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- Diesem Artikel mchte ich einen Abschnitt aus dem "Leitfaden fr die
- theokratische Predigtdienstschule" (einer Publikation der Zeugen Je-
- hovas) voranstellen:
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- "Jehovas Zeugen sind eine Organisation der Wahrheit. Wir sollten den
- Wunsch haben, die Wahrheit zu reden und jederzeit in allen Einzel-
- heiten vllig genau zu sein. Dies sollte nicht nur hinsichlich der
- Lehre der Fall sein, sondern *auch in unseren Zitaten*, in dem, was
- wir ber andere sagen, oder darin, wie wir sie darstellen, ferner
- in Dingen, bei denen es um wissenschaftliche Angaben oder um Tages-
- ereignisse geht."
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- Wenn man eine Publikation der "Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesell-
- schaft" (WTG) liest, so fallen viele Zitate aus verschiedensten
- Quellen auf, die offenbar die entsprechenden Lehren der WTG sttzen.
- Interessant wird es, wenn man diesen Zitaten einmal nachgeht. Einige
- Beispiele (die ich nicht selbst gefunden, sondern von einem ehemali-
- gen Zeugen Jehovas habe):
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- Fall 1 aus dem Buch "Ist die Bibel wirklich das Wort Gottes" (1969)
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- In einem Unterkapitel zum Thema 'Adam und Eva' werden Wissenschaft-
- ler zitiert, die derselben Meinung wie die WTG sein sollen. Der
- Anthropologe Ashley Montagu wird auf S.30 folgendermaáen zitiert:
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- 'Alle Menschenrassen gehren zu derselben Art, sind ursprnglich
- von gleicher Herkunft. Das ist die Schluáfolgerung, die man auf-
- grund all der einschlgigen Beweise der vergleichenden Anatomie,
- der Palontologie, der Serologie und der Vererbungslehre ziehen
- muá. Schon allein aus genetischen Grnden ist die Annahme sozusa-
- gen unhaltbar, daá die Menschenrassen unabhngig voneinander ent-
- standen sind.'
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- Scheinbar vertritt der Wissenschaftler somit die Lehre der Zeugen
- Jehovas. Aber genau dieser Eindruck ist falsch, weil der letzte
- Satz im Originaltext noch nicht zu Ende ist: "... entstanden sind
- *als getrennte Entwicklungslinien menschenartiger Vorfahren*."
- (Montagu, M.F.A.: Man's Most Dangerous Myth - The Fallacy of Race,
- New York 1945)
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- Fall 2: Die Lehre vom Verbot des "Blutgenusses"
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- Aus "Blut, Medizin und das Gesetz Gottes" (Wiesbaden 1961):
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- Dr. Franz Delitzsch, 'der bekannte Bibelkommentator', wird wie
- folgt zitiert: "daá dies nicht eine Anforderung des jdischen
- Gesetzes sei, die abgeschafft werden máte, sondern fr alle
- Menschenrassen bindend sei und niemals widerrufen worden wre,
- man msse also eine heilige Scheu vor dem im Blute wallenden
- Lebensprinzip haben".
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- Delitzsch (1813-1890) hat aber in seinem 'Neuen Commentar ber
- Genesis' (1887) lediglich den Halbsatz mit der 'heiligen Scheu'
- geschrieben, der Rest ist *frei hinzuerfunden* ! Im Gegenteil
- sagt Delitzsch, daá das Verbot des Blutgenusses 'nicht mit alt-
- testamentarischer Gesetzeskraft verpflichet' (S.188). An anderer
- Stelle hat selbiger Autor dieses Verbot sogar als 'unevangelisch'
- (d.h. nicht im Sinne des Evangeliums) bezeichnet !
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- In der neueren Broschre "Jehovas Zeugen und die Blutfrage"
- (Brooklyn und Wiesbaden 1977) findet sich (S.12):
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- "ber dieses christliche Dekret schrieb Professor Walther Zimmerli
- von der Universitt Gttingen folgendes: 'Die erste judenchristliche
- Gemeinde macht in der Entscheidung, von der Apg. 15 berichtet, einen
- Unterschied dem durch Moses an Israel gegebenen Gesetz und dem in
- Noah aller Welt gegebenen Gebot. (Zrcher Bibelkommentare)"
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- Es sieht nach diesem einen Satz so aus, als wrde Prof. Zimmerli
- die "Blutlehre" der Zeugen Jehovas sttzen. Leider ist dies vllig
- falsch ! Der Text geht wie folgt weiter:
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- "In der Folge setzt sich die Erkenntnis, daá Christus die Befrei-
- ung von allem uáeren Ritualgesetz bedeutet, auch diesem noachi-
- tischen Gebot gegenber durch. Zugleich wird aber auch hier deut-
- lich, daá Christus nicht nur des Gesetzes Ende, sondern zugleich
- auch des Gesetzes Erfllung ist. Wo nmlich ein Mensch, durch den
- Geist Gottes vom Joch des Gesetzes befreit, dem 'Gesetz Christi'
- unterworfen ist (1 Kor 9,20 f.), da ist es ganz klar, daá er auch
- in seiner Herrschaft ber die Tierwelt nicht unbegrenzter Herr
- ist. Da weiá er auch, daá er nicht mehr nach den dunklen Mchten
- des Blutes in Aberglauben und Zauber greifen muá. So gelangt in
- Christus auch dieses noachitische Gebot nach seinem tiefsten Sinn
- zur Erfllung. Auch dort, wo Menschen nicht mehr von geschch-
- tetem Fleisch leben." (s.o., S.331)
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- Fall 3 aus dem Wachtturm vom 15.5.1975 zum Thema "Wird die Wissen-
- schaft wirklich deine Probleme lsen ?":
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- Im Wachtturm steht:
- "Sie [wahre Christen] lassen sich nicht von 'wissenschaftlichen'
- Vorstellungen irrgefhren, die oft eher persnliche Meinungen als
- erwiesene Tatsachen sind. Der Philosoph Karl Popper gesteht: 'Die
- Wissenschaft ist kein System gesicherter oder nachgewiesener Er-
- klrungen;... wir wissen nicht; wir knnen nur vermuten. Und un-
- sere Vermutungen werden vom Unwissenschaftlichen geleitet, vom
- Metaphysischen.' Der christliche Apostel Paulus gab Timotheus
- folgenden weisen Rat: 'Hte dich vor unheiligen Wortneuerungen
- und den Streitreden der sogenannten Wissenschaft (1 Tim. 6:20,
- Allioli)"
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- Daraus folgt in Krze: Popper "gesteht", daá Wissenschaft eigent-
- lich Nonsens ist, auch ist es von der Bibel her gesehen ein weiser
- Entschluá, sich davon fernzuhalten.
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- Im Originaltext von Popper (aus 'Logik der Forschung, Tbingen 71)
- steht folgendes: "*Unsere Wissenschaft ist kein System von gesicher-
- ten Stzen*, auch kein System, das in stetem Fortschritt einem Zu-
- stand der Endgltigkeit zustrebt. Unsere Wissenschaft ist kein
- Wissen (episteme): weder Wahrheit noch Wahrscheinlichkeit kann sie
- erreichen. Dennoch ist die Wissenschaft nicht nur biologisch wert-
- voll. Ihr Wert liegt nicht nur in ihrer Brauchbarkeit: Obwohl Wahr-
- heit und Wahrscheinlichkeit fr sie unerreichbar sind, so ist doch
- das intellektuelle Streben, der Wahrheitstrieb, wohl der strkste
- Antrieb der Forschung.
- Zwar geben wir zu: *Wir wissen nicht, sondern wir raten. Und unser
- Raten ist geleiten von dem unwissenschaftlichen, metaphysischen*
- aber biologisch erklrbaren Glauben, daá es Gesetzmáigkeiten gibt,
- die wir entschleiern, entdecken knnen." (nur die *hervorgehobenen*
- Stellen wurden im WT zitiert)
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- Es ist ziemlich offensichtlich, daá hier Satzbruchstcke bewuát aus
- dem Zusammenhang gerissen wurden, in der Intention, der ursprngli-
- chen Sinn zu verflschen. Was die Bibelstelle angeht, so fllt auf,
- daá sie aus der Allioli-Bibel zitiert wird, eine katholische Bibel-
- bersetzung, die aufgrund ihrer Mngel nicht einmal mehr von der
- katholischen Kirche verwendet wird. Im Urtext steht dort, wo flsch-
- lich "Wissenschaft" bersetzt wird, nmlich "Gnosis" (=Erkenntnis),
- somit warnt Paulus Timotheus nicht vor der Wissenschaft, sondern
- vor der "gnostischen" Lehre (eine Irrlehre z.Z. des Urchristentums).
- Aufschluáreich, daá diese Stelle auch in der "Neue-Welt-bersetzung"
- vllig korrekt wiedergegeben wird und hier offensichtlich nur aus
- Allioli zitiert wurde, um die Wissenschaft in Miákredit zu bringen.
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- Durch die Auswahl dieser Beispiele ergibt sich ein durchaus wider-
- sprchliches Bild: Whrend auf der einen Seite "Wissenschaft" als
- solche im Grunde abgelehnt wird, fehlt es auf der anderen Seite
- nicht an Zitaten von Wissenschaftlern, die den Artikeln mehr Glaub-
- wrdigkeit verleihen sollen. Es ist eine durchaus interessante
- Frage, in welchem Umfang solche Zitatkrzungen und -verdrehungen
- in der WTG-Literatur vorkommen und warum es die Wachtturm-Gesell-
- schaft ntig hat, ihre Lehren mit Hilfe solcher Methoden zu sttzen.
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