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Text File  |  1996-10-04  |  12KB  |  34 lines

  1. ╗Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen½, dachte Gregor und begann seine Arbeit wieder. Er konnte das Schnaufen der Anstrengung nicht unterdrⁿcken und mu▀te auch hier und da ausruhen. 
  2.  
  3. Im ⁿbrigen drΣngte ihn auch niemand, es war alles ihm selbst ⁿberlassen. Als er die Umdrehung vollendet hatte, fing er sofort an, geradeaus zurⁿckzuwandern. E staunte ⁿber die gro▀e Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte, und begriff gar nicht, wie er bei seiner SchwΣche vor kurze Zeit den gleichen Weg, fast ohne es zu merken, zurⁿckgelegt hatte. Immerfort nur auf rasches Kriechen bedacht, achtete er kaum da auf, da▀ kein Wort, kein Ausruf seiner Familie ihn st÷rte. 
  4.  
  5. Erst als er schon in der Tⁿr war, wendete er den Kopf, nicht vollstΣndig, denn er fⁿhlte den Hals steif werden, immerhin sah er noch, da▀ sich hinter ihm nichts verΣndert hatte, nur die Schwester war aufgestanden. Sein letzter Blick streifte die Mutter, die nun v÷llig eingeschlafen war. 
  6.  
  7. Kaum war er innerhalb seines Zimmers, wurde die Tⁿr eiligst zu gedrⁿckt festgeriegelt und versperrt. ▄ber den pl÷tzlichen LΣrm hinter sich erschrak Gregor so, da▀ ihm die Beinchen einknickten. Es war die Schwester, die sich so beeilt hatte. Aufrecht war sie schon da gestanden und hatte gewartet, leichtfⁿ▀ig war sie dann vorwΣrtsgesprungen, Gregor hatte sie gar nicht kommen h÷ren, und ein ╗Endlich!½ rief sie den Eltern zu, wΣhrend sie den Schlⁿssel im Schlo▀ umdrehte. 
  8.  
  9. ╗Und jetzt?½ fragte sich Gregor und sah sich im Dunkeln um. Er machte bald die Entdeckung, da▀ er sich nun ⁿberhaupt nicht mehr rⁿhren konnte. Er wunderte sich darⁿber nicht, eher kam es ihm unnatⁿrlich vor, da▀ er sich bis jetzt tatsΣchlich mit diesen dⁿnnen Beinchen hatte fortbewegen k÷nnen. Im ⁿbrigen fⁿhlte er sich verhΣltnismΣ▀ig behaglich. Er hatte zwar Schmerzen im ganzen Leib, aber ihm war, als wⁿrden sie allmΣhlich schwΣcher und schwΣcher und wⁿrden schlie▀lich ganz vergehen. Den verfaulten Apfel in seinem Rⁿcken und die entzⁿndete Umgebung, die ganz von weichem Staub bedeckt waren, spⁿrte er schon kaum. An seine Familie dachte er mit Rⁿhrung und Liebe zurⁿck. Seine Meinung darⁿber, da▀ er verschwinden mⁿsse, war wom÷glich noch entschiedener, als die seiner Schwester. In diesem Zustand leeren und friedlichen Nachdenkens blieb er, bis die Turmuhr die dritte Morgenstunde schlug. Den Anfang des allgemeinen Hellerwerdens drau▀en vor dem Fenster erlebte er noch. Dann sank sein Kopf ohne seinen Willen gΣnzlich nieder, und aus seinen Nⁿstern str÷mte sein letzter Atem schwach hervor. 
  10.  
  11. Als am frⁿhen Morgen die Bedienerin kam - vor lauter Kraft und Eile schlug sie, wie oft man sie auch schon gebeten hatte, das zu vermeiden, alle Tⁿren derartig zu, da▀ in der ganzen Wohnung von ihrem Kommen an kein ruhiger Schlaf mehr m÷glich war - , fand sie bei ihrem gew÷hnlichen kurzen Besuch an Gregor zuerst nichts Besonderes. Sie dachte, er liege absichtlich so unbeweglich da und spiele den Beleidigten; sie traute ihm allen m÷glichen Verstand zu. Weil sie zufΣllig den langen Besen in der Hand hielt, suchte sie mit ihm Gregor von der Tⁿr aus zu kitzeln. Als sich auch da kein Erfolg zeigte, wurde sie Σrgerlich und stie▀ ein wenig in Gregor hinein, und erst als sie ihn ohne jeden Widerstand von seinem Platze geschoben hatte, wurde sie aufmerksam. Als sie bald den wahren Sachverhalt erkannte, machte sie gro▀e Augen, pfiff vor sich hin, hielt sich aber nicht lange auf, sondern ri▀ die Tⁿr des Schlafzimmers auf und rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: ╗Sehen Sie nur mal an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar krepiert!½ 
  12.  
  13. Das Ehepaar Samsa sa▀ im Ehebett aufrecht da und hatte zu tun, den Schrecken ⁿber die Bedienerin zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre Meldung aufzufassen. Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa, jeder auf seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr Samsa warf die Decke ⁿber seine Schultern, Frau Samsa kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in Gregors Zimmer. Inzwischen hatte sich auch die Tⁿr des Wohnzimmers ge÷ffnet, in dem Grete seit dem Einzug der Zimmerherren schlief; sie war v÷llig angezogen, als hΣtte sie gar nicht geschlafen, auch ihr bleiches Gesicht schien das zu beweisen. ╗Tot?½ sagte Frau Samsa und sah fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles selbst prⁿfen und sogar ohne Prⁿfung erkennen konnte. ╗Das will ich meinen½, sagte die Bedienerin und stie▀ zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen noch ein gro▀es Stⁿck seitwΣrts. Frau Samsa machte eine Bewegung, als wolle sie den Besen zurⁿckhalten, tat es aber nicht. ╗Nun½, sagte Herr Samsa, ╗jetzt k÷nnen wir Gott danken.½ Er bekreuzte sich, und die drei Frauen folgten seinem Beispiel. 
  14.  
  15. Grete, die kein Auge von der Leiche wendete, sagte: ╗Seht nur, wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit nichts gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, sind sie wieder hinausgekommen.½ TatsΣchlich war Gregors K÷rper vollstΣndig flach und trocken, man erkannte das eigentlich erst jetzt, da er nicht mehr von den Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick ablenkte. 
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  17. ╗Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein½, sagte Frau Samsa mit einem wehmⁿtigen LΣcheln, und Grete ging, nicht ohne nach der Leiche zurⁿckzusehen, hinter den Eltern in das Schlafzimmer. Die Bedienerin schlo▀ die Tⁿr und ÷ffnete gΣnzlich das Fenster. Trotz des frⁿhen Morgens war der frischen Luft schon etwas Lauigkeit beigemischt. Es war eben schon Ende MΣrz. 
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  19. Aus ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren und sahen sich erstaunt nach ihrem Frⁿhstⁿck um; man hatte sie vergessen. ╗Wo ist das Frⁿhstⁿck?½ fragte der mittlere der Herren mⁿrrisch die Bedienerin. Diese aber legte den Finger an den Mund und winkte dann hastig und schweigend den Herren zu, sie m÷chten in Gregors Zimmer kommen. Sie kamen auch und standen dann, die HΣnde in den Taschen ihrer etwas abgenutzten R÷ckchen, in dem nun schon ganz hellen Zimmer um Gregors Leiche herum. 
  20.  
  21. Da ÷ffnete sich die Tⁿr des Schlafzimmers, und Herr Samsa erschien in seiner Livree an einem Arm seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle waren ein wenig verweint; Grete drⁿckte bisweilen ihr Gesicht an den Arm des Vaters. 
  22.  
  23. ╗Verlassen Sie sofort meine Wohnung!½ sagte Herr Samsa und zeigte auf die Tⁿr, ohne die Frauen von sich zu lassen. ╗Wie meinen Sie das?½ sagte der mittlere der Herren etwas bestⁿrzt und lΣchelte sⁿ▀lich. Die zwei anderen hielten die HΣnde auf dem Rⁿcken und rieben sie ununterbrochen aneinander, wie in freudiger Erwartung eines gro▀en Streites, der aber fⁿr sie gⁿnstig ausfallen mu▀te. ╗Ich meine es genau so, wie ich es sage½, antwortete Herr Samsa und ging in einer Linie mit seinen zwei Begleiterinnen auf den Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da und sah zu Boden, als ob sich die Dinge in seinem Kopf zu einer neuen Ordnung zusammenstellten. ╗Dann gehen wir also½, sagte er dann und sah zu Herrn Samsa auf, als verlange er in einer pl÷tzlich ihn ⁿberkommenden Demut sogar fⁿr diesen Entschlu▀ eine neue Genehmigung. Herr Samsa nickte ihm blo▀ mehrmals kurz mit gro▀en Augen zu. Daraufhin ging der Herr tatsΣchlich sofort mit langen Schritten ins Vorzimmer; seine beiden Freunde hatten schon ein Weilchen lang mit ganz ruhigen HΣnden aufgehorcht und hⁿpften ihm jetzt geradezu nach, wie in Angst, Herr Samsa k÷nnte vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die Verbindung mit ihrem Fⁿhrer st÷ren. Im Vorzimmer nahmen alle drei die Hⁿte vom Kleiderrechen, zogen ihre St÷cke aus dem StockbehΣlter, verbeugten sich stumm und verlie▀en die Wohnung. In einem, wie sich zeigte, gΣnzlich unbegrⁿndeten Mi▀trauen trat Herr Samsa mit den zwei Frauen auf den Vorplatz hinaus; an das GelΣnder gelehnt, sahen sie zu, wie die drei Herren zwar langsam, aber stΣndig die lange Treppe hinunterstiegen, in jedem Stockwerk in einer bestimmten Biegung des Treppenhauses verschwanden und nach ein paar Augenblicken wieder hervorkamen; je tiefer sie gelangten, desto mehr verlor sich das Interesse der Familie Samsa fⁿr sie, und als ihnen entgegen und dann hoch ⁿber sie hinweg ein Fleischergeselle mit der Trage auf dem Kopf in stolzer Haltung heraufstieg, verlie▀ bald Herr Samsa mit den Frauen das GelΣnder, und alle kehrten, wie erleichtert, in ihre Wohnung zurⁿck. 
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  25. Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen zu verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch und schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa an seine Direktion, Frau Samsa an ihren Auftraggeber, und Grete an ihren Prinzipal. WΣhrend des Schreibens kam die Bedienerin herein, um zu sagen, da▀ sie fortgehe, denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei Schreibenden nickten zuerst blo▀, ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht entfernen wollte, sah man Σrgerlich auf. ╗Nun?½ fragte Herr Samsa. Die Bedienerin stand lΣchelnd in der Tⁿr, als habe sie der Familie ein gro▀es Glⁿck zu melden, werde es aber nur dann tun, wenn sie grⁿndlich ausgefragt werde. Die fast aufrechte kleine Strau▀feder auf ihrem Hut, ⁿber die sich Herr Samsa schon wΣhrend ihrer ganzen Dienstzeit Σrgerte, schwankte leicht nach allen Richtungen. ╗Also was wollen Sie eigentlich?½ fragte Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am meisten Respekt hatte. ╗Ja½, antwortete die Bedienerin und konnte vor freundlichem Lachen nicht gleich weiter reden, ╗also darⁿber, wie das Zeug von nebenan weggeschafft werden soll, mⁿssen Sie sich keine Sorge machen. Es ist schon in Ordnung.½ Frau Samsa und Grete beugten sich zu ihren Briefen nieder, als wollten sie weiterschreiben; Herr Samsa, welcher merkte, da▀ die Bedienerin nun alles ausfⁿhrlich zu beschreiben anfangen wollte, wehrte dies mit ausgestreckter Hand entschieden ab. Da sie aber nicht erzΣhlen durfte, erinnerte sie sich an die gro▀e Eile, die sie hatte, rief offenbar beleidigt: ╗Adjes allseits½, drehte sich wild um und verlie▀ unter fⁿrchterlichem Tⁿrezuschlagen die Wohnung. 
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  27. ╗Abends wird sie entlassen½, sagte Herr Samsa, bekam aber weder von seiner Frau, noch von seiner Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin schien ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gest÷rt zu haben. Sie erhoben sich, gingen zum Fenster und blieben dort, sich umschlungen haltend. Herr Samsa drehte sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete sie still ein Weilchen. Dann rief er: ╗Also kommt doch her. La▀t schon endlich die alten Sachen. Und nehmt auch ein wenig Rⁿcksicht auf mich.½ Gleich folgten ihm die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und beendeten rasch ihre Briefe. 
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  29. Dann verlie▀en alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, was sie schon seit Monaten nicht getan hatten, und fuhren mit der Elektrischen ins Freie vor die Stadt. Der Wagen, in dem sie allein sa▀en, war ganz von warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, bequem auf ihren Sitzen zurⁿckgelehnt, die Aussichten fⁿr die Zukunft, und es fand sich, da▀ diese bei nΣherer Betrachtung durchaus nicht schlecht waren, denn aller drei Anstellungen waren, worⁿber sie einander eigentlich noch gar nicht ausgefragt hatten, ⁿberaus gⁿnstig und besonders fⁿr spΣter vielversprechend. Die gr÷▀te augenblickliche Besserung der Lage mu▀te sich natⁿrlich leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten nun eine kleinere und billigere, aber besser gelegene und ⁿberhaupt praktischere Wohnung nehmen, als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte war.WΣhrend sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten Zeit trotz aller Plage, die ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem sch÷nen und ⁿppigen MΣdchen aufgeblΣht war. Stiller werdend und fast unbewu▀t durch Blicke sich verstΣndigend, dachten sie daran, da▀ es nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann fⁿr sie zu suchen. Und es war ihnen wie eine BestΣtigung ihrer neuen TrΣume und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und ihren jungen K÷rper dehnte. 
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