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- Johannes Leckebusch
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- Computerfreaks
- Aus den vorlaeufigen Memoiren
- von Prof. Ungruen
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- Dass sie was im Kopf haben, die Computerfreaks, wird jeder zugestehen. Ob aber
- einer, der naechtelang vor seinem Bildschirm hockt, anstatt ins Wirtshaus oder
- zum Tanzen zu gehen, da oben ganz richtig ist, wird von den lieben Mitmen-
- schen gern bezweifelt. Im Fachjargon werden sie auch "Hacker" genannt, von
- denen man glaubt, dass sie mangels Kontaktfaehigkeit den Umgang mit dem
- elektronischen Gegenueber anderen Menschen vorziehen. Sie sind aber sehr wohl
- gesellig, und am Computerstammtisch wird auch alljaehrlich gefragt, wer mit wem
- zum Skifahren faehrt.
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- "Unermesslich vielfaeltig sind die Arten der Erdenwesen. Daraus aber ragt der
- Mensch hervor, der die Sprache erfunden hat, die so vielseitig ist, dass man
- keine zwei findet, die ein und dieselbe sprechen."
- PROF.UNGRUEN
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- Hier will ich von der Spezies der Computerfreaks berichten, deren Sitten sehr
- eigenartig sind. (Mit Erlaeuterung aller belangvollen Fremdworte.)
- Wer von ihnen kein eigenes System laufen hat, wer nicht tief in der Hardware
- wuehlt, gilt bei ihnen wenig (so ist auch meine Situation unter ihnen
- sonderbar, weil ich meinen Computer nicht selbst gebaut habe). Sie werden
- beherrscht von dem Gedanken, jedes technische Problem loesen zu koennen, und
- das mit Leichtigkeit und in kurzer Zeit. (Ein System ist alles, was keines hat,
- Hardware das, was beim Runterfallen klappert, und Software das, wovon man
- logisch erklaeren kann, warum es nicht funktioniert. Nicht zu verwechseln mit
- dem Problem, herauszufinden, warum man sie nicht zum Funktionieren bringt,
- diese Frage bleibt oft ungeloest.)
- Sie sammeln (meist abgekupferte, ein Ausdruck, den ich hier nicht naeher
- erlaeutern will) Software, aber den meisten bedeutet die "hoehere Software"
- eigentlich wenig. Ihre Domaene sind die Bits und Bytes, die Controller und
- schnellen RAMs. Viele wollen grosse Geschaefte machen, wozu sie sich
- persoenlich ausersehen fuehlen. In der Regel sind sie Einzelkaempfer, wiewohl
- sie auf eine gewisse geheimbuendlerische Art zusammenhalten. (Bits und Bytes
- sind das, was zwischen Soft- und Hardware steht, Controller und RAMs sind das
- gleiche: schwarze Kaefer mit einer geradlinigen Anzahl in Doppelreihe
- angeordneter spitzer Drahtfuesschen.)
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- < Familienleben und Stammtisch >
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- Manchmal hegen sie puritanische Neigungen, z.B. hinsichtlich hoechstqualita-
- tiver Disketten, deren Label (Etikett) sie, wenn ueberhaupt, nur zart in
- jungfraeulicher Bleistiftschrift entweihen (wodurch ich schon mal eine mir
- ueberlassene Diskette irrtuemlich geloescht habe - aber das ist eine andere
- Story). (Ich nehme an, Sie wissen, was ein Bleistift ist. Disketten sind
- schwarze Scheiben, auf denen angeblich etwas in magnetischer Schrift
- geschrieben ist, was aber unsichtbar und aus unbekannten Gruenden auch mit dem
- Computer nicht zu lesen ist. Wenn amn sie knickt, auf Magnete oder in die Sonne
- legt, wird man ohne Kommentar umgebracht.)
- Ihre Beziehung zum anderen Geschlecht wirft einige Fragen auf, vergleichbare
- gibt es hoechstens bei Hifi-Enthusiasten, die um groessere Boxen kaempfen und
- das Recht, sie nicht hinter dem Vorhang verstecken zu muessen. Doch es ist an-
- ders, sie breiten ungehindert ihre Platinen und ICs in der Wohnung aus - weiss
- der Teufel, warum Eva das zulaesst. Verstehen tut sie nichts davon. Vielleicht
- deshalb, denn die Frauen klagen die Maenner zwar wegen allerlei unvernuenfti-
- ger Dinge an, z.B. weil sie Kriege fuehren, aber verhindern tun sie doch nur
- das, was sie verstehen. Jedenfalls sind Leute, die solche Annoncen aufgeben:
- "Wegen Heirat Computersystem zu verkaufen", keine ganzen Maenner.
- Wenn sie zusammenkommen, dann nicht ohne meterlange, gefaltete Listings (das
- sind Papierfahnen, die von einem graesslich ratternden sog. Drucker oder einer
- elektronischen Schreibmaschine ausgespien werden, welche am Computer haengt.
- Das ist uebrigens der Grund, warum der Rest der Familie nachts nicht schlafen
- kann und diese dunklen Ringe unter den Augen hat - abgesehen davon, dass
- Computerfreaks zwischen 23 und 2 Uhr morgens auffallend viele Telefonanrufe
- oder Besuche erhalten, falls sie nicht um dieselbe Zeit beim Stammtisch sind).
- Sie haben auch grosse Kisten bei sich, in denen sie sich Buecher, Geraete
- oder - vor allem - irgendwelche Platinen mitbringen. Sie lieben es ausser-
- ordentlich, sich etwas gedrucktes mitzubringen. (Platinen, auch "gedruckte
- Schaltungen" genannt, sind halt so Brettla mit Leiterbahnen drauf, auf ihnen
- befinden sich die schon beschriebenen Kaefer, wobei vor allem wichtig ist, wie
- duenn und eng beieinander die Leiterbahnen (die silbrigen Striche) sind, das
- heisst man Packungsdichte und es ist sehr wesentlich, weil der Computer daraus
- besteht.)
- Dabei wechseln innerhalb eines Clubs oder Stammtisches die Standards -
- frueher fachsimpelte man ueber Cassetteninterfaces (da hoerte man es schrill
- zirpen wie von einer Grille, die die Schallmauer durchbricht), dann ueber
- kleine, spaeter grosse Disklaufwerke. (Sie muessen sich die Masse 5 Zoll und 8
- Zoll merken, wenn Sie mitreden wollen.) In die Laufwerke schiebt man die
- genannten schwarzen Scheiben (Memorex sind die besten) und sucht die Ursache
- dafuer, dass man sie nicht lesen kann. Heute hat sich uebrigens der Trend um-
- gekehrt, die Scheiben werden immer kleiner, 3 1/2 Zoll und weniger kommt. Jeder
- Computerhersteller hat seine eigenen Verfahren, jenes Etwas in magnetischer
- Schrift auf die Scheiben zu schreiben, was den Vorzug hat, dass entweder mehr
- oder auch weniger draufpasst (sogenannte Kilobytes) und dass andere Computer es
- nicht lesen koennen. Die letztere Erscheinung heisst (In)Kompatibilitaet und
- wurde zur Belebung der Computerstammtische von der Computerindustrie erfunden,
- da die Freaks alles daran setzen, andere Disketten doch lesen zu koennen. (Ein
- Kilo Bytes ist nicht dasselbe wie ein Kilo Orangen, es handelt sich eher um ein
- Laengenmass, was sich besonders dann bemerkbar macht, wenn es gelungen ist, die
- Disketten zu lesen und ihren Inhalt auf Papier auszudrucken, woran sich meist
- das Entlausen (Debuggen) anschliesst - aber das fuehrt jetzt zu weit ...)
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- < Wonach sie streben >
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- Typischerweise werden grosse Projekte ins Auge gefasst, die nie realisiert wer-
- den (sowas duerfen Sie aber nicht laut sagen!), dennoch gibt es einen eindeuti-
- gen und ueberraschenden Fortschritt, denn diese Projekte bauen ja auf den frue-
- heren Produkten auf. Man kann das nicht verstehen, wenn man nicht einsieht,
- dass in der Computerei vor allem der abstrakte Entwurf zaehlt. Die Philosophie
- der Computerfreaks ist in gewisser Weise durch Prof. Ungruens Satz zu charakte-
- risieren : "Nichts ist langweiliger als ein Programm, das endlich fehlerfrei
- laeuft." Das muss wohl auch auf die Hardware zutreffen. Sie haben ein sehr
- grosses Talent, diesen traurigen Zustand nie eintreten zu lassen, aber sie
- glauben, dass sie permanent mit aller Kraft versuchen, diese Situation zu
- ueberwinden.
- Sie unterhalten sich in einer Weise, dass ein gewoehnlicher Sterblicher bei
- jedem zweiten Wort nicht weiss, wo er es nachschlagen koennte - es ist auch
- nicht sicher, dass sie sich gegenseitig verstehen. Wenn sich drei unterhalten,
- kann zumindest einer nicht ganz folgen, weil er sich mit einem anderen Spezial-
- gebiet befasst.
- Mit grosser Leidenschaft diskutieren sie ueber Programmiersprachen, deren
- Compiler sie sammeln (und auswendig wissen, wie schnell dieselben uebersetzen),
- aber man kann davon ausgehen, dass sie keine einzige dieser Sprachen wirklich
- beherrschen (wenn doch, handelt es sich gewiss um BASIC oder FORTRAN), ausge-
- nommen natuerlich die Assemblersprache ihres Prozessors (sie gruppieren sich
- immer um Prozessoren). (So viele Begriffe - also Compiler sind Programme, die
- Programmiersprachen in andere Programmiersprachen uebersetzen, was ungeheuer
- nuetzlich ist, vor allem, weil man ja auch die Compiler in irgendeiner Sprache
- schreiben muss - aber das ist vielleicht zu hoch. Mit Assemblern (die auch
- uebersetzen) macht man Programme fuer den Menschen unleserlich, woraus die
- Computerfreaks eine ausgedehnte Freizeitbeschaeftigung schoepfen. Sie ver-
- suchen vor allem, die Programme aus der Maschinensprache wieder zurueckzu-
- uebersetzen, um bequemer zu sehen, wie miserabel sie geschrieben sind, und sie
- anschliessend grundlegend zu verbessern (manchmal tun sie das auch, ohne die
- Programme rueckzuuebersetzen, , sie denken also direkt in der Logik der Ma-
- schine, was grosse Askese erfordert, von ihnen aber lustvoll erlebt wird). Ein
- Prozessor ist, was eigentlich die ganze Arbeit tut, falls der Computer doch mal
- funktionieren sollte.)
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- < Hochsprachliche Verstaendigung >
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- Bei den Programmiersprachen gibt es Modestroemungen, die ungefaehr mit den
- Jahreszeiten wechseln. Man bevorzugt esoterisches wie 'C' oder 'Lisp' bzw.
- Handfestes (Fortran, Cobol), aber eigentlich gibt es fuer jede Sprache (PL/1,
- Forth) jemanden, der alles uebrige als Quatsch abtut. Was sich zu gemein und
- wichtig macht, wie Ada, ist schon nicht mehr interessant. Und Pascal - also
- wenn sie mich fragen, wird es viel zu wenig verstanden ... nein, inzwischen
- kann man das nicht mehr ruhigen Gewissens behaupten, aber Professor Ungruens
- Geheimtip lautet jetzt: 'Modula 2'. Denken Sie an seine Worte! Uebrigens gibt
- es innerhalb einer Programmiersprache mehr Dialekte als zwischen Nuernberg und
- dem Allgaeu, woran amn die kulturelle Vielfalt dieser Seite unserer
- Zivilisation ablesen kann.
- Bisweilen kommt es vor, dass sie ueber geheimnisvolle Dinge in homerisches
- Gelaechter ausbrechen (nicht mitzulachen ist ein Zeichen mangelnder Intelli-
- genz), z.B. ueber einige Assembler-Statements oder die Schaltung eines Daten-
- separators - ihre Zunft scheint eine neue Art von Komik zu kreieren. (Hier muss
- ich passen - Witze kann man nicht erklaeren, auch nicht Computerwitze - man
- verstehts halt oder eben nicht!)
- So ist ihr Gebiet alles andere als trocken, es lebt, Systeme und Software,
- die nicht laufen wollen, sind eine spannendere Herausforderung als ein Dschun-
- gelabenteuer. Es waere auch voellig verfehlt, sie als Fachidioten oder einsei-
- tige Tueftler anzusehen ... ihre Interessen scheinen so vielfaeltig, ihre Vor-
- lieben so unterschiedlich zu sein wie die Sitten verschiedener Voelker.
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- < Ordnung: Chaos mit System >
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- Haeufig haben sie auch sonst einen ausgefallenen, gehobenen Geschmack, was
- Kunst, Musik, Literatur betrifft, eine Neigung zum Surealismus oder Kubismus
- (vor allem bei den Gehaeusen) ist nicht selten, dagegen findet man kaum Gar-
- tenzwerge. Auffaellig ist die in hoeherem Sinne bestehende Aehnlichkeit ihrer
- Wohnungen und Zimmer. Sie sind niemals unpersoenlich wie vielleicht bei Techno-
- kraten oder Angestellten. Manche sammeln Antiquitaeten, z.B. Volksempfaenger
- oder Kernspeicher (keine Angst, das hat nichts mit Kernkraftwerken zu tun,
- vielmehr sind das aufgefaedelte allerliebste allerliebste kleine Magnetring-
- lein, wie eine Art Glasperlenstickerei, bloss nicht so bunt). Im Umfeld findet
- man Laser-Freaks.
- Natuerlich herrscht im engeren Aufenthaltsbereich die Technik vor: Man sieht
- in jedem Fall einen oder mehrere Bildschirme (ev. auch alte Fernseher), diverse
- Tastaturen, vozugsweise stecken irgendwo Platinen. Je nach Temperament ist
- alles Drahtige hinter Frontpanels verborgen (die anderen Frontplatten-Freaks
- sind die Hifi-Enthusiasten) oder es schlingen sich lianengleich Kabelpipelines
- durchs ganze Zimmer. Die Regale an den Waenden reichen grundsaetzlich nicht
- aus, um die Ordner mit Disketten und Handbuechern zu fassen, auf dem Tisch, auf
- dem Boden sieht man weitere Stapel, dazu Platinen (mit und ohne Kaefer, haeufig
- offenbar nur teilweise besetzt), Vorraete an Draht und Papier, Loetkolben,
- Oszilloskope und, daran kann man sie eindeutig von den Radiobastlern und Ama-
- teurfunkern unterscheiden: Drucker.
- Irgendwelche geoeffneten, demontierten oder aber im Aufbau (oder in beiden
- Stadien gleichzeitig) befindlichen Geraete sind angezeigt. In extremen Faellen
- gleicht das Gelaende einem Bundeswehruebungsplatz im Endstadium, es tuermen
- sich mehrere Monatsschichten Zeitschriften, Buecher, Schraubenzieher, Unter-
- hosen, Bohrmaschinen, Feilen, Gehaeusebauteile, Wienerwald-Tueten (jetzt mehr
- McDonalds-Burgerdeckel) und Geraete nicht unter der 1000,- DM-Klasse zu einem
- Dschungel, in dem staendig etwas gesucht wird (vorzugsweise banales Werkzeug
- wie Schraubenzieher, dessen Verlust die Arbeit stundenlang aufhaelt).
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- < Ringen um Perfektion >
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- Es ist fuer den Unverstaendigen schwer zu begreifen, woran sie eigentlich
- arbeiten. Befragt man sie, so erhaelt man uebrigens detaillierte und gedul-
- dige Auskunft darueber, dass sie an etwas arbeiten, was die unabdingbare Vo-
- raussetzung fuer ein anderes Vorhaben ist, das seinerseits nur Mittel (zu
- welchem?) Zweck ist. Nie findet man sie mit etwas Endgueltigem beschaeftigt, ja
- es scheint die Essenz ihres ganzen Strebens zu sein, dass sich alles im Fluss
- befindet. Vielleicht hat ihr Hobby eigentlich keinen Zweck, und ist somit das
- edelste ueberhaupt, sie arbeiten unermuedlich fuer etwas, das sie nie errei-
- chen, dem sie nicht einmal nahekommen, ein Zustand endloser Glueckseligkeit !
- Ihr Wissen ist immens, sie beherrschen unzaehlige Kniffe, deren Sinn einem
- Uneingeweihten verschlossen bleibt, vor allem aber aendern und verbessern sie
- Betriebssysteme und Geraete. (Betriebssysteme sind das, worueber sich Laien am
- Computer am meisten aergern, weil es sie hindert, zu erreichen, was sie eigent-
- lich wollten, als sie sich an die Tastatur setzten). Staendig kaempfen sie ge-
- gen die mangelnde Perfektion, die sie doch nie erreichen. Scheinbare Perfektion
- vertuscht den Umstand, dass alles in der Computerwelt unvollkommenes Menschen-
- werk ist. Was dem Bundeskanzler an seiner Stromrechnung als boeser Auswuchs der
- Computerei erscheint, ist ja nur die Unfaehigkeit beamteter Programmierer -
- aber das versteht die Oeffentlichkeit nicht, dass der Computer ein reines, un-
- schuldiges Werkzeug ist, dem wir nur nicht gewachsen sind, weil wir nicht prae-
- zise genug denken koennen, um ihn anzuweisen.
- Die Unzuverlaessigkeit und Unfreundlichkeit von Systemen ist indes schier un-
- fasslich. Es ist ueberhaupt kein Problem, in einer Zehntelsekunde durch einen
- unbedachten Tastendruck das Werk von Stunden, Tagen oder gar Monaten zunichte
- zu machen. Es erstaunt, dass oft Computer und Programme fuer teures Geld ver-
- kauft werden, die niemals vollstaendig funktionieren. Immer gibt es Spezifi-
- kationen, die unerfuellt bleiben, die Anzahl nichterfuellter Eigenschaften ist
- groesser als das menschliche Vorstellungsvermoegen. Man fragt sich, was ge-
- schaehe, waere all das vollkommen. Vielleicht darf dieser Zustand einfach nicht
- eintreten, weil es dann nichts mehr zu gruebeln gaebe ...
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