am hufigsten die handwerklichen Berufe an, von den Frauen
- sind die meisten berhaupt nicht ausser Haus ttig), sieht man in
- einem Zeugen, der einem akademischen Beruf nachgeht, gar nicht so
- recht einen Glaubensbruder, schon weil man es nicht gewohnt ist.
- Damit in Zusammenhang sollte erwhnt werden, dass sich bei den
- wenigen besser gebildeten Zeugen ein deutlicher Respekt gegenber
- den seltenen Akademikern unter ihnen zeigt (Penton 1985).
- Die wenigen Psychologen und Psychiater unter den Zeugen sind in
- ihrem Mglichkeiten, Hilfe zu leisten, sehr beschrnkt. Die
- allgemeine Reaktion der Zeugen Jehovas ihnen gegenber lautet oft
- sinngemss: "Warum wird diesem Menschen nicht die Gemeinschaft
- entzogen dafr, dass er Jehova die Zeit stiehlt, um sich weltliche
- Weisheit anzueignen statt der hheren Weisheit Gottes? Er vergeudet
- nur seine Zeit, statt sie zu nutzen, um rechtgesinnten Menschen
- beizustehen, in Gottes Organisation zu gelangen." Angesichts dieser
- Einstellung ist es fraglich, ob mit Zeugen berhaupt das ntige
- Arzt-Patienten-Verhltnis zustande kommt. Besser ist es, wenn ein
- Zeuge seine Ausbildung abgeschlossen hat, bevor er oder sie zu der
- Gemeinschaft stsst, denn das wird erheblich leichter akzeptiert.
- Dann herrscht die Ansicht vor, ein Mensch, der einer Ausbildung
- nachging, whrend er noch kein Zeuge war, tat dies "in Unwissen-
- heit", wogegen ein aktiver Zeuge, der es tat, whrend er in der
- Wahrheit war, "in vollem Bewusstsein seines Fehlverhaltens sndig-
- te".
-
-
- Vergebung der Snden
-
- Eine geschichtlich bedeutende Funktion der Katholischen Kirche war
- die Vergebung der Snden durch die Priester. Untersuchungen haben
- ergeben, dass diese Zeremonie in hohem Masse zur Verminderung von
- Schuldgefhlen beitrgt (Torrey 1974). Wer von einem Menschen in
- herausgehobener Position erfhrt, dass er akzeptiert ist, akzep-
- tiert sich selbst besser und entwickelt auch leichter ein starkes
- Selbstbild, beides wichtige Hilfen fr ein ausgeglichenes Gefhls-
- leben. Fr den Erfolg der Therapie kommt es darauf an, dass der
- Patient glaubt, der ihm Vergebende sei eine hochstehende und fhige
- Person. Psychische Hilfe von kirchlicher Seite wird also in erster
- Linie bei religisen Menschen wirken und wenn sie von einer
- geachteten Autorittsperson kommt. Die ltesten der Zeugen Jehovas
- sind fr dieses Werk sehr viel weniger geeignet, zum Teil deswegen,
- weil sie sich ein falsches Bild von der Lebensweise des
- Durchschnittszeugen machen. Die Wachtturm-Organisation ist sehr
- darum bemht, die Zeugen als usserst moralische, aufrechte und
- mitfhlende Menschen darzustellen - eben als das Klischee vom
- idealen Christen. In Wirklichkeit verhalten sich viele aber ganz
- anders.
-
- Wer in der Gemeinschaft aufgewachsen ist oder engen Kontakt mit
- sehr vielen Zeugen pflegt, bekommt am ehesten mit, dass der
- Durchschnittszeuge weit vom Bild des idealen Zeugen entfernt ist.
- Da die einzelnen sich meistens erst als Erwachsene bekehren, haben
- sie nie den engen, ehrlichen Umgang miterlebt, den man kennen muss,
- um zu einer wirklichkeitsgetreuen Wahrnehmung des Verhaltens der
- Zeugen zu kommen. Im Laufe der Zeit haben enttuschende Erfahrungen
- und die Angst vor einem Gemeinschaftsentzug oder anderer Missbil-
- ligung sie gelehrt, dass man kaum jemals gegenber einem Glaubens-
- bruder oder einer Glaubensschwester vllig offen und ehrlich sein
- kann. Offenheit hat oft ein Nachspiel seitens der engen Vertrauten
- und der ltesten. Die Loyalitt der Zeugen geht so weit, dass es
- bisweilen schwer fllt, berhaupt enge Freundschaften in ihren
- Reihen zu schliessen. Der vertraute Umgang fhrt dazu, dass man die
- Fehler des anderen und seine Zweifel an der Wachtturm-Organisation
- kennenlernt. Und da die Loyalitt gegenber der Wachtturm-Organisa-
- tion bei den meisten hher steht als die gegenber ihrem Glaubens-
- bruder, kommt es leicht vor, dass sie die Schwchen ihrer "Freunde"
- den ltesten melden. Das kann dann zu Verlust an "Vorrechten" in
- der Gemeinde und zu Geschwtz fhren, man wird von den anderen
- gemieden oder sogar ausgeschlossen. Wer erlebt, dass jemand, von
- dem man meinte, er sei ein echter Freund, und dem man sich
- anvertraut hat, dann anderen davon erzhlt, der wird immer
- enttuscht sein. Was daher die Zeugen wirklich denken und fhlen
- und wie sie handeln, wird nicht nur von der Wachtturm-Organisation
- unter den Teppich gekehrt und beschnigt, auch die einzelnen
- Mitglieder tragen dazu bei, dass sich nach aussen ein besseres Bild
- ergibt, als es der Realitt entspricht. Als ich fr Forschungs-
- arbeiten bei einem Landgericht ttig war, arbeitete ich dort mit
- einem Zeugen zusammen, der der rtlichen Versammlung angehrte. In
- derselben Versammlung war auch ein anderer Zeuge, der kurz zuvor
- wegen Mordes verurteilt worden war. Auf meine Frage: "Was machen
- denn die [Schneiders]?" antwortete der Zeuge: "Wieso? Es geht ihnen
- bestens, das ist eine ganz grossartige Familie." Weitere Erkundi-
- gungen ergaben, dass der Zeuge keine Ahnung hatte, welche grossen
- Probleme diese Familie hatte, und das, obwohl er am Gericht
- beschftigt und zugleich Pionier und ltester in dieser Versammlung
- war. Er erinnerte sich nur, dass die Familie schon lange keine
- Zusammenknfte mehr besucht hatte. Es war hchst berraschend, dass
- er den Fall nicht kannte, der nebenbei bemerkt ein grosses Echo in
- der Presse gefunden hatte. Dieses Beispiel mag extrem sein, doch
- ungewhnlich ist es nicht, und es ist ein Beleg dafr, wie wenig
- der Durchschnittszeuge in der Lage ist, das Verhalten typischer wie
- untypischer Zeugen Jehovas zu beurteilen.
-
- Da Zeugen Jehovas die Wachtturm-Gesellschaft als praktisch
- vollkommene Organisation hinstellen wollen, spricht man selten ber
- Fehlverhalten. Wird ein Fall ffentlich bekannt, spielt man
- gewhnlich die Zugehrigkeit des Tters herab. Ist ein Zeuge in ein
- Verbrechen verwickelt, so legt man sich rationale Erklrungen
- zurecht, indem man annimmt, "er war bestimmt schon seit Monaten
- oder Jahren unttig" oder "er kann ja gar kein richtiger Zeuge
- gewesen sein, wenn er solch einen Mord beging".
-
- Als mehrere Einzelpersonen, die als Zeugen aufgewachsen waren,
- Verbrechen begingen, die im ganzen Land bekannt wurden, hiess es
- von den Zeugen immer: "Die haben die Wahrheit nie angenommen, das
- knnen sie gar nicht, wenn sie die Verbrechen begangen haben, fr
- die sie verurteilt wurden." Damit versucht man natrlich, den
- Unterschied zwischen dem, wie ein Zeuge sein sollte, und dem, wie
- er manchmal wirklich ist, wegzuerklren, denn die Abweichung ist
- einfach zu schwerwiegend. In einem Brief vom 12. Januar 1984
- schrieb die Wachtturm-Gesellschaft ber den Pop-Snger Michael
- Jackson, er sei
-
- "... ein getauftes Mitglied der Christenversammlung. Doch
- sollte man aus der Tatsache, dass er ein Zeuge Jehovas ist,
- nicht folgern, dass die Gesellschaft oder die Versammlung, der
- er angehrt, seine Musik oder seinen gesamten Lebensstil
- gutheisst ... Manche, die sich Gott hingeben und sich taufen
- lassen, haben noch einige weltliche Gewohnheiten, die die "alte
- Persnlichkeit" kennzeichnen, die noch abgelegt werden muss
- (Epheser 4:22-24; Kolosser 3:7-10). Diese nderungen mssen
- auch nach der Taufe noch weiter vorgenommen werden, whrend
- derjenige zur Reife voranschreitet. Das Christentum muss eine
- Lebensweise sein und wir sollten unsere Freiheit als Christen
- nicht als "einen Deckmantel fr Schlechtigkeit" nutzen (1.
- Petrus 2:16).
-
- Wir knnen zuversichtlich sein, dass die ltesten seiner
- Versammlung alles in ihren Mglichkeiten Stehende tun werden,
- ihm beizustehen, um die notwendigen nderungen vorzunehmen. Bis
- es so weit ist, werden wir es in christlicher Liebe bersehen,
- wenn er in der Vergangenheit unweise gehandelt hat. Es ist ganz
- klar, dass auch er dem nachkommen muss, was von allen Christen
- erwartet wird, nmlich dass er sich an biblischen Grundstzen
- ausrichtet. Es ist unglcklich, dass durch die herausragende
- Rolle, die er in der Welt der Unterhaltung spielt, einige
- unweise Entscheidungen und Handlungen von ihm besonders
- deutlich hervorgetreten sind, doch es gibt keinen Grund, diese
- als Vorbild anzusehen, nach denen man sein Leben ausrichten
- sollte. Niemand sollte aus der Tatsache, dass er Zeuge Jehovas
- ist, schliessen, fr seine Musik seien die Grundstze der
- Gesellschaft nicht gltig. Wenn junge Leute meinen, sie mssten
- sich am Vorbild eines Menschen aus der Unterhaltungsbranche
- orientieren, so seien sie daran erinnert, dass Jesus Christus
- unser Vorbild ist. Paulus sagte: "Werdet meine Nachahmer, so
- wie ich Christi Nachahmer bin." Damit ist der Grundsatz
- festgelegt, dass es weise ist, dem Vorbild reifer Christen aus
- der Versammlung zu folgen (1. Korinther 11:1; Hebrer 13:7).
-
- Zur Frage, wie wichtig es ist, entwrdigende Musik zu
- meiden, verweisen wir auf den Artikel im Wachtturm vom 15.
- Januar 1984, Seiten 10-15. Welche Gefahren es mit sich bringt,
- wenn man Moderichtungen folgt und Menschen als Idole verehrt,
- wird im Erwachet! vom 8. Februar 1965 auf den Seiten 5-8 und im
- Wachtturm vom 15. August 1968, Seiten 501-504 beschrieben.
- ...
-
- Eure Brder im Dienste Jehovas
- Watchtower Bible and Tract Society of New York"
-
- [Seit 1987 betrachtet sich Michael Jackson nicht mehr als Zeuge
- Jehovas. Siehe dazu die Anmerkung in Kapitel 8. Anm.d.bers.]
-
- Die Zeugen halten hartnckig an ihren Glaubensansichten fest, auch
- wenn ihnen himmelschreiende Widersprche allerorten vor Augen
- stehen. Dies verschlimmert die bereits vorhandenen inneren
- Konflikte, die dann dadurch abgeschwcht werden, dass man sie
- wegerklrt oder indem man sich sowohl von der Aussenwelt wie auch
- von der Welt der Zeugen abkapselt. In jedem Fall fhren diese
- Widersprche beim Einzelnen zu Zweifeln und inneren Konflikten.
- Erzhlt ein Zeuge von Fllen schweren Fehlverhaltens und von seinen
- Schwierigkeiten, damit fertig zu werden, so wird er oder sie von
- den anderen dann oft als "unreif" abgestempelt, als "jemand, der
- keine auferbauende Gesellschaft darstellt". Das fhrt nicht selten
- dazu, dass er oder sie von den anderen gemieden wird, die damit
- offenbar versuchen, ihre eigenen Konflikte zu reduzieren. Diese
- Zurckweisung schafft dem Zeugen wieder neue Probleme. Hufig
- spricht er berhaupt nicht mehr ber seine Sorgen, oder er vertraut
- sich nur noch den wenigen einzelnen Zeugen an, denen zu vertrauen
- er gelernt hat.
-
- Zu den hufigsten seelischen Leiden bei Zeugen Jehovas zhlen
- Depressionen, Schuldgefhle und innere Spannungen (Penton 1985). Da
- die Wachtturm-Organisation nur wenige Mglichkeiten lsst, ber
- normale Aggressionen zu sprechen und mit ihnen umzugehen, werden
- sie meist nach innen gelenkt und rufen dann unter anderem De-
- pressionen, Schuldgefhle, Nervositt und diverse krperliche
- Beschwerden hervor. Zu beachten ist, dass ein Zeuge, der seinen
- Gefhlen, Zweifeln und Fragen ber bestimmte Wachtturmlehren
- Ausdruck verleiht, als "schwach, unreif, ohne Glauben" abgestempelt
- wird, weil er oder sie "Jehovas Organisation nicht mit ganzer Seele
- ergeben ist". Nach einigen negativen Erfahrungen hrt er oft auf,
- seine Sorgen mit den ltesten oder anderen Zeugen zu besprechen.
- Wer sich niemand ungefhrdet anvertrauen kann, behlt seine Gefhle
- fr sich, und das verstrkt hufig die Depressionen und kann sogar
- zu aggressivem Verhalten fhren, nicht selten auch zum Einsatz
- krperlicher Gewalt. Die vielen Probleme, die im Lehrgebude der
- Zeugen Jehovas enthalten sind, sorgen dafr, dass es unweigerlich
- zu Konflikten kommen wird (Franz 1983). Mitglied der Gemeinschaft
- bleiben dann vor allem jene Menschen, die sich der Abwehrmechanis-
- men Leugnung, Rationalisierung und Projektion bedienen. Leugnung
- wre beispielsweise, dass jemand sich wegen seiner religisen ber-
- zeugungen weigert, etwas zu glauben, was allgemein bekannt ist, so
- etwa, dass das physische Herz nicht der Sitz der Gefhle ist, wie
- die Wachtturm-Organisation es lehrt, oder dass es im Bethel, der
- Zentrale der Wachtturm-Organisation, schwerwiegende Alkoholprobleme
- gibt. Trotz der vielen Beispiele hierfr (sowohl Rutherford, der
- zweite Prsident der Organisation, wie auch Hayden Covingten hatten
- schwere Probleme mit dem Alkohol) weigern sich viele einfach, die
- Fakten anzuerkennen (siehe hierzu die Zeitungsberichte ber den
- Kongress in Detroit 1942, Franz 1983 sowie Penton 1985).
-
-
- Die Zeugen und Dmonen
-
- Projektion zeigt sich in der Neigung der Zeugen, Probleme innerhalb
- der Gemeinschaft usseren Ursachen zuzuschreiben, besonders solchen
- Krften, die sie als ihre Feinde einstufen, z.B. der Katholischen
- Kirche, der orthodoxen Christenheit und, mehr oder weniger, allen
- weltlichen Nationen, vor allem aber Satan, dem Teufel, ihrem
- universellen Sndenbock. Angesichts der Tatsache, dass viele Zeugen
- sehr unglcklich sind und mit diesem Zustand nicht sinnvoll umgehen
- knnen, setzen sie eine Kombination aus Rationalisierung und
- Projektion ein, die wie folgt aussieht: Satan will jeden Menschen
- in der Welt gegen Jehova aufbringen (das heisst, ausserhalb der
- Wachtturm-Organisation halten). Deshalb versucht er alles ihm
- mgliche, um denen, die innerhalb der Wachtturm-Organisation sind,
- Unglck zu bereiten, um sie so zu veranlassen, der Organisation den
- Rcken zu kehren. Ist jemand draussen, verbucht Satan sozusagen
- einen Erfolg. Da Satan diese fest im Griff hat, macht er sie
- glcklich, um sie dort - und damit ausserhalb der Organisation
- Gottes - auch zu halten. So kommt es, dass Satan sich bemht, alle
- in der Organisation unglcklich und alle ausserhalb der Organisa-
- tion glcklich zu machen. Mit Hilfe dieser Gedankenkonstruktion
- erklren sich einige Zeugen die vielen Probleme innerhalb der
- Wachtturm-Organisation. Das ist zwar nicht ganz in bereinstimmung
- mit ihrer Lehre, wird aber hufig zur Erklrung vorgetragen.
- In den Zusammenknften wird immer wieder betont, Satan komme es vor
- allem darauf an, so viele von "der Wahrheit" Gottes abzubringen,
- wie er nur kann (siehe Wachtturm 15. Mrz 1970, Seiten 183-186).So-
- bald jemand sich fr "die Wahrheit" interessiert, so meint man, ist
- er Zielscheibe der Angriffe Satans. Wird das Bibelstudium mit einem
- Neuinteressierten schwierig und zeigt er Widerstnde, so deuten die
- Zeugen das stets als von Satan kommend, so als ob Menschen nichts
- weiter sind als Schachbrettfiguren, die von einer hheren Macht
- hin- und hergeschoben werden. Die Zeugen Jehovas glauben, dass sie
- als einzige gerettet werden; folglich sind sie die einzigen, die
- Satan verloren hat. In den letzten Jahren haben die Verffentli-
- chungen der Wachtturm-Gesellschaft diese Lehre zwar nicht mehr so
- in den Vordergrund gerckt und sogar gesagt, vielleicht um in der
- ffentlichkeit an Ansehen zu gewinnen, dass "mglicherweise" einige
- Menschen ausserhalb der Organisation gerettet werden knnten (siehe
- zum Beispiel "Jehovas Zeugen im zwanzigsten Jahrhundert", 1978,
- Seiten 27, 28; Ausgabe 1979, Seite 29), doch Tatsache ist, dass
- dies immer noch gelehrt und geglaubt wird. [Anm. d. bers.: So auch
- wieder ganz deutlich im Wachtturm vom 1. September 1989, Seite 19:
- "Nur Jehovas Zeugen ... haben ... die biblische Hoffnung, das nahe
- bevorstehende Ende ... zu berleben."]
-
- Die Mehrzahl der Zeugen glaubt fest daran, dass Satan und die
- Dmonen nicht nur existieren, sondern dass sie auch die Macht
- haben, Menschen zu beeinflussen, sie sogar zu beherrschen. Am
- meisten besorgt um den Einfluss Satans sind allerdings neurotische,
- weniger intelligente Zeugen der Unterschicht.
-
- Bemerkenswert ist, dass einzelne Gemeinden, vor allem die wohl-
- habenderen, den Dmonen weniger Gewicht beimessen. Dort akzeptiert
- man wohl intellektuell ihre Existenz, lsst sich aber in seiner
- Lebensweise und seinem Verhalten wenig davon beeinflussen. Da man
- ber sie nicht viel mehr wissen kann, als dass sie existieren, so
- denkt man in diesen Gemeinden, habe es auch keinen Sinn, sich gross
- Sorgen ber sie zu machen. Solch eine gelassene Haltung ist aber
- nicht typisch. Zahlreiche Zeugen werden von Gedanken an Satan und
- die Dmonen regelrecht beherrscht, so dass sie ihnen die Schuld fr
- buchstblich jedes ungnstige Ereignis zuschreiben. [...]
-
- Die Zeugen glauben in ihrer Mehrheit, dass jemand, der den
- Anweisungen der Wachtturm-Organisation genau folgt, gar nicht
- geistig und seelisch erkranken kann. Psychische Leiden sind ihrer
- Ansicht nach die Folge eines geistigen Problems, vor allem
- "mangelnder Geistiggesinntheit" des betroffenen Zeugen. In Wahrheit
- werden aber viele Zeugen psychisch krank, die stark im Glauben
- sind, zumindest im Glauben an die Wachtturm-Organisation. Solche
- Erkrankungen werden allgemein als Folge der Beeinflussung durch
- Dmonen erklrt, oft einfach, weil der Erkrankte unwissentlich
- einen Gegenstand besitzt, der als dmonisch angesehen wird; meist
- (aber nicht immer) handelt es sich um ein altes, wertvolles Stck.
- So schreibt Noble (1982):
-
- "Wir dachten immerzu an Dmonen, so dass ich eine schreck-
- liche Furcht vor ihnen entwickelte. Wenn ich krank und nieder-
- geschlagen war und mich am liebsten umbringen wollte, suchte
- ich verzweifelt das Haus nach einem Gegenstand ab, der dmoni-
- siert sein knnte. Einmal habe ich ein Bild von einem kleinen
- Mdchen weggeworfen, das in meinem Gstezimmer hing, weil es so
- einen durchdringenden Blick hatte. Mein Bad hatte damals
- indische Fliesen, darunter auch eine Dekorfliese mit einem
- tanzenden Inder darauf. Ich dachte mir, das msse irgendeine
- indische Gottheit sein, und schon war sie weg. Eines nachts
- wachte ich voll panischem Schrecken auf. In meinem Kopf hatte
- sich die Idee festgesetzt, dass die vielen Kruter aus dem
- Bioladen irgendwelche Drogen waren. Ich habe sie alle weggewor-
- fen, dazu noch Aspirin, Hustensirup und alles mgliche andere
- Zeug. Mein ganzes Arneischrnkchen landete im Mll.
-
- Mein Vater hat mir bei seinem Tod einen wunderschnen
- Diamantring hinterlassen. Ich bildete mir ein, dass Vati
- vielleicht dmonenbesessen war und mir einen dmonisierten Ring
- vermacht hatte. Ich hatte gehrt, dann solle man den Ring am
- besten in Alufolie einwickeln und in den Gefrierschrank legen.
- Das habe ich dann auch gleich gemacht. Gott, was war mir
- schlecht, und welche Angst ich hatte!"
-
- Dmonismus und Schwche im Glauben geht nach Ansicht der Zeugen
- Hand in Hand. Als "dmonisiert" gelten dabei vor allem jene, die an
- schweren psychischen Strungen leiden oder Verhaltensformen zeigen,
- die so absonderlich sind, dass es schwierig ist, ihre "Ursache" zu
- begreifen, z.B. Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Dagegen sind
- Depressionen, Kopfschmerzen und nervse Spannungen hufiger und in
- ihrer tiologie leichter zu verstehen. Als "geistig schwach" gelten
- daher diejenigen, die an diesen "leichter verstndlichen" Formen
- leiden.
-
- Eine weitere verbreitete Annahme unter den Zeugen ist, dass jemand,
- der geistig und seelisch krank ist, dem Schpfer missfallen und
- sich darum den Zorn Gottes zugezogen hat. Das erinnert an die
- uralte Auffassung, Krankheit sei entweder ein "Fluch" Gottes zur
- Bestrafung von Snde oder das Ergebnis einer List Satans. Die
- Zeugen drcken ihren Glauben zwar selten in dieser Form aus, doch
- man hrt von ihnen hufig, dass Jehova jemand, der seinem Willen
- zuwiderhandelt, seinen "heiligen Geist entzieht", was zu seelischer
- Krankheit fhrt. Das ist im Endeffekt genau das gleiche, wie wenn
- man annimmt, Krankheit und Leiden seien Gottes unmittelbare Strafe
- fr Snde.
-
- Eine Zeugin usserte, sie knne "ganz deutlich fhlen, wie [ihr]
- der Geist Jehovas entzogen" sei. Es sei ein Gefhl, wie wenn
- "Wasser aus ihrem Kopf gesaugt" werde. Sie sagte, sie habe eine
- "Stimme" gehrt, die erst aus ihren Hnden und Fssen kam, sich
- dann in die Arme und Beine verlagerte, darauf in den Rumpf und
- schliesslich in ihren Kopf. Die "Snde" brigens, die zum Zurck-
- ziehen des heiligen Geistes fhrte, bestand darin, dass sie eine
- Gelegenheit zum gelegentlichen Zeugnisgeben nicht genutzt hatte!
- Dazu Noble (1982):
-
- "Als Zeugen hat man uns immer beigebracht, dass Leute, die
- sich umbringen, dmonisiert sind und nicht mehr den Geist
- Gottes haben. Ich kann aus eigener Erfahrung besttigen, dass
- Jehovas Zeugen so gut wie berhaupt keine Ahnung von geistigen
- und seelischen Krankheiten und von Dmonismus haben. Kein
- einziger Text im Neuen Testament sagt, dass Dmonenbesessene
- bse sind, immer heisst es, dass sie krank sind. Jesus heilte
- die von Dmonen Besessenen. Zu ihnen zhlte Maria Magdalena, in
- der sieben Teufel steckten und die doch eine ergebene Nachfol-
- gerin Christi wurde. Fr Jesus waren dmonenbesessene Menschen
- nicht schlecht, sondern krank."
-
- Wer ein Zeuge ist, hat den heiligen Geist Jehovas, und wer etwas
- tut, das Jehova missfllt, verdient es, dass ihm der Geist entzogen
- wird. Dieses Konzept hat oft zur Folge, dass psychisch kranke
- Zeugen Jehovas von ihren Glaubensbrdern kaum Mitgefhl erfahren.
- Zeigen sich bei jemand Symptome psychischer oder geistiger
- Strungen, so wird das oft als Folge eines Fehlverhaltens einge-
- stuft. Solche Menschen sind demzufolge "schlechte Gesellschaft",
- von der man sich fernzuhalten hat. Weil man glaubt, dass Gott
- seinen heiligen Geist zurckziehen kann, wenn jemand menschliche
- Schwchen zeigt, ziehen sich andere von dem Betroffenen zurck und
- zeigen sich ihm gegenber reserviert. Das macht es dem Kranken noch
- schwerer, wieder ins Lot zu kommen.
-
- Zu den mittelalterlichen Vorstellungen ber Geisteskrankheit, die
- es in der Lehre der Zeugen Jehovas reichlich gibt, gehrt auch,
- dass man meint, Zwangsgedanken in Richtung Selbstmord stammten von
- ausserhalb des Leidenden. Hufig wird im Wachtturm von Menschen
- berichtet, die Botschaften von bsen Geistwesen erhalten htten, in
- denen sie zum Selbstmord oder anderen bsen Taten gedrngt wrden.
- Dabei wird der Eindruck erweckt, als entsprche das den Tatsachen.
- Zwangsgedanken ber Dinge, die dem Patienten vllig fremd zu sein
- scheinen, treten bei vielen psychisch Kranken auf, und in vielen
- Fllen haben sie ganz offensichtlich etwas mit ihren Problemen oder
- Leiden zu tun. Die Zeugen aber sind schnell bei der Hand, diese
- Mglichkeit auszuschliessen, und geben stattdessen voreilig den
- Dmonen die Schuld, selbst wenn die Ursachen recht offen zutage
- liegen. Man beachte folgenden Fall (Noble 1982):
-
- "Als man mich ins Krankenhaus brachte, war ich geistig und
- seelisch so krank, dass ich dem Arzt nur entgegenrufen konnte,
- ich sei wahrscheinlich "dmonisiert", und davon war ich ja auch
- tatschlich selbst berzeugt. Wenn ich heute darber nachdenke,
- erkenne ich, dass ich eine kranke Frau war, aber kein schlech-
- ter Mensch. Damals konnte ich meine Gedanken einfach nicht
- beherrschen. Gegen meinen Willen schossen mir dauernd schmutzi-
- ge Wrter durch den Kopf. Dann dachte ich pltzlich: "Ich hasse
- Gott." Davon wurde ich ganz hysterisch. Und dann tauchte der
- schrecklichste und erschreckendste Gedanke von allen auf: "Was,
- wenn es in Wirklichkeit gar keinen Gott gibt?" Mich schauderte
- bei dem Gedanken, dass sich das am Ende meiner Denkprozesse
- herausstellen knnte. Lieber wollte ich tot sein, als meinen
- Schpfer zu beleidigen. Das sagte ich ihm auch. Diese ungewoll-
- ten schrecklichen Gedanken taten mir so weh, dass ich es kaum
- noch ertragen konnte.
-
- Mir war, als ob mein Verstand sich wie auf einem Karussell
- immer im Kreis drehte, ohne dass ich ihn anhalten konnte. Ich
- weiss nicht, ob Leute, die sich umbringen, von hnlichen
- Gedanken heimgesucht werden, mglich ist es aber. Vielleicht
- werden sie von Scham und Kummer so niedergedrckt, dass sie es
- nicht wagen, sich jemand anzuvertrauen. Ich erwhne diese
- usserst peinlichen und intimen Dinge, die mir widerfahren
- sind, weil ich hoffe, dass dies anderen eine Hilfe sein kann
- und ihnen Trost, Einsicht und vor allem Hoffnung auf Heilung
- gibt. Noch heute ist mir die Erinnerung daran schmerzlich."
-
-
- Andere Lehren ber Dmonen und seelische Gesundheit
-
- Die Naivitt der Bcherschreiber der Wachtturm-Gesellschaft ist
- bisweilen erschreckend. So hiess in Erwachet! vom 22. Dezember 1976
- in einem Artikel ber die Herrschaft von Dmonen ber Frauen auf
- Seite 17: "Ich weiss, dass die Geister gelegentlich von den
- Anbetern verlangen, die Kleider abzulegen oder die Brste zu
- entblssen und Geschlechtsbeziehungen miteinander zu haben. Ich
- begann mich zu fragen, ob der Grund dafr sei, dass die Geister
- ihre perversen Wnsche befriedigen mchten." Mit Fllen, in denen
- jemand anderen seine eigenen Wnsche und Gefhle unterstellt, haben
- Psychiater hufig zu tun. Im vorliegenden Beispiel findet eine
- Projektion auf "bse Geister" statt. In derartigen Fllen spricht
- man von externaler Kontrollberzeugung, einem Spezialfall der
- Projektion, in dem der Patient sinngemss sagt: "Ich wollte das
- gar nicht tun, doch der Teufel hat mich dazu gezwungen."
- Einige der in dem Artikel erwhnten Frauen konnten sogar detail-
- liert beschreiben, zu welchen sexuellen Verrenkungen der Teufel sie
- angeblich gebracht hat.
-
- Nach der herkmmlichen christlichen Auffassung von Dmonen muss ein
- Mensch zuerst selbst bereit sein, Einfluss von aussen auf sich
- wirken zu lassen, bevor eine Gedankenbeherschung mglich ist.
- Formal vertreten die Zeugen Jehovas zwar eine hnliche Auffassung,
- doch in Wirklichkeit verhalten sie sich so, als knnten die Dmonen
- ganz nach ihrer Lust und Laune "die Herrschaft ber den Verstand
- erlangen". Dass es Dmonen tatschlich gibt, das glauben viele
- Christen, doch nur wenige gehen in der Betonung ihrer Einfluss-
- mglichkeiten so weit wie die Zeugen.
-
- In demselben Artikel schrieb der Verfasser: "rzte der Psych-
- iatrischen Klinik von Sao Paulo baten einen ehemaligen Exorzisten
- um Hilfe, der inzwischen Zeuge Jehovas geworden war, um die Geister
- auszutreiben, und die Patienten konnten aus dem Krankenhaus - allem
- Anschein nach geheilt - entlassen werden." In dieser Darstellung
- wird unterstellt, dass der Psychiater allen Ernstes eine Dmonenbe-
- sessenheit als Grund fr die Geisteskrankheit annahm und dass der
- erwhnte Exorzist fhig war, die Geister zu auszutreiben und die
- Patienten auf diese Weise zu heilen. Die Auffassung des Artikel-
- schreibers, eines Zeugen Jehovas, dass Dmonismus in engem
- Zusammenhang mit psychischen Leiden steht und dass der Psychiater
- meinte, zur Behandlung sei die Austreibung des Dmonen notwendig,
- verrt eine unkritische Verarbeitung des Vorfalls und ein nur
- mangelhaftes Verstndnis der Heilmethoden von Therapeuten.
-
- Psychiater greifen sehr oft zu der Methode, dem psychisch kranken
- Patienten entgegenzukommen. Bringt dieser einem Priester grosses
- Vertrauen entgegen, so kann es sehr wirkungs-voll sein, ihm durch
- einen Priester seine Snden "vergeben" zu lassen. Ist der Patient
- fest davon berzeugt, von Dmonen beherrscht zu werden, so
- erscheint es dem Therapeuten eventuell als das Beste, einen
- Exorzisten zu Rate zu ziehen. Auf diese Weise kann der Patient
- vielleicht dazu gebracht werden, von seinem Glauben an die
- Dmonenbesessenheit wegzukommen, wenn auch nicht vom Glauben an die
- Dmonen. Diese Technik ist hufig wirkungsvoller und wirkt viel
- schneller, als wenn man versuchen wollte, den Patienten davon zu
- berzeugen, dass er sich wegen eines geringfgigen Fehlverhaltens
- nicht als minderwertig zu fhlen braucht. Das Grundproblem bleibt
- dann allerdings weiter bestehen.
-
- hnlich ist folgender Fall gelagert: Ein Zeuge Jehovas, ein
- Kreisaufseher, sieht in der Praxis eines Arztes ein Buch mit dem
- Titel Lexikon der Hexerei und des Dmonismus, ein Nachschlagewerk,
- dessen Verfasser ein Literaturprofessor ist, gemss Aussage auf dem
- Buchumschlag "vor allem als Wissenschaftler bekannt". Dem Zeugen
- Jehovas ist allein schon wegen des Vorhandenseins dieses Buches
- unwohl, denn es muss sich seiner Meinung nach um ein dmonisiertes
- Werk handeln (schliesslich beschftigt es sich mit Dmonen). Auf
- den Hinweis des Arztes, dass Dr. Robbins, der Buchautor, nicht "an
- die Existenz von Hexen, Dmonen oder bernatrlichen Erscheinungen
- glaubt", erwidert der Kreisaufseher: "Das beweist gerade, dass er
- von Dmonen beherrscht wird!" Statt diese feste berzeugung ndern
- zu wollen, wre es in diesem Fall therapeutisch am besten, das Buch
- beiseite zu rumen und sich anderem zuzuwenden. Nach Ansicht der
- Zeugen wirken die Dmonen mittels bestimmter Bcher, besonders
- solcher, die sich mit den Themen Dmonismus und Hexerei befassen,
- ganz besonders, wenn sie von einem Geistlichen der Christenheit
- stammen. Und das trifft auch zu, wenn es sich um Werke gegen den
- Dmonenglauben handelt. In diesem Fall versuchte der Therapeut also
- erst gar nicht, mit dem Zeugen darber zu argumentieren. Werke ber
- Dmonismus von religiser Seite gelten als besonders verwerflich,
- weil sie als "doppelt" dmonisch angesehen werden. Sie sind
- dmonisch, weil sie von einem religisen Menschen verfasst wurden,
- und fr Jehovas Zeugen stammt jede Religion ausser ihrer eigenen
- von Satan, und ausserdem noch, weil sie von Dmonen handeln.
- Ironischerweise sieht man Artikel ber Dmonen im Wachtturm nicht
- als dmonisch an!
-
-
- Sexuelle Zwangsvorstellungen
-
- In den Aufstzen fr die Zeitschrift Erwachet! zeigen sich hin und
- wieder sexuelle Zwangsvorstellungen, wie man sie von asketischen
- und extremen religisen Gruppen her kennt. Diese Aufstze werden im
- allgemeinen von Schreibern der Wachtturm-Gesellschaft verfasst
- (oder umgeschrieben, falls sie von einem nicht der Redaktion
- angehrenden Zeugen stammen), sobald irgendeine Lehre oder ein
- religises Thema darin angesprochen wird. Sie sind also als
- offizielle Verlautbarungen anzusehen. Auch wenn es heisst, der
- Beitrag sei "eingesandt", enthlt er die reine Lehre und ist in
- Wahrheit nur eine Darstellung der Wachtturm-Theologie im skularen
- Gewand, von der man hofft, sie werde Leser finden. Fr die Zeugen
- wird alles, was in diesen Aufstzen an Lehren enthalten ist, als
- direkt von der Organisation kommend betrachtet. Einer dieser
- Beitrge strotzt nur so von Beispielen. Die Verfasserin schildert
- erst einige ihrer eigenen Erfahrungen und berichtet dann, dass eine
- ihrer Freundinnen
-
- "... bemerkte [...], dass sie eine hilflose Marionette
- unsichtbarer bser Geister geworden war. Die Geister zwangen
- sie, dafr zu sorgen, dass unsittliche Frauen ihren Mann von zu
- Hause weglockten, und er beging mit ihnen Ehebruch. Dann
- verlangten die Geister, dass Geschlechtsbeziehungen einen Teil
- der Heilungsriten bildeten, die sie in ihrer Wohnung durch-
- fhrte. Ihr wurde erklrt, dass die Kranken auf diese Weise
- "entladen" oder geheilt wrden, indem die Krankheit durch den
- Geschlechtsverkehr auf das Medium bertragen wrde. Die Geister
- befahlen auch, dass weibliche Patienten mit Hilfe von lesbi-
- schen Handlungen geheilt werden sollten. Im Fall junger Leute
- empfahlen sie "Sexkontrolle", was in Wirklichkeit Masturbation
- war. [...] Die sexuelle Entartung dieser bsen Engel ist heute
- immer noch deutlich festzustellen" (Erwachet! vom 22. Dezember
- 1976, S. 17,18).
-
- Wie lassen sich sowohl die Ansicht des Verfassers dieses Erwachet!-
- Artikels wie auch die vielen Flle, in denen Menschen behaupteten,
- "von Dmonen sexuell belstigt zu werden", erklren? Die Psycholo-
- gie hat sich mit dieser Frage eingehend befasst.Viele Forscher sind
- zu Ansicht gelangt, dass es sich in vielen, jedoch keineswegs in
- allen Fllen um sogenannte "Reaktionsbildung" handelt. Dabei
- handelt es sich um einen im Unbewussten wirkenden Abwehrmechanis-
- mus, der dazu fhrt, dass jemand genau das Gegenteil von dem tut,
- was er oder sie sich unbewusst herbeiwnscht. Dieser Abwehrmecha-
- nismus wird als einer der ersten eingesetzt; er ist nicht sehr
- stabil und steht mit dem Mechanismus der Verdrngung in enger
- Beziehung. Sowohl Verdrngung wie auch Reaktionsbildung dienen der
- Abwehr von Impulsen oder Wnschen, die fr das Ich unakzeptabel
- sind. Das heisst, dass jemand, der ein bestimmtes Verlangen hat,
- offen fr das Gegenteil davon kmpft, um das Verlangen zu "ver-
- decken". Die klinische Praxis zeigt, dass Reaktionsbildungen
- usserst hufig vorkommen. Zum Beispiel fhlen sich einige
- Bekmpfer der Pornographie unbewusst von dieser Literatur angezo-
- gen, und manche Atheisten sind in Wirklichkeit tief religis,
- wehren sich aber gegen die Anforderungen, die eine Religion an sie
- stellen wrde (Freedman 1975: 262).
-
- Cary Nation ist in Nordamerika das berhmteste Beispiel hierfr.
- Mit allen Krften kmpfte sie gegen Alkohol, Nikotin, Damenmoden
- und andere Erscheinungen ihrer Tage. Doch bevor sie als Moral- und
- Tugendwchterin auftrat, fhrte sie selbst ein Leben ganz anderer
- Art. Durch Reaktionsbildung schtzen wir uns vor unannehmbaren
- Neigungen in uns, indem wir diese nicht nur unterdrcken, sondern
- sogar durch bewusste Verhaltensweise und Denkmuster dagegen
- vorgehen. Diese Theorie ist zwar nicht vollkommen, hilft aber bei
- der Erklrung von manchen Verhaltensformen und wird bei vielen
- Menschen mit seelischen Problemen mit grossem Erfolg angewandt
- (Coleman 1964:100, 107, 223; Klob 1978). Dieser Mechanismus liegt
- allem Anschein nach auch den in dem erwhnten Erwachet!-Artikel
- beschriebenen Phnomenen zu Grunde. Man kann sagen, dass die
- Verfasserin zumindestens sehr unkritisch war, weil sie andere
- Begrndungen ausschloss und dogmatisch annahm, dass Dmonen die
- Ursache der Probleme waren. [...]
-
- Interessanterweise ist sich die Wachtturm-Gesellschaft der Tatsache
- bewusst, dass psychische Erkrankungen nicht nur durch Dmonen
- hervorgerufen werden knnen. In einem Erwachet!-Artikel (8.
- September 1969, Seite 19) werden die Arbeiten von Dr. Abrahamson
- lobend erwhnt. Er befasst sich mit den Zusammenhngen zwischen
- niedrigen Blutzuckerwerten und bestimmten psychischen Erkrankungen.
- In dem Artikel heisst es abschliessend: "Das heisst nicht, dass
- alle psychischen Probleme auf zu niedrigen Blutzucker zurckzufh-
- ren sind, sondern dass dies vielmehr in manchen Fllen ein Faktor
- ist, der nicht bersehen werden sollte." Auf den Seiten 18 und 19
- wird der Fall eines Mannes geschildert, der Anzeichen von Schi-
- zophrenie aufwies, bei dem aber Hypoglykmie diagnostiziert wurde.
- Diese Schilderung ist dem Journal of Diseases of the Nervous
- System, Heft Juli 1967, entnommen, in dem von der Wirkung niedrigen
- Blutzuckers auf das Verhalten die Rede war. Erwachet! empfiehlt
- dann folgendes:
-
- "Um genau festzustellen, ob man an zu niedrigem Blutzucker
- leidet, ist es am besten, zu einem Arzt zu gehen und sich
- untersuchen zu lassen. Dies ist viel ratsamer, als zu ver-
- suchen, selbst eine Diagnose zu stellen. Wenn der Blutzucker-
- spiegel zu niedrig ist, kann einem der Arzt dann sagen, welche
- Dit sich am besten zur Behandlung eignet."
-
- Dieser Artikel stammt hchstwahrscheinlich aus der Feder eines
- Zeugen Jehovas, der Arzt war, und diente wohl dem Zweck, einige
- gngige Ansichten der Zeugen zu verndern. Doch wurde er augen-
- scheinlich nicht von vielen gelesen. Erwachet! wird von vielen
- Zeugen nicht sehr grndlich gelesen, und diejenigen, die es tun,
- haben unter Umstnden nicht die fr Jehovas Zeugen typischen
- Auffassungen. Solche Leser haben vielleicht auch weniger mit diesen
- Problemen zu kmpfen. Bei einer Befragung stellte ich fest, dass
- etwa 32 Prozent einen oder zwei Artikel aus jeder Ausgabe lesen, 13
- Prozent fast alle Artikel, und weniger als vier Prozent lesen die
- ganze Zeitschrift. Gemessen am normalen Leseverhalten ist das nicht
- schlecht. In einer Untersuchung wurde ermittelt, dass Universitts-
- dozenten und rzte von jeder Nummer der von ihnen abonnierten
- Fachzeitschriften nur einen Artikel lesen. Und diese Zeitschriften
- erscheinen alle zwei Monate oder vierteljhrlich, doch Erwachet!
- zweimal im Monat. Das zeigt, dass viele Zeugen mehr lesen als
- Angehrige akademischer Berufe, zumindest was die Sachliteratur
- angeht. Allerdings ergab meine Untersuchung, dass Akademiker
- durchschnittlich fnf Bcher im Jahr lesen, whrend der normale
- Zeuge kaum je ein Buch liest, das nicht von der Wachtturm-Gesell-
- schaft stammt. Die meisten lesen nur ihre Pflichtlektre, etwa zwei
- bis drei Bcher pro Jahr. Nur weniger als sieben Prozent lesen im
- Jahr ein Buch, das nicht von den Zeugen stammt, ganz durch; der
- Rest liest nur die Wachtturm-Verffentlichungen.
-
-
- Feindseligkeiten und offene Verfolgung
-
- Ein weiterer Faktor, der die seelische und geistige Gesundheit der
- Zeugen Jehovas beeinflusst, ist die Verfolgung, der sie fast
- berall von Anfang an ausgesetzt waren. Auch wenn die Zeugen hier
- manchmal bertreiben, Verfolgung kommt vor und ist bisweilen
- grausam. In manchen Lndern der Dritten Welt wurden sie wie die
- Tiere gejagt und zu Tausenden hingeschlachtet. Im Normalfall
- allerdings handelt es sich um geistige Verfolgung, und die
- Wachtturm-Organisation benutzt diesen Widerstand, um die Zeugen
- einzuschchtern und ihrer Autoritt gegenber gefgig zu machen
- (genauso wie sie Flle von Dmonismus dafr einsetzt). Selbst in
- den USA, einem Land, das die Freiheit der Religionsausbung von
- Anfang an in der Verfassung verankert hatte, wurden Jehovas Zeugen
- zu manchen Zeiten usserst schwer verfolgt. [...]
- In der Zeitschrift American Civil Liberties Union (1941, S. 3-4)
- heisst es:
-
- "Seit den Zeiten der Mormonenverfolgung [...] ist keine
- religise Minderheit so vehement verfolgt worden wie die Zeugen
- Jehovas, ganz besonders im Frhjahr und Sommer des Jahres 1940.
- Dies war der Hhepunkt der Angriffe auf sie, die bereits seit
- Jahren zu beobachten waren, sich vorher aber meist als feindse-
- lige Stimmung und Diskrimination gezeigt hatten."
-
- [...] Zahlreiche Pbelrotten zogen ber Jehovas Zeugen her, weil
- man behauptet hatte, sie seien subversiv ttig oder gar Nazis.
- [...] In einigen Lndern leben Jehovas Zeugen in stndiger Angst um
- ihr Leben und ihren Arbeitsplatz und mssen damit rechnen,
- gefoltert oder verfolgt zu werden. Auch wenn die Verfolgung meist
- psychischer Art ist, ruft sie bei Menschen, die ihre psychische
- Stabilitt nur mit Mhe aufrechterhalten knnen, verheerende Folgen
- hervor. Die Zeugen spren die allgemeine Abwehr sehr genau, die
- ihnen in der Welt entgegenschlgt, und teilweise nutzen sie diese
- missliche Lage auch noch dazu aus, ihre Anhnger zu noch grsserer
- Anstrengung aufzupeitschen. Plastische Beschreibungen von Ver-
- folgungen der schlimmsten Sorte und von Folterungen sind in den
- offiziellen Publikationen der Wachtturm-Gesellschaft keine
- Seltenheit. Dabei wird stets betont, dass solche Verfolgung
- jederzeit und berall zuschlagen kann, selbst in den USA oder
- Kanada (was manchmal auch tatschlich zutrifft). Auf der Bhne im
- Knigreichssaal werden anschauliche Rollenspiele vorgefhrt, die
- zeigen, wie Verfolgung "zu jeder Zeit" eintreten kann. Die Zeugen
- lehren berdies, dass sie in naher Zukunft mit schwerer Verfolgung
- rechnen mssen. All das erhht betrchtlich die Unsicherheit und
- Angst bei Menschen, die ohnehin schon von diesen Gefhlen gezeich-
- net sind. [...]
-
-
- Zusammenfassung
-
- Die hohe Anzahl psychischer Erkrankungen bei den Zeugen Jehovas
- beruht wahrscheinlich auf einer Reihe von Faktoren. Dies sind:
- 1. bergrosse Starrheit, besonders was das Einhalten all der
- vielen Gebote angeht, von denen manche hchst nebenschliche Dinge
- betreffen
- 2. unangemessenes Eingehen der Wachtturm-Gesellschaft, der
- ltesten und der anderen Zeugen auf psychisch Kranke, die um Hilfe
- bitten. In ihrem Bemhen um Hilfe schaden sie oft mehr, als dass
- sie ntzen.
- 3. Angst davor, dass man Schwierigkeiten bekommt, wenn man seine
- Sorgen anderen mitteilt, sowie die Entdeckung, dass es handfeste
- Probleme gibt, sobald man seine ehrlichen Zweifel offen ausspricht
- 4. berbetonung der Dmonen und aller damit verbundenen Er-
- scheinungen und eine bermssige Besorgnis auf diesem Gebiet. Man
- glaubt, dass Satan alles tut, was er kann, um jeden aus der
- Organisation Gottes herauszuholen, indem er ihm das Leben so schwer
- wie mglich macht. Nach dieser Vorstellung mssen die Angehrigen
- der "wahren Religion" die grssten Probleme, die schlimmsten Leiden
- und psychischen Krankheiten haben. Das wird so zu einem "Beweis"
- dafr, dass eine Religionsgemeinschaft das Volk Gottes ist.
- 5. zu manchen Zeiten und in einigen Gegenden hat wirkliche oder
- befrchtete Verfolgung dem psychischen Wohlbefinden von Zeugen
- Jehovas schweren Schaden zugefgt.
- Weitere Grnde fr die hohe Zahl psychischer Erkrankungen bei
- Jehovas Zeugen werden im folgenden Kapitel behandelt.
-
-
-
-
- Kapitel 5:
- Weitere krankheitsfrdernde Umstnde
-
- Ein bedeutsamer Faktor, der den hohen Prozentsatz an psychischen
- Erkrankungen bei Jehovas Zeugen beeinflusst, ist die Tatsache, dass
- sie keinen Querschnitt der Bevlkerung darstellen, sondern vor
- allem der oberen Unterschicht entstammen. Frher war das noch
- deutlicher als heute; in der Tendenz trifft es aber weiterhin zu.
- Aus der Mittelschicht stammt nur ein kleinerer Anteil (Cohn 1954,
- 1955). Auch wenn Einkommen und Bildungsstand allmhlich gestiegen
- sind, bilden Personen aus der oberen Mitelschicht doch immer noch
- eine kleine Minderheit, und die Oberschicht kommt praktisch gar
- nicht vor. Ein Zweigaufseher sagte einmal:
-
- "Unter den 40 000 Zeugen, die ich im Kreisdienst kennenge-
- lernt habe, waren meines Wissens nur vier Familien, die man als
- Oberschicht bezeichnen knnte. Universittsprofessoren sind
- fast vollkommen unbekannt. Ich kenne nur einen in Michigan,
- zwei in New York, drei in Ohio, drei in Kanada und zwei in
- Kalifornien."
-
- Dieses Zitat ist jetzt mehrere Jahre alt. Die erwhnten Professoren
- haben den Zeugen Jehovas inzwischen grsstenteils den Rcken
- gekehrt. Weniger als einer von 10 000 Zeugen (in den USA) ist Arzt,
- also in jedem Bundesstaat etwa einer. Zwar gibt es eine ganze
- Anzahl Heilpraktiker, doch deren Ausbildung dauert oft nicht sehr
- lange und setzt keine besonderen Qualifikationen voraus. Die
- meisten Zeugen gehen sptestens nach der zehnten Klasse von der
- Schule ab, und wer einen hheren Bildungsstand hat, nimmt seinen
- Glauben eher nicht so ernst. Meistens heiraten Zeugen Jehovas auch
- sehr jung (oft mit 17 bis 19 Jahren bei den Frauen und mit 18 bis
- 21 Jahren bei den Mnnern), denn neben dem Vollzeitpredigtdienst
- ("Pionierdienst") ist die Ehe seit den fnfziger Jahren eine der
- wenigen Mglichkeiten der Lebensgestaltung, die den Jugendlichen
- mit offizieller Billigung offenstehen. Und selbst vom Heiraten hat
- die Wachtturm-Organisation in der Vergangenheit abgeraten (siehe
- dazu das Buch Kinder 1941). Angesichts des jederzeit bevorstehenden
- Kampfes von Harmagedon, so dachte man, sei dies ein Hindernis im
- ganzherzigen Dienst fr die Wachtturm-Organisation. Von allen
- normalen Lebenswegen, die junge Leute sonst beschreiten, wie einer
- Berufslaufbahn, einer Fachschul-, Fachhochschul- oder Universitts-
- ausbildung, wird stark abgeraten. Ein Psychiater, der als Zeuge
- Jehovas erzogen worden war und anonym bleiben mchte, sagte mir
- einmal:
-
- "Ich habe in meiner klinischen Arbeit mit Zeugen Jehovas
- festgestellt, dass die gebildeteren, intelligenteren, gewissen-
- hafteren unter ihnen entschieden mehr zu emotionalen Problemen
- neigen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was man bei Nicht-
- Zeugen antrifft. Die intelligenteren Zeugen sind sich hufiger
- der Widersprche und der problematischen Aspekte der Lehre der
- Gemeinschaft bewusst. Dieses Bewusstsein ruft bei ihnen Fragen
- und Zweifel hervor, und der Zweifel spielt eine wichtige Rolle
- fr die Ausbildung eines emotionalen Ungleichgewichts.
-
- Die naiveren Zeugen akzeptieren alles (oder fast alles) und
- kennen diese innere Zerissenheit weniger. Und von wesentlicher
- Bedeutung ist die mangelnde Akzeptanz von gebildeteren oder
- intelligenteren Zeugen seitens der typischen Zeugen Jehovas,
- die manchmal die Form ausgewachsener Vorurteile annimmt.
- Praktisch das einzige, was einem in dieser Situation bleibt, um
- voll anerkannt zu werden, ist, die eigene Bildung zu leugnen
- und die im wesentlichen der Unterschicht entstammenden Normen
- der Zeugen voll zu bernehmen, wozu auch gehrt, sich eine
- einfache Arbeit zu suchen.
-
- Ein Beleg hierfr ist ein zu den Zeugen Jehovas bekehrter Doktor
- der Physiologie (in Erwachet! vom 22. Januar 1975, S.8, ist
- flschlich von Psychologie die Rede), der von den Zeugen zum Teil
- deswegen akzeptiert wurde, weil er seine Stellung in der Hirnfor-
- schung aufgab und eine Arbeit als Verkufer von Autoersatzteilen
- annahm, die ihm weniger Geld und Ansehen brachte. In den Augen der
- Zeugen hatte er viel geopfert, um in "die Wahrheit" zu kommen. Weil
- er seine Bildung und die damit verbundene Stellung aufgab, wird er
- als "einer von uns" angesehen. Bezeichnenderweise wurde er in
- Rekordzeit ltester. Immer wieder aber ergibt sich in diesen
- Fllen, dass solche Personen desillusioniert werden, sobald sie
- erst einmal mehr um die Probleme der Wachtturm-Organisation wissen,
- und dann bedauern sie tief, so viel hingegeben zu haben, um Zeuge
- Jehovas zu werden.
-
- Es bestehen selbst Einwnde gegen Berufsfelder wie Musik, Schau-
- spiel, bildende Kunst oder andere Sparten, die einen grossen
- Einsatz an Zeit und Energie abfordern. Robert Balzer aus der
- Watchtower-Weltzentrale sagte, es sei sehr schwierig, zugleich
- Zeuge Jehovas und Entertainer zu sein (The Star, 17.4.1984, S.9).
- Musiker neigen nach Becker (1963:86) zu der Ansicht, sie seien
- "anders und besser als andere Menschen, und darum drften ihnen
- Aussenseiter in keinem Lebensbereich etwas dreinreden". Diese
- Wahrnehmung des eigenen Andersseins und des anderen Lebensstils
- sitzt sehr tief: "Musiker sind anders als andere Leute. Sie reden
- anders, handeln anders,sehen anders aus." Eine solche Lebensein-
- stellung vertrgt sich nicht mit der Verfgungsmacht, die die
- Wachtturm-Organisation sonst ber ihre Anhnger ausbt. Der
- Superstar und frhere Zeuge Michael Jackson wurde, sobald er seine
- ersten ganz grossen Erfolge hatte, ffentlich getadelt wegen so
- geringfgiger Dinge wie des Gebrauchs von Makeup (was im Show-
- geschft gang und gbe ist).
-
- Die wenigen Personen mit hherer Bildung, die sich den Zeugen
- Jehovas anschliessen, bleiben meist nicht lange oder ziehen es nach
- kurzer Zeit vor, nur noch Randfiguren zu spielen. Ein belesener,
- analytisch denkender Mensch hat grosse Mhe, Zeuge Jehovas zu
- bleiben, und zwar nicht unbedingt, weil wichtige Lehren und
- ethische Standpunkte der Wachtturm-Organisation so haltlos und
- unvernnftig sind, sondern vielmehr, weil die Zentrale das
- intellektuelle Leben der Zeugen so stark reglementiert. Selbst wer
- sich als Apologet der Wachtturm-Organisation einsetzen und sie
- ffentlich verteidigen will, wird oft nicht toleriert. Von hchster
- Seite wird den Zeugen von der Verffentlichung Materials mit
- religisem Inhalt abgeraten, wenn auch jemand, der ein Werk
- herausbringt, das mit den Lehren der Wachtturm-Organisation in
- voller bereinstimmung ist, gewhnlich nicht ausgeschlossen wird
- (Bergman 1985). Als Beispiele seien Alfs, Buckley, Cole und Penton
- genannt. (Penton allerdings wurde teilweise deswegen aus der
- Gemeinschaft verstossen, weil er Bcher zur Verteidigung der
- Wachtturm-Organisation geschrieben hatte, und Blackwell wurde zum
- Rcktritt als ltester und zur Einschrnkung seiner Vortrags-
- ttigkeit gezwungen.)
-
- Ironischerweise rt die Wachtturm-Gesellschaft von unabhngiger
- Forschungsttigkeit und Diskussionen auf theologischem Gebiet ab.
- Dies geschieht aus der Furcht heraus, man knne auf die vielen
- Probleme in den Lehren stossen oder am Ende zu Auffassungen
- gelangen, die von den Fhrungspersnlichkeiten zur Zeit nicht
- vertreten werden, oder beides. Unablssig werden die Zeugen
- ermahnt, nicht "der Gesellschaft vorauszueilen", so als ob dies
- nach deren eigenen Lehren berhaupt mglich wre. Viele Zeugen
- haben auf Grund eigener Nachforschungen drastische nderungen in
- der Lehre vorausgesehen, die dann wirklich kamen. Dazu zhlen die
- genderte Auffassung ber den Gemeinschaftsentzug (die spter
- wieder zurckgenommen wurde), die Auferstehung, die hheren
- Obrigkeiten, Scheidung und ber Harmagedon (Franz 1983). Wer die
- Khnheit besessen hatte, die Ergebnisse seiner Nachforschungen laut
- auszusprechen, ist hufig schroff zurechtgewiesen worden, selbst
- wenn die Wachtturm-Gesellschaft diese spter besttigte. So sagte
- ein bekannter Zeuge:
-
- "Was mich an der Gesellschaft mit am meisten strt, ist die
- unglaubliche Arroganz der Oberen im Bethel. Sie weigern sich
- oft, auf Vernunftgrnde zu hren oder dem einzelnen einen
- eigenen Verstand zuzugestehen. Ich glaube zwar, dass die Zeugen
- einmal auch die Oberschicht und die strker intellektuell
- Orientierten ansprechen werden, doch zur Zeit sind sie haupt-
- schlich eine Religion der Unterschicht mit usserst wenigen
- Hochschulabsolventen.
-
- Buchstblich jeder einigermassen Gebildete, den ich kenne, hat
- ihnen den Rcken zugekehrt, und dabei waren einmal ein paar
- sehr helle Kpfe in ihren Reihen. Sie sind gegangen, weil man
- schnell begreift, dass es fr einen intelligenten Menschen
- keinen Platz in dieser Organisation gibt. Die Gesellschaft will
- sie und ihre Denkweise nicht haben, sondern lieber ahnungslose
- Anhnger, die buchstblich ohne zu fragen alles schlucken, was
- man sie lehrt."
-
- [...] Diese Selbstkasteiung fhrt oft zu einem geringen Selbst-
- wertgefhl, das seinerseits wieder emotionale und soziale Probleme
- nach sich ziehen kann. Selbstbeherrschung andererseits kann ein
- positiver Zug sein, sofern die betreffende Person ein starkes
- Selbstbild hat. [...]
-
- Besuchern eines Knigreichssaals fllt meistens schnell auf, dass
- die Menschen von der Bhne unablssig heruntergeputzt werden: sie
- sind sndig, geboren mit trichten und bsartigen Neigungen, und
- von Jugend auf schlecht. Natrlich trifft das in gewissem Masse zu,
- doch die Wachtturm-Gesellschaft bertreibt stark und bietet oft
- wenig Hilfe zu einer Verbesserung. Schliesslich sollen die Zeugen
- ihr allein dienen und das von ganzem Herzen. So wird durch
- Schuldgefhle Druck erzeugt, damit alle die Ziele der Wachtturm-
- Organisation an die erste Stelle setzen und ihre eigenen Bedrf-
- nisse an die zweite oder sogar dritte. Zeit, Kraft, Ziele und
- Wnsche sollen primr der Organisation gewidmet sein; nur wenn dann
- noch Zeit brig ist, knnen auch eigene Interessen befriedigt
- werden. Sich nicht ganz einzusetzen, ist fr viele gleichbedeutend
- mit gar keinem Einsatz. Wenn sie nicht ihren Arbeitskollegen bei
- jeder Gelegenheit gepredigt haben oder einmal nicht im Predigt-
- dienst unterwegs waren, so kann das schon ihre Vernichtung in
- Harmagedon zur Folge haben. Wer das Zeugnisgeben vernachlssigt,
- ldt Blutschuld auf sich, betont die Wachtturm-Organisation. Ein
- vielzitiertes Axiom der Psychologie lautet, dass man erst sich
- selber akzeptieren muss, bevor man andere akzeptieren kann. Der
- stndige Zwang, seine eigenen Bedrfnisse zu verleugnen (ganz zu
- schweigen von den Wnschen) und von sich selbst niedriger zu
- denken, als es sein sollte, ist bestimmt fr die menschlichen
- Schwierigkeiten der Zeugen Jehovas mitverantwortlich.
- Zeugen, die gebildet, wohlhabend oder auf irgendeinem Gebiet begabt
- sind, werden von der Gemeinde fortgesetzt gedemtigt. Wer in ihren
- Reihen unwissend, arm und ohne Talent ist, macht es sich zur
- Pflicht, andere zu demtigen, die es irgendwo zu etwas gebracht
- haben. Sofern die Zeugen nicht gerade einander demtigen, helfen
- sie hufig ihren Glaubensgenossen, irgendeinen Rest einer Eigen-
- schaft auszumerzen, die sie als Stolz, Eitelkeit, Einbildung,
- Selbstsucht, Selbstbewunderung oder dergleichen "bse Eigen-
- schaften" bezeichnen. Das bedeutet, dass ein Zeuge, abgesehen von
- ganz eindeutigen Bedrfnissen, seine eigenen Belange hintanstellen
- oder vollstndig unterdrcken muss. Das fhrt in vielen Fllen zu
- Problemen mit dem Selbstbild und der eigenen Identitt.
-
- Natrlich gibt es viele, die "gedemtigt" werden und erkennen
- sollten, dass es mehr darauf ankommt, anderen zu geben, als eine
- besondere Stellung im Leben zu erreichen (Wallach und Wallach
- 1983). Die Wachtturm-Organisation treibt dies aber ins Extrem, was
- im Lauf der Zeit bei vielen ihrer Anhnger zu einem sehr schwachen
- Selbstbild und einem starken Minderwertigkeitskomplex fhrt
- (Stanley 1982). Das Problem ist hier wieder das Extrem, mit dem
- ausgefhrt wird, was hilfreich sein knnte, wenn in Massen ange-
- wandt. Das Ergebnis dieser stndigen Demtigungen ist letztlich
- folgendes:
-
- Wenn ich etwas Herausragendes tue (eine gute Ansprache in einer
- Zusammenkunft halte, jemand in die "Wahrheit" bringe oder eine gute
- Predigt halte), dann habe nicht ich es getan, sondern es war Gott.
- Alle Ehre geht an Gott. Doch wenn ich etwas Schlechtes getan oder
- gesndigt habe, ist es meine Schuld; zum Teil liegt es an der
- Unvollkommenheit des Fleisches, doch vor allem beruht es auf einer
- Schwche meiner Person. Ich strenge mich eben nicht genug an, so
- dass ich niemand anders fr mein Versagen verantwortlich machen
- kann.
-
- Es ist, wie wenn alles Gute, das ein Zeuge tut, in Wahrheit Gott
- getan hat (oder zumindest bekommt er das Verdienst zugesprochen),
- doch an allem Schlechten ist der einzelne selbst schuld und niemand
- sonst. Kurz gesagt: der Mensch kann nur Bses, Sndiges und
- Verkehrtes tun. Wenn das auch so nicht offen ausgesprochen wird,
- deutet man es zumindest stndig an und glaubt daran (wenigstens
- unbewusst) und handelt entsprechend. Nach Meinung der Wachtturm-
- Organisation ist alles Gute, das ein Zeuge tut, das Ergebnis des
- Wirkens Gottes und nicht seines eigenen, aber das Schlechte geht
- auf das Konto des Menschen, der den Fehler begeht.
-
- Bei denkenden Zeugen Jehovas kommen die Abwehrmechanismen weniger
- zum Tragen, die von durchschnittlichen Zeugen im bermass einge-
- setzt werden. Sie werden also eher auf Gedanken und Informationen
- stossen, die den Wachtturm-Lehren widersprechen. Aber auch das
- Wertesystem des normalen Zeugen Jehovas weicht nicht selten recht
- stark von dem des belesenen, denkenden Zeugen ab, der bereit ist,
- gegnerischen Argumenten zuzuhren und nicht von vornherein allem
- misstrauisch gegenbersteht, was von "weltlicher" Seite, wie
- Politik, Wirtschaft und Religion, stammt. Indirekt wird sogar dem
- einzelnen Zeugen davon abgeraten, Besttigungen fr den eigenen
- Glauben zu finden. Der Normalzeuge verteidigt alles, was die
- Wachtturm-Organisation sagt, und vertraut vollstndig auf sie und
- ihre Erklrungen, mgen sie auch bisweilen etwas dmmlich und ohne
- reale Basis sein. Ein Beispiel hierfr ist die Lehre, dass das
- buchstbliche Herz und nicht das Gehirn der Ursprungsort mensch-
- licher Gefhle, Einstellungen und Werturteile sei (Wachtturm 1.
- Juni 1971, S. 325-344). Diese Ansicht lsst sich nicht mit der
- Tatsache in Einklang bringen, dass ein Patient, dessen Herz durch
- eine Kunststoffpumpe ersetzt wurde, hinterher immer noch dieselben
- Gefhle und Einstellungen hat wie vorher, wenn man einmal von den
- Nachwirkungen des medizinischen Eingriffs absieht.
-
- Oft ndert sich eine Lehre, wenn die Wirklichkeit unmittelbar
- erfahren wird. Cetnar (zitiert in Gruss 1974) bericht von der
- frheren Auffassung, Zeugen, die zur irdischen Klasse gehren,
- knnten in Zeiten der Gefahr den besonderen Schutz Gottes erwarten,
- da die meisten von ihnen Harmagedon berleben und in Gottes neue
- Welt gelangen wrden. Im Gegensatz dazu knnten Zeugen, die zu den
- Gesalbten zhlen (die sogenannte "himmlische Klasse"), damit
- rechnen zu sterben, so dass sie diesen Schutz nicht htten. Cetnar
- zitiert Konrad Franke, den ehemaligen deutschen Zweigaufseher (ein
- hochrangiger Beamter der Wachtturm-Organisation), der einmal
- erzhlte, wie whrend des Zweiten Weltkriegs einige Zeugen, die
- sich als zu der irdischen Klasse (der "grossen Volksmenge")
- gehrend betrachteten, auf Grund dieses Glaubens sich weigerten,
- bei Luftangriffen der Royal Air Force den Luftschutzbunker
- aufzusuchen. Whrend sie gerade dabei waren, den Tagestext aus der
- Bibel zu besprechen, fiel eine Bombe genau auf sie, so dass fast
- alle auf der Stelle tot waren. Diese und hnliche Erfahrungen
- bewirkten, dass man diese Glaubensansicht berdachte und spter
- nderte.
-
- Derartige Probleme sind dem denkenden Zeugen eher bewusst. Er neigt
- auch weniger dazu, sie wegzuerklren, so wie das die Wachtturm-
- Organisation manchmal auf reichlich fantasievolle Weise zu tun
- versucht. Geistig wachere Zeugen fhlen sich insbesondere durch die
- haltlosen, weil schlecht recherchierten Ansichten der Wachtturm-
- Organisation abgestossen (die dann hufig gendert werden mssen).
- Dazu zhlen die Ablehnung des Impfens, von Kochgeschirr aus
- Aluminium und die wiederholten falschen Vorhersagen von Daten fr
- bestimmte Ereignisse (die vielfach aufgegeben, umgedeutet oder
- still und leise vergessen werden) (White 1967; Zygmunt 1970; Franz
- 1983). [...]
-
-
- Sogar aufrichtige Fragen knnen zu Problemen fhren
-
- Wer dauernd Fragen stellt, die der Wachtturm-Fhrung nicht genehm
- oder peinlich sind, wird in vielen Fllen mit einem Gemeinschafts-
- entzug abgefertigt. Ist jemand ausgeschlossen, darf kein anderer
- Zeuge etwas mit ihm oder seinen Gedanken zu tun haben - und
- anstosserregende Gedanken werden oft zu seinen Gedanken, auch wenn
- viele sie hegen. Damit sind diese Gedanken unzugnglich und drfen
- mit keinem anderen Menschen besprochen werden. Es ist sogar
- verboten, Briefe oder Bcher von ihm zu lesen, denn das wre
- "Gemeinschaft pflegen durch das geschriebene Wort". Wenn dann
- jemand dieselben Fragen stellt, ist folglich der Versuch, diese zu
- beantworten, im wesentlichen bereits "Gemeinschaft" mit einem
- Ausgeschlossenen oder zumindest mit seinem Gedankengut - und das
- ist verboten! Nach diesem Schema ist mehrfach vorgegangen worden,
- um sich der Beantwortung unangenehmer Fragen zu entziehen. Bestic
- nennt ein Beispiel (1971:231):
-
- "Diese Auffassung trat bei einer Fernsehsendung zutage, in
- der kein Zeuge auftreten wollte. Man sagte [...], dass kein
- Aktiver mitmachen knne, wenn in derselben Sendung auch
- Ausgeschlossene dabei seien. [...] Tatsache ist, dass gar keine
- ausgeschlossenen Zeugen Jehovas teilnahmen, nur solche, die die
- Gemeinschaft von sich aus verlassen hatten. Aber das machte
- keinen Unterschied fr die Wachtturm-Oberen."
-
- [...] Wer mit der Lehre der Wachtturm-Organisation nicht in voller
- bereinstimmung ist, soll still sein und selbst sehen, wie er mit
- seinen Fragen klar kommt, oder die Gemeinde verlassen. Wenn
- aufrichtige Fragen nicht erwnscht sind, sehen sich viele Zeugen
- gezwungen, ihre Besorgnisse fr sich zu behalten. Ehrliche Fragen
- drfen nicht laut ausgesprochen, sondern sollen unterdrckt werden.
- Oft qulen sie die Zeugen im Unbewussten und rufen psychosomatische
- Symptome wie Asthma, Bluthochdruck, Geschwre oder andere Strungen
- hervor.
-
-
- Das Problem des Zweifels
-
- Bei Untersuchungen von Personen, die geisteskrank geworden sind,
- stellt man fest, dass sie vor allem mit Fragen des Lebenssinns, der
- Ziele und des Berufs ringen. Das mag mit krperlichen Mngeln zu
- tun haben oder mit Zweifeln daran, ob die eigene Lebensphilosophie
- oder das Wertesystem noch stimmen (Andre 1980). Wer einen Beruf
- hat, bei dem der Sinn der Ttigkeit vor Augen liegt, hat solche
- Sorgen kaum. Und auf religisem Gebiet duldet kaum eine Sonderge-
- meinschaft, dass man ihre Grundlagen anzweifelt und beispielsweise
- grundstzliche Fragen ber die Auffassungen des Sektengrnders
- stellt, sei es nun Joseph Smith bei den Mormonen, Dr. John Thomas
- bei den Christadelphianern oder Charles Taze Russell bei den
- Jehovas Zeugen. Auch wenn viele Zeugen in ihrer Religion ganz
- aufgehen, haben sie ab und an doch alle ihre Zweifel. Und da die
- Religion oft ihre ganze Welt darstellt, knnen Zweifel in diesem
- Bereich usserst traumatisch sein. Bei den Zeugen werden Zweifel
- einem Aussenstehenden gegenber praktisch niemals erwhnt, doch
- wenn ein Therapeut ihr Vertrauen gewonnen hat, bekommt er oft ganz
- grundlegende Zweifel zu hren.
-
- Die Zweifel knnen verschiedene Form haben: Es werden klare
- Widersprche in der Literatur der Wachtturm-Gesellschaft entdeckt,
- Fehlverhalten hoher Funktionre wird erlebt, Prophezeiungen
- schlagen fehl, Lehren werden gendert, oder es sind blitzartig
- auftauchende Einsichten wie: "Hat Gott berhaupt ein Recht, ein
- Drittel der Menschheit zu vernichten, wie die (Wachtturm-)Gesell-
- schaft es lehrt, wenn er alle Chinesen in Rotchina sterben lsst,
- nur weil ihnen die Botschaft der Zeugen nie gepredigt wurde, mit
- der Begrndung, die Regierung treffe die Entscheidung fr die
- gesamte Nation?" Dieser Fall liegt hnlich wie der von unmndigen
- Kindern, die gerettet werden, weil ihre Eltern gerettet werden;
- doch wenn die Eltern in Harmagedon vernichtet werden, sind auch
- ihre kleinen Kinder verloren. In diesem Fall spielt der Vertreter
- der Regierung die Rolle der Eltern und das Volk die der Kinder. Fr
- viele Zeugen ergibt sich nach der Logik der Wachtturm-Gesellschaft
- eine hchst ungerechte Lage. Sogar ihren Fhrern sind Zweifel
- gekommen, als Prophezeiungen fehlschlugen. Russells Hoffnung, das
- Jahr 1914 werde das Ende des "Systems der Dinge" bringen, erfllte
- sich nicht. Er gab selbst zu, dass seine Erwartungen sich nicht
- besttigt hatten. Er starb am 31. Oktober 1916, nur zwei Jahre nach
- 1914. Der dritte Prsident der Gesellschaft, Knorr, erwartete nach
- Aussage seiner Vertrauten, dass das "Ende" im Oktober 1975 ein-
- treffen wrde. Er starb 1977, ebenfalls etwa zwei Jahre danach.
- Beide Mnner waren mit Sicherheit sehr enttuscht, und beide lebten
- nur wenige Jahre ber den Zeitpunkt hinaus, den sie so lange Zeit
- ihres Lebens herbeigesehnt hatten.
-
- Allgemein wird anerkannt, dass zwischen beruflicher Ttigkeit,
- emotionalen oder religisen Konflikten und dem auftretenden
- psychopathologischen Erscheinungsbild ein enger Zusammenhang
- besteht.Menschen, die sehr streng geordnete, starre religise
- Ansichten vertreten, zeigen am ehesten folgende Persnlichkeits-
- merkmale: Sie sind autoritr, beraggressiv, unterwrfig, kon-
- ventionell, identifizieren sich mit Mchtigen, wollen immer andere
- bestrafen, neigen zu Projektionen und zu klischeehaften Anschau-
- ungen. Jehovas Zeugen identifizieren sich sehr stark mit der
- Wachtturm-Organisation und projizieren ihre Probleme schnell auf
- den Rest der Welt.
-
- Zudem verfgen sie ber eine ausgeprgte Bestrafungsmentalitt, was
- sich besonders in ihrem Verstndnis von Harmagedon und noch mehr in
- der Art und Weise zeigt, wie mit Aufmpfigen in der Gemeinde
- umgegangen wird. Komplexes Verhalten deuten sie mit Hilfe von
- Klischeemustern. So sind sie vielfach der Ansicht, andere Menschen
- seien vor allem schlechte Menschen und die Zeugen seien berwiegend
- gut; die Geistlichkeit der Christenheit wird oft so dargestellt,
- als sei sie nur hinter dem Geld her, whrend die Zeugen immer nur
- an andere abgeben. Die Geistlichkeit ist vor allem an ihren
- selbstschtigen Zielen interessiert, die Zeugen hingegen nur daran,
- anderen zu helfen. Die Zeugen neigen dazu, die gesamte Menschheits-
- geschichte auf einige wenige grobschlchtige Vereinfachungen zu
- reduzieren.
-
-
- Die Zeugen und die Aussenwelt
-
- Die Wachtturm-Gesellschaft spricht sich ganz offen gegen den Umgang
- der Zeugen mit Aussenstehenden aus, damit sie "von der Welt
- unbefleckt" bleiben. Dadurch, dass sie mit Feiertagen und Festen
- jeder Art nichts zu tun haben sollen, werden sie hufig von ihrer
- ferneren Verwandtschaft abgeschnitten, manchmal auch von den
- nchsten Verwandten. Da sie ermahnt werden, zu Aussenstehenden
- nicht "bermssig freundlich" zu sein, meiden sie alle engeren
- sozialen Kontakte mit Nichtzeugen. Dementsprechend kommen Sport,
- Hobbies, Weiterbildung, Bodybuilding und Fitnessclubs nicht in
- Frage. Abgesehen von gelegentlichen Picknicks mit der Familie oder
- einem freundschaftlichen Fussballspiel (dieses aber nicht zu oft,
- und ohne jeden Anschein eines Wettkampfs), werden fast keine Formen
- der Unterhaltung gepflegt. Selbst das Lesen von Schriften, die
- nicht von der Wachtturm-Gesellschaft herausgegeben wurden, ist
- verpnt (eine Ausnahme bildet dabei vielleicht die rtliche
- Tageszeitung), und selbst bei der Wachtturm-Literatur wird nur
- diejenige neueren Datums empfohlen. So werden sie wirkungsvoll von
- der Aussenwelt abgeschnitten. Darber hinaus wird den Zeugen
- stndig davon abgeraten, sich fr die finanzielle Verbesserung der
- eigenen Lage einzusetzen, schriftstellerisch ttig zu werden, sich
- in irgendeiner Form als Brger in der Gemeinde zu engagieren oder
- sonstwie Freiwilligenarbeit zu bernehmen, berstunden zu leisten,
- sich fortzubilden, eine berufliche Karriere anzustreben, sich an
- Auto-oder Pferderennen zu beteiligen, bei Glcksspielen mit-
- zumachen, Nachtclubs, Bars und Theater zu besuchen, und zu allem
- kommt eine schier endlose Liste von Verboten. All das fhrt dazu,
- dass Jehovas Zeugen von der Normalgesellschaft abgelst leben.
- Natrlich ist eine Reduzierung bei einigen dieser Aktivitten sogar
- ntzlich, doch die Zeugen machen die Liste so umfangreich, dass sie
- fast alles umfasst, was Kontakt mit Aussenstehenden bedeutet.
- Ein Ergebnis dieser endlosen Verbote ist, dass die Zeugen ganz von
- allein gezwungen werden, in ihre eigene Traumwelt zu fliehen.
- Besonders trifft das auf solche zu, die generell Mhe haben, die
- Anerkennung ihrer Mitmenschen zu erringen, oder die aus Grnden,
- die in ihrer Person liegen, innerhalb der Welt der Zeugen keinen
- Kontakt finden. Wie schon gesagt, wird den Zeugen davon abgeraten,
- Selbstbesttigung und Anerkennung ausserhalb der Wachtturm-Gemein-
- schaft zu suchen. Die Folge ist, dass es in der Versammlung einen
- betrchtlichen Wettstreit um Anerkennung gibt. Da es in jeder
- Versammlung so viele gibt, die sich selbst besttigen wollen,
- hierfr aber nur wenige anerkannte Wege offenstehen, kommt es immer
- wieder zu neuen Konflikten.
-
- Durch die Absonderung von der Welt, wie sie Jehovas Zeugen und
- viele andere Sekten pflegen, steigt die Zahl psychischer Er-
- krankungen und Selbstmorde in ihren Reihen. Die sterreichische
- Psychologin Margarete von Andics fand in der 1930er Jahren bei 100
- Gesprchen mit Patienten der Wiener Klinik fr Psychiatrie und
- Neurologie, die einen Selbstmordversuch berlebt hatten, heraus,
- dass nicht ein einziger dieser Patienten in einen grsseren
- sozialen Rahmen eingebettet war als den der Familie oder Freunde,
- als der Selbstmordversuch unternommen wurde. Ihre Schlussfolgerung
- lautete: "Wer keinen Anteil daran hat, das Rad der Welt zu drehen,
- der lebt in einer Situation, die ihm das Leben bald sinnlos
- erscheinen lsst." Damit das Individuum das Gefhl hat, ein
- sinnvolles Leben zu fhren, muss es eingebunden sein in die
- Menschheit als Ganzes oder einen bedeutenden Teil davon und sich
- damit identifizieren knnen.
-
- Wenn die Zeugen das Gefhl htten, ein wichtiger und notwendiger
- Teil der Wachtturm-Bewegung zu sein, dann wre dieses Bedrfnis
- befriedigt. Wenige Zeugen aber bleiben lngere Zeit ein fester
- Bestandteil dieser Gemeinschaft. Menschen, die zum Wachtturm oder
- zu anderen kleinen, geschlossenen Gemeinschaften mit enger
- Zielsetzung gehren, knnen bis zu einem gewissen Grad auf die
- Verfolgung "grosser Ziele" verzichten, aber nur, wenn sie von
- dieser Gruppe akzeptiert und emotional wie spirituell von ihr
- gesttzt werden. [...]
-
- Trotz des engen sozialen Zusammenhalts gibt es bei den Zeugen einen
- berraschend hohen Grad an sozialer Isolierung. Das zeigt sich
- beispielsweise darin, wieviele Kontaktanzeigen in einigen Zeitungen
- und Zeitschriften von Zeugen Jehovas aufgegeben werden. So fanden
- sich allein in der Ausgabe des Midnight Globe vom 16. August 1977
- vier Anzeigen, obwohl insgesamt nur zwei kleine Zeitungsseiten fr
- Anzeigen zur Verfgung standen. Ein hnliches Bild ergab sich in
- Ausgaben neueren Datums. [Entsprechendes gilt auch fr deutsch-
- sprachige Zeitungen, allen voran Heim und Welt. Anm.d.bers.] Noble
- (1982) kommt zu dem Schluss:
-
- "Jehovas Zeugen sind es nicht gewohnt, ber ihre Gefhle zu
- sprechen, und daran liegt es meines Erachtens auch, dass wir so
- sehr leiden, wenn wir uns schliesslich von ihnen trennen. Wir
- haben Angst, zum Psychologen zu gehen, denn "wenn wir wirklich
- Gott auf unserer Seite htten, wre das nicht ntig", wie die
- Gesellschaft immer sagt. Dieser Haltung folgt natrlich die
- ganze Herde, und wenn wir doch einmal psychisch erkranken, ist
- es uns zu peinlich oder demtigend, professionelle Hilfe in
- Anspruch zu nehmen."
-
-
- Weitere Auswirkungen der Zugehrigkeit zu einer abgesonderten
- Gemeinschaft
-
- Wenn jemand ganz in einer Gruppe aufgeht, werden die Ziele der
- Gruppe zu seinen eigenen. Man wird gefgig und hat keine eigenen
- Antriebe und Wnsche mehr. Zur Stabilisierung der Gruppe werden
- stndig hautnahe Schilderungen der Verfolgung in Malawi und Nazi-
- Deutschland vorgetragen. Die Werbettigkeit von Tr zu Tr und auf
- andere Weise zwingt die Gruppenangehrigen, sich gegenseitig
- Rckhalt zu geben, um ihren Glauben zu verteidigen. Und da die
- Zeugen sich nicht zuviel Besttigung in der "Welt" holen sollen,
- sind sie gezwungen, ihre normalen psychischen Bedrfnisse innerhalb
- der Versammlung zu befriedigen. Das fhrt, wie schon gesagt, dazu,
- dass sich eine grosse Anzahl Menschen bestndig abzappelt, ihre
- Bedrfnisse zu befriedigen, nur weil einige wenige, nmlich die
- oberste Fhrung, das so wollen. Die Folge ist, dass soziale
- Bedrfnisse unerfllt bleiben und Selbstbesttigung fr viele nicht
- zu haben ist. Von Selbstverwirklichung wird abgeraten, so dass
- diese nicht einmal versucht wird (Maslow 1968). Wie zu erwarten,
- muss das zu Frustration und Schwermut fhren, weil Bedrfnisse
- nicht erfllt werden, die wir alle haben und die so grundlegend wie
- das Essen und Trinken sind. Lebenswichtige Ich-Bedrfnisse werden
- nicht hinreichend anerkannt. Von den Zeugen wird erwartet, dass sie
- diese smtlich und vollstndig unterdrcken. In mancher Hinsicht
- sind sie so asketisch und isoliert wie extreme Sekten der Hindus
- oder der Christenheit, nur auf andere Weise. [...]
-
-
- Einige positive Auswirkungen der Zugehrigkeit zu einer kleinen
- Gruppe
-
- Kleine Gruppen mit engen Zusammenhalt haben vielfltigen sozialen
- und psychologischen Nutzen. Da die Zeugen aufgefordert werden, vor
- allem mit anderen Zeugen Umgang zu pflegen, und da die Gemeinden
- normalerweise 50 bis 150 Personen stark sind, ergibt sich zwangs-
- lufig, dass es weniger Diskriminierungen wegen der Rassenzugeh-
- rigkeit oder des Alters gibt (Cole 1953; Penton 1985). Die Zeugen
- werden zu freundschaftlichem Verkehr mit Glaubensgenossen jeden
- Alters aufgefordert, vor allem aber mit den lteren. Weil die
- Versammlungen so klein sind, kommt es selten vor, dass viele
- gleichaltrige Kinder oder Jugendliche zusammen sind. Selbst wenn
- diese also hauptschlich mit ungefhr Gleichaltrigen zusammen sind,
- zhlen dazu meist mehrere Altersgruppen. So kommt es, dass die
- meisten Zeugen Jehovas mit Personen der verschiedensten Alters-
- gruppen engen Umgang pflegen.
-
- Wer mit wem Kontakt hat, hngt vor allem davon ab, wer in der Nhe
- wohnt. Oft haben Zeugen Spielkameraden oder Freunde in ungefhr
- demselben Alter, selten jedoch im selben Alter. Dass dies gute
- Wirkungen zeitigt, wird aus den Forschungen Bronfenbrenners
- deutlich (1973).
-
- Kleine Gruppen mit engem Zusammenhalt weisen aber auch negative
- Aspekte auf, vor allem ein hohes Mass an internen Reibereien, was
- man bei den Zeugen sehr hufig antrifft. Der Mangel an menschlicher
- Rcksichtnahme wird mit der Theorie erklrt, dass weniger Angst
- besteht, die Freundschaft eines Glaubensbruders zu verlieren, denn
- man braucht sich weniger Sorgen zu machen, dass man Dinge tun
- knnte, die den anderen aufregen. Diese Verallgemeinerung sttzt
- sich auf folgenden Gedankengang:
-
- "Wenn ich mich nicht intensiv um das Verhltnis zu meinem
- Nachbarn kmmere, kann es sein, dass er mich ablehnt, denn uns
- verbindet eigentlich nur die Tatsache, dass wir in derselben
- Gegend wohnen. Bei meinen Glaubensbrdern ist das aber anders.
- Wenn ich mir zum Beispiel etwas bei einem von ihnen borge und
- es nicht zurckgebe, dann ist er praktisch gezwungen, weiter
- mit mir Umgang zu pflegen, denn wir sitzen beide im selben Boot
- und sollen keine engen Kontakte mit Aussenstehenden haben.
- Gegenber anderen Zeugen kann ich mich also ungefhr so
- verhalten wie gegenber einem Familien-mitglied. Da ich mir
- keine grossen Sorgen darum mache, seine Freundschaft zu ver-
- lieren, kann ich also frei heraus sagen, was ich von ihm halte.
- Ausgeschlossen sind allerdings vielleicht negative Ansichten
- ber die Wachtturm-Gesellschaft" (aus einem Gesprch mit Webb
- Switzer, einem ehemaligen Zeugen Jehovas, 4. Mrz 1979). [...]
-
-
- Zusammenfassung
-
- Dieses Kapitel untersuchte die vielen Faktoren, die hufig als
- wesentlich fr die hohe Zahl psychischer Erkrankungen bei Zeugen
- Jehovas angesehen werden. Zu diesen Faktoren zhlen:
-
- 1. Ein grosser sozialer Druck, der dazu fhrt, dass die Zeugen
- wirtschaftlich und bildungsmssig auf niedrigem Niveau verharren,
- selbst wenn die Fhigkeiten zur Verbesserung der Lebensumstnde
- vorhanden sind.
- 2. Die Ablehnung von bereichernden Beschftigungen wie Musik,
- Sport, Kunst und die Ausbung von anderen Hobbies, dazu von
- befriedigender beruflicher Ttigkeit.
- 3. Sozialer Druck, der sich gegen intellektuelle Bettigung jeder
- Art richtet. Hierunter leiden insbesondere die aktiveren, belesene-
- ren und zur Eigenbeobachtung neigenden Zeugen.
- 4. Fehlende Befriedigung allgemeiner psychischer und emotionaler
- Bedrfnisse der Zeugen durch die Wachtturm-Organisation.
- 5. Zahlreiche nderungen von Lehrpunkten, oberflchliche und
- ungengend durchdachte theologische Ansichten sowie Mangel an
- menschlichem Einfhlungsvermgen seitens der Wachtturm-Zentrale.
- Einige Einzelflle von Zeugen, die an Verbrechen beteiligt waren,
- wurden vorgestellt. Erkenntnisse aus vorangegangenen Kapiteln
- flossen in diese Betrachtungen mit ein.
- Ein traditioneller Forschungsgegenstand ist die Frage, ob die
- Religion der Wachtturm-Gemeinschaft geistige Erkrankung hervorruft
- oder ob sie Menschen mit psychischen Problemen besonders anzieht.
- Wahrscheinlich stimmt beides, wie in einem der nchsten Kapitel zu
- besprechen sein wird.
-
-
-
-
- Kapitel 6:
- Die Problemfelder Gemeinschaftsentzug und lteste
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- [...]
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- Zusammenfassung
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- Dieses Kapitel befasste sich mit der Tatsache, dass es vielen
- ltesten an der Ausbildung fehlt, die ntig ist, um mit den
- Problemen der Zeugen angemessen umgehen zu knnen. Die meisten
- neigen dazu, sich sehr autoritrer, strafender Methoden zu
- bedienen, um allgemein menschliche Probleme zu lsen. Selten werden
- gangbare Alternativen genutzt, um einzelnen problembeladenen Zeugen
- zu helfen und sie zu bessern. All das wird noch erschwert durch die
- Praxis des Gemeinschaftsentzugs, die im Kern darin besteht, alle
- diejenigen aus der Gemeinschaft herauszuwerfen, mit deren Problemen
- man nicht fertig wird. Der Gemeinschaftsentzug dient einerseits als
- Druckmittel, um die Zeugen zu konformem Verhalten zu zwingen,
- andererseits sollen damit gesundheitliche und soziale Probleme
- erledigt werden, die zu lsen die ltesten und die Wachtturm-
- Organisation unfhig sind. Dieses Vorgehen mag vielleicht die Herde
- einschchtern, es bewirkt aber mehr Schlechtes als Gutes.
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- Kapitel 7:
- Das Leben als Zeuge Jehovas
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- Den meisten Zeugen bereitet es Probleme, dass stndig hchste
- Ansprche an ihre Zeit, Gefhle und Selbstbeherrschung gestellt
- werden. Von jedem wird erwartet, dass er neben dem Besuch von
- wchentlich fnf Zusammenknften (und allein die Vorbereitung
- hierfr dauert zustzliche Stunden, wenn man gewissenhaft ist)
- persnliches Studium betreibt, von Haus zu Haus und auch zu anderen
- Gelegenheiten predigt, Rckbesuche und Heimbibelstudien durchfhrt,
- und das bei allen sonstigen Verpflichtungen. Wer dem nicht voll
- nachkommt, steht oft unter dem sozialen Druck der anderen; bleibt
- man erheblich unter dem erwarteten Pensum, kann einem ein Besuch
- von ltesten blhen. Weiterhin fllt betrchtliche Fahrzeit an, um
- drei- oder viermal wchentlich zum Knigreichssaal zu gelangen. In
- lndlichen Gegenden kann das noch einmal vier Stunden oder mehr
- erfordern.
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- Extrem hohe Erwartungen haben diese Organisation von Anfang an
- charakterisiert. Beachtenswert ist folgender Bericht von jemand,
- der den Zeugen zwanzig Jahre lang angehrt hatte, bevor er sich von
- ihnen trennte:
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- "Da ich mein ganzes Leben lang ein sehr eifriger Zeuge
- war, habe ich gelernt, mein Leben auf eine ganz besondere Weise
- zu fhren. Ich war stndig sehr stark beschftigt und habe mich
- stets bei allem, was ich tat, nach dessen Zweck gefragt. Zeugen
- Jehovas sind sehr zielorientiert und achten darauf, ihre
- gesamte Zeit voll auszukaufen, wenigstens war das bei mir so.
- Der regelmssige Besuch der Zusammenknfte (fnf Stunden jede
- Woche, dazu die Fahrzeit und das obligatorische Beisammensein
- hinterher) erforderten gewhnlich zehn bis zwlf Stunden
- wchentlich. Zur Vorbereitung waren weitere fnf Stunden ntig.
- Der Predigtdienst machte noch einmal sechs Stunden aus, so dass
- insgesamt mehr als zwanzig Stunden herauskamen. In unserer
- Versammlung wurde grosser Wert darauf gelegt, dass man an der
- Arbeit und in der Schule Gutes leistete, was wiederum bedeute-
- te, sich bei den Hausaufgaben, im Haushalt und bei anderen
- Aufgaben anzustrengen.
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- Da blieb wenig Zeit fr einen selbst brig. Und weil Sport
- und andere Erholung verpnt war (zumindest regelmssige Betti-
- gung), habe ich kaum Entspannung gesucht, bin fast nicht ins
- Kino gegangen und habe keine Bcher oder Zeitschriften gelesen.
- Nicht einmal ferngesehen habe ich. Darum dann auch die grosse
- Leere, als ich die Zeugen verliess. Ich hatte ja kein klares
- Ziel mehr. Jetzt musste ich mich selbst um andere Ttigkeiten
- bemhen, und dabei habe ich mich genau wie vorher verhalten.
- Ich stelle noch heute fest, dass ich, um geistig stabil zu
- bleiben, die meiste Zeit beschftigt sein muss, sonst berkom-
- men mich Ziellosigkeit, Depression und andere Probleme. Und
- doch bringe ich es kaum fertig, derart zielstrebig zu leben,
- wie ich es als Zeuge gewohnt war."
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- Wie sich hieran zeigt, fllt es denen, die die Gemeinschaft
- verlassen haben, grossenteils schwer, klare neue Ziele zu entwi-
- keln. Da sie whrend ihrer Zeit als Zeugen Jehovas kaum Ziele
- ausserhalb der Gemeinschaft gepflegt hatten, fehlt ihnen jetzt die
- Motivation fast ganz. Whrend man ein Zeuge ist, dreht sich das
- ganze Leben darum, neue Anhnger fr die Wachtturm-Organisation zu
- finden und deren Ziele zu verwirklichen. Sobald man sie hinter sich
- lsst, gibt es diese Ziele nicht mehr. Das fhrt dazu, dass viele
- ehemalige Zeugen ziellos durchs Leben wandern und sich oft monate-
- oder sogar jahrelang um gar nichts mehr kmmern. Sie schaffen es
- nicht, sich sinnvoll zu bettigen in einem Rahmen, der die
- Befriedigung der elementaren Lebensbedrfnisse bersteigt. Da sich
- Lebensziele gewhnlich herausbilden, whrend man noch sehr jung
- ist, kommt es kaum vor, dass jemand, der als Zeuge erzogen wird,
- sie in dieser entscheidenden Zeit herausbildet, und Ziele spter zu
- entwickeln, ist usserst schwierig.
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- Die emsige Ttigkeit, der die Zeugen whrend ihrer Zugehrigkeit zu
- der Organisation nachgehen, ist so beschaffen, dass sie eigentlich
- niemals fertig ist. Es gibt immer noch etwas zu studieren, neue
- Wachtturm-Ausgaben zu lesen, eine Zusammenkunft zu besuchen, einen
- "Rckbesuch" zu machen und immer so weiter. Der andauernde Druck
- lsst es selten zu, zwischendurch einmal zu verschnaufen und
- Rckblick zu halten, inwieweit ein Ziel schon erreicht wurde. Da
- das Ziel nicht klar umrissen ist, geht die Ttigkeit immer weiter,
- mit wenig Hhen und Tiefen, und selten hat man einmal ein Erfolgs-
- erlebnis. Nimmt man als Beispiel einen Schriftsteller, so kann es
- zwar sein, dass er dauernd an irgend etwas schreibt und immer mit
- einem Projekt beschftigt ist, doch irgendwann hat er es abge-
- schlossen und sieht ein fertiges Produkt. Dann kann er sich
- zurcklehnen und die Frchte seiner Arbeit geniessen, selbst wenn
- er bereits am nchsten Buch arbeitet. Die Frucht seiner Arbeit ist
- ein sichtbares Ergebnis, sei es nun ein Fachartikel, ein Buch oder
- eine kurze Meldung in einer Zeitschrift. Und whrend der Arbeit des
- Schreibens gibt es verschiedene Phasen zu durchlaufen, z.B.
- Nachforschen, Datensammeln, Literaturaneignung, Interviews,
- Schreiben, Korrekturlesen, um nur einige zu nennen. Der Abschluss
- jeder Phase vermittelt das Gefhl, etwas geschafft zu haben, dass
- man vorankommt, und das bedeutet Abwechslung.
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- Den meisten Zeugen Jehovas aber bleiben diese Gefhle versagt. Das
- kann sich schdlich auswirken, denn viele der Ttigkeiten der
- Zeugen sind ohnehin gewhnlich sehr langweilig, vermitteln kein
- baldiges Erfolgsgefhl und wiederholen sich. An jeder Tr werden
- die gleichen Gedanken besprochen, Monat um Monat, Jahr um Jahr.
- Eine Zusammenkunft nach der anderen wird besucht, Stunde um Stunde,
- Woche um Woche, Jahr um Jahr, und man hrt dort im wesentlichen
- immer dieselben Grundgedanken. In Wachtturm und Erwachet! stehen
- immer hnliche Dinge, Ausgabe um Ausgabe, viermal im Monat,
- achtundvierzigmal im Jahr, Jahr um Jahr. Es werden sogar immer
- dieselben Zitate gebracht. Eines, das die Zeugen jedes Jahr ein
- dutzendmal zu hren bekommen, ist eine obskure usserung einer
- kleinen, heute nicht mehr existierenden Religionsorganisation, die
- besagte, dass "der Vlkerbund der politische Ausdruck des Knigrei-
- ches Gottes auf Erden" sei. Diese Verlautbarung wird in Ansprachen
- und in den Zeitschriften der Zeugen wiedergegeben, um ihre
- Behauptung zu belegen, dass die Zeugen (damals noch Bibelforscher
- genannt) im Jahr 1914 , dem "Wendepunkt der Weltgeschichte", auf
- der Seite Gottes standen, alle Kirchen aber auf der Seite Satans!
- Ein bekannter Zeuge Jehovas fasste das Problem der rastlosen
- Geschftigkeit der Zeugen wie folgt zusammen:
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- "Und was die Haltung der Gesellschaft zu Fragen der
- psychischen Gesundheit angeht und ihre Ablehnung von Psych-
- iatern und Psychologen: wie erklrt sie sich, dass Zeugen
- Jehovas, die ihre ganze Kraft im Predigtdienst und beim Besuch
- der Zusammenknfte verausgaben, einen Nervenzusammenbruch
- erleiden? Mir sind viele Pioniere und Kreisaufseher bekannt,
- die einen Nervenzusammenbruch hatten. Meiner Meinung nach kann
- der Druck durch die fanatische Ttigkeit, der auf ihnen lastet,
- sehr wohl ein Hauptgrund fr ihre Probleme sein. Die Gesell-
- schaft meint, das hlt die Brder geistig stark, doch gerade
- das Gegenteil ist der Fall: es treibt sie in den Wahnsinn"
- (Brief von Chris Christenson, ehemaliger ltester, 6. August
- 1976).
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- Sowohl Aussenstehenden wie Jehovas Zeugen fllt auf, dass viele
- Zeugen, die sehr eifrig waren im Predigtdienst und beim Besuch der
- Zusammenknfte, psychisch erkrankten. [...] Wie bereits ausgefhrt,
- ist aber nicht die extreme Geschftigkeit allein die Ursache
- schwerwiegender psychischer Probleme. Zahlreiche Faktoren knnen
- den "geistigen Zusammenbruch" herbeifhren. Jemand kann durch
- seinen bermssigen Einsatz sein Unglcklichsein berdecken. Oder
- jemand ist mit ganzer Kraft aktiv und entdeckt dann die Schwach-
- stellen der Glaubensansichten der Zeugen, was dazu fhrt, dass er
- seinen vorherigen Einsatz bedauert. Wer sich ganzherzig der Sache
- der Zeugen Jehovas verschreibt, hat mehr zu verlieren, wenn er die
- unausweichliche Entdeckung macht, dass bei der Organisation nicht
- alles zum besten bestellt ist. Engagierte Zeugen werden also
- strkere innere Konflikte erleben, denn sie haben viel investiert
- und entsprechend auch mehr zu verlieren, wenn sich herausstellt,
- dass ihre Befrchtungen, die Zeugen knnten falsch liegen, sich
- bewahrheiten. Wer sich weniger stark eingesetzt hat, wird oftmals
- weniger Probleme haben, wenn er diese Entdeckung macht.
- Der Schritt vom festen Boden solider Tatsachen in den Sumpf
- unhaltbarer Schlussfolgerungen ist oft nur sehr klein, manchmal
- unmerklich. Wenn zwei Dinge miteinander in Beziehung stehen, heisst
- das noch lange nicht, dass eines die Ursache des anderen ist. In
- manchen Fllen kann eine psychisch unangemessene Reaktion darin
- bestehen, dass der Betreffende sich noch strker als Zeuge Jehovas
- einsetzt. Oft ist auch die unermdliche Bettigung gar nicht das
- auslsende Moment fr die psychischen Schden. Was wir als
- "Ursache" ansehen, kann sogar ohne jeden Zusammenhang mit den
- tatschlich verursachenden Bedingungen sein. Es kann reiner Zufall
- sein, dass wir einige Menschen kennen, die aussergewhnlich aktive
- Zeugen Jehovas waren und die einen Nervenzusammenbruch hatten.
- Vielleicht besteht ein Zusammenhang, doch unsere persnliche
- Erfahrung ist noch kein zwingender Beweis dafr. Oft genug sind A
- und B das Resultat eines weiteren Faktors C. Als Beispiel diene der
- Fall eines unsicheren Menschen, der sein Minderwertigkeitsgefhl
- mit aller Macht dadurch berwinden will, dass er anderen, die ihm
- viel bedeuten, zu Gefallen ist (in diesem Fall den Glaubens-
- genossen). Wenn er das durch rastlose Ttigkeit nicht zuwege
- bringt, kann es zum "Nervenzusammenbruch" kommen. Die Ursache
- hierfr ist in diesem Fall die Unfhigkeit, ein Ichbedrfnis zu
- befriedigen, und nicht die Ttigkeit an sich. So knnen Ichbedrf-
- nisse zu verstrkter Aktivitt fhren und dann zum Nervenzu-
- sammenbruch, wenn die Bedrfnisse sich auf diese Weise nicht
- erfllen lassen. Bei meinen Forschungen bin ich zu dem Schluss
- gelangt, dass dieser Hintergrund bei den Zeugen hufiger gegeben
- ist, und zwar besonders, weil es trotz hchster Anstrengungen bei
- den Zeugen nicht mglich ist, selbst normale Ichbedrfnisse zu
- befriedigen, weil das Belohnungssystem der Gemeinschaft dem
- entgegensteht.
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- Wie bereits besprochen, fordert die Wachtturm-Organisation, "alle
- Ehre Gott zu geben" und nicht dem einzelnen, der etwas erreicht,
- selbst wenn das sehr viel ist. Fr den erfolgreichen Zeugen ist es
- der Normalfall, herabgesetzt zu werden. Man erinnert ihn bestndig
- daran, dass er seine Erfolge nicht aus eigener Kraft, sondern nur
- durch Gott errungen habe. Immer wieder fhrt man mit ihm eine
- "Demutstour" ab ("Nun lass dir das mal nicht zu Kopf steigen,
- Bruder Neumann, dass du neun Zeitschriften abgeben durftest"), und
- das kann durchaus mit zu psychischen Fehlentwicklungen beitragen.
- Das stndige Herabspielen von Erfolgen im Alltagsleben zeigt sich
- auch auf andere Weise. Die Zeugen werden fortwhrend ermahnt, die
- offiziellen Wachtturm-Aktivitten zum wichtigsten Inhalt ihres
- Lebens zu machen. Erfolg oder Versagen in diesen Ttigkeiten steht
- in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erfolg oder Versagen
- als Person vor Gott. Der einzelne soll vollstndig in dieser
- Ttigkeit aufgehen. Die Wachtturm-Organisation betont, dass diese
- Ttigkeiten die einzig wahre Berufung fr den Zeugen darstellen.
- Selbst wenn man einer Vollzeitarbeit nachgeht, ist alle weltliche
- Beschftigung nur Nebenbeschftigung und daher zweitrangig.
- Jedes Versagen im Dienst fr die Wachtturm-Organisation wird zum
- persnlichen Versagen, mit allen dazugehrenden Folgen fr das
- Gefhlsleben. Und die Ttigkeit der Zeugen ist von ihrer Natur her
- reich an Fehlschlgen. Bevor ein Heimbibelstudium eingerichtet
- werden kann, mssen Tausende von Hausbesuchen durchgefhrt werden.
- Und viele Bibelstudien mssen begonnen werden, bevor auch nur eine
- Person ein aktiver Zeuge Jehovas wird. Von denen wiederum, die
- aktiv werden, gibt die Mehrzahl wieder auf. Wird jemand ein aktiver
- Zeuge und gibt nicht auf, so wird er oder sie im allgemeinen frher
- oder spter desillusioniert. Viele bleiben dann zwar aus sozialen,
- familiren oder persnlichen Grnden dabei, doch nur sehr wenige
- werden voll engagierte, ausgeglichene, hingegebene Zeugen fr
- lngere Zeit. Der Zeuge kann also gar nicht anders als versagen,
- mit dem Ergebnis, dass er entmutigt ist. Und "Entmutigung" ist ein
- hufiges Thema der Zusammenknfte. Immer wieder werden die
- Glubigen aufgefordert, sich ber "ermutigende" und "erbauende"
- Dinge zu unterhalten. Zu den wenigen Belohnungen, die die Gemein-
- schaft kennt, gehrt die Aussage "Das ist wirklich ermunternd" bzw.
- "Er ist ein auferbauender Bruder".
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- Diesem unvermeidlichen Versagen begegnet man auf vielerlei Weise.
- Den wichtigsten Beitrag zur Verminderung von Entmutigung leistet
- die Methode, den Zeugen so zu konditionieren, dass er Misserfolge
- erwartet. Er rechnet damit, dass man ihm die Tren vor der Nase
- zuschlgt. Er erwartet, dass die meisten Leute nicht zuhren
- wollen. Diese Erwartungshaltung trgt dazu bei, den Misserfolg zu
- verkraften. Man lernt, dass man damit rechnen muss, an Hunderten
- von Tren zu klingeln, um mit einigen Menschen reden zu knnen. Und
- man nimmt die Tatsache hin, dass die meisten, mit denen man reden
- kann, einfach nur hflich sind; die wenigsten sind wirklich
- interessiert. Man erwartet es, dass man sechs Monate mit jemand
- studiert (Heimbibelstudium genannt), um sich dann sagen zu lassen,
- dass er doch lieber kein Zeuge Jehovas werden will. Man lernt,
- damit zu rechnen, dass viele Personen, mit denen ein Studium
- durchgefhrt wird, sich taufen lassen, anfangs regelmssig in den
- Predigtdienst gehen und dann aufgeben. Doch vielen Zeugen fllt es
- schwer, sich mit diesen Fehlschlgen abzufinden, so sehr sie damit
- auch rechnen mgen. Misserfolg bleibt Misserfolg, auch wenn er
- erwartet wird, und ist deshalb enttuschend.
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- Die Zeugen Jehovas investieren ihr ganzes Leben in einen einzigen
- Lebenszweck, nmlich dem, der Wachtturm-Organisation zu dienen
- (nach ihrer Ansicht handelt es sich dabei um Dienst fr Gott),
- anstatt einer Vielzahl von Interessen zu folgen, mit denen Erfolg
- und Belohnung verbunden sind und die eine Identitt begrnden.
- Misserfolg oder Enttuschung auf diesem einen Gebiet wirkt sich
- daher verheerend aus. Die Zeugen werden regelrecht dazu angetrie-
- ben, sich nur auf diesem einen Gebiet zu bettigen. Von allem
- anderen, wie beispielsweise Hobbies (von Fotografie bis Malerei),
- wird streng abgeraten. Wer sich als Zeuge solchen "weltlichen
- Dingen" hingibt, wird stndig ermahnt, er oder sie solle "acht-
- geben, dass das Hobby nicht zu viel Zeit auffrisst" oder man stellt
- die Frage: "Meinst du wirklich, du knntest soviel Zeit fr derart
- selbstschtige Interessen opfern?" oder "Ich fr meinen Teil gebe
- lieber meine ganze Zeit fr Jehova und warne die Menschen vor der
- bevorstehenden Vernichtung". [...]
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- Konformittsdruck durch das Erzeugen von Schuldgefhlen
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- Die Technik zur Erzwingung konformen Verhaltens ist ganz einfach:
- Man impft dem Zeugen Schuldgefhle ein, weil er dem Diktat der
- Wachtturm-Organisation nicht folgt. Ein ganz hufiges Problem ist
- der unvermeidbare Konflikt zwischen den Anforderungen der Arbeits-
- stelle, der Familie und der Wachtturm-Organisation, bei dem die
- Wachtturm-Organisation gewhnlich Sieger ist. Man beachte folgendes
- Gesprch:
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- Tom: Kommst du heute zur Zusammenkunft?
- Bill: Nein, ich muss noch mehrere Berichte fr meine Dienststelle
- schreiben.
- Tom: Soll das etwa heissen, du kommst nicht zur
- Zusammenkunft?
- Bill: Ich habe in der letzten Zeit nie gefehlt,
- und ich stehe wirklich unter Druck, die Berichte fertigzustellen.
- Tom: Willst du wirklich das geistige Festmahl, das Jehova
- liebevoll seinem Volk bereitet, zurckweisen?
- Bill: Schliesslich muss ich auch fr meine Familie sorgen.
- Tom: Sag mal, Bill, meinst du tatschlich, wir knnten es wagen,
- Jehovas Angebot abzulehnen, wenn er uns in seiner liebenden Gte
- ein geistiges Mahl vorbereitet, an dem alle teilnehmen sollen, und
- stattdessen unsere selbstschtigen materiellen Interessen vor-
- anstellen? Die Schtze Jehovas sind unvergleichlich! Also Bill, ich
- kann dir ja die Entscheidung nicht abnehmen, aber ich persnlich
- geniesse jedes geistige Festmahl, das Jehova seinem Volk gibt und
- kann seine liebende Gte einfach nicht zurckweisen. Ich an deiner
- Stelle wrde noch einmal grndlich darber nachdenken, in welche
- Richtung ich da gehe. Wenn man fleischlichen, weltlichen Interessen
- den ersten Platz einrumt, kann das nur Jehovas Missfallen hervor-
- rufen.
- Bill: Tja, vielleicht kann ich die Berichte auch noch morgen frh
- vor der Arbeit anfertigen, wenn ich um vier oder fnf aufstehe.
- Durch Gesprche wie diese werden dem einzelnen Zeugen ganz
- unausweichlich emotionale Konflikte bereitet. Er ist vllig legitim
- daran interessiert, seinen Verpflichtungen gegenber Arbeitgeber
- und Familie nachzukommen, und steht doch stndig unter dem Druck
- seines Gewissens und seiner Glaubensbrder, die "Verpflichtungen"
- gegenber der Wachtturm-Organisation zu erfllen. Da knnen schwere
- Konflikte gar nicht ausbleiben. Oft genug bleibt nicht genug Zeit,
- um beiden Seiten zugleich gerecht zu werden.
- Derartige Konflikte fhren zu einer unechten Motivation. Die
- sogenannte "ganzherzige" Hingabe, die dem Einsatz fr die Organisa-
- tion gilt, entstammt nicht immer einem positiven Wunsch, sich zu
- engagieren, sondern zum Teil einer vorhandenen Furcht und Schuld.
- [...]
-
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- Demtigungen und der unsichtbare Talmud
-
- Die stndigen Ermahnungen im Wachtturm, von der Bhne und von
- einzelnen Zeugen, man solle mehr Zeit im Predigtdienst verbringen,
- "geistiggesinnt" sein, nicht so materialistisch und selbstschtig
- usw., bewirken gemeinsam mit den hufigen Zurckweisungen an der
- Tr, durch Nachbarn und Freunde, dass die Zeugen allgemein ein
- Gefhl der Minderwertigkeit haben. Da sie zur Kritik gegenber
- Glaubensgenossen neigen, kommt es sehr hufig zu Geschwtz. Nur
- wenige Zeugen leben nach dem oft unvernnftigen Massstab der
- Wachtturm-Organisation, so dass es in den meisten Gemeinden auch
- genug zum Tratschen gibt. Das Geschwtz ist ein Mittel, durch das
- der Schwtzer an Ansehen gewinnt, denn er erweckt den Anschein, auf
- dem Laufenden zu sein, eingeweiht zu sein und zum inneren Fhrungs-
- kreis zu gehren.
-
- Den ltesten ist gewhnlich sehr gut bewusst, dass es in den
- meisten Versammlungen reichlich Geschwtz, Verleumdung und
- Gehssigkeit gibt, dass viele an allem etwas zu bekritteln haben
- und was es an kompensatorischen Verhaltensweisen mehr gibt. Leider
- reagieren sie darauf im allgemeinen, indem sie einfach eine weitere
- Vorschrift erlassen: "Geschwtz ist verboten." Doch damit wird das
- Problem nur schlimmer. Nur wenige lteste erkennen oder wissen, aus
- welchen emotionalen Ursachen sich Geschwtz speist. Ihre Ermahnun-
- gen verlegen die sichtbaren Zwistigkeiten hchstens nach innen, was
- auf Dauer zu noch mehr Schwierigkeiten fhrt. Am hufigsten machen
- sich hierbei wahrscheinlich die ltesten schuldig, und zwar
- einerseits, weil man auf sie meistens mehr hrt als auf den
- Durchschnittsverkndiger, und weil sie andererseits wegen ihrer
- Stellung auch ber mehr Dinge Bescheid wissen, die sich als
- Geschwtz eignen. Was sie in den geheimen ltesten-Zusammenknften
- erfahren, ist nicht selten Wasser auf die Mhlen der Tratschmhle
- ihrer Versammlung. White (1967:388) stellt dazu fest:
-
- Die leitende Krperschaft hat den Zeugen Jehovas Gottes
- Gesetz mittlerweile genau wie das Mosaische Gesetz als eine
- Ansammlung von Ge- und Verboten vorgesetzt, so dass ihnen
- selten die Freiheit bleibt, ihr eigenes Urteilsvermgen zu
- gebrauchen. Das Ergebnis dieser Anhufung von Vorschriften ber
- Vorschriften ist, wie zu erwarten, ganz dasselbe wie beim
- Gesetz Moses im Volk Israel: Es kommt hufig vor, dass das
- theokratische Gesetz im Geheimen gebrochen wird, ohne dass das
- Rechtskomitee der Versammlung es merkt. Zahlreiche Haare werden
- gespalten darber, wie ein unwichtiger Erlass zu verstehen sei,
- whrend die gewichtigeren Dinge, deren Erfllung man nicht mit
- Gewalt durchsetzen kann, wie Nchstenliebe, Gerechtigkeit,
- Barmherzigkeit und Glauben, zu kurz kommen. Obendrein gibt es
- ein stndig zunehmendes Problem mit Gemeinschaftsentzgen und
- Fllen von Bewhrung, da kein Mensch ein Gesetz vollkommen
- halten kann.
-
- Ein zentraler Grund fr die hohe Zahl von psychischen Strungen,
- auf die in diesem Zitat angespielt wird, ist das enorme Gewicht des
- "unsichtbaren Talmuds" (Christenson 1976), der auf dem einzelnen
- lastet. Was die Organisation alles verbietet, umfasst eine schier
- endlose Liste. Die wesentlicheren Dinge seien im folgenden
- aufgezhlt:
-
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- Verpnte oder verbotene Ttigkeit Begrndung
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-
- 1. Grssen der Flagge, der Knigin oder anderer Gtzendienst, da Gott
- nationaler Symbole einzige Autoritt
- 2. Tragen oder Besitzen religiser oder fast Falsche Anbetung
- aller anderer Symbole
- 3. Fhnchenschwenken oder Teilnahme an jeglicher Geistige Hurerei
- nationalistischer Feier
- 4. Jegliche Verbindung zu oder Beteiligung an Geistige Hurerei
- anderen Religionen oder religis gelenkten
- Organisationen, einschl. Basaren, Gottes-
- diensten und Beerdigungen
- 5. Geburtstage Gtzendienst,weil
- Selbstverherrrlichung
- 6. Osterfeuer Religiser Hintergrund
- 7. Trinksprche bei Hochzeiten und sonst.Feiern Falsche Anbetung
- 8. Teilnahme an Wahlen Vermischung mit Welt
- 9. Arbeit im Rstungssektor Untersttzung welt-
- licher Kriege
- 10. Jegliche Verbindung zu Produktion und Verkauf Falsche Anbetung,
- von verpnten Gegenstnden, von religisen Gtzendienst
- bis zu pornographischen
- 11. Feiern von Weihnachten, Ostern und aller Heidnischer Brauch
- anderen Feste
- 12. Bluttransfusionen und Spenden von Blut Blutgenuss,daher falsch
- 13. Bcher anderer Religionen lesen verschmutzt den Sinn
- 14. Masturbation Selbstvergtzung, zu
- viel Interesse an Sex
- 15. Sterilisation (inzwischen gendert) Verhindert Emfngnis
- 16. Organverpflanzungen (inzwischen gendert) Nach der Bibel Snde
- 17. Mitmachen in Jugendvereinen Zeitvergeudung
- 18. Fettleibigkeit Missbrauch des Krpers,
- des Tempels Gottes
- 19. Glcksspiele, sogar das Werfen einer Mnze Satanisch; von ehr-
- um das Ausgeben von einem Glas Bier licher Arbeit leben
- 20. Jede Beteiligung an Politik, Bewerben um Unbefleckt von Welt
- Wahlmter aller Art bleiben
- 21. Jagen und Fischen Keine Acht. vor Leben
- 22. Seichte Filme ansehen Sndiger Einfluss; Zeit
- fehlt dem Predigen
- 23. Lachen ber schmutzige Witze Unmoralisch
- 24. Sich zum Klassensprecher whlen lassen Unbefleckt bleiben
- 25. Zu den Pfadfindern gehen Neutral bleiben; oft
- kirchlich orientiert
- 26. Tragen von Trauerkleidung Heidnischer Brauch
- 27. Sich zu rechtfertigen versuchen Mangel an Demut
- 28. Gewerkschaftsfunktionr sein oder sich an Bruch der Neutralitt
- Kampfmassnahmen aktiv beteiligen (z.B. whlen)
- 29. Verehrung und Nachahmung von Pop- u.Filmstars Gtzendienst
- 30. Berhmten Persnlichkeiten nachfolgen oder Menschenverehrung,
- ihren Philosophien unbiblische Werte
- 31. Sich als Jugendliche(r) mit Freund(in) ohne Sexuelle Versuchung
- Begleitung treffen
- 32. Reis werfen bei einer Hochzeit Heidnischer Brauch
- 33. Zuneigung ffentlich zeigen (ausser Begrssung) Sexuelle Versuchung
- 34. Spenden fr Rotes Kreuz oder and. Hilfsorgan. Untersttzung rel.Org.
- 35. Teilnahme an Brofeiern Weltliche Gesellsch.
- 36. Teilnahme an Gebet, das nicht von einem unta- Nur Zeugen sind wahre
- deligen, getauften mnnlichen Zeugen Jehovas Christen
- geleitet wird
- 37. Beim Geschlechtsverkehr mit dem Ehepartner Unmoralisch
- seiner Leidenschaft ungezgelt Lauf lassen
- 38. Fluchen oder Verwendung verpnter Ausdrcke obszne Rede
- 39. Teilnahme an Tnzen, die von ltesten als Sexuelle Versuchung
- anzglich bezeichnet werden, oder Tanzen mit
- jemand anders als dem eigenen Partner
- 40. Beteiligung an ausserschulischen Aktivitten Zeit fehlt f.Predigen
- 41. Rauchen Schdigung des Krpers
- 42. Drogen nehmen (ausser medizinische Zwecke) Schdigung des Krpers
- 43. Feiern von Kriegsveteranen/"Heldengedenktage" Verherrlich.von Pers.,
- die sich an Kriegen
- beteiligt haben
- 44. Lesen alter Wachtturm-Literatur und aller Gemeinschaft mit Bsen
- nicht von Zeugen Jehovas stammender Bcher und Weltmenschen
- 45. Ttigkeit als Geschworener bei Gericht Neutralitt
- 46. Ttigkeit bei Militr und Zivilschutz Weltliche Kriege
- 47. ben von Selbstverteidigungstechniken Militrischer Ursprung
- 48. Verkauf von Weihnachts-, Neujahrsgegenstnden Heidnischer Brauch
- 49. Versumen von Zusammenknften u.Predigtdienst Ungehorsam gegen Gott
- 50. Gebrauch von Wrtern wie Glck, ogott, herrje Bezeichnet Satan bzw.
- falsche Gtter/Lst.
- 51. Aufsuchen eines Psychiaters/Psychologen Kann irrefhren
- 52. Besuch von Hochschulen (sehr verpnt); Zeit fehlt dem Dienst,
- bestimmte Fcher sind verboten weltl.Gesellsch.
- 53. Beteiligung an Sozialreformen/Selbsthilfe Zeitvergeudung
- 54. Zweifeln an der Wachtturm-Organisation gegen Gott gerichtet
- 55. Schach, Dame, Karten u. hnliche Spiele Militrischer Charakt.
- 56. berstunden machen Zeit fehlt Predigen
- 57. Rockkonzerte besuchen Sndiger Einfluss; Zeit
- 58. Flirten ohne Heiratsabsicht Unmoralisch
- 59. Anfreunden mit Nachbarn weltl.Gesellsch.
- 60. Als Frau bei Zusammenkunft Hosen tragen Unangemess. Kleidung,
- dem Mann zu hnlich
- 61. Auffllige Frisur oder Kleidung tragen Lenkt Aufmerksamkeit
- auf den einzelnen
- 62. Gut ber einen politischen oder religisen Weltliche Dinge
- Fhrer sprechen (auch verstorbene)
-
- Es ist sehr schwer, smtliche dieser Verbote zu beachten. Einiges
- davon sollten wohl die meisten Menschen einhalten, doch bei vielen
- Dingen in der Liste knnen die wenigsten etwas Anstssiges entde-
- ken. Dazu kommt, dass die Wachtturm-Organisation ihre Position in
- bestimmten Punkten ndert, manchmal sogar ganz drastisch. Man kann
- daher gar nicht anders, als einige der Vorschriften zu verletzen,
- oder ist zumindest stark versucht, es zu tun. In vielen Fllen hat
- das bei den Zeugen einen stndigen inneren Konflikt zur Folge, ob
- man nun etwas tun soll oder nicht (approach-avoidance conflict).
- Der Glaube, die ganze Versammlung knne "den Geist Gottes ver-
- lieren", wenn ein einzelnes Mitglied eines der Gebote ungestraft
- bertritt, kann sich im einzelnen Zeugen verheerend auswirken,
- besonders wenn er an einem eher vagen Schuldgefhl leidet. Da es in
- den meisten Versammlungen jede Menge Probleme gibt, kann jeder, der
- sich irgend etwas zuschulden kommen liess, zu der Auffassung
- gelangen, er oder sie sei Schuld daran, dass Gott der Versammlung
- seine Gunst entzieht. Eine kleine bertretung einer der zahlreichen
- Vorschriften, die die Wachtturm-Organisation ihrer Anhngerschaft
- auferlegt hat, kann so zu einem riesigen Schuldgefhl fhren.
- Aussenstehenden erscheint die grosse Zahl von Ge- und Verboten fr
- Zeugen Jehovas fast unglaublich, und dabei stellt die Liste nur
- eine Auswahl dar; sie ist keineswegs erschpfend. Folgendes
- Beispiel zeigt, wie das Einhalten der Regeln in Haarespalten
- ausarten kann:
-
- "Als ich Aufseher der Predigtdienstschule unserer Versamm-
- lung war, wurde gerade eine neue Ausgabe des Schulungsbuches
- eingefhrt. Darin wurden die Redepunkte anders numeriert als im
- alten Buch, wenn sie auch in derselben Reihenfolge standen. Da
- praktisch alle in der Versammlung die alten Ratschlagzettel
- hatten, verwendete ich auch weiterhin die alte Numerierung.
- Schon bald wurde ich deswegen scharf angegriffen, weil ich "mit
- Jehovas Organisation nicht mithalten" wrde. Als ich erklrte,
- dass die alten Ratschlagzettel noch die alten Nummern trugen,
- wurde ich zurechtgewiesen, weil ich "Jehovas Gesetz, wie er es
- durch Seine Organisation kundgetan hat, nicht bis ins Kleinste
- befolgt" habe. Als Grundlage fr ihre Zurechtweisung beriefen
- sich die ltesten auf die Bibelstelle, in der es heisst, "wer
- im Geringsten treu ist, wird es auch im Grossen sein" (Lukas
- 16:10)".
-
- Man kann gar nicht gengend hervorheben, wie schwer es fr die
- Zeugen ist, all die Vorschriften einzuhalten und auch immer auf dem
- neuesten Stand zu sein. Werden nicht alle Verbote beachtet, so
- entsteht automatisch ein Schuldgefhl, das nach aussen als Ag-
- gression sichtbar wird, und zwar in Form von offenen Konflikten
- entweder in den Reihen der Zeugen oder mit Aussenstehenden. Wendet
- sich die Aggression aber nach innen, sind Depression, Nervositt
- und sogar Selbstmord die Folge, besonders wenn der Betreffende
- wegen seiner Schuld von den anderen verstossen wird.
- Der starke Konformittsdruck wirkt sich selbst auf Kleinigkeiten
- aus, die eigentlich offiziell der Gewissensentscheidung des
- einzelnen berlassen sind. Wer beispielsweise knstlerisch oder
- musikalisch begabt ist, htte Schwierigkeiten, dem offen nach-
- zugehen, auch wenn nur zur eigenen Freude, ohne nicht wenigstens
- von irgend jemand in der Versammlung dafr kritisiert zu werden.
- Manchmal ist es das Talent selbst, das die Schuldgefhle hervor-
- ruft, meistens aber vor allem der Wunsch, es zu verwirklichen. Wird
- er unterdrckt, so kann sich unbewusst eine feindselige Haltung
- gegen die ganze Organisation aufbauen, hufiger aber entsteht ein
- Gefhl der Schuld darber, dass man sich an knstlerischen Leistun-
- gen und am knstlerischen Schaffensprozess erfreuen mchte. Mglich
- ist auch eine Abneigung gegenber den Lehrpunkten, die einen
- abhalten, sein Talent zu frdern oder sich daran zu erfreuen. Wer
- sich eines Talents bewusst ist und es gerne pflegen mchte, wird
- keine innere Ruhe finden, ganz gleich wie er sich entscheidet.
- Viele der Eigenschaften, die die Wachtturm-Organisation so betont,
- wie Konformitt, unbedingter Gehorsam und vor allem Starrheit und
- Kompromisslosigkeit, sind auch genau die Momente, die emotionale
- Konflikte auslsen und zur psychischen Erkrankung und in den
- Selbstmord fhren.
-
- Sehr starre Anforderungen an das, was man zu glauben, zu tun und zu
- lassen hat, haben noch einen weiteren Nachteil. Sie tragen nmlich
- zur Naivitt und mangelnden Verantwortungsfhigkeit bei, die vielen
- Zeugen eigen ist. Da die Wachtturm-Organisation schon alle
- Entscheidungen fr den einzelnen Zeugen getroffen hat, besteht fr
- ihn nur selten die Notwendigkeit, moralische, ethische oder andere
- Fragen zu entscheiden. Man braucht nur herauszufinden, wie die
- Wachtturm-Gesellschaft etwas beurteilt, es zu bernehmen und danach
- zu handeln. Man braucht sich auch ber den Sinn des eigenen Lebens
- keine genauen Gedanken zu machen, denn der ist bereits vorgegeben.
- Man braucht nicht ber den Schriften zu brten, denn die Organisa-
- tion versteht sie bereits. Man muss lediglich bei der Wachtturm-
- Gesellschaft nachfragen, welche Bedeutung eine Textstelle hat. Man
- muss sich nicht den Kopf darber zerbrechen, welche Folgen die
- verschiedenen Handlungsmglichkeiten bei moralischen Entscheidungen
- haben knnten, denn zum grssten Teil hat die Organisation die
- Auswahl bereits getroffen. Man braucht sich keine Sorgen wegen der
- Berufslaufbahn zu machen, denn man sollte keine andere haben, als
- der Organisation zu dienen. Die Frage, wohin man in den Feiertagen
- fhrt und was man einkauft, stellt sich gar nicht, denn man feiert
- sie nicht. Nicht einmal ber die Informationsschwemme muss man sich
- Sorgen machen. A. D. Schroeder [Mitglied der leitenden Krper-
- schaft] betonte auf einem Kongress in Englewoood (Kalifornien),
- dass Jehovas Zeugen das Lesen smtlicher Verffentlichungen Aussen-
- stehender meiden sollten. Deren Lesen nehme viel Zeit weg, die man
- besser fr das Lesen der Wachtturm-Literatur oder fr das Predigt-
- werk einsetzen knne. Falls in "weltlichen" Bchern etwas Lohnens-
- wertes stehe, so Schroeder, dann werde die Gesellschaft es
- "herausschreiben und den Brdern in kurzgefasster Form zur
- Verfgung stellen, so dass sie es in wenigen Minuten lesen"
- knnten. Ganz offen verboten ist es ihnen, alles zu lesen, das
- gegen die Wachtturm-Organisation gerichtet ist.
-
- Dadurch, dass die leitende Krperschaft dem Durchschnittszeugen
- eine so grosse Zahl von Entscheidungen abnimmt, wird er auf Dauer
- in einem kindlichen Zustand gehalten. Den Anhngern wird in
- vielfltiger Weise verwehrt, erwachsen zu werden. Spricht man mit
- solchen, die es geschafft haben, selbstndig etwas zu lesen, zu
- studieren und allein in der Bibel zu forschen, so hrt man immer
- wieder die Klage: "Wann hrt die Organisation endlich auf, uns nur
- 'Milch' zu geben und fngt mal mit dem 'Fleisch' an? Es ist doch
- nicht jeder ein geistiges Kleinkind. Manche hungern richtig nach
- den tiefen Dingen, von denen die Organisation anscheinend nie etwas
- auftischen will."
-
- Wenn die Wachtturm-Gesellschaft das ist, was zu sein sie vorgibt,
- nmlich die Organisation Gottes, dann braucht man nur eines zu tun:
- sorgfltig zuhren und alles genau befolgen. Man ist gar nicht
- fhig, durch eigenes Denken etwas ber den Willen Gottes oder eine
- religise Frage herauszufinden. Wir mssen uns voll und ganz auf
- sie verlassen. Ein derartig hilfloser, infantiler Zustand verhin-
- dert oder beschrnkt die Entfaltung der meisten hherstehenden
- menschlichen Eigenschaften und Fhigkeiten, wie zum Beispiel der
- Kreativitt, und blockiert den hchst individuellen Wachstums-
- prozess und das innere Ringen, das uns erst menschlich macht. Die
- Abhngigkeit zeigt sich ganz deutlich darin, dass es kaum eigen-
- stndiges Denken unter den Zeugen gibt. Und da auf fast allen
- Gebieten des Lebens das Entwickeln von Kreativitt verpnt ist, ist
- gewhnlich Stagnation die Folge.
-
- Weshalb etliche Zeugen Jehovas der Wachtturm-Organisation den
- Rcken kehren
-
- Aus zahlreichen Berichten von Menschen, die den Zeugen Jehovas den
- Rcken gekehrt haben, wird sichtbar, dass einer der gngigen Grnde
- mit ihrer psychischen und geistigen Gesundheit zu tun hatte. So
- schreibt D'Haene (1977:9-11):
-
- "Nachdem eine Schwester aus der Versammlung ermordet und
- vergewaltigt worden war, begann eine regelrechte Hexenjagd auf
- jeden und man brachte alle nur denkbaren Anklagepunkte gegen
- alle mglichen Leute vor. Fr die Versammlung war das eine ihre
- schlimmsten Zeiten, was Gehssigkeit und Geschwtz betraf, und
- sie ist fast daran zerbrochen. Als man den Tter gefunden und
- vor Gericht gestellt hatte, atmeten alle auf. Wir dachten,
- jetzt werde sich endlich alles wieder beruhigen. Doch weit
- gefehlt! Man kramte lauter alte Geschichten aus, und dabei
- wurde auch ich [...] ausgeschlossen. Zuerst versprte ich eine
- Erleichterung, als die Last von meiner Seele war, doch dann
- traf es mich erst richtig.
-
- In der Welt hatte ich keine Freunde. Nach einem Jahr der
- Verbitterung ging ich zu den ltesten und bat um Wiederauf-
- nahme. Doch obwohl ich in Trnen aufgelst war, wiesen sie mich
- rundheraus ab. Das hat mich wie eine tonnenschwere Last
- getroffen. Mir war, als habe man mich in die Klte geworfen.
- [...] Ich wurde sehr verbittert und zog gegen jeden los, zu
- Haus und an der Arbeit. [...] Vor und nach meinem Gemein-
- schaftsentzug hatte ich mehrere Nervenzusammenbrche und meine
- Nerven waren in einem schlimmen Zustand. Ich brauchte jeden Tag
- vier Tabletten, um ruhig zu bleiben. Als Zeuge hatte ich viele
- schlaflose Nchte, [... jetzt aber, wo ich nicht mehr dabei
- bin, habe ich] keinerlei Gesprch mehr mit meiner Frau und
- meinen Kinder, denn so sieht es aus, wenn man bei Jehovas
- Zeugen ausgeschlossen wird. (Als ich mich von den Zeugen frei
- gemacht hatte, brauchte ich keine Tabletten mehr, denn ich
- hatte keine angegriffenen Nerven mehr.)"
-
- Vielen Zeugen erscheint ihre Glaubensgemeinschaft in einem neuen
- Licht, wenn sie ihre Probleme berwunden haben. Ist eine Therapie
- bei einem Zeugen Jehovas erfolgreich, dann hat er meist eine ganz
- andere innere Haltung gegenber der Organisation. Ein Therapeut
- fasste seine Erfahrungen wie folgt zusammen:
-
- "Meine Erfahrung bei der Behandlung von Jehovas Zeugen
- sieht so aus, dass sie im allgemeinen ein geringeres Bedrfnis
- nach ihrer Religion spren, wenn die Therapie anschlgt; oft
- trennen sie sich im Laufe der Zeit. Doch auch wenn die Mehrzahl
- meiner Klienten den Zeugen Jehovas den Rcken gekehrt hat,
- mache ich keine bewussten Anstrengungen, sie in dieser Richtung
- zu beeinflussen, oder schlage ihnen diese Alternative gar vor.
- Ich bemhe mich sogar gewhnlich, die ntzlichen Aspekte dieser
- Glaubensrichtung zu verwerten, um meinen Klienten zu helfen.
- Doch diesem allem zum Trotz hat der Gesundungsprozess an-
- scheinend einen starken Einfluss darauf, sie zum Gehen zu
- veranlassen. Auffllig ist, dass diejenigen Zeugen, denen ich
- in meiner Praxis nicht helfen konnte, auch die waren, die sich
- hartnckig an die Glaubensansichten der Zeugen klammerten."
-
- Eine Fallgeschichte verweist noch auf eine Reihe anderer Punkte,
- die damit im Zusammenhang stehen:
-
- "Ein 43jhriger Zeuge Jehovas, der angab, zu den Zeugen
- gehrt zu haben, solange er sich erinnern knne, litt an einer
- schwachen katatonen Schizophrenie. Seine Eltern waren bekehrt
- worden, als er sehr klein war. Er war verheiratet, hatte drei
- Kinder und war von Beruf Kraftfahrzeugmechaniker. Er hatte
- ziemlich spt geheiratet, weil die Wachtturm-Gesellschaft vom
- Heiraten abgeraten hatte, als er noch jung war. Da das Ende
- unmittelbar bevorstand, lehrte man, es sei selbstschtig, wenn
- der einzelne seine eigenen Bedrfnisse ber die der Wachtturm-
- Gesellschaft stelle. So kam es, dass er einige Jahre "Pionier"
- war. Er hrte damit auf, nachdem ihn bei seiner Ttigkeit von
- Haus zu Haus ein scharfer Hund angefallen hatte. Auch schon vor
- diesem traumatischen Erlebnis hatte er Angst vor Hunden, doch
- dieser Vorfall verstrkte die Angst so sehr, dass er jetzt eine
- klare Phobie aufwies, die es ihm "unmglich" machte, weiter
- Pionier zu sein. Nun hatte er einen seiner Ansicht nach
- triftigen Grund zum Aufhren. Er kaufte sich ein Haus und nahm
- bei einer Maschinenbaufirma Arbeit an. Sein Arbeitgeber
- beschwerte sich darber, dass er manchmal stundenlang auf
- seinem Hocker an der Werkbank sitze und in die Luft starre, und
- dass er manchmal Mhe habe, ihn wieder "zu sich zu bringen".
- Seine Frau brachte dieselben Klagen vor. Er sprach immer
- weniger und zog sich lieber in seine eigene Welt zurck. Es kam
- so weit, dass er sich von der Aussenwelt ganz abschottete.
-
- Bei der Therapie stellte sich heraus, dass er vor allem
- mit dem "neuen System der Dinge" beschftigt war, von dem die
- Zeugen sprechen. Er schuf sich eine Traumwelt und floh auf
- diese Weise vor den irdischen Dingen des gegenwrtigen Systems.
- Er hatte sich eine reiche Phantasiewelt geschaffen, in deren
- Mittelpunkt seine Vorstellung vom "neuen System" stand. Zum
- Teil grndete sie sich auf die Bilder in den Wachtturm-Ver-
- ffentlichungen, die das "neue System" darstellen sollen. Er
- sagte, er sei sehr unglcklich ber dieses "verderbte alte
- System der Dinge" und wolle in "dieser alten Welt" gar nicht
- mehr leben. Er konnte es gar nicht mehr abwarten, die Zeit des
- seiner Ansicht nach einzig lebenswerten Lebens zu erleben. Das
- Ergebnis war, dass er seiner Verantwortung im Leben innerhalb
- des jetzigen Systems nicht mehr gerecht wurde.
-
- Mit fortschreitender Therapie usserte er, weniger den
- Wunsch zu verspren, ber die neue Welt nachzudenken, und er
- habe auch nicht mehr so das Verlangen, die Zusammenknfte zu
- besuchen. Langsam kam seine Wut ber die Organisation zum
- Vorschein. Beim Abschluss der Therapie trennte er sich von den
- Zeugen vollstndig, mit der Begrndung, er "brauche sie jetzt
- nicht mehr"".
-
- Dieser Fall veranschaulicht mehrere wichtige Aspekte. Die Tendenz,
- sich zurckzuziehen und in einer Phantasiewelt zu leben, weisen
- viele Zeugen Jehovas auf. Es ist wahrscheinlich, dass der oben
- vorgestellte Klient den Glauben der Zeugen an das Neue System
- benutzte, um seinen Phantasievorstellungen Richtung und Inhalt zu
- geben. Zum Teil sind die Zeugen deswegen so viel mit dem Thema
- "neues System" beschftigt, weil die Organisation es stndig in den
- Vordergrund schiebt. Es werden Vergleiche angestellt, die zur
- geistigen Flucht einladen, wie zum Beispiel: "Sind wenige Minuten
- sinnlichen Vergngens es wirklich wert, das Leben in Gottes
- herrlichem neuen System der Dinge aufs Spiel zu setzen?" oder
- "Jehovas Zeugen sind wirklich ein glckliches Volk, denn wir knnen
- erwarten, auf immerdar in Gottes herrlichem Paradies zu leben, wo
- es keinen Schmerz und keine Verbrechen mehr geben wird, wo die
- Kinder mit allem wilden Getier spielen knnen, wo wir nicht alt
- werden und sterben oder uns mit Krankheiten plagen mssen, sondern
- Jehova jeden Tag lobpreisen knnen, und das in alle Ewigkeit."
- Derartige Vergleiche gibt es sowohl in der Literatur wie auch in
- den Vortrgen der Wachtturm-Gesellschaft immer wieder.
-
- Da die Bibel keine Einzelheiten ber den Zustand des Menschen in
- der Ewigkeit angibt, sind die Zeugen gezwungen, eine betrchtliche
- Zeit mit Spekulation ber dieses Thema zuzubringen. So kommt es zu
- Fragen wie: "Wird man Schmerz empfinden, wenn man Eis anfsst?"
- (Die Wachtturm-Organisation lehrt, dass die Schutzfunktion des
- Schmerzes weiterhin bestehen wird.) oder "Erkltet man sich, wenn
- man bei kaltem Wetter ohne Mantel hinausgeht?" (Hierzu wird gesagt,
- dass der vollkommene Krper seine Temperatur anpassen wird, so dass
- er berall auf Erden den richtigen Wert einhlt.) Da die Zeugen
- einen Grossteil ihrer Zeit und Energie mit Spekulationen ber das
- Leben in der Neuen Welt zubringen, kommen ihnen bisweilen auch
- Gedanken, von denen die Organisation sie lieber fernhalten mchte.
- Zudem erkennt man auch, dass der grsste Teil dieser Spekulationen
- auf schwankendem Boden ruht, selbst wenn er sich auf feste
- Wachtturm-Lehraussagen grndet. Darum werden die Zeugen hufig vor
- dem Spekulieren gewarnt, mit dem Tenor: "Wir wissen nur, dass die
- neue Ordnung ein vollkommenes Paradies sein wird. Jehova hat uns
- nicht alle Details gesagt, also wollen wir auch nicht darber
- hinausgehen."
-
-
- Theologische Fragen vermeiden
-
- Wenn man Jehovas Zeugen helfen will, ist es gewhnlich unergiebig,
- mit ihnen ber die Gltigkeit ihrer theologischen und philosophi-
- schen Ansichten zu diskutieren. Doch auch wenn es im allgemeinen
- fr den Therapeuten (und auch fr jeden anderen Helfer) das Beste
- ist, theologische Fragen zu meiden, kann es in Einzelfllen
- notwendig sein zu ermitteln, was jemand glaubt, um zu erkennen,
- inwieweit diese Ansichten dazu benutzt werden, ein unbewusstes
- Bedrfnis zu befriedigen. Allerdings ist eine Errterung theologi-
- scher Aspekte nur dann angezeigt, wenn der betreffende Zeuge
- vernnftig und rational darauf eingehen kann und der Therapeut
- sowohl das Lehrgebude der Wachtturm-Organisation wie auch das
- herkmmliche christliche gut berblickt. Die Diskussion von
- Streitpunkten fhrt den Zeugen unweigerlich in eine Verteidigungs-
- haltung, so dass es noch schwerer wird, mit ihm oder ihr vernnftig
- zu reden oder therapeutisch zu arbeiten. Besonders dann, wenn der
- Zeuge sprt, dass er unrecht haben knnte, ist es sehr wahrschein-
- lich, dass er die Fassung verliert und aufgebracht reagiert.
- Streitgesprche, irrationale und unvernnftige Wortgefechte sind
- dem Bemhen, dem Zeugen zu helfen, nicht frderlich, genauso wenig
- wie der Abbruch des Gesprchs.
-
- Zeigt man dem Zeugen, auf welche Weise bestimmte Glaubensansichten
- seine unbewussten Bedrfnisse erfllen, kann man ihm als nchstes
- Hilfe bieten, die Art und Weise zu ndern, in der er diese Lehren
- benutzt, nicht aber notwendigerweise die Glaubensstze selbst zu
- ndern. So knnte der Zeuge aus dem oben angefhrten Fall seinen
- Glauben an eine Art "neues System" (den es in den unterschiedlich-
- sten Ausfhrungen in den meisten Religionen gibt) beibehalten, doch
- er knnte mit dem gegenwrtigen System besser fertig werden, indem
- man ihm beisteht, das "neue System" zwar als eine Wirklichkeit
- anzusehen, doch eine, die eindeutig in der Zukunft liegt. Falls es
- wnschenswert erscheint, seine Ansichten in einigen Punkten zu
- ndern, wie im oben geschilderten Fall die Ansicht, Harmagedon (der
- Weltuntergang) knne buchstblich jeden Tag eintreten, so lassen
- sich dem Klienten durch eine Reihe einfacher Fragen neue Einsichten
- vermitteln. So knnte man ihm etwa helfen zu erkennen, dass die
- Organisation derzeit lehrt, bestimmte Ereignisse (zum Zeitpunkt der
- Niederschrift dieser Abhandlung waren es vier) mssten eintreten,
- bevor Harmagedon beginnt. Es ist einleuchtend, dass es Jahre dauern
- kann, bis diese alle eintreten, und genauso kann auch Harmagedon
- vom Anfang bis zum Abschluss insgesamt mehrere Monate oder lnger
- dauern. Es kann auch ntzlich sein, ihn zu bitten, sich mit lteren
- Zeugen Jehovas zu unterhalten, wobei man folgenden Gedankengang mit
- auf den Weg gibt: "Ich weiss gar nicht, ob die Zeugen schon immer
- gelehrt haben, Harmagedon stehe unmittelbar bevor. Vielleicht
- knnte man mal einige ltere Brder fragen, was sie dazu zu sagen
- haben." So wird der Zeuge zu der Erkenntnis gefhrt, dass die
- Organisation seit mehr als hundert Jahren - seit ihrer Grndung -
- lehrt, Harmagedon stehe vor der Tr oder sei hchstens noch ein
- paar Jahre entfernt. Spricht man mit jemand, der seit fnfzig oder
- mehr Jahren Zeuge Jehovas ist, erfhrt man, dass man sehr starke
- Erwartungen fr das Eintreffen der verschiedensten Ereignisse mit
- den Jahren 1874, 1878, 1914, 1925, dem Zweiten Weltkrieg und
- natrlich 1975 verband, um nur einige zu nennen (Zygmunt 1970).
- ber ein Jahrhundert ist seit ihrer ersten Vorhersage verstrichen,
- mehr als ein Jahrzehnt seit ihrer letzten. Die Neue Welt ist noch
- immer nicht gekommen, genauso wenig ist Christus wiedergekehrt.
- Zu einigen Zeiten in der Geschichte dieser Religionsgemeinschaft
- waren die Erwartungen so hochgespannt, dass man (in den 1940er
- Jahren) Schulabschluss und Heirat verschob (siehe dazu das Buch
- Kinder von J.F. Rutherford aus dem Jahre 1941). Besonders kritisch
- waren die Jahre 1914, 1925 und 1975, als viele Zeugen sich in der
- Erwartung des Endes so sicher waren, dass sie ihre Arbeitsstelle
- aufgaben und ihr Haus verkauften, so dass nur gerade so viel Geld
- blieb, wie sie brauchten, um die ihrer Ansicht nach "letzten Tage
- vor dem Ende" zu berstehen. Gemeinhin betrachtet man eine Ansicht
- als wahnhaft nur dann, wenn sie in der Wirklichkeit keine Ver-
- ankerung hat und nicht von einer grossen Anzahl anderer geteilt
- wird. Wer die Ansichten der Zeugen nicht teilt, mag meinen, ihr
- Glaube an ein Neues System in der unmittelbar bevorstehenden
- Zukunft sei eine Wahnvorstellung, doch da diese Vorstellung von
- einer grossen Zahl Menschen geteilt wird, liesse sie sich hchstens
- als Gruppenwahn bezeichnen (MacKay 1952).
-
- Viele empfinden es als bedrohend, wenn man ihre religisen
- Ansichten erforscht, besonders vom psychologischen Standpunkt aus.
- Sie meinen, damit werde der Wert oder die Gltigkeit dieser
- Ansichten in Zweifel gezogen. Fr den Therapeuten jedoch, der dem
- Klienten eine Hilfe sein will, ist es vllig egal, ob eine
- Glaubensansicht zutreffend ist oder nicht. Ihm geht es vor allem
- darum, wie sie sich auf die Psyche des Menschen auswirkt, der sie
- vertritt. Ob der Menschheit ein solches neues System, wie der Zeuge
- es beschreibt, tatschlich bevorsteht (und zahlreiche sehr
- verschiedene Gruppierungen glauben daran, wenn auch die einen
- sagen, das "neue System" werde durch Gottes Eingreifen kommen, die
- anderen, durch menschliche oder irgendwelche politische, soziale,
- konomische oder sonstige Einflsse), ist eine andere Frage. Ganz
- gleich, wie stichhaltig eine Ansicht ist, sie wird sich auf den
- auswirken, der sie vertritt, und diese Auswirkung gilt es zu
- untersuchen, nicht lediglich die Gltigkeit der Idee selbst. Von
- vielen Auffassungen der Zeugen lsst sich nachweisen, dass sie
- verkehrt sind, so ihre Lehre ber das Blut, doch manche erfassen
- die Wirklichkeit sehr genau und sind sehr wirksam, wie zum Beispiel
- einige ihrer Ansichten ber den Umgang mit Aggressionen. Mehrere
- der in diesem Kapitel behandelten Fragen werden sehr gut durch
- Harrison (1978:347) veranschaulicht:
-
- Seit meiner Taufe im Jahre 1944 qulten mich innere
- Zweifel (und ein stndiges Schuldbewusstsein). Sie versetzten
- mich richtig in Schrecken.
-
- Keiner hatte mir je gesagt, dass alle Glaubenden auch
- Zweifel haben, dass es die logische Folge des freien Willens
- ist, etwas in Frage zu stellen, oder dass selbst die Mystiker
- sich manchmal von ihrem Gott, den sie so verehrten, verlassen
- fhlten. Wieviel Elend htte es mir erspart, das einmal von
- jemand gesagt zu bekommen. Doch die Zeugen konnten es mir nicht
- sagen, weil sie selber nicht zugaben, dass es so war. Der
- Glaube ist fr sie etwas Totales, das man nicht anzweifelte, an
- dem es nichts zu kritisieren gab, bei dem man nicht schwankte,
- das unerbittlich war. Mir erschien mein leicht irritierbares
- Denkvermgen wie ein Raubtier, das mich angreifen und zerstren
- wrde, wenn ich es nicht fest im Zaum hielt.
-
- Da jeder Zweifel untolerierbar war, schien es mir nur eine
- Lsung zu geben: meine Zweifel (und damit mich selber) voll-
- stndig zu unterdrcken. Ich wollte lebendig verzehrt werden,
- von Jehova verschlungen, um so viel Zeit im Dienst fr ihn zu
- verbringen, dass mein verstockter Geist, gedemtigt und er-
- schpft, keine Zeit mehr fr qulende Zweifel htte. Frauen
- verstehen sich gut darauf, Verzweiflung in ihren Vorteil zu
- wenden (oder das, was sie fr Vorteil halten); und dadurch,
- dass ich ins Bethel eintrat, schlug ich geistiges Kapital aus
- meiner geistigen Verzweiflung, ich erstickte meine Rastlosig-
- keit, indem ich sie in einem neuen Leben absterben liess."
-
-
- Zusammenfassung
-
- Das Leben des Durchschnittszeugen fhrt auf vielfltige Weise zu
- emotionalen Problemen:
-
- (1) Extremes Beschftigtsein mit leeren, routinemssigen und
- langweiligen Ttigkeiten, die oft keine Erfolgserlebnisse bringen.
- (2) Mangel an Zeit, sich mit freudebringender Erholung und
- Entspannung oder Hobbies zu beschftigen.
- (3) Die vielen Regeln und Gesetze sind fr den durchschnittlichen
- Zeugen schwer vollkommen einzuhalten, so dass der "unsichtbare
- Talmud" wiederholt gebrochen wird, doch die "gewichtigeren Dinge
- des Gesetzes" kaum Beachtung finden.
- (4) Niederes Selbstwertgefhl und das Gefhl, man sei zum Fehl-
- schlag verurteilt, ganz gleich, wie sehr man sich anstrenge und wie
- erfolgreich die Bemhungen aus objektiver Sicht sein mgen.
- Weitere Faktoren sind: wiederholte nderungen in der Lehre; Lehren,
- die nicht zum brigen Lehrgebude passen und unlogisch erscheinen.
- Vor allem fr den denkenden, gebildeten, geistig wachen Anhnger
- fhrt das Erkennen solcher Probleme zu schwierigen inneren Kmpfen.
-
-
-
-
- Kapitel 8:
- Die Familie
-
- Die Zeugen haben oft einen grsseren Einfluss auf die Familie als
- jede andere gesellschaftliche Institution. Auf zahlreiche Weise
- kann sich dieser Einfluss negativ bemerkbar machen. Die strkste
- Wirkung zeigt sich, wenn die Frau sich den Zeugen zuwendet. So
- beschreibt es Harrison (1975:57):
-
- So war es nicht ungewhnlich, wenn Frauen, die Zeugen Jehovas
- wurden, sich als erstes ihren Mnnern verweigerten, um Gott
- nher zu sein. Fr Frauen, die im Leben gelernt hatten, dass
- man auf menschliche Beziehungen nicht bauen konnte, weil sie
- alle unsicher, launenhaft und unbestndig waren, vermittelte
- die Flucht aus den Unwgbarkeiten der Welt in die Gewissheit
- der Religion [der Zeugen Jehovas] einen Schein von Sicherheit
- und Ruhe.
-
- Wird ein Familienmitglied Zeuge Jehovas, so belastet das gewhnlich
- den Ehepartner, die Kinder und auch den Zeugen selbst. Nicht nur
- die Religion wird Gegenstand schwerer Auseinandersetzungen, sondern
- auch das Feiern von Festen, die Beteiligung an Wahlen, der sexuelle
- Bereich, und so geht es endlos weiter. Meiner Erfahrung nach war
- bei vielen Zeugen, die psychisch erkrankten oder in Verbrechen
- verwickelt waren und die als Zeugen aufgewachsen waren, nur ein
- Elternteil aktiv dabei. Dort, wo beide Elternteile aktive Zeugen
- waren, gab es das weniger oft, aber immer noch in deutlichem Masse.
- Die Belastung durch ein "geteiltes Haus", wie die Zeugen die
- Situation nennen, in der nur ein Familienmitglied zu ihrer
- Gemeinschaft gehrt, bringt Probleme mit sich, die gewhnlich das
- Gefhlsleben der Kinder stark beeintrchtigen. Selbst wenn die
- Eltern sich in religisen Dingen einig sind, kommen Probleme vor.
- [...]
-
- Den negativen Effekt der hufig blichen Abschottung der Kinder
- gegenber der Aussenwelt fasst die ehemalige Bethelmitarbeiterin
- Barbara G. Harrison zusammen: "Die 13 Jahre, in denen ich aktive
- Zeugin Jehovas war, haben mich genauso gut auf das Leben
- vorbereitet wie ein gleichlanger Aufenthalt in einer Skinner-Box am
- Nordpol" (1975:58).
-
- Von besonderem Gewicht ist es fr die Zeugen, wenn jemand einen
- Partner heiratet, "der nicht in der Wahrheit ist". Ein ffentlich
- bekannter Fall wurde der von Michael Jacksons Schwester. Er durfte
- nicht zu ihrer Hochzeit gehen, als sie jemand heiratete, der kein
- Zeuge war. Der folgende Zeitungsbericht verdeutlicht, welche
- Gefhle dabei aufgewhlt werden (Albright 1984, S. 14):
-
- "Superstar Michael Jackson und seine Familie haben sich brsk
- von seiner jngeren Schwester Janet abgewandt, weil sie ihren
- Freund, einen Blues-Snger, heiratete, obwohl er kein Angehri-
- ger ihres Glaubens war. Janet, 18, Sngerin und Fernsehdarstel-
- lerin, stiess den gesamten Familienclan vor den Kopf, als sie
- heimlich mit dem 21jhrigen James DeBarge durchbrannte. Doch
- selbst noch vor dem Traualter drehte sich die Braut um, in der
- absurden Hoffnung, ihre Familie wrde einlenken und mit
- dabeisein wollen, wenn sie den Mann ihrer Trume heiratete.
-
- [Ein Vertrauter sagte:] "Niemand kam zur Hochzeit, und sie
- war sehr aufgebracht darber. Nicht einmal ihr Vater und ihre
- Mutter zeigten sich. Soweit ich weiss, liegt das daran, dass
- sie Zeugen Jehovas sind und wir zur Pfingstgemeinde gehren.
- Sie haben ihr gesagt, sie wollten sie nie mehr sehen. Es ist
- eine Qual fr alle Beteiligten.
-
- Das Paar lernte sich auf Tournee kennen. ber ein Jahr
- waren sie miteinander befreundet, und das trotz des Wider-
- standes von seiten ihres Vaters, Joe Jackson, Michaels, und des
- Restes der Familie. [...] Alle, einschliesslich Michael, sind
- sehr strenge und aktive Zeugen Jehovas und tolerieren es nicht,
- wenn jemand aus ihrer Familie ausserhalb der Glaubensgemein-
- schaft heiratet. Sie haben James gesagt, alles sei in Ordnung,
- wenn er sich bekehren wrde, doch das lehnte er ab. Die
- Situation wurde schliesslich so schlimm, dass das Paar von
- Kalifornien nach Grand Rapids durchbrannte, wo James und seine
- Familie herstammten, und sie sich von seinem Onkel trauen
- liessen."
-
- Der Vertraute fgte hinzu: "Die Jacksons haben gesagt, sie
- wollten sie nie wieder sehen, und sie wrden dafr sorgen, dass
- sie nichts von dem Vermgen abbekommt, das sie erworben haben.
- Selbst Michael, der sie liebt, bleibt hart. Er will nichts mehr
- mit ihr zu tun haben."" [...]
-
- [Gemss Zeitungsmeldungen aus dem Juni 1987 - Los Angeles Times;
- New York Post vom 6. Juni 1987 - verliess Michael Jackson die
- Glaubensgemeinschaft im Frhjahr desselben Jahres aus eigenem
- Antrieb. Seine Familie, insbesondere die Mutter, blieb nach diesen
- Berichten weiterhin aktives Mitglied. Anm.d.bers.]
-
-
- Die Rolle der Frau
-
- Die Zeugen Jehovas haben nicht nur einen Hang, die Rolle der
- Disziplin bei der Kindererziehung berzubetonen, sondern reden auch
- stndig davon, wie wichtig es sei, dass der Mann selbstbewusst die
- Fhrung bernimmt und die Frau sich in eine starre, konventionelle
- Rolle fgt. Immer wieder wird gesagt, wie angebracht es doch sei,
- sein Kind krperlich zu zchtigen. Darin spiegelt sich ihr
- "Mutterkomplex": nicht nur die Disziplin der Kinder ist stndiger
- Gegenstand der Diskussion, sondern auch die Disziplinierung der
- Frauen durch die ltesten.
-
- Man wird nicht mde, immer wieder zu betonen, dass der Mann
- selbstbewusst aufzutreten habe, das Haupt der Familie sein solle
- usw. Frauen drfen selbst dann formell keine lehrende Funktion in
- der Gemeinde wahrnehmen (als lteste, Dienstamtgehilfin usw.), wenn
- nicht gengend Mnner da sind und es mehrere qualifizierte Frauen
- gibt. Grosse Bedeutung wird der Frage beigemessen, ob ein Mann auch
- tatschlich seine Rolle als Familienhaupt wahrnimmt. Falls andere
- der Ansicht sind, die Frau treffe zu viele Entscheidungen oder habe
- in Familiendingen zu viele Mitspracherechte, kann es vorkommen,
- dass dem Mann verantwortungsvolle Positionen in der Versammlung
- verschlossen bleiben. Vor allem die intelligenten, gebildeteren
- Frauen, die die Wachtturm-Verffentlichungen laufend grndlich
- studieren, werden fortwhrend ermahnt, nicht sich selbst in den
- Vordergrund zu schieben, keinen mnnlichen Zeugen zu belehren (was
- als verkehrt gilt, wenn er getauft ist, aber vllig in Ordnung ist,
- sofern er dies nicht ist) oder ihr Wissen allzu deutlich her-
- auszukehren (was immer falsch ist). Dies ist deswegen falsch, weil
- es den Versuch darstellt, "die fhrende Rolle des Mannes an sich zu
- reissen". Zwischen den Geschlechtern besteht eine ganz starre
- Trennlinie, und von allen erwachsenen Anhngerinnen wird erwartet,
- sich in praktisch allen Dingen bewusst mit einer zweitrangigen
- Rolle zufrieden zu geben. Alle mit Prestige und Autoritt ver-
- sehenen Positionen in der Gemeinde, ausser denen des Versammlungs-
- verkndigers und des Pioniers, knnen nur von Mnnern bekleidet
- werden. Frauen haben nur sehr wenige Mglichkeiten, sich selbst
- einzubringen, jedenfalls was den offiziellen Versammlungsbetrieb
- angeht.
-
- Andererseits gibt es auch fr Mnner nur wenig Gelegenheit, sich
- selbst einzubringen. Die Stundenvortrge werden gewhnlich von der
- Wachtturm-Gesellschaft in Form einer ausfhrlichen Rede-Disposition
- zur Verfgung gestellt, der die Redner strikt zu folgen haben.
- Selbst das Material fr Studierenden-Ansprachen wird ziemlich
- detailliert vorgegeben. Dem Ausfhrenden bleibt nur noch, den Stoff
- der Versammlung papageienhaft vorzutragen. Wer seine Vortrge
- aufbessern will, indem er neuen Stoff hineinnimmt, setzt sich der
- Kritik aus, und wenn das hufiger vorkommt, ist es schnell mit den
- Redevorrechten vorbei. [...]
-
-
- Zusammenfassung
-
- In vielfacher Weise herrscht in den Familien der Zeugen eine fr
- die Erziehung von Kindern unnormale Situation. Charakteristisch
- ist, dass sie von ihren gleichaltrigen Kameraden isoliert werden
- und dass man von ihnen erwartet (und sie oft zwingt), sich einer
- Vielzahl von Tabus zu unterwerfen, die sie in einen Konflikt mit
- der Aussenwelt bringen. Oft bekommen sie nicht gengend Rckhalt in
- der Familie oder der Versammlung, so dass sie dem emotionalen
- Trauma dieser Konflikte leichter etwas entgegensetzen knnten.
- Zudem gibt es schwere Probleme, weil man oft sehr jung heiratet und
- weil man die Bedrfnisse der Familie ganz klar hinter die Forderun-
- gen der Organisation stellt. Die Frau hat eindeutig eine unter-
- wrfige Rolle in der Gemeinde zu spielen, und stndig wird darauf
- geachtet, dass diese zweitrangige Position sichergestellt bleibt.
- Nicht selten haben fhige, gebildete Frauen es in der Organisation
- schwer.
-
-
-
-
-
- Kapitel 9:
- Die Leitung - "die Organisation an die erste Stelle setzen"
-
- [...] Aussenstehende, die der Organisation der Zeugen zum ersten
- Mal begegnen, sei es in einer rtlichen Versammlung im Knigreichs-
- saal, auf Kreis- oder Bezirkskongressen oder in der Fabrik in
- Brooklyn, Selters oder anderswo, sind gemeinhin beeindruckt, wie
- geordnet alles abluft und wie gut die dort Ttigen miteinander
- nach aussen hin harmonieren. Die Wachtturm-Gesellschaft ist stolz
- auf diese allem Anschein nach hchst leistungsfhige und harmoni-
- sche Organisation. Sieht man aber hinter das ansprechende ussere,
- so entdeckt man zahlreiche Probleme, zum Teil ganz erhebliche, und
- zwar sowohl in der durchschnittlichen Ortsgemeinde wie auch in der
- Wachtturm-Organisation selbst.
-
- Die Zeugen sind sehr darauf bedacht, anderen ein gnstiges Bild von
- sich selbst zu bieten, denn damit "verkauft" sich ihre Organisation
- besser. Und das Anpreisen der Wachtturm-Gesellschaft ist ein
- wichtiges Ziel fr jeden Zeugen Jehovas. Die Bekehrung, so wie die
- Zeugen sie verstehen, ist eigentlich die Bekehrung zu der Auf-
- fassung, dass die Wachtturm-Organisation der Kanal Gottes ist und
- man ihr deshalb folgen muss. Wenn auch die unterschiedlichsten
- Bibeltexte verwendet werden, um Wachtturm-Lehren zu verteidigen, so
- ist und bleibt es fr den Zeugen doch die wichtigste Aufgabe, den
- "Neuen", wie sie sie nennen, zu helfen, eine Loyalitt gegenber
- der Wachtturm-Organisation aufzubauen. Ist dieses Ziel erst
- erreicht, ergibt sich die passive Zustimmung in allen anderen
- Fragen meist von alleine. [...]
-
- Die Wachtturm-Organisation verlangt zwar unbedingten Gehorsam sich
- selbst und ihren Interessen gegenber, doch dieser Gehorsam wird
- dem einzelnen Zeugen oft nicht vergolten. Hierzu einige Beispiele:
-
- "Die Gesellschaft ist extrem kostenbewusst. Sie ist bemht,
- aus den vorhandenen Mitteln das usserste herauszuholen. Dabei
- ist es nicht ungewhnlich, wenn die Weltzentrale und alle
- Zweigbros vor allem ungelernte Krfte einsetzen, um qualifi-
- zierte Ttigkeiten ausfhren zu lassen. Ein Grossteil der
- Elektriker-, Klempner- und der Reparaturarbeiten an den
- Maschinen wird von verhltnismssig ungebten jungen Leuten
- ausgefhrt, die zumeist von anderen Zeugen angelernt wurden
- (die das wiederum genauso gelernt haben).
-
- Nicht selten hat das tragische Folgen gehabt. Junge
- Bethelmitarbeiter wurden beauftragt, einen Aufzug zu reparie-
- ren, statt geeignete Techniker dafr kommen zu lassen. Einer
- der leitenden Mitarbeiter erhob Einwnde dagegen, weil er der
- Meinung war, dass es fr die jungen Neunzehnjhrigen zu gefhr-
- lich sei, eine Arbeit zu tun, fr die sie nicht ausgebildet
- waren. Doch der oberste Boss, der extrem auf die Kosten
- achtete, blieb dabei. Seiner Ansicht nach konnte es fr sie
- nicht zu schwierig sein, da sie die Arbeit vorher auch schon
- gemacht hatten. Doch leider wurde dieses Mal ein junger
- Arbeiter schwer verletzt, als er den Aufzug reparieren wollte."
- Ein weiteres Beispiel zeigt, wie gefhllos und gleichgltig die
- Wachtturm-Oberen oft sind:
-
- "Ein junger Bethelbruder erhielt die Zuteilung, eine der
- grossen Druckmaschinen zu bedienen. Als er anfing, hatte er
- berhaupt keine Ahnung, doch unter Anleitung seiner Kollegen
- erlernte er den Umgang mit der Maschine allmhlich. Dabei
- geriet er einmal mit der Hand in die Maschine, wobei er mehrere
- Finger verlor. Eine menschliche Reaktion auf diesen Unfall wre
- gewesen, diesen Arbeiter in eine Abteilung zu versetzen, in der
- er auch mit nur einer Hand noch arbeiten knnte, wie beispiels-
- weise im Bro. Die Wachtturm-Gesellschaft allerdings reagierte
- nicht so menschlich: Sie teilte ihm mit, man habe keine
- Verwendung mehr fr ihn, und schickte ihn nach Hause.
-
- Inzwischen hat dieser fhige und helle Kopf Beitrge zum
- Aid-Buch geliefert, einem Bibellexikon der Wachtturm-Gesell-
- schaft. Ganz offensichtlich htte man seine Talente in einer
- anderen Abteilung nutzen knnen, doch die Wachtturm-Gesell-
- schaft dachte nur an ihren Vorteil und meinte, jemand, der noch
- alle Finger an der Hand hatte, knne mehr fr sie tun."
-
- Cetnar beschreibt im folgenden Beispiel, wie die Gesellschaft die
- Menschen ausbeutet (nach Gruss 1974:81):
-
- "Einem jungen Mann waren [im Papierschneider] vier Finger
- abgehackt worden. Weil er fr die Fabrik keinen Wert mehr
- hatte, entliess man ihn [...], damit er fr sich selbst sorge.
- Eine Entschdigung erhielt er nicht, da eine Versicherung fr
- solche Arbeitsunflle "zu teuer" war. Mit solch einer Begrn-
- dung konnte ich mich nicht abfinden. Myron Quackenbush aus der
- obersten Etage hatte mir nmlich einmal erzhlt, dass ein Buch
- wie Gott bleibt wahrhaftig! (ber 300 Seiten), das fr 50 Cent
- verkauft wurde, in der Herstellung ingesamt nur sieben Cent
- kostete! Von diesen Bchern druckten wir jeden Tag einen Stapel
- so hoch wie das Empire State Building. hnlicher Profit wurde
- bei den anderen Publikationen gemacht." [...]
-
- Und hier ein weiteres Beispiel dafr, wie wenig Rcksicht auf den
- einzelnen genommen wird (William Cetnar, nach Gruss 1974:79-81):
-
- "Als ich Charlie kennenlernte, hatte er schon ber 30
- Jahre gearbeitet. Nun war er alt und schon etwas verkalkt, aber
- immer noch sehr tchtig. Prsident Knorr zitierte ihn hufig
- als Beispiel dafr, wieviel man schaffen knne. Er war der
- beste Buchbinder auf der vierten Etage gewesen.
-
- Wie allen anderen Bethelmitarbeitern war es ihm nicht
- gestattet zu heiraten, falls er im Bethel bleiben wollte. Knorr
- hatte dieses Prinzip hufig betont und Charlie war damit ganz
- und gar nicht einverstanden. Doch im Jahr 1952 heiratete
- Prsident Knorr eine der Schwestern im Bethel, Audrey Mock, und
- brach damit die Regel. Einige Jahre nach der Heirat ging
- Charlie zu Prsident Knorr und sagte ihm, er habe seine eigene
- Regel gebrochen und solle deshalb zurcktreten. Und dann sagte
- er noch: "Du predigst mehr ber Liebe als alle anderen [...]
- und zeigst sie doch selbst am wenigsten." Zur Strafe wurde
- Charlie von seinem Platz im Esssaal verwiesen und musste hinten
- in einer Ecke Platz nehmen. Zur Begrndung hiess es, er habe
- unanstndige Sprache gebraucht. [...] Er weigerte sich, den
- neuen Sitzplatz zu akzeptieren, und kehrte einfach an seinen
- alten Platz zurck. Man machte ihm das Leben im Bethel so
- schwer, dass er seine paar Habseligkeiten packte und das Haus
- verliess. Das Bethel war sein ganzer Lebensinhalt gewesen.
- Sogar seinen Urlaub hatte er dort verbracht. Er wusste nicht,
- wo er hingehen sollte. [...] Spter lernte ich ihn kennen. Er
- wohnte gerade in einem schrecklichen Obdachlosenasyl fr 50
- Cent die Nacht. Als sein Geld alle war, bettelte er Bethelmit-
- arbeiter und andere Zeugen an, damit er etwas Geld fr Essen
- bekam. Ich habe ihm was gegeben [...], [aber] man sagte den
- Bethelmit-arbeitern, sie sollten Charlie kein Geld geben, und
- an die umliegenden Versammlungen wurde ein Brief verschickt, in
- dem dasselbe stand. Damit wollte man ihn zur Rckkehr zwingen.
- Das letzte, was ich von Charles DeWilda hrte, war, dass er auf
- einer Parkbank gestorben war. Das ist der Lohn, den ein Mensch
- fr vier Jahrzehnte treuen Dienst in "Gottes Organisation"
- bekommt, weil er auf eine ganz offensichtliche Unstimmigkeit
- hingewiesen hatte. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie wenig
- Liebe in der Weltzentrale wirklich herrschte."
-
- Und noch ein Beispiel:
-
- "Im Jahr 1956 oder 1957 kamen zwei junge Damen aus
- Thailand, um in der Gileadschule zu Missionaren ausgebildet zu
- werden. Der grosse Druck beim Erlernen der Sprache und der
- anderen Fcher fhrte bei einer von ihnen zu einem Nervenzu-
- sammenbruch. Anfallsweise wurde sie von einem inneren Drang
- berwltigt, alle Kleider auszuziehen und durch das Gebude zu
- rennen. Man schickte sie ins Bethel, damit sie sich dort
- erhole. Doch der Zustand verschlimmerte sich nur und sie wollte
- sich durch einen Sprung vom Dach des Bethelheims umbringen.
-
- Prsident Knorr beauftragte den Leiter der Transport-
- abteilung, Worth Thornton, die junge Frau sobald wie mglich
- auf dem billigsten Weg nach Thailand zurckzuschicken. So traf
- man Vorkehrungen, sie im Zug nach San Francisco zu schicken,
- von wo aus sie per Schiff nach Thailand reisen sollte. Als sie
- davon erfuhr, bat sie instndig darum, man mge sie mit dem
- Flugzeug reisen lassen oder wenigstens eine andere Missionarin
- als Begleitung mitgeben. Sie gab an, sie habe sich nicht unter
- Kontrolle, wenn die Anflle kmen, und wenn sie auf dem Schiff
- sei, knne sie ber Bord gehen. Beides wurde ihr verwehrt, da
- es zu viel koste. Worth Thornton war fassungslos darber [wie
- die Gesellschaft so sehr am falschen Platz sparen konnte][...]
-
- Die Frau fuhr mit dem Schiff, [...] hatte einen Anfall und
- sprang ber Bord. Das Schiff wendete und kreiste ber der
- Stelle, doch man hat sie nicht wiedergefunden. [...] Das Schiff
- benachrichtigte die Gesellschaft per Funkspruch ber das
- Geschehen, und Arthur Barnett in der Telefonzentrale empfing
- die Nachricht. Russell Kurzen, der am Empfang im Bethel ttig
- war, erfuhr ebenfalls von der Tragdie. Beide waren schockiert
- und erzhlten die Neuigkeit anderen in der Bethelfamilie.
- Prsident Knorr regte sich schrecklich auf, dass die Nachricht
- verbreitet worden war, und enthob beide ihrer mter.
-
- Dieser Vorfall belastete mich sehr. Es war genug Geld da,
- den Prsidenten der Gesellschaft erster Klasse reisen und
- bernachten zu lassen und ihm allen mglichen Luxus zu bieten,
- aber wir konnten es uns nicht leisten, diese Glaubensschwester
- anstndig und sicher in die Heimat zu bringen. Diese gefhllose
- Entscheidung hat sie das Leben gekostet" (Gruss 1974:82, 83).
-
-
-
-
- Zusammenfassung
-
- [...] Ein wesentlicher Mangel ist, dass die heutige Organisation
- der Zeugen auf die Bedrfnisse der einzelnen Mitglieder fast gar
- nicht eingeht. Sie ist so vollstndig mit der Erfllung dessen
- beschftigt, was sie als ihre Hauptaufgabe ansieht, nmlich dem
- Bekehrungswerk unter Nicht-Zeugen, dass sie dabei die eigenen
- Anhnger ganz entschieden vernachlssigt. Man ist der Meinung, es
- komme vor allem auf das Predigen an, und zwar gegenber den
- Aussenstehenden. Alles was ber eine wirkungsvolle Verkndigung der
- Botschaft hinausgeht, irgendein Bekehren der Welt oder eine soziale
- oder sonstige Vernderung, sehen die Zeugen nicht als ihre Aufgabe
- an. Diese einseitige Zielsetzung fhrt auch dazu, dass man sich
- nicht bemht, dem einzelnen Zeugen beizustehen, mit seinen
- Schwierigkeiten fertig zu werden. Mehrere Fallgeschichten wurden
- hinzugezogen, um zu veranschaulichen, wie wenig die Organisation
- auf Probleme und Bedrfnisse einzelner eingeht.
-
-
-
-
-
- Kapitel 10:
- Zieht die Gemeinschaft psychisch labile Personen an?
-
- In der Fachliteratur wird allgemein anerkannt, dass Menschen, die
- mit ihren Problemen nicht fertig werden, von Sekten wie den Zeugen
- Jehovas angezogen werden. So stellte Moxon (1921:96) fest:
-
- "Wenn der innere Friede oder die Gesundheit bedroht sind,
- veranlasst der Selbsterhaltungstrieb den Menschen, sich aus
- einer unertrglichen Situation zurckzuziehen. Manche Religio-
- nen, insbesondere kleinere Gemeinschaften, lassen sich als
- Versuch deuten, einer dsteren und bedrohlichen Realitt zu
- entfliehen. Sensible Menschen, die sich unfhig fhlen, den
- Schlgen des Lebens standzuhalten, mchten der Wirklichkeit in
- eine Welt des Glaubens entkommen. Man kann sagen, dass Religion
- fr ein unter Druck stehendes Gemt wie ein Sicherheitsventil
- wirkt."
-
- Wenn die Religion der Zeugen auch oftmals stark zur Ausprgung
- psychischer Leiden beitrgt, so muss doch betont werden, dass
- dieser Einfluss in manchen Fllen nur eine untergeordnete Rolle
- spielt. Es ist sehr gut mglich, dass dasselbe Individuum unter
- anderen gesellschaftlichen Umstnden, sogar in anderen Religions-
- gemeinschaften, hnliche Konflikte verspren wrde und es dement-
- sprechend zu denselben psychischen Fehlentwicklungen kme (Allison
- 1967). Grove (1930, S. 310) ist zuzustimmen: "Schuldgefhle sind zu
- fundamental und lassen sich zu leicht erzeugen, als dass man sie
- lediglich als Produkt religiser Unterweisung ansehen knnte, die
- den Menschen durch eine schauerliche Lehre knstlich eingeimpft
- wrde. In der Praxis des Psychologen zeigen sich Schuldgefhle als
- so weit verbreitet, dass sie nicht erst durch die Kirche erzeugt
- sein knnen." Mit Schuld ist hier ein allgemeines Gefhl des
- Unwohlseins gemeint, vor allem depressiver Art, bei dem ein Mensch
- sprt, dass irgend etwas nicht stimmt. Die Zeugen Jehovas tragen
- allerdings oft dazu bei, dass das vorhandene Schuldgefhl intensi-
- viert und vermehrt wird (Bronner 1964). Folgender Fall veranschau-
- licht mehrere der bisher erwhnten Aspekte:
-
- J. stammt aus Kalifornien und ist in einer sehr instabilen
- Familie aufgewachsen, in der die Mutter stark dominierte und
- der Vater auszog, als sie zehn war. Ihr Vater war Lehrer und
- ist heute Englischprofessor an einer Universitt in Kalifor-
- nien. Er heiratete ein zweites Mal und ist nach Aussage von J.
- recht glcklich mit seiner neuen Frau. J. fhlt sich dem Vater
- viel nher als der Mutter. Ihrer Ansicht nach trgt die Mutter
- die Hauptschuld an den Eheproblemen. Sie ist usserst fru-
- striert und kommt von der Bildung und auch sonst bei weitem
- nicht an den Vater heran. [...] J. schloss sich den Zeugen an,
- weil sie vom Leben enttuscht war und weil mehrere ihrer
- Freundinnen sich bekehrt hatten. Derzeit wohnt sie in Ohio.
- Obwohl sie sich sehr in die Heimat zurckgezogen fhlt, will
- sie den Zeugen hier so lange wie mglich durch ihren Pionier-
- dienst beistehen. Als sie anfing, sich bei den Zeugen zu
- engagieren, hatte sie das Gefhl, ihre Probleme wrden sich
- fast smtlich in Luft auflsen. Und eine Zeitlang fhlte sie
- sich sehr glcklich und zufrieden; sie hatte jetzt ein Ziel. In
- der letzten Zeit aber ist sie sehr unzufrieden geworden. Sie
- leidet an Depressionen, geringem Selbstwertgefhl und an der
- starken Ambivalenz ihrer Rolle als Frau, Tochter und Mensch
- (obwohl sie sehr attraktiv ist). Der Behandlungsplan sah unter
- anderem vor, dass der Therapeut die Rolle des Vaters spielte
- und ihr gefhlsmssige Untersttzung gab, indem er einfhlsam
- zuhrte und so die Katharsis ermglichte. Ein weiteres Ziel
- war, ihr zu helfen, ihre Gefhle zu verstehen, die Abhngigkeit
- zu berwinden und den Stillstand in der emotionalen Entwicklung
- aufzuheben. Diese beiden Dinge waren es gewesen, weshalb sie
- sich so zu den Zeugen hingezogen fhlte. [...]
-
- Im Laufe der Zeit verstand J. die in ihr wirkenden Krfte
- besser. Sie hat die Fhigkeit, die Intelligenz und das Fas-
- sungsvermgen, ihr Leben selbst umzuorientieren. [...]
-
- Heute ist sie der Ansicht, dass die meisten Zeugen ihrer
- Versammlung sehr ichbezogen und vor allem mit ihren eigenen
- Problemen beschftigt sind. Um ihr Selbstbild zu strken,
- machen sie schnell andere Zeugen lcherlich. Viele kritisieren
- scharf Dinge, die keiner von ihnen hat, wie Geld, eine gute
- Position, Bildung usw., und meinen, die Probleme anderer Leute
- kmen daher, dass sie diese Dinge besssen. Sie folgern dann:
- "Sollten wir nicht froh und dankbar sein, dass wir nicht so
- viel besitzen?" [...]
-
- Weitere Grnde aus dem psychischen Bereich, die zeigen, weshalb
- Menschen sich mit den Zeugen Jehovas befassen, beschreibt Nealy
- (1971:1; zitiert nach CRI Newsletter 1977, Nr. 4):
-
- "Ich interessierte mich fr die Lehren der Zeugen Jehovas
- erstmals vor etwa 21 Jahren. Die wunderschne Verheissung einer
- paradiesischen Erde schien mir die Lsung dafr, wie ich meinen
- kleinen Kindern eine schne Zukunft sichern knnte. Whrend die
- Jahre so vergingen, wurde mir immer mehr bewusst, wieviele
- Probleme es in den Familien der Zeugen Jehovas gab. Es waren
- schwere, zerrttende Probleme. Ich kam mir allmhlich wie eine
- Heuchlerin vor, wenn ich anderen davon erzhlte, wie gross die
- Liebe unter Jehovas Zeugen sei. Obendrein begannen meine
- Kinder, die stets gehorsam und der "Wahrheit" ergeben waren,
- sich abzuwenden und oft davon zu reden, was sie sahen. Viele
- schlaflose Nchte habe ich geweint und mich gefragt, was ich
- falsch gemacht habe, wo ich "das Ziel verfehlt" habe. Ich habe
- Strkung bei den ltesten in der Versammlung gesucht, kam aber
- meist noch verzweifelter wieder nach Hause.
-
- Als mein Mann mir sagte, er wolle eine ihm angebotene
- Stelle in Philadelphia annehmen, war ich erleichtert. Ich
- meinte, es sei zum Besten fr mich und die Kinder, wenn wir in
- eine andere Gegend und eine andere Versammlung kmen. Doch
- statt dass es besser wurde, verschlimmerte sich alles nur noch.
- Die Ehe zerbrach, das Heimweh qulte, Depression und Einsamkeit
- stellten sich ein, dazu das Gefhl, versagt zu haben. All das
- hat sehr an mir gezehrt, und dabei gab es noch mehr, dass mich
- in Verzweiflung strzen sollte. Drei Monate, nachdem ich
- Verwandte und Freunde in Detroit verlassen hatte, erfuhr ich,
- dass ich Krebs hatte. Ich kann meine Verzweiflung gar nicht in
- Worte fassen. Ich war der Meinung gewesen, den Willen Gottes,
- so wie ihn die Wachtturm-Gesellschaft darlegte, mit ehrlichem
- Bemhen befolgt zu haben, und jetzt sollte ich sterben, ohne
- die Frchte meiner Anstrengung zu ernten. Mir kam es so vor,
- als sei mein ganzes Leben umsonst gewesen. Ich habe Jehova
- angefleht, mich wissen zu lassen, wo ich gefehlt hatte. "Ganz
- bestimmt muss ich gefehlt haben," dachte ich. Man erntet nur,
- was man st."
-
- Wenn die Gemeinschaft vielleicht auch Leute anzieht, die psychisch
- nicht allzu stark sind, so doch keine Psychotiker (Munters 1973,
- 1977). Diese werden im Verlaufe des anstrengenden Prozesses von
- Bibelstudium und Bekehrung herausgefiltert und die meisten Zeugen
- wrden sie als von Dmonen Besessene ansehen. Bisweilen hat es
- allerdings den Anschein, als spiele die Zugehrigkeit zu dieser
- Gemeinschaft eine Rolle bei der Verschlechterung von neurotischen
- zu psychotischen Zustnden (wenn man einmal einen gleitenden
- bergang zwischen beidem annimmt). Manche Menschen finden die
- Zeugen so attraktiv, weil diese sich usserst intensiv um einen
- voraussichtlichen neuen Anhnger kmmern. Selbst wenn jemand nur
- mssiges Interesse zeigt, tun die Zeugen gewhnlich alles, um ihn
- zuvorkommend zu behandeln. Viele einsame, neurotische Menschen
- schliessen mit ihnen Freundschaft, einfach weil sie sich bereitwil-
- lig Zeit fr sie nehmen (jedoch nur, das sei betont, wenn die
- Zeugen meinen, es handle sich um einen voraussichtlichen neuen
- Anhnger). Manche, denen ein Pfarrer lieber aus dem Wege geht,
- werden von den Zeugen mit positiver Zuwendung berhuft. Viele
- lassen sich im Laufe der Zeit beeinflussen und einige schliessen
- sich ihnen an (Beckford 1971; Penton 1985).
-
- Wie schon erwhnt, sind Jehovas Zeugen bemht, ihre Organisation so
- darzustellen, als seien deren Anhnger sehr glcklich und zufrieden
- und als sei der Knigreichssaal ein Ort, an dem Freundlichkeit,
- christliche Liebe, wenige Probleme und eine sichere Hoffnung fr
- die Zukunft zu finden seien. Die Zeugen versprechen keine vage
- Zukunft im Himmel, sondern sagen, dass man in ihren Reihen jetzt
- und fr immer hier auf der Erde leben kann, ohne zu sterben, und
- dass schon bald mit dieser Segnung gerechnet werden kann, nicht
- erst in Generationenferne. Das klingt attraktiv fr unterdrckte
- Menschen, die mit der Welt heute nicht mehr klar kommen und
- insgesamt unglcklich sind und nach einem Ausweg suchen. Das Bild,
- das die Zeugen vom "Neuen System" vermitteln, bietet vielen eine
- Flucht vor den Problemen dieser Welt (Salzman 1951). Der Hang, an
- der Welt und allem, was zu ihr gehrt, zu kritisieren, spricht
- diejenigen an, die mit dem Leben nicht fertig werden. Sie erhalten
- damit auch eine Mglichkeit, ihre Frustrationen in unserer
- Gesellschaft auszudrken. Viele Zeugen waren der Welt und vielen
- ihrer Einrichtungen schon lange vor ihrer Bekehrung feindselig
- gegenber eingestellt.
-
- "Geisteskrankheit" ist meist ein anderer Ausdruck fr "Anpassungs-
- probleme" oder die Unfhigkeit, mit alltglichen Problemen und
- Situationen fertig zu werden. Wer sich der Gesellschaft nicht
- anpassen kann, neigt dazu, ihr gegenber feindselig eingestellt zu
- sein, und zugleich findet er die Zeugen Jehovas attraktiv. Jeder
- kommt mit bestimmten Fhigkeiten auf die Welt, die bestimmen, wie
- gut er Probleme bewltigen kann, und manche Menschen werden mit
- Charakterzgen geboren oder erlernen Verhaltensweisen, die es ihnen
- erschweren, mit den Wechselfllen des Lebens fertig zu werden.
- Unsere Anpassungsfhigkeit, d.h. ob wir es lernen, damit fertig zu
- werden, bestimmt sich im wesentlichen durch unsere Umgebung. Wer
- mit dem Auf und Ab des Lebens nicht fertig zu werden lernt oder wem
- mehr aufgebrdet wird, als er verkraften kann (was oft den sozial
- Schwachen und den Angehrigen von Minderheiten zustsst), wird eher
- von Religionen wie Jehovas Zeugen angezogen.
-
- Emotionale Fehlentwicklungen sind charakteristisch fr Menschen mit
- inneren Konflikten. Die Lehren der Zeugen knnen die emotionale
- Unausgeglichenheit und geistige Verwirrung noch verstrken. Wegen
- der grossen Zahl von Verboten sind Konflikte mit Aussenstehenden
- auf vielen Gebieten vorprogrammiert. Dies wiederum schafft schwere
- emotionale Probleme und bedeutet fr den einzelnen Zeugen eine
- grosse innere Belastung. Obendrein betreffen die Verbote oft
- derartig Unwichtiges, dass die daraus resultierenden Konflikte viel
- schlimmer sind, als es dem theologischen Gewicht der Sache
- entsprche (Burski 1970). Zwischen Menschen wird es immer Konflikte
- geben. Und jeder kennt auch den rger, die Aggressionen, Frustra-
- tionen, Depressionen, Schuldgefhle, die aus solchen Zusammen-
- stssen folgen. Der Unterschied zwischen den Zeugen und anderen
- Personen ist hierbei ein gradueller. Da die Zeugen im Normalfall
- viel mehr Konflikten ausgesetzt sind, spren sie die Folgen viel
- hufiger und intensiver.
-
- Es ist mglich, dass eine religise Gemeinschaft sich von der
- Aussenwelt abkapselt und nur eine geringe Zahl psychischer Er-
- krankungen aufweist, doch dann ist es gewhnlich notwendig, die
- unvermeidbaren Konflikte zwischen ihren Anhngern und der Aus-
- senwelt durch bestimmte Massnahmen zu reduzieren. Das geschieht im
- allgemeinen dadurch, dass man dazu ermuntert, die kleinen Eigenhei-
- ten des einzelnen innerhalb der Gemeinschaft strker zu tolerieren,
- und indem man Programme plant, die die Bedrfnisse des einzelnen
- innerhalb des Rahmens der Gemeinde stillen. Viele Religionen haben
- Lehren, die mit den Normen der Gesellschaft in Widerspruch stehen,
- und doch bringen sie es fertig, die Zahl psychischer Erkrankungen
- sehr niedrig zu halten. Ein wesentliches Mittel hierfr besteht
- darin, die ganze Familie in eine Vielzahl von sinnvollen, ntzli-
- chen und freudebringenden Ttigkeiten einzuspannen. Darber hinaus
- erkennen diese Gemeinschaften die psychischen Bedrfnisse des
- Menschen und sind bestrebt, diese innerhalb ihres Wertesystems zu
- bercksichtigen. Die Zeugen dagegen neigen dazu, menschliche
- Bedrfnisse nicht richtig wahrzunehmen oder unzureichend auf sie
- einzugehen; sie verstehen sie oft gar nicht. So wissen sie auch
- nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen. [...]
-
- In meiner Praxis habe ich es scharenweise mit Zeugen zu tun gehabt,
- die emotionale Probleme hatten, weil sie ihrem Talent keinen
- Ausdruck verleihen konnten. Bei den Zeugen ist es blich, psychisch
- abweichendes Verhalten dem Einfluss von Dmonen zuzuschreiben, doch
- mittlerweile erkennt man auch, dass dies die Folge von Krankheit,
- Vererbung oder anderen weniger bedrohlichen Ursachen sein knnte.
- Nimmt man eine physische Ursache an, so wird der Glaube weniger
- bedroht, denn dann knnen die Zeugen annehmen, dass derjenige nicht
- auf Grund seiner Glaubensansichten krank wurde. Damit wird ein Teil
- der Schuldgefhle bei den Zeugen abgebaut, die daraus resultieren,
- dass sie sehen, wie sich einige Aspekte ihrer Religion negativ auf
- das Wohlbefinden ihrer Anhnger auswirken. [...]
-
-
-
- Zusammenfassung
-
- Die Forschung hat ergeben, dass sowohl Menschen mit psychischen
- Problemen wie solche ohne sie sich von den Zeugen angezogen fhlen,
- allerdings aus unterschiedlichen Grnden. Bei beiden Gruppen
- hingegen trgt die Wachtturm-Organisation selbst zur Verschlechte-
- rung der psychischen Verfassung ihrer Anhnger bei. Versucht man zu
- ermitteln, welcher Faktor der wesentlichste ist, so fllt es
- schwer, den Einfluss der Organisation genau abzuschtzen. [...] Die
- Tatsache, dass viele Zeugen Jehovas, die psychische Probleme haben,
- innerhalb der Gemeinschaft aufgewachsen sind, zeigt deutlich, dass
- die Organisation einen abtrglichen Einfluss auf ihre Anhnger
- ausbt. Dass dieser Faktor von Bedeutung ist, wird auch dadurch
- belegt, dass viele Menschen, die bereits psychische Probleme haben,
- von der Organisation angezogen werden.
-
-
-
-
-
- Kapitel 11:
- Wie man die Trennung von den Zeugen heil bersteht
-
- Noble (1983) bezeichnet das Trauma der Trennung von den Zeugen als
- ein eigenstndiges Syndrom, das "post-Jehovah's Witnesses syn-
- drome". Die Trennung, so betont die Autorin, fhrt durch viele
- "Abgrnde der Verzweiflung". Oft ist das Geschehen genauso
- traumatisch wie der Tod eines Ehegatten. Das Trauma der Trennung
- hngt von vielen Faktoren ab; einige sollen im weiteren besprochen
- werden. Die Not ist so gross, dass sich weltweit spontan Selbst-
- hilfegruppen gebildet haben. So schreibt die Zeitung The Hull Daily
- Mail vom 24. April 1985:
-
- "Ein Ehepaar aus Hull baut derzeit eine Selbsthilfegruppe
- fr ehemalige Zeugen Jehovas auf. Ihrer Ansicht nach sind die
- Trennungsprobleme bei dieser Gemeinschaft so gross, dass denen,
- die das wnschen, Hilfe geboten werden sollte. David Wilkinson
- (40) und seine Frau Vicky, Annandale Road, hatten 17 Jahre lang
- zu den Zeugen Jehovas gehrt. "Wir haben uns von der Gemein-
- schaft letzten Sommer getrennt, und seit dieser Zeit sind wir
- mit einer ganzen Anzahl Leuten in Kontakt gekommen, die
- Ausknfte und Rat haben wollten, weil sie dasselbe tun woll-
- ten," sagte Wilkinson. Seiner Meinung nach verstricken sich die
- Menschen so tief in diese Gemeinschaft, dass es ihnen schwer
- fllt, sich freizumachen. Und tun sie es, dann darf kein Zeuge
- mehr mit ihnen reden, was langjhrige Freundschaften zerstrt.
- "Wir werden von Leuten auf der Strasse gemieden, die mit uns
- zusammen auf der Kirchenbank gesessen haben. Eine solche
- Behandlung kann einen schon schockieren," sagte er."
-
- Wie lange jemand nach der Trennung bis zur Genesung braucht, hngt
- davon ab, wie sehr er sich in der Gemeinschaft engagiert hatte, wie
- lange er dabei war, wie lange sich der Bruch hinzog, ob Freunde
- oder Familienmitglieder mitbetroffen sind und wieviel Untersttzung
- man findet. Die fr die Heilung wesentlichsten Faktoren sind wohl
- der Grad des Einsatzes fr die Wachtturm-Gesellschaft, der Beistand
- durch andere und die Strke der Persnlichkeit. Nach dem Bruch mit
- der Organisation ist hufig eine vllige Umstrukturierung des
- Lebens notwendig. Noble (1983:7) schreibt dazu:
-
- Die Lehren und Ttigkeiten der Gesellschaft, die einem einst so
- vollkommen erschienen, zeigen jetzt erstmals Mngel und krasse
- Widersprche. (Ich hatte sie nie in einem objektivem Licht
- betrachtet.) Bald sieht man, dass die Einrichtung der ltesten-
- schaft Parallelen zu anderen religisen Gruppen aufweist.
-
- Die Umstrukturierung ist so umfassend, dass man ein "neuer Mensch"
- wird und einem der alte Mensch, der man war, wie ein Fremder
- vorkommt. Nach einigen Jahren sagen viele Zeugen rckblickend, wenn
- sie sich anschauen, was sie durchgemacht haben und "was fr Leute
- sie mal waren", dass sie es kaum fassen knnen, wie sie so manche
- Wachtturm-Lehre berhaupt schlucken konnten. Ihr frheres Leben ist
- ihnen fremd, und die Erinnerung ist verblasst.
- Die Trennung fllt besonders schwer, wenn man noch enge Freunde
- oder seine Familie in der Organisation hat. Nicht selten kommt es
- aber vor, dass ein grosser Teil der Familie die Organisation
- verlsst, nachdem ein einzelner den Anfang gemacht hat - oder die
- ganze Familie bricht den Umgang mit dieser Person ab (was durch
- einen Gemeinschaftsentzug gefrdert wird). Der erstgenannte Fall
- kommt in etwa 60 Prozent aller Flle vor, manchmal allerdings zieht
- sich das ber Jahre hin.
-
- Das wichtigste Heilmittel ist die Zeit. Solange jemand noch auf dem
- Weg der Gesundung ist, mssen Freunde und Familie ihn einfach
- ertragen, so gut es geht, wenn er gereizt oder niedergeschlagen
- ist. Wer einem ehemaligen Zeugen Jehovas helfen will, das Trauma
- der Trennung zu berstehen, muss usserst geduldig und tolerant
- sein und erkennen, dass dieser sich in gewisser Weise von einer
- schweren Krankheit erholt. Der Genesungsprozess kann sehr schwierig
- sein und dauert manchmal Jahre. Man muss sein ganzes Weltbild und
- seine Zukunftserwartung umstellen, was keineswegs einfach ist. Um
- grob abzuschtzen, wie lange die Hauptphase der Umstellung dauern
- wird (so richtig vollstndig erholt sich wohl keiner sein Leben
- lang), multipliziere man die Zahl der Jahre der Zugehrigkeit zu
- den Zeugen mit zwei und ziehe dann die Wurzel.
-
- Beispiel: Wenn jemand acht Jahre bei den Zeugen war,
- dauert die Genesung etwa vier Jahre. (Berechnung: Zweimal acht
- ist sechzehn; daraus die Quadratwurzel ergibt vier.) Wer 32
- Jahre lang Zeuge war, erhlt 2 mal 32 = 64; die Wurzel aus 64
- ergibt 8 Jahre.
-
- Daran zeigt sich, dass man Jahre braucht, um sich einigermassen zu
- fangen, wenn man lngere Zeit dabeiwar. Diese Werte ergeben sich
- aus meiner Beobachtung als Durchschnittswerte, die natrlich je
- nach Einzelfall abweichen. Der Hauptteil der Umstellung entfllt
- auf eine krzere Zeit; sie entspricht etwa der Wurzel der Anzahl
- Jahre, in denen man aktiv war. Wer neun Jahre dabei war, hat also
- drei schlimme Jahre zu erwarten, bei 36 Jahren sind es die ersten
- sechs Jahre.
-
- Unzufriedene Zeugen versuchen meistens einige Jahre lang, etwas in
- der Organisation zu ndern, bevor sie gehen. Durch Briefe oder
- durch Gesprche weisen sie darauf hin, wie unpassend es beispiels-
- weise ist, wenn die Organisation Daten vorhersagt, nachdem
- feststeht, dass sie in der Vergangenheit einfach zu oft vllig
- danebengelegen hat. Oder man liest vielleicht im Wachtturm, dass
- das buchstbliche Herz der Sitz und Ursprung der Gefhle des
- Menschen ist. Dann liest man davon, dass es nach Herztransplanta-
- tionen nicht zu einer Vernderung der Persnlichkeit kommt, wenn
- der Heilungsprozess abgeschlossen ist. Wenn man den ltesten so
- etwas vorgetragen hat und dabei im gnstigsten Fall auf Widerspruch
- gestossen ist, wahrscheinlich aber erlebt hat, dass der eigene
- Glauben in Zweifel gezogen wird und man sich Vortrge anhren muss,
- wie gefhrlich es ist, die Gesellschaft anzuzweifeln, dann wird man
- unweigerlich entmutigt (siehe Wachtturm vom 15. Dezember 1983,
- S.10-20). Als nchstes folgt eine zunehmende Desillusionierung,
- d.h. man hlt Ausschau nach weiteren Mngeln an der Organisation
- und beginnt, die Aussenwelt mit anderen Augen zu sehen. Ist man
- einmal an diesem entscheidenden Punkt angelangt, findet man im
- allgemeinen laufend neue Besttigungen fr die eigenen Befrch-
- tungen und Verdachtsmomente. Oft fllt von diesem Punkt an das
- ganze Glaubensgebude rapide in sich zusammen.
-
- In dieser Zeit braucht man vor allem Gelegenheit, seinen Gefhlen
- Luft zu machen, denn Angst, Wut, Eifersucht, Depression und
- Enttuschung treten dabei ganz allgemein auf. Derjenige, der dem
- Zeugen beisteht, muss wissen, dass dieser vieles sagen wird, was er
- spter bereut und oft auch schon nicht so meint, whrend er es
- sagt. Zum Teil will er damit den Helfer "testen", um
- sicherzugehen, ob dieser ihn wirklich bedingungslos akzeptiert. Dem
- Zeugen wird der rger ber "die vielen vergeudeten Jahre" hoch-
- steigen, darber, dass er keine Familie gegrndet hat, weil er auf
- Harmagedon gewartet hatte, oder dass er keinen Hochschulabschluss
- erworben hat, weil die Organisation das so wollte. Solche usserun-
- gen sind normal, sie knnen sich aber ungnstig auswirken, da sie
- stndig die Aufmerksamkeit auf das Problem lenken. Darber zu reden
- ist wohl ntig, doch zur Ablenkung ist die Beschftigung mit
- anderen sinnvollen Dingen angebracht, damit die Zeit ihr heilendes
- Werk tun kann.
-
- Wichtig wre auch, sich in dieser Zeit grndlich vom Arzt unter-
- suchen zu lassen. Besondere Beachtung ist dem Blutzuckerwert, dem
- Blutdruck, dem Cholesterinspiegel usw. zu schenken, da diese durch
- emotionales Trauma beeinflusst werden. Hilfreich ist auch, die
- Essgewohnheiten zu ndern, soziale Kontakte aufzubauen und auch
- nebenschlich scheinende Aspekte des tglichen Lebens zu verndern.
- Falls es am Ort einen qualifizierten Helfer gibt, der fr die
- Behandlung von Jehovas Zeugen ausgebildet ist, sollte er kon-
- sultiert werden (in den USA gibt es solche in den meisten grsseren
- Stdten).
-
- Der Verlust der Religion macht in vieler Hinsicht dieselbe
- Trauerarbeit erforderlich wie bei dem Verlust eines geliebten
- Menschen durch den Tod (Kbler-Ross 1975). Die verschiedenen
- Trauerstadien finden auch auf den Verlust der Glaubensansichten
- Anwendung. Darum ist es auch so wichtig, sowohl den Glauben der
- Zeugen wie auch den Umgang mit ihnen durch etwas anderes zu
- ersetzen. Je besser das klappt, desto geringer die Trauer. Nur
- wenige werden allerdings so ohne weiteres von den Zeugen Jehovas zu
- einer anderen Organisation berwechseln und dabei gleich hnlich
- aktiv sein. Fast immer ist eine betrchtliche Zeit der Anpassung
- ntig. Die wenigsten von uns erleben eine Bekehrung wie Paulus
- (Wilson 1975).
-
- Um ber die schwierige Anpassungszeit hinwegzukommen, kann
- zustzlich auch eine medikamentse Behandlung notwendig werden. Es
- wird Schwierigkeiten mit dem Schlaf geben. Besonders hufig kommt
- es vor, dass jemand um drei oder vier Uhr morgens aufwacht und
- nicht mehr einschlafen kann. Doch auch wenn man nur im Halbschlaf
- im Bett liegt, hilft das dem Krper. Manche stehen dann auch
- einfach auf und machen Hausarbeit oder lesen. Viele Nahrungsmittel
- knnen zu gutem Schlaf beitragen, u.a. Milch. Auch das Kabelfernse-
- hen mit seinen vielen Stationen, von denen etliche rund um die Uhr
- senden, kann helfen, schlaflose Nchte zu berstehen. Spaziergnge
- am frhen Morgen, lange Gesprche oder Hobbies knnen ebenfalls
- dazu beitragen, wieder normalen Schlaf zu finden.
-
- Wegen der Einnahme von Medikamenten braucht man sich keine
- bermssigen Sorgen zu machen, jedenfalls was die erste Zeit
- angeht. Art und Dosierung des Medikaments mssen ab und an gendert
- werden, weil jeder Organismus anders reagiert. Valium zum Beispiel
- wirkt bei manchen schlaffrdernd, bei anderen zeigt es gar keine
- Wirkung. ber den Gebrauch von Tranquilizern und Schlafmitteln ist
- viel geschrieben worden. Dabei geht es aber vor allem um ber-
- dosierung und Abhngigkeit. Viele Medikamente (auch Schlaftablet-
- ten) tun ein gutes Werk, indem sie einem ber schwierige Momente
- hinweghelfen; Probleme gibt es eigentlich erst bei zu langem
- Gebrauch. Die ersten Wochen nach einem Gemeinschaftsentzug knnen
- die schlimmsten sein. Der lange schwelende Konflikt ist endlich
- gelst, wenn auch durch einen Bruch und oft nicht aus eigenem
- Antrieb. Der Rckweg ist jetzt praktisch verbaut. Diese Belastung
- ist fr viele so gross, dass sie nach dem Ausschluss tagelang nicht
- normal funktionieren knnen. Gerade in dieser Zeit spielen
- Medikamente eine bedeutende Rolle. [...]
-
- Das Schlafproblem lst sich meist innerhalb weniger Wochen,
- sptestens nach einigen Monaten. Der Krper kommt nur eine
- begrenzte Zeit ohne Erholung aus. Irgendwann ist es unmglich, den
- Schlaf aufzuhalten. Viele meinen auch, sie htten fast die ganze
- Nacht wachgelegen, und haben doch einen Grossteil der Zeit ge-
- schlafen. Darber nachzugrbeln bringt nur noch mehr Probleme. Man
- muss erkennen, dass man seine Gedanken weitgehend beherrschen kann.
- Mit der Zeit wird man darin gebter. Nach der Trennung geschieht es
- leicht, dass man dauernd dem Thema Jehovas Zeugen nachhngt, doch
- das kann zur Gewohnheit werden und die Gesundung hinauszgern. Man
- mache sich klar, auch wenn das zuerst schwerfllt, dass die meisten
- Zeugen die Trennung gut berstehen. Und die meisten gehen nie
- wieder zurck; sie spren auch kein Verlangen danach.
-
- Bis zu einem gewissen Grad kann man lernen, seine Gedanken zu
- steuern. Wenn sich negative Gedanken ber Leben und Tod einstellen,
- besonders ber Jehovas Zeugen und die Wut, die man ihnen gegenber
- hat, und den Schmerz, den man empfindet, dann muss man sie zu
- vertreiben suchen. Das fllt leichter, wenn man sich mit etwas
- Praktischem beschftigt, irgendwo hingeht, sich mit anderen trifft
- oder etwas Neues tut. Mit anderen ber die eigenen Probleme zu
- reden kann bis zu einem gewissen Grad hilfreich sein, doch wenn man
- stndig darin herumrhrt, kann das schwerwiegende Folgen haben. Man
- ist oft so voller rger und Wut und will die Glaubensbrder
- verfluchen. Das schdigt aber im Endeffekt nur einen selbst. Den
- Zeugen ist die Wut vllig egal, ja sie sehen dann den Gemein-
- schaftsentzug nur als gerechtfertigt an (Wachtturm vom 1. April
- 1983, S. 30, 31, und vom 1. Juli 1983, S. 20-31). Sie sehen darin
- hchstens noch das Wirken von Dmonen, selbst wenn der rger, wende
- er sich nun nach aussen als Wut oder nach innen als Depression,
- vllig normal ist und bei den meisten Menschen auftritt, die dem
- Glauben der Zeugen Jehovas angehrten und sich davon trennten.
- Immer wenn man etwas verliert, was einem etwas bedeutete, ruft das
- ein Trauma hervor. Der Verlust der Zugehrigkeit zu einer Glaubens-
- gemeinschaft, die fr einen gottesfrchtigen Menschen die zentrale
- Motivation im Leben bedeuten kann, insbesondere wenn man einer so
- fordernden Religion wie den Zeugen Jehovas angehrt hat, muss
- einfach ein Trauma hervorrufen. Damit muss man rechnen.
-
- Neben den Medikamenten haben auch viele Nahrungsmittel eine
- beruhigende Wirkung und knnen einem bei Schlaflosigkeit oder
- Depression sehr helfen. In Biolden, Reformhusern und bei
- Heilpraktikern und rzten, die eine Ausbildung auf diesem Gebiet
- haben, kann man erfahren, welche Nahrungsmittel gnstig sind. [...]
-
- Der vielleicht wichtigste Schritt besteht darin, sich mit einer
- Selbsthilfegruppe von ehemaligen Zeugen Jehovas zusammenzutun. Nur
- wer selbst einmal Zeuge Jehovas war, kann die Probleme, die jemand
- hat, der sich gerade trennt, voll erfassen und darauf eingehen.
- Gerade in dieser Zeit ist Untersttzung wichtig, und Ehemalige sind
- am besten in der Lage zu helfen, da sie dieselben Erfahrungen
- hinter sich haben. Viele dieser Gruppen kmmern sich sehr um den
- einzelnen, sind oft gern bereit, mit den Ehemaligen viel Zeit zu
- verbringen und sich ber gemeinsam bewegende Fragen zu unterhalten;
- manche rufen auch ab und zu bei ihnen an oder besuchen sie, um zu
- sehen, ob es ihnen gut geht. Darauf kommt es besonders an, denn in
- dieser Zeit sind
-
- Selbstmordgedanken durchaus nichts Ungewhnliches. Ein ehemaliger
- Zeuge sollte sich also nicht erschrecken, wenn sie auftauchen. Er
- sollte verstehen lernen, dass es den meisten Menschen, die einmal
- mit ganzem Herzen Jehovas Zeugen waren und dann ihre Religion (und
- damit zugleich ihren zentralen Lebensinhalt) verloren, ganz hnlich
- erging. Die meisten berstehen das und sind hinterher wertvollere
- Menschen (Bronner 1964). Sehr ntzlich fr den gesundenden Zeugen
- ist es auch, anderen Zeugen beizustehen. Die Hilfe fr andere hilft
- einem selbst, sich wieder zu fangen.
-
- Besonders gut tut es, jetzt etwas vllig Neues auszuprobieren.
- Damit schafft man ein sichtbares Zeichen, dass sich etwas ver-
- ndert, dass es vorangeht. Als Beispiele liessen sich eine neue
- Frisur, das Renovieren der Wohnung, die Reparatur einer kaputten
- Maschine nennen, oder dass man endlich etwas tut, was man als Zeuge
- immer schon tun wollte, aber nicht durfte, wie Orgelmusik anhren
- oder Weihnachten feiern. In der Praxis hat sich auch bewhrt, wenn
- jemand in einen Gesangverein eingetreten ist, in einen Sportverein
- oder zu einem Volkshochschulkurs gegangen ist. Es ist von ganz
- zentraler Bedeutung, dass man sich jetzt beschftigt hlt und mit
- anderen etwas tut, auch und gerade wenn man sich nicht danach
- fhlt, weil man an den Entzugserscheinungen der Trennung leidet.
- Freunde und Bekannte mssen demjenigen gut zureden, sein Schnecken-
- haus zu verlassen und sich mit Dingen zu befassen, die er oder sie
- als sinnvoll empfindet. Vor allem gilt, daran zu denken, dass es
- "ein Leben ausserhalb der Wachtturm-Gesellschaft" gibt und dass
- praktisch alle es schaffen, wieder auf die Beine zu kommen. Der
- Schlssel zur schnellen Genesung liegt darin, Altes durch Neues zu
- ersetzen: Freunde, Glaubensansichten, ethische Werte, konkrete
- Lebensziele und berhaupt den Sinn des eigenen Lebens.
-
- Von grossem Wert fr den Anpassungsprozess knnen auch zahlreiche
- krperliche bungen sein, selbst so einfache wie tiefes Atmen (das
- sehr viel bewirkt, weil es gasfrmige Schlacken entfernt und den
- Krper mit einem grsseren Sauerstoffvorrat versorgt, wodurch ein
- gewisses psychologisches und krperliches Hochgefhl hervorgerufen
- wird). Eine weitere Mglichkeit wre, Urlaub zu machen, entfernt
- wohnende Verwandte zu besuchen, oder sich eine Woche freizunehmen
- und in ein Urlaubsgebiet zu reisen, um Interessantes und Neues zu
- sehen. Wer eine Familie hat, kann das vielleicht nicht so einfach
- in die Tat umsetzen, doch oft lassen sich wenigstens einige Dinge
- verndern, wenn man meint, dass es einem guttut.
-
- Selbsthilfebcher zum Thema Depression und Schuld oder ber das
- Selbstwertgefhl, wie man sie in jeder Stadtbcherei und jedem
- Buchladen findet, mgen dazu beitragen, dass man die Welt etwas
- gelassener betrachtet. Von sehr grosser Hilfe sind auch Entspan-
- nungsbungen, Wort-und Musik-Meditationen oder sogar Tiefenent-
- spannung, alles Dinge, vor denen die Zeugen, selbst viele ehemali-
- ge, Angst haben, weil sie befrchten, sich dabei Dmonen zu ffnen.
- Viele Menschen, die ihr ganzes Leben lang emotional sehr stabil
- waren, machen nach ihrem Ausschluss aus der Gemeinschaft ihr erstes
- wirkliches Trauma im Leben durch. Ihre ganze Welt ist in sich
- zusammengestrzt, und sie knnen vielleicht nicht mit ihrer Familie
- und ihren engsten Freunden sprechen, wenn diese weiterhin Zeugen
- sind. Noble (1983:16) berichtet:
-
- "Unser Kummer wre nicht so schlimm, wenn unsere Familie
- gemeinsam mit uns aus dieser Gesetzlichkeit befreit wrde. Doch
- in den meisten Fllen bleibt die Familie weiter dem Denken in
- Ritualen versklavt und folgt menschlichen Fhrern. Viele
- Familienangehrige wrden gern frei sind, doch Furcht, Demti-
- gung und Verwirrung halten sie fest. ber diese Hrde kommt man
- am schwersten hinweg. Wie knnen wir froh und glcklich sein,
- wenn die meisten von uns die verloren haben, die uns die
- Liebsten sind? Leicht ist es nicht, doch es hat sich gezeigt,
- dass man damit sehr wohl fertig werden kann."
-
- Es zeigt sich also, dass man fr die Heilung so manches in Betracht
- ziehen muss, dem man frher keine Beachtung geschenkt htte, von
- dem man nicht einmal wusste, dass es das gibt. Fr die meisten
- emotionalen Probleme gibt es Heilmittel. Auch wenn viele die
- Probleme nicht direkt lsen, so mildern sie doch die Symptome, bis
- die tieferliegenden Konflikte angegangen werden knnen. Fr
- Depressionen gibt es heute mehrere gute Medikamente.
-
- Einer der Hauptgrnde, weshalb es so schwerfllt, die Verbindung
- zur Wachtturm-Organisation zu lsen, besteht vor allem darin, dass
- sie versucht (und oft mit grossem Erfolg), ihr Glaubensgebude auf
- berzeugende Weise darzustellen. Jeder Zeuge Jehovas kann Dutzende
- von Schrifttexten zitieren, die ihre ganz spezielle Deutung
- beispielsweise der Stellung Christi dem Anschein nach belegen. Als
- Zeuge lernt man, gegenber der Welt eine ganz bestimmte Haltung
- einzunehmen, und diese wird verstrkt durch die Gemeinschaft, die
- man tglich pflegt, die fnf wchentlichen Zusammenknfte, die man
- besucht, und die grosse Menge an Wachtturm-Literatur, die der
- Durchschnittszeuge liest. Sie wird verstrkt durch den inter-
- nationalen Zusammenhalt unter den "Brdern und Schwestern" und das
- Gefhl der Einheit mit allen treuen Zeugen weltweit. Als ich in
- Europa war, konnte ich kommen, wohin ich wollte, in jeder Stadt, in
- der ich einen Knigreichssaal ausfindig machen konnte, habe ich
- sofort eine Unterkunft gehabt, bekam eine exklusive Stadtfhrung
- und hatte ein Dutzend neue Freunde gewonnen. Die Grenzlinie
- zwischen Zeugen und Nicht-Zeugen ist klarer und schrfer als bei
- fast allen anderen Religionsorganisationen. In vielem heben sich
- die Zeugen Jehovas von allen anderen Kirchen ab (und auf diese
- Unterschiede weisen sie auch wiederholt hin, um zu betonen, dass es
- keine Religionsgemeinschaft wie sie gibt und daher jeder, der die
- Organisation verlsst, woanders keine geistige Heimat finden kann).
- Aus diesem Grunde ist der bergang so schwierig. Verlsst ein
- Mitglied der Episkopalkirche seine Organisation, so hat er nicht so
- grosse Probleme, jetzt zur Presbyterianischen oder sogar zur
- Katholischen Kirche zur gehen. Ein Zeuge Jehovas aber stellt fest,
- dass es nur wenige vergleichbare Organisationen gibt. In den USA
- sind die Christadelphianer den Zeugen am hnlichsten, doch es gibt
- nur sehr wenige dort. Gemeinden gibt es nur in den grossen Stdten,
- und diese haben hchstens etwa hundert Mitglieder. Das Christadelp-
- hianertum hat sich zudem in den letzten hundert Jahren nur wenig
- weiterentwickelt, und viele Zeugen haben von dieser Sekte, die
- Mitte des 19. Jahrhunderts von Dr. John Thomas gegrndet wurde,
- noch nie gehrt.
-
- Es fllt schwer, sich von den Zeugen zu lsen, weil sie so viel
- Anziehendes haben. Die Geschichte ihres Mrtyrertums und ihrer
- Verfolgungen ist Teil ihres Beweises, dass sie die Erwhlten Gottes
- sind. Bestndig wird den Zeugen eingehmmert, dass ihre Lehren die
- richtigen sind, einschliesslich derjenigen ber den Fahnengruss und
- die Ablehnung des Blutes. Viele ehemalige Zeugen, selbst solche,
- die sich jetzt zu den wiedergeborenen Christen zhlen, halten immer
- noch an einigen dieser Lehren fest. Ein Mann sagte mir, er knne
- niemals einer Bluttransfusion zustimmen, auch wenn er die theologi-
- sche Begrndung der Zeugen in dieser Frage ablehnt und aktives
- Mitglied einer evangelikalen Gemeinschaft ist. Die Zeugen betonen
- stndig, dass sie anders sind, und das sind sie auch. Ihre Gottes-
- dienste unterscheiden sich von denen der Christadelphianer und
- anderen kleinen Gemeinschaften sehr deutlich. Doch die Verschieden-
- artigkeit unter den Religionsgemeinschaften ist gross, und die
- Zeugen erkennen, dass es doch hnlichkeiten zwischen ihnen und
- anderen Gruppen gibt. So ist es zwar schwierig, Ersatz zu finden,
- aber doch mglich, auch wenn das zuerst ganz unwahrscheinlich
- aussieht, und hufiger, als man auf den ersten Blick vermuten
- wrde, haben ehemalige Zeugen Jehovas den Absprung geschafft und
- sind heute zu Tausenden in den verschiedensten religisen Gemein-
- schaften aktiv.
-
-
- Zusammenfassung
-
- Die Genesung ist der Normalfall, kann aber beschleunigt und weniger
- schmerzlich gemacht werden durch die Anwendung der besprochenen
- Techniken. Vor allem muss man wissen, dass es sich bei der
- Witnessitis um eine Krankheit handelt, von der fast 100 % der
- Betroffenen fast vollstndig geheilt werden, aber nie ganz.
- Voraussetzung ist, dass sie die Organisation verlassen; bleiben sie
- dabei, bestehen kaum Heilungsaussichten. Viel lsst sich tun, um
- die Tiefe des Traumas und die Dauer des Genesungsprozesses zu
- reduzieren, und einige der wesentlichen Techniken hierfr wurden in
- diesem Kapitel besprochen.
-
-
-
-
-
- Kapitel 12:
- Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
-
- [...] Untersucht man religise oder andere soziale Gruppen vom
- soziologischen und psychologischen Standpunkt, wird man auf
- positive wie negative Aspekte stossen. Ohne Zweifel hat die
- Wachtturm-Organisation insgesamt gesehen auf viele eine positive
- Wirkung, und ebenso gibt es viele, auf die sie eher sehr negativ
- wirkt. Nur wenige Gemeinden (Versammlungen) haben es fertigge-
- bracht, die in dieser Studie beschriebenen Probleme zu vermeiden.
- Was hier an Problemen zur Sprache gekommen ist, ist weit verbreitet
- und typisch, auch wenn einige Fallgeschichten als Veranschaulichung
- eingeflochten wurden, die nicht unbedingt typisch sind.
- Viele Erfahrungen lassen sich nicht in Worte fassen. Selbst
- Ausdrcke wie kummervoll, niedergeschlagen, entmutigt und ent-
- tuscht erfassen nur unzureichend, was viele der hier beschriebenen
- Menschen erlebt haben. Es ist darum fr einen Leser, der die
- Organisation der Zeugen Jehovas nicht aus eigener Anschauung kennt,
- schwer, sich in einige der Flle und Umstnde hineinzuversetzen.
- Dennoch wurde der Versuch gemacht, die Probleme und Gefhle von
- Hunderten von Menschen zu vermitteln, die im Verlaufe der Unter-
- suchung interviewt wurden. Neben den Interviews wurde die gesamte
- Literatur gesichtet, mit besonderer Bercksichtigung der Dis-
- sertationen (ber drei Dutzend) und der soziologischen und
- psychologischen Fachliteratur. Die meisten Untersuchungen stimmen
- in den hier dargelegten allgemeinen Schlussfolgerungen berein. Es
- handelt sich hier um ein Gebiet der Sozialwissenschaften, auf dem
- es in der empirischen Literatur kaum Diskrepanzen gibt.
-
- Einige der behandelten Probleme bestehen in der Wachtturm-Organisa-
- tion seit Anfang dieses Jahrhunderts, doch vieles deutet darauf
- hin, dass sie mancherorts durch die Einrichtung von ltesten-
- schaften noch verschrft wurden. Nach 1975 erlebte die Wachtturm-
- Organisation einige Jahre lang einen deutlichen Rckgang der Zahl
- der aktiven Mitglieder. Genau lsst sich das zwar schwer ab-
- schtzen, doch es hat den Anschein, als seien seit 1975 ber 30
- Prozent der Anhnger gegangen. Allein in den letzten zehn Jahren
- (bis 1986) starben etwa 80 000 Zeugen Jehovas und ber 880 000
- verliessen die Gemeinschaft weltweit. Diese Zahl fhrt in einer
- Organisation, bei der gerade der engagierte Einsatz der Mitglieder
- der Normalfall ist (weshalb diese auch ihre Religionsgemeinschaft
- als "die Wahrheit" bezeichnen und sagen, sie seien "in der
- Wahrheit"), zu schweren Problemen. Die Trennung verluft oft sehr
- traumatisch, und der grosse Mitgliederschwund der letzten Zeit
- deutet ganz klar auf grosse Probleme hin (und auf grosse Um-
- stellungsprobleme fr die 880 000).
-
- Zu den schweren Problemen, die zu emotionalen Fehlentwicklungen und
- anderen Schwierigkeiten fhren und die in dieser Studie herausge-
- arbeitet wurden, gehren unter anderem:
-
- 1. Wiederholte nderungen der Lehre.
- 2. Eine unnormale Betonung von Dingen, die die meisten Menschen
- als nebenschlich empfinden (besonders im Sprachgebrauch).
- 3. Viele Verbote auf Gebieten, in denen sie wohl eher das
- Gegenteil von dem bewirken, was sie bezwecken sollen, und die im
- Gegensatz zu den Normen der westlichen Gesellschaft stehen, wie das
- Verbot, eine lohnende Berufslaufbahn anzustreben oder auf die
- Universitt zu gehen.
- 4. Riesiger Druck auf die Mitglieder, sich an Aktivitten zu
- beteiligen, die insgesamt erfolglos und kontraproduktiv sind, wie
- der "Verkauf" von Literatur von Tr zu Tr, die wenig gelesen wird
- und vielfach fr Uneingeweihte nicht verstndlich ist (wie der
- Wachtturm).
- 5. Weitgehende autoritre Gleichschaltung der Mitglieder und eine
- Tendenz, Probleme durch Verurteilung, Kritik und sozialen Druck zu
- lsen statt auf menschlich angemessenere Weise.
- 6. Offensichtliche Schwchen der Lehre, die vor allem den
- beleseneren Mitgliedern bewusst sind oder solchen, von Aussen-
- stehenden beeinflusst werden. Diese fhren zu Zweifeln und sogar
- Depressionen.
- 7. Die Angst davor, dass der Glaube, auf den man sein ganzes
- Leben gebaut hat, falsch ist, kann sehr traumatisch sein. Beispiele
- hierfr sind die Fehlschlge bei den Voraussagen, so ber 1914,
- 1975 und mehr als ein Dutzend andere.
- 8. Der Mangel an Belohnungen im Leben der Zeugen, die gedrngt
- werden, letztlich anderen zu dienen und ihre eigenen Bedrfnisse
- und Ziele zu unterdrcken oder vollstndig zu sublimieren.
- 9. Druck von aussen, der hufig zu schweren gesellschaftlichen
- Konflikten fhrt, hervorgerufen beispielsweise durch das Verbot,
- die Fahne zu grssen, den Militrdienst zu leisten, Feiertage zu
- begehen, Hochzeiten und Beerdigungen Aussenstehender zu besuchen.
- 10. Statuskonflikte innerhalb der Versammlung und die Tatsache,
- dass man innerhalb der Organisation nur Ansehen erlangen kann,
- indem man Stellungen wie die eines ltesten erringt, oder indem man
- selbst oder der Ehegatte Pionier wird. Die Folge sind erhebliche
- Konkurrenzkmpfe und ein gegenseitiges Zerfleischen, um in diese
- Positionen zu gelangen, und dann folgen Gehssigkeit, Neid, Groll
- usw. gegenber denen, die sie innehaben.
- 11. Langeweile: Die Zusammenknfte der Gemeinde (fnf pro Woche)
- sind normalerweise unertrglich langweilig, und da die Zeugen
- angespornt werden, schlechtbezahlte Stellungen anzunehmen, keine
- berstunden zu leisten usw., sind sie gezwungen, ein krgliches
- Leben ohne besonderen Luxus zu fhren und sich unablssig an
- endlosen, langweiligen und monotonen Aktivitten der Zeugen zu
- beteiligen. Abgesehen vom Neuen System und dem nchsten Wachtturm
- oder Kongress gibt es kaum etwas, auf das man sich freuen knnte.
- 12. Konflikte mit Nachbarn, Freunden und sogar innerhalb der
- Familie, die entstehen, wenn man ein Zeuge Jehovas wird, und die
- hufig zu erheblichem emotionalen Aufruhr fhren. Wer zu den Zeugen
- wechselt, muss seine Freunde aufgeben, und durch die entschiedene
- Bettigung fr den neuen Glauben werden zum Teil auch die Familien-
- angehrigen von dem neuen Zeugen entfremdet.
-
- [...] Als Faktoren, die die psychischen Leiden mit beeinflussen,
- haben wir uns insbesondere mit dem gewhnlich niederen sozialen
- Stand beschftigt, sowie dem niedrigen Bildungsstand und der
- Tatsache, dass die Organisation allem anderen vorangestellt wird
- und die Menschen als einzelne von ihr ausgebeutet werden und ihre
- Bedrfnisse denen der Wachtturm-Organisaton eindeutig untergeordnet
- werden. Hinzu kommt, dass die Zeugen wegen ihres sozialen und
- konomischen Standes gezwungen sind, mit weniger erfreulichen
- Kreisen der Bevlkerung zusammenzuleben und zu einem gewissen Grad
- mit ihnen Umgang zu pflegen, so dass es sicher auch bedeutende
- Ansteckungseffekte gibt.
-
- Eine wichtige Frage lautet: Inwieweit lassen sich die Erkenntnisse
- ber Jehovas Zeugen auf andere Glaubensgemeinschaften bertragen?
- Meine Erfahrung mit vergleichbaren Gruppen (den Mormonen, den
- Christadelphianern, den Moonies) hat ergeben, dass ein grosser Teil
- des hier Besprochenen auch fr andere Sekten gilt, und zwar nicht
- nur jetzt, sondern auch historisch gesehen (Bergman 1985). Die
- Zeugen waren nicht die einzigen, die sich in endlose Debatten ber
- - fr andere Menschen - unbedeutende Kleinigkeiten verstrickten.
- Manche Gemeinschaften haben jahrzehntelang ber die Frage gestrit-
- ten, ob es sittsam ist, Kleidungsstcke mit Knpfen zu tragen oder
- ob man nicht doch besser nur Haken und sen verwenden sollte. Nach
- Ansicht einzelner glich der Vorgang des Zuknpfens zu sehr dem
- Geschlechtsakt, so dass das Zuknpfen eines Hemdes oder Mantels
- lsterne Gedanken wecken knnte. Deswegen seien Haken und sen
- besser. Heute amsiert uns das, doch in einigen Kirchen war das ein
- heisses Thema, um das jahrelang erbittert gestritten wurde. Doch
- bei solchen Debatten ist es anscheinend oft nebenschlich, was die
- Betroffenen selbst davon halten. Viele Kirchen sind viel mehr mit
- ihren Vorschriften beschftigt als damit, den Menschen zu helfen.
- Ein Problem, dem sich die Leitung der Wachtturm-Organisation
- gegenbersieht, ist die Tatsache, dass Vernderungen hufig zu
- Verwerfungen fhren, selbst wenn sie dringend ntig sind. Ganz
- sicher ist man sich der spaltenden Wirkungen bewusst, die in der
- Vergangenheit schon kleinere nderungen hatten. Zur Jahrhundertwen-
- de gab es mehrere bedeutende Spaltungen wegen der Frage der Gelbde
- (ob es richtig sei, ein "Gelbde" abzulegen, dass man bestimmte
- unmoralische Handlungen nicht begehen werde) und der Frage des
- Neuen Bundes (ob Charles T. Russell recht daran tat, zu seiner
- eigenen frheren Lehre ber den Bund zurckzugehen). So geringfgig
- diese nderungen waren, sie riefen doch schwere Probleme fr die
- Organisation hervor. Ein Mitglied der Erwachet!-Redaktion in New
- York sagte mir, die Organisation sei sich dessen klar bewusst, dass
- das Verbot von Bluttransfusionen ein Irrtum gewesen sei, sie knne
- sich aber zum Umschwenken nicht entschliessen, weil sie der Meinung
- sei, eine nderung der Position schaffe mehr Probleme als die
- Beibehaltung der unrichtigen Lehre. Sicher wrden dann alle
- diejenigen, die Kinder, Ehegatten und andere ihnen Nahestehende
- wegen des Verbots der Bluttransfusionen verloren haben, zumindest
- ein wenig das Gefhl haben, ihr Opfer sei vergebens gewesen. Um
- daher erst gar keinen Raum fr eine strmische Entwicklung zu
- lassen, hielt man es fr das Beste, an der bisherigen Lehre
- festzuhalten. Dabei wird argumentiert, eine nderung dieser
- offiziellen Lehre knne viele zum "Straucheln" bringen, so dass sie
- ihr "ewiges Leben" verlieren knnten. Behalte man die Lehre
- andererseits bei, mgen vielleicht Hunderte oder selbst Tausende
- sterben, doch da sie "im Glauben" gestorben seien, wrden sie
- gemss der Lehre der Organisation wiederauferstehen und ihnen im
- Endeffekt nichts verloren gehen.
-
- Ganz gleich, wie gut gegrndet eine neue Lehrposition auch ist, sie
- wird immer nur mit Schwierigkeiten einzufhren sein. Immer werden
- einige starr an der alten Lehre festhalten und sich weigern, die
- neue anzunehmen, egal wieviele Beweise dafr vorgetragen werden
- (Franz 1983). Darum ist die Organisation auch sehr zurckhaltend
- mit Vernderungen. Auch solche nderungen, die ntig wren, um die
- Zahl psychischer Erkrankungen zu vermindern, knnten zu hnlichen
- schweren Problemen fhren. So haben sich die Verantwortlichen
- entschlossen, lieber kein Risiko einzugehen und alles beim alten zu
- lassen, selbst wenn sie die Notwendigkeit der Vernderungen
- einsehen. Sind bestimmte Glaubensansichten und Traditionen erst
- einmal eingefhrt, ist es viel einfacher, alles so zu lassen, wie
- es ist. Hier hat die Organisation ohne Zweifel einiges von der
- Katholischen Kirche gelernt, die sich Probleme schaffte durch so
- geringfgige Neuerungen wie das Lesen der Messe in der Sprache der
- Bevlkerung.
-
- Gibt es tatschlich einmal Vernderungen, so werden sie oft mit
- rationalen Begrndungen verbrmt, und das bisweilen ziemlich
- unbeholfen. Bestic (1971:225) berichtet ber ein Interview mit
- einem leitenden Vertreter der Wachtturm-Gesellschaft:
-
- "Im Jahr 1914 hat sich sicher einiges getan, das ist wohl war.
- Es gab einen Weltkrieg, aber kein Harmagedon, keine glcklichen
- Lebensbedingungen, wie sie die Tausendjahrherrschaft Christi
- gebracht htte. Als ich dies gegenber dem geduldigen Ulysses
- V. Glass zur Sprache brachte, blieb er gegenber seinem
- frheren Prsident so loyal wie mglich, gab aber mit grossem
- Freimut zu, dass Fehler gemacht wurden. Er sagte mir: "Heute
- glauben wir, dass Gottes Knigreich im Jahre 1914 im Himmel
- aufgerichtet wurde und dass dies der Anfang des Endes der jetzt
- bekannten Welt war. Wir hatten gedacht, dies wrde direkt in
- die Schlacht von Harmagedon bergehen, und das war unser
- Fehler. Wir hatten die Prophezeiungen nicht klar genug ver-
- standen. Heute erkennen wir, dass die irdischen Systeme zu
- jener Zeit noch nicht enden sollten. Wir haben die Zeit zu sehr
- zusammengerafft. Heute glauben wir ber 1914 noch dasselbe, was
- wir immer geglaubt haben, doch was wir fr 1914 erwarteten,
- traf nicht so ein, wie wir es uns dachten. Wir erwarteten, dass
- gleich nach 1914 noch mehr geschehen wrde.""
-
-
-
-
- Die Zukunft
-
- Auf kaum einem Gebiet lsst sich etwas fr die Zukunft voraussagen,
- geschweige denn, was den Zusammenhalt und die Lehre einer religi-
- sen Sekte wie der Zeugen Jehovas angeht. Und doch deutet einiges
- darauf hin, dass sie sich immer mehr in Richtung Mittelschicht
- entwickeln und im Laufe der Zeit auch akademische Bildung und
- akademische Berufslaufbahnen akzeptieren wird, vielleicht sogar
- solche auf knstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet. Was die
- Lehren angeht, so hat es den Anschein, als wrden diese einer
- stndigen Neubewertung unterzogen, teilweise auf Grund des Drucks
- seitens einiger ehemaliger Zeugen und der evangelikalen christli-
- chen Kirchen.
-
- Dadurch, dass die Zeugen so grossen Wert auf harte Arbeit, Ehr-
- lichkeit und Gewissenhaftigkeit legen, mgen sie sehr wohl sozial
- und konomisch aufsteigen und sich, wie die Mormonen und andere
- Gruppierungen, mehr in Richtung Mittelschicht und obere Mittel-
- schicht entwickeln (siehe Erwachet! 8. Mai 1983, S. 23-25).
- Wahrscheinlich ist auch, dass die Zeugen Jehovas eines Tages ihre
- eigenen Schulen, Krankenhuser und Altenheime erffnen. Schon heute
- wird innerhalb der Organisation von seiten der ltesten und anderer
- Verantwortlicher starke Kritik laut, man sei kaum in der Lage, mit
- den bestehenden Problemen einigermassen fertig zu werden. Im
- Wachtturm wird heute grosser Wert auf den Wissenserwerb gelegt, vor
- allem, was die Schriften der Organisation angeht. Das Lesen und
- Besprechen und die im wesentlichen intellektuelle Orientierung in
- allen religisen Angelegenheiten mgen sich ebenfalls wandeln, so
- dass die emotionale Komponente nicht mehr fast vollstndig ausge-
- blendet bleibt. Diese Grundzge allerdings sind es gerade, die den
- Zeugen in der Schule und der Arbeitswelt so grossen Erfolg ver-
- leihen. Vielleicht spornen sie sie eines Tages sogar zu hherer
- Bildung an, mit deren Hilfe sie ihre gegenwrtigen Probleme lsen
- knnte. So wre es denkbar, dass die verschiedenen reisenden
- "Schulen" der Zeugen, die lteste an verschiedensten Orten im Lande
- unterweisen, Kurse von lngerer Dauer und auch mit einem wachsenden
- Anteil von Lehrstoff aus dem Alltagsleben abhalten. Im Unterricht
- in den Versammlungen dreht sich derzeit alles um Lehre, Theologie
- und Geschichte der Gemeinschaft. Es hat den Anschein, als ob sich
- hier etwas ndern wrde und immer mehr Unterweisung auf dem Gebiet
- der Psychologie der zwischenmenschlichen Beziehungen und verwandter
- Themen einbezogen wrde. Wie sich am Inhalt der Zeitschriften der
- Organisation zeigt, ist damit schon begonnen worden. Haben dort
- bisher fast nur theologische Themen den breitesten Raum eingenom-
- men, so stellt man jetzt fest, dass mehr und mehr alltgliche
- Probleme und deren Lsungen behandelt werden. Der britische Autor
- Bestic zitiert in seinem Werk (1971:229) zahlreiche Zeitungs-
- berichte, die zeigen, welche Probleme die Organisation einfach
- nicht ignorieren kann: [Es folgen Berichte von Morden und Selbst-
- morden von Zeugen Jehovas].
-
- Das Bewusstsein fr diese Probleme wird die Organisation wohl dazu
- veranlassen, etwas zu ndern. Das wird die Zahl der psychischen
- Erkrankungen vermindern, aber die Probleme in Verbindung mit den
- Lehren und Leitlinien nicht lsen; und fr die grossen christlichen
- Kirchen werden sie dadurch auch nicht akzeptabler werden. Hinzu
- kommt, dass unter den Forschern die Ansicht weit verbreitet ist,
- die Wachtturm-Organisation werde die 1990er Jahre nicht berleben.
- Ihrer Ansicht nach sperrt sie sich zu sehr gegen jede Vernderung
- und hat kein offenes Ohr fr Argumente zugunsten einer Reform, und
- seien diese noch so logisch, vernnftig und richtig. Dessenungeach-
- tet wird ihr aber die grosse Mehrheit der sehr engagierten Anhnger
- wahrscheinlich zur Stange halten, ganz gleich was geschieht oder
- was die Organisation tut. Trotz allem gab es in den letzten Jahren
- kaum Hinweise darauf, dass die Probleme weniger werden, dafr sehr
- viele Anzeichen, dass sie sich verschlimmern. Jedes Jahr verlassen
- Tausende die Gemeinschaft. Vor wenigen Jahren ging Raymond Franz,
- der Neffe des Prsidenten und ehemals Mitglied der leitenden
- Krperschaft, und schrieb ein Buch ber sein Leben in der Gemein-
- schaft (Franz 1983/deutsch: 1988). Berichten zufolge haben Dutzende
- anderer hoher Funktionre die Organisation verlassen (TIME, 22.
- Februar 1982). Viele der ehemaligen leitenden Mitarbeiter usserten
- mir gegenber, die Organisation befinde sich offensichtlich auf
- einem selbstzerstrerischen Kurs und sei entschlossen, sich
- Vernunftgrnden zu versperren, was ganz der Erfahrung Tausender von
- Zeugen und auch einigen empirischen Untersuchungen entspricht. Bill
- Cetnar (1980) stellt fest: "Die [Wachtturm-]Gesellschaft ist sich
- selbst der rgste Feind." Eine um die andere Untersuchung zeigt,
- dass die Methode der Bekehrungsversuche von Haus zu Haus eine
- usserst unwirksame Methode der Gewinnung neuer Anhnger ist. Viele
- wirkungsvolle Methoden stehen zur Verfgung, doch die Organisation
- beharrt auf dieser Tradition. Wenig hat sie sich um eine effekti-
- vere Art bemht, wie beispielsweise das gelegentliche Zeugnisgeben,
- Darstellungen im Fernsehen, die Entsendung von Vertretern in die
- Medien, Schulen oder andere entscheidende Positionen. Man bleibt am
- Alten hngen wie an einem Ritual, ob erfolgreich oder nicht. Die
- Hausbesuche sind zum Erkennungszeichen der Zeugen Jehovas geworden,
- und sie werden wohl auch noch fortgefhrt werden, wenn weiterhin so
- viele ihrer Anhnger Schluss machen, wie das schon seit Jahrzehnten
- der Fall ist (siehe die Zeitschrift Christianity Today, 18. Mai
- 1984, S.63, sowie Cho 1984).
-
- Einige weisen allerdings darauf hin, dass die Organisation in
- einigen Fllen nderungen der Lehre vorgenommen hat und drastische
- dazu. Es hat so viele nderungen gegeben, dass man ein theologi-
- sches Erklrungsmuster erfinden musste, um diese Tendenz zu
- begrnden, und zwar das Konzept vom "stets heller werdenden Licht".
- Selbst Dinge, die frher als vllig feststehend gelehrt wurden, wie
- die Lehre ber die Pyramiden, wurden gendert (die grosse Cheopspy-
- ramide wurde als "in Stein gehauene Bibel" bezeichnet und tatsch-
- lich auch als "zweite Bibel" angesehen, fast so wie das Buch Mormon
- bei den Mormonen als zweite Bibel gilt). Heute sieht man die ganze
- Pyramidenlehre als "vom Teufel" an. Die damals so genannte "Bibel
- in Stein" diente als Quelle vieler wichtiger Daten, von denen
- einige selbst heute noch vertreten werden. Manche nderungen sind
- so drastisch, dass vollstndig akzeptierte Lehren in Grund und
- Boden verdammmt werden knnen, und doch lsst sich das alles
- wirkungsvoll begrnden mit der Lehre vom "Licht, das umso heller
- scheint, je mehr wir uns dem Ende nhern", so dass die Fehler
- ausgebgelt sind.
-
- Und doch scheinen die Mglichkeiten fr vernnftige nderungen in
- der Zukunft gering in Anbetracht des schon immer bestehenden
- gravierenden Mangels an klugen Kpfen. (Das System hnelt dem der
- Gemeinschaft der Shaker, die an Lehren festhielt, die ihren
- Untergang garantierten, wie zum Beispiel dem vollstndigen Verbot
- des Geschlechtsverkehrs, sogar innerhalb der Ehe.) An intellektuel-
- lem Talent weist die Wachtturm-Organisation deutlich weniger auf
- als etwa die Moonies, die Children of God, die Hare-Krishna-
- Bewegung und andere derartige Gruppen, die in den letzten Jahren
- von sich reden machten.
-
- Der Grund dafr ist vor allem darin zu suchen, dass die Organisa-
- tion die Gebildeten und die an Bildung Interessierten offensicht-
- lich vergrault. Hlt der Rckgang an Mitgliedern so an wie in der
- ersten Hlfte der 1980er Jahre, dann spielen die Zeugen Jehovas
- ohnehin im religisen Sektor bald keine Rolle mehr. In der jngsten
- Vergangenheit allerdings gab es nach starken Verlusten auch wieder
- eine Zunahme. Rechnet man alle zusammen, die sich seit Grndung der
- Gemeinschaft ihr einmal anschlossen, so ist heute die Zahl der
- Ehemaligen erheblich hher als die der Aktiven. Und dieser Trend
- wird trotz eines gewissen Zuwachses noch fr einige Zeit anhalten.
- Vor allem hngt immer noch der Fehlschlag von 1975 ber der
- Gemeinschaft. Die Worte, die Bestic 1971 schrieb (S.226, 227),
- sprechen hierzu Bnde: "Als ich Ulysses V. Glass ber die Affre
- von 1925 befragte, sagte er: 'Es stimmt, der Prsident hatte
- erwartet, dass die Propheten wiederkehren wrden. Er hatte sich
- geirrt."
-
- "Russell mochte man einen zweiten Versuch noch zubilligen,
- nachdem er mit 1914 so dicht daneben gelegen hatte, wenn man es
- einmal wohlwollend betrachtet. Als er [Rutherford] aber mit
- 1925 so weitab vom Ziel lag, htte ich doch gedacht, die Zeugen
- wrden von nun an ihre Daten fr sich behalten und lieber auf
- Nummer Sicher gehen mit der weniger spektakulren usserung,
- das Ende sei nahe; aber weit gefehlt. Wie Anfnger im Glcks-
- spiel, die alles auf eine Karte setzen, haben sie es noch
- einmal versucht. Wie aus zwei Bchern aus der Feder ehemaliger
- Zeugen hervorgeht, lautet das neue Datum fr Harmagedon jetzt
- 1975.
- Auf dem Kongress der Zeugen Jehovas gab man mir etwas zu
- lesen, das sich positiver anhrte. In der Verlautbarung hiess
- es: "Eine Nachprfung der Bibelchronologie ergibt, dass sechs
- Jahrtausende Menschheitsgeschichte in der Mitte der 1970er
- Jahre enden. Das siebente Jahrtausend seit der Erschaffung des
- Menschen durch Jehova Gott wird also in weniger als zehn Jahren
- beginnen." An einer derartigen usserung erkennt man Jehovas
- Zeugen allemal auch heute noch! "Die Bibel sagt, die kommenden
- tausend Jahre werden eine Zeit des Friedens fr die Erde und
- ihre Bewohner sein, eine Zeit, die frei sind wird von Krieg und
- Gewalt. Eine Zeit, in der alle Kriegswaffen in friedliche
- Werkzeuge umgeschmiedet und zur Bebauung der Erde benutzt
- werden. Die ganze Erde wird in ein ewigwhrendes Paradies
- umgewandelt werden, das voll sein wird von befreiten, vollkom-
- menen Menschen.""
-
- Das Problem heute ist, dass die Zeugen Jehovas zu hufig unrecht
- hatten. Ist erst einmal ein bestimmter Punkt berschritten, gibt es
- keine Umkehr. Dann ist auch keine Entschuldigung mehr ntig, und es
- erbrigt sich jeder Versuch einer Erklrung und Begrndung.
-
- bersetzung: Helmut Lasarcyk (1991)
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- Die zu dieser Arbeit gehrende vollstndige Literaturliste
- ist als Fotokopie erhltlich gegen Einsendung von 2 DM in
- Briefmarken an die unten angegebene Adresse.
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- Nachbemerkung: Im deutschsprachigen Bereich ist inzwischen
- ebenfalls eine psychologische Untersuchung der Zeugen Jehovas
- erschienen:
- Elmar Kppl: Die Zeugen Jehovas. Eine psychologische Analyse.
- Mnchen 1985.
- Eine Besprechung wesentlicher Punkte von Kppls Analyse findet sich
- in:
- Detlef Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas
- im "Dritten Reich". Dissertation Hamburg 1989 (Buchausgabe 1992
- beim Verlag Oldenbourg, Mnchen, geplant)
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- Weitere Disketten dieses Textes (DOS-Format nur fr IBM-kompatible
- PC) sind erhltlich. Bitte 5 DM in Briefmarken einsenden an:
- W. Krappatsch, Westfalenstr. 28, W-4690 Herne 2, oder durch
- Einzahlung des Betrages auf das Konto Nr. 262043-430 Postgiroamt
- Essen (BLZ 360 100 43).
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- Impressum:
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- Im Selbstverlag gedruckt.
- 1. Auflage Ahrensburg 1991: 300 Exemplare
- þ der amerikanischen Originalausgabe: Jerry Bergman 1987
- þ der bersetzung: Helmut Lasarcyk 1991
- Druck: EH-Druck, Bielefeld
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- Einzelpreis: 5 DM
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