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- Der nachfolgende Artikel wurde der Zeitschrift PUNKT Ausgabe 09/88
- entnommen. Wir danken der PUNKT-Redaktion und der Bundes-Verlag GmbH
- fr die freundlicherweise erteilte Genehmigung, den Text in der
- CREDO Mailbox verffentlichen zu drfen.
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- Jede darber hinausgehende Verwertung, insbesondere Nachdruck oder
- Verbreitung auf Datentrgern bedarf der Zustimmung des Verlages/
- der Redaktion
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- Gudrun Freitag
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- In einem persnlichen Gesprch wollen Gudrun und Reinhold Freitag
- mit dem - tief in das Unrecht der Colonia Dignidad verstrickten,
- aber mittlerweile geflohenen - Ehepaar Baar tiefer ergrnden, wie
- es zu dieser Sekte kommen konnte. Gudrun Freitag berichtet.
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- VERFHRTER VERFHRER
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- Ein Besuch bei Waltraud und Hugo Baar
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- Reinhold und ich sind auf dem Weg zu Waltraud und Hugo Baar. Telefonisch
- haben wir den Besuch vereinbart. An der Stimme knnen wir erkennen, daá
- wir sehr erwnscht sind. Wie wird diese Begegnung sein? Reinhold kennt
- Baars aus der Zeit, als Hugo Prediger in Salzgitter-Bad war (1952 - 1955).
- Als Leiter der Privaten Socialen Mission in Siegburg besuchte er uns 1973
- und zeigte Dias von der CD. Unsere vielen Fragen, die Unsicherheiten
- die CD betreffend, blieben damals ungefragt oder unbeantwortet. Alles in
- allem ein unbefriedigender Besuch. Daran erinnere ich mich.
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- Heute interessiert uns, wie Baars in der Gegenwart mit ihrer Vergangenheit
- fr ihre Zukunft leben. Wir nehmen uns vor, Fragen wirklich zu stellen
- und darauf zu achten, daá sie auch beantwortet werden.
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- Die Beschreibung der Fahrtroute stimmt przise und schon stehen wir vor
- dem Haus, in dem Baars wohnen. Unser Gastgeber hat uns schon gesehen.
- Freundlich und zuvorkommend begrát er uns: "Herzlich willkommen. Ich darf
- doch wie frher noch Du sagen?" Ich reihe mich etwas zgernd mit in diese
- Du-Beziehung ein. Mein Blick ist sicher beobachtend, fragend. Hugo
- beginnt, ber den Besuch bei uns damals zu sprechen. Jede Einzelheit fllt
- ihm wieder ein. Inzwischen sind wir in der kleinen Wohnung angekommen.
- Fast zu klein. Sie selbst nennen sie "Nest", aber sie brauchen sie auch,
- diese eigenen vier Wnde, um nun endlich als Ehepaar zu leben, ihren neu-
- en Lebensabschnitt zu gestalten und ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.
- Sie sind sich dabei gegenseitig Hilfe, so sagen sie. Waltraud hat Kaffee
- und Kuchen vorbereitet. Es fllt uns leicht, uns so zu geben, wie wir
- sind: Offen Fragen zu stellen und ehrlich Skepsis zu uáern. Schnell wird
- uns klar, daá bei der Redebereitschaft Hugo Baars das Gesprch lang
- werden wird. Aber wir haben Zeit. Bis in viele Einzelheiten traut er
- sich, sein bisheriges Leben anzuschauen.
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- Hugo Baar wurde 1925 von deutschen Eltern in Ruáland geboren und von seiner
- Mutter und russischem Frmmigkeitsstil geprgt - Religion verinnerlicht. Da
- sein Vater von Religion nichts wissen will - es ist die Zeit unter Stalin -
- wird im Elternhaus darber nicht geredet, sondern heimlich gelebt. Als sein
- Vater spter zum Glauben kommt, beginnt er sofort, lautstark diesen
- Glauben anderen zu verkndigen. Er wird deswegen mit der Familie in die
- Verbannung geschickt und stirbt auch dort. Die Mutter kehrt mit den
- Kindern in die Heimat zurck.
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- 1942 - inzwischen hatte die deutsche Wehrmacht das Gebiet besetzt -
- bekehrt sich Hugo Baar whrend einer Allianz-Woche, schlieát sich einer
- Baptistengemeinde an und geht sofort in die aktive Mitarbeit.
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- 1944 kommt er nach Berlin, spricht mit Bundesdirektor Paul Schmidt, der
- ber ihn schon gehrt hat. Dieser schickt ihn zum theologischen Seminar
- nach Wiedenest (dorthin war das in Hamburg ausgebombte Seminar
- ausgelagert). Nach drei onaten Ausbildungszeit wird er zu einem
- Feriendienst in eine Gemeinde in Posen geschickt. Hier entwickelt er gleich
- selbstndig Aktivitten. Er hlt Evangelisationsabende in den Drfern
- der Umgebung. Dann wird er zur Wehrmacht eingezogen und kommt in
- russische Kriegsgefangenschaft. Kurz nach Ende des Krieges wird er
- entlassen und nimmt sein Studium wieder auf.
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- Hier lernt er sein Handwerk, das er sehr ernst nimmt. Er erwhnt uns
- gegenber das Bibelstudium, Homiletik, seine Stichwort- und Predigt-
- sammlung. Um sich Geld zu verdienen, arbeitet er in der Landwirtschaft.
- Dort lernt er in vielen persnlichen Gesprchen Dr. Hans Lukkey kennen,
- der bis Kriegsende Direktor des theologischen Seminars war, nun aber als
- ehemaliges Mitglied der NSDAP nicht mehr lehren darf und auch in der
- Landwirtschaft arbeitet. Diese Gesprche mssen Hugo viel bedeutet haben.
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- 1949 macht er in Hamburg das Examen. Als Prediger hat er dann mehrere
- Stationen zu bedienen: Meine, Allerbttel, Groá Schwlper (Gemeinde
- Braunschweig). In dieser Zeit wird er vom Bund auch als Zeltevangelist
- eingesetzt, z. B. in Sindelfingen und Stade. 1952 wechselt er zur Gemeinde
- Salzgitter-Bad.
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- Er bereitet sich auf seine Einstze grndlich vor, wie er es auf dem
- Seminar gelernt hat, merkt aber, daá irgendetwas unbefriedigend fr ihn
- bleibt. Er will intensiver leben, mit mehr Vollmacht dienen und er
- wnscht sich, der Heilige Geist mge durch ihn reden. Seine schulmáigen
- Vorbereitungen auf Predigten sind ihm dabei im Wege. 1954 wird er zu
- einer Zeltfreizeit nach Groá Schwlper eingeladen. Sie wird von Paul
- Schfer geleitet. Es wird eine Freizeit von Gewicht: Hugo und Waltraud
- Baar erleben eine Neubekehrung, und die beiden Mnner, die bald ein
- Gespann werden, begegnen sich hier. Es zeigt sich auch sofort, wer domi-
- nierend sein wird. Paul Schfer korrigiert Hugo Baar beim Beten: "Dein
- Gebet ist leer! Du glaubst nicht richtig!"
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- Ab sofort verndert sich Hugo Baars Verkndigungsstil in Salzgitter-Bad.
- "Vollmchtig" ruft er zu Umkehr und Buáe auf. Konzepte fr seine Predigt
- braucht er nicht mehr und das alte Gesammelte wirft er weg. Damit streift
- er auch einen Teil seiner Vergangenheit ab. Er will nur noch aus
- "Eingebung von Gott" predigen. Der Gemeinde wird das zuviel. Der
- Gemeindeleiter bittet ihn, auch mal wieder eine Predigt zu halten, in der
- er Trost zuspricht.
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- 1956 hlt Hugo Baar eine Vorstellungspredigt in Gronau/ Westf. Wieder hat
- er den alten Konflikt: Vorbereitung oder aus Eingebung predigen. Erst auf
- der Kanzel steht die Struktur der Predigt vor seinem inneren Auge. Er
- predigt ber den Namen Jesu. Die Gronauer whlen ihn noch am gleichen
- Sonntag zu ihrem Prediger. Nach seinem Dienstantritt 1955 taucht auch
- Paul Schfer immer wieder in Gronau auf und schnell bildet sich ein
- Freundeskreis. Auch hier zeigt sich wieder, wer das Sagen hat: Paul
- Schfer wird bei einer solchen Zusammenkunft kritisiert. Weil Hugo Baar
- nichts unternimmt, ist Paul Schfer enttuscht von ihm: "Ich schttele
- den Staub von meinen Fáen. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben!"
- Trennung von Paul Schfer ist fr Hugo gleichbedeutend mit Trennung von
- Gott. Hugo bettelt Paul Schfer an, ihm zu vergeben.
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- Das von Baar verkndete Evangelium ist angstmachend und vor allem
- verkrzt, trifft aber das Bedrfnis vieler Zuhrer. Sie wollen nur das
- Schne leben, auf "sonnigen Hhen gehen", nicht den Schatten anse-
- hen. Einiges wird vom Leben getrennt und als bse abgetan.
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- In der Gemeinde Gronau bilden sich zwei feindselig gegenberstehende
- Gruppen, und einige auf Ausgleich Bedachte haben bald keinen Einfluá mehr.
- Es kommt zur Gemeindespaltung. Zur gleichen Zeit evangelisiert Hugo Baar in
- der Gemeinde Hamburg-Eimsbttel. Whrend dieser einen Woche schlieáen sich
- 40 Glieder mit ihrem Prediger Hermann Schmidt (er ist heute offiziell
- Prsident der Colonia Dignidad) dem Freundeskreis Schfer-Baar an.
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- "So schnell ging das alles?" frage ich und berlege jetzt, wie groá der
- Hunger nach Leben wohl war und womit er in der Woche gestillt worden ist!
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- Der Rest ist schon bekannt: 1958 Streichung aus der Predigerliste; im
- "Waisenhaus" in Heide bei Siegburg bernimmt Hugo Baar das Amt des
- Seelsorgers und versieht bis 1975 die Geschfte der Privaten Socialen
- Mission in Deutschland, dem deutschen Zweig der Colonia. Auch, als er dann
- nach Chile beordert wird, kann er nicht mit seiner Frau zusammenleben.
- trotz allem ist ihm der Absprung aus der Bindung an die CD sehr schwer
- gefallen.
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- Fakten, Tatsachen, die mit Menschenleben zu tun haben, werden bei unserm
- Gesprch ausgesprochen. Viele Menschenschicksale hat dieser eine
- mitgeprgt, das ist Hugo Baar und uns in jeder Minute unseres Zusam-
- menseins bewuát. Er ist irmner noch ein Mensch auf der Suche nach
- intensivem Leben, aber er schaut jetzt an einigen Stellen nicht mehr weg.
- Viele Bibelworte helfen ihm, das Evangelium, das ihm gilt, neu zu
- verstehen. So hat er seine Schuld vor dem Unterausschuá fr Menschen-
- rechte des Deutschen Bundestages am 22.2.1988 in Bonn ausgedrckt
- (Stenographisches Protokoll der 10. Sitzung Seite 10/16 und 10/17):
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- "lch bin Ihrer Einladung heute sehr bewuát gefolgt, obwohl ich natrlich
- nicht nur ein Zeuge bin, sondern mich inzwischen als erheblich mitschuldig
- empfinde. Whrend meines Gemeindedienstes als Prediger entstanden durch
- meine Ttigkeit Spaltungen in den Gemeinden und Trennungen in Familien
- und Ehen, die sehr verheerende Folgen hatten. Ich bin mitschuldig daran,
- daá viele von denen, die heute in Dignidad sind, dort hingegangen sind.
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- Als ich im Dezember 1984 aus Dignidad floh, ohne daá ich meiner Frau,
- unseren Kindern oder irgend jemandem sonst etwas davon sagen konnte brachte
- mich die Erkenntnis meiner Schuld an den Rand des Zusammenbruchs. Wenn
- ich nicht vor Gott Gnade und Vergebung n diesem Zusammenbruch erlebt
- htte, sáe ich heute hier nicht vor Ihnen. Mir ist aber ganz klar, daá
- dies nicht bedeuten kann, daá meine Schuld den Betroffenen und vielleicht
- gar dem Gesetz gegenber damit gemildert ist.
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- Deshalb mchte ich gerne mit jedem Betroffenen und jedem Leidtragenden
- sprechen und den zustndigen Behrden weiterhin fr jede Auskunft und In-
- formation zur Verfgung stehen, um mit allen meinen Krften dazu
- beizutragen, wo und wie immer wiedergutzumachen. Ich kann nichts
- ungeschehen machen: Ich bitte aber alle Betroffenen von ganzem Herzen
- um Vergebung, wobei ich hinzufgen mchte, daá ich tiefes Verstndnis
- fr jeden habe, der weder entschuldigen noch vergeben kann."
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- Und Waltraud? Hugo Baar und sie haben sich in Wiedenest kennengelernt.
- Sie ist die Tochter eines der Grnder der Bibelschule Wiedenest, Khler.
- Von 1962 ab lebte und arbeitete sie in der CD. Sie hat noch nicht viel
- gesagt. Nur auf direkte Fragen antwortet sie. Ich habe sie beobachtet.
- Sie ist ganz Ehefrau und Hausfrau, leise, unaufdringlich, aber da. Ich
- habe noch nicht ganz verstanden, ob sie "nur" dabei war, oder ob sie in der
- CD auch beeinfluát hat. Aber sie hat wohl die Ungerechtigkeit nicht
- gesprt und sich dementsprechend im Handeln nicht verweigert. 1985 wird
- sie von Paul Schfer von Chile nach Deutschland geschickt mit dem
- Auftrag, ihren Mann zurckzuholen. Der hat sie dann auf dem Flugplatz
- regelrecht gekidnapped. Fr sie ist die Trennung von der CD im Vergleich
- zu ihrem Mann leicht. Sie deutet auf ein Bild an der Wand. Es zeigt Hugo
- und Waltraud Baar, ihre neun erwachsenen Kinder und Hugo's Mutter, in
- Chile aufgenommen. Sie will uns auf die Kinder aufmerksam machen, die
- noch in der inneren und uáeren Gefangenschaft der CD leben. "Es ist
- wichtig, daá Angehrige in die CD reinkommen und ihre Verwandten besuchen
- knnen. Erinnerungen an frher mssen geweckt werden, damit sich die
- innere Gefangenschaft lsen kann. Wir wollen mithelfen, daá sich die
- Regierung fr die ffnung der Tore einsetzt." Damit untersttzt sie einen
- Gedanken ihres Mannes.
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- Das Ehepaar Waltraud und Hugo Baar sucht in der Gemeinde ein neues
- Zuhause. Viele Gesprche sind gefhrt worden. Sie verstehen, daá eine
- Zustimmung zur Mitgliedschaft zur Zeit wegen der vielen Presseverf-
- fentlichungen ber die CD zurckgestellt ist. Ein Amt strebt Hugo Baar
- nach seinen Aussagen nicht an.
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- Nach den Gefahren fr heute befragt, antwortet er: "Evangelisten, die
- keine Gemeinde hinter sich haben, also als Einzelkmpfer auftreten,
- knnen leicht sektiererisch verfhren."
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- Spt am Abend merke ich, daá ich nichts mehr aufnehmen kann. Ich bitte um
- eine Zeit des Schweigens, um dieses Gesprch und den Tag zu beenden und
- dem Geredeten und Gehrten nachzuspren. Beim Abschied sagen wir uns:
- "Es war gut, daá wir uns getroffen haben."
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- Einige Zeit ist seitdem vergangen. Ich weiá inzwischen: Viel habe ich
- gehrt, einiges vergessen, einiges berhrt, einiges verstanden, einiges
- ersprt und ich weiá, da ist noch was, das kann ich noch nicht in Worten
- beschreiben - !
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