Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen der frⁿheren Zeiten, an die Gregor in den kleinen Hotelzimmern stets mit einigem Verlangen gedacht hatte, wenn er sich mⁿde in das feuchte Bettzeug hatte werfen mⁿssen. Es ging jetzt meist nur sehr still zu. Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester ermahnten einander zur Stille; die Mutter nΣhte, weit unter das Licht vorgebeugt, feine WΣsche fⁿr ein ModengeschΣft; die Schwester, die eine Stellung als VerkΣuferin angenommen hatte, lernte am Abend Stenographie und Franz÷sisch, um vielleicht spΣter einmal einen besseren Posten zu erreichen. Manchmal wachte der Vater auf, und als wisse er gar nicht, da▀ er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: ╗Wie lange du heute schon wieder nΣhst!½ und schlief sofort wieder ein, wΣhrend Mutter und Schwester einander mⁿde zulΣchelten.
Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater, auch zu Hause seine Dieneruniform abzulegen; und wΣhrend der Schlafrock nutzlos am Kleiderhaken hing, schlummerte der Vater vollstΣndig angezogen auf seinem Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit und warte auch hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen verlor die gleich anfangs nicht neue Uniform trotz aller Sorgfalt von Mutter und Schwester an Reinlichkeit, und Gregor sah oft ganze Abende lang auf dieses ⁿber und ⁿber fleckige, mit seinen stets geputzte Goldkn÷pfen leuchtende Kleid, in dem der alte Mann h÷chst unbequem und doch ruhig schlief.
Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter durch leise Zusprache den Vater zu wecken und dann zu ⁿberreden, ins Bett zu gehen, denn hier war es doch kein richtiger Schlaf und diesen hatte der Vater, der um sechs Uhr seinen Dienst antreten mu▀te, Σu▀erst n÷tig. Aber in dem Eigensinn, der ihn, seitdem er Diener war, ergriffen hatte, bestand er immer darauf noch lΣnger bei Tisch zu bleiben, trotzdem er regelmΣ▀ig einschlief, und war dann ⁿberdies nur mit der gr÷▀ten Mⁿhe zu bewegen, den Sessel mit dem Bett zu vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester mit kleinen Ermahnungen noch so sehr auf ihn eindringen, viertelstundenlang schⁿttelte er langsam den Kopf hielt, die Augen geschlossen und stand nicht auf. Die Mutter zupfte ihn am ─rmel, sagte ihm Schmeichelworte ins Ohr, die Schwester verlie▀ ihre Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater verfing das nicht. Er versank nur noch tiefer in seinen Sessel. Erst bis ihn die Frauen unter den Achseln fa▀ten, schlug er die Augen auf, sah abwechselnd die Mutter und die Schwester an und pflegte zu sagen: ╗Das ist ein Leben. Das ist die Ruhe meiner alten Tage.½ Und auf die beiden Frauen gestⁿtzt, erhob er sich, umstΣndlich, als sei er fⁿr sich selbst die gr÷▀te Last, lie▀ sich von den Frauen bis zur Tⁿre fⁿhren, winkte ihnen dort ab und ging nun selbstΣndig weiter, wΣhrend die Mutter ihr NΣhzeug, die Schwester ihre Feder eiligst hinwarfen, um hinter dem Vater zu laufen und ihm weiter behilflich zu sein.
Wer hatte in dieser abgearbeiteten und ⁿbermⁿdeten Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu kⁿmmern, als unbedingt n÷tig war? Der Haushalt wurde immer mehr eingeschrΣnkt; das DienstmΣdchen wurde nun doch entlassen; eine riesige knochige Bedienerin mit wei▀em, den Kopf umflatterndem Haar kam des Morgens und des Abends, um die schwerste Arbeit zu leisten; alles andere besorgte die Mutter neben ihrer vielen NΣharbeit. Es geschah sogar, da▀ verschiedene Familienschmuckstⁿcke, welche frⁿher die Mutter und die Schwester ⁿberglⁿcklich bei Unterhaltungen und Feierlichkeiten getragen hatten, verkauft wurden, wie Gregor am Abend aus der allgemeinen Besprechung der erzielten Preise erfuhr. Die gr÷▀te Klage war aber stets, da▀ man diese fⁿr die gegenwΣrtigen VerhΣltnisse allzu gro▀e Wohnung nicht verlassen konnte, da es nicht auszudenken war, wie man Gregor ⁿbersiedeln sollte. Aber Gregor sah wohl ein, da▀ es nicht nur die Rⁿcksicht auf ihn war, welche eine ▄bersiedlung verhinderte, denn ihn hΣtte man doch in einer passenden Kiste mit ein paar Luftl÷chern leicht transportieren k÷nnen; was die Familie hauptsΣchlich vom Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die v÷llige Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, da▀ sie mit einem Unglⁿck geschlagen war, wie niemand sonst im ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis.
Was die Welt von armen Leuten verlangt, erfⁿllten sie bis zum Σu▀ersten, der Vater holte den kleinen Bankbeamten das Frⁿhstⁿck, die Mutter opferte sich fⁿr die WΣsche fremder Leute, die Schwester lief nach dem Befehl der Kunden hinter dem Pulte hin und her, aber weiter reichten die KrΣfte der Familie schon nicht. Und die Wunde im Rⁿcken fing Gregor wie neu zu schmerzen an, wenn Mutter und Schwester, nachdem sie den Vater zu Bett gebracht hatten, nun zurⁿckkehrten, die Arbeit liegen lie▀en, nahe zusammenrⁿckten, schon Wange an Wange sa▀en; wenn jetzt die Mutter, auf Gregors Zimmer zeigend, sagte: ╗Mach' dort die Tⁿr zu, Grete½, und wenn nun Gregor wieder im Dunkel war, wΣhrend nebenan die Frauen ihre TrΣnen vermischten oder gar trΣnenlos den Tisch anstarrten.
Die NΣchte und Tage verbrachte Gregor fast ganz ohne Schlaf. Manchmal dachte er daran, beim nΣchsten ╓ffnen der Tⁿr die Angelegenheiten der Familie ganz so wie frⁿher wieder in die Hand zu nehmen; in seinen Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit der Chef und der Prokurist, die Kommis und die Lehrjungen, der so begriffstⁿtzige Hausknecht, zwei, drei Freunde aus anderen GeschΣften, ein StubenmΣdchen aus einem Hotel in der Provinz, eine liebe, flⁿchtige Erinnerung, eine Kassiererin aus einem HutgeschΣft, um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben hatte - sie alle erschienen untermischt mit Fremden oder schon Vergessenen, aber statt ihm und seiner Familie zu helfen, waren sie sΣmtlich unzugΣnglich, und er war froh, wenn sie verschwanden.
Dann aber war er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie zu sorgen, blo▀ Wut ⁿber die schlechte Wartung erfⁿllte ihn, und trotzdem er sich nichts vorstellen konnte, worauf er Appetit gehabt hΣtte, machte er doch PlΣne, wie er in die Speisekammer gelangen k÷nnte, um dort zu nehmen, was ihm, auch wenn er keinen Hunger hatte, immerhin gebⁿhrte. Ohne jetzt mehr nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen k÷nnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins GeschΣft lief, mit dem Fu▀ irgendeine beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie am Abend, gleichgⁿltig dagegen, ob die Speise vielleicht nur verkostet oder - der hΣufigste Fall - gΣnzlich unberⁿhrt war, mit einem Schwenken des Besens hinauszukehren. Das AufrΣumen des Zimmers, das sie nun immer abends besorgte, konnte gar nicht mehr schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen sich die WΣnde entlang, hie und da lagen KnΣuel von Staub und Unrat. In der ersten Zeit stellte sich Gregor bei der Ankunft der Schwester in derartige besonders bezeichnende Winkel, um ihr durch diese Stellung gewisserma▀en einen Vorwurf zu machen. Aber er hΣtte wohl wochenlang dort bleiben k÷nnen, ohne da▀ sich die Schwester gebessert hΣtte; sie sah ja den Schmutz genau so wie er, aber sie hatte sich eben entschlossen, ihn zu lassen.
Dabei wachte sie mit einer an ihr ganz neuen Empfindlichkeit, die ⁿberhaupt die ganze Familie ergriffen hatte, darⁿber, da▀ das AufrΣumen von Gregors Zimmer ihr vorbehalten blieb. Einmal hatte die Mutter Gregors Zimmer einer gro▀en Reinigung unterzogen, die ihr nur nach Verbrauch einiger Kⁿbel Wasser gelungen war - die viele Feuchtigkeit krΣnkte allerdings Gregor auch und er lag breit, verbittert und unbeweglich auf dem Kanapee -, aber die Strafe blieb fⁿr die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am Abend die Schwester die VerΣnderung in Gregors Zimmer bemerkt, als sie, aufs h÷chste beleidigt, ins Wohnzimmer lief und, trotz der beschw÷rend erhobenen HΣnde der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach, dem die Eltern - der Vater war natⁿrlich aus seinem Sessel aufgeschreckt worden - zuerst erstaunt und hilflos zusahen; bis auch sie sich zu rⁿhren anfingen; der Vater rechts der Mutter Vorwⁿrfe machte, da▀ sie Gregors Zimmer nicht der Schwester zur Reinigung ⁿberlie▀; links dagegen die Schwester anschrie, sie werde niemals mehr Gregors Zimmer reinigen dⁿrfen; wΣhrend die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins Schlafzimmer zu schleppen suchte; die Schwester, von Schluchzen geschⁿttelt, mit ihren kleinen FΣusten den Tisch bearbeitete; und Gregor laut vor Wut darⁿber zischte, da▀ es keinem einfiel, die Tⁿr zu schlie▀en und ihm diesen Anblick und LΣrm zu ersparen.
Aber selbst wenn die Schwester, ersch÷pft von ihrer Berufsarbeit, dessen ⁿberdrⁿssig geworden war, fⁿr Gregor, wie frⁿher, zu sorgen, so hΣtte noch keineswegs die Mutter fⁿr sie eintreten mⁿssen und Gregor hΣtte doch nicht vernachlΣssigt werden brauchen. Denn nun war die Bedienerin da. Diese alte Witwe, die in ihrem langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues das ─rgste ⁿberstanden haben mochte, hatte keinen eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie neugierig zu sein, hatte sie zufΣllig einmal die Tⁿr von Gregors Zimmer aufgemacht und war im Anblick Gregors, der, gΣnzlich ⁿberrascht, trotzdem ihn niemand jagte, hin und herzulaufen begann, die HΣnde im Scho▀ gefaltet staunend stehen geblieben. Seitdem versΣumte sie nicht, stets flⁿchtig morgens und abends die Tⁿr ein wenig zu ÷ffnen und zu Gregor hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich herbei, mit Worten, die sie wahrscheinlich fⁿr freundlich hielt, wie ╗Komm mal herⁿber, alter MistkΣfer!½ oder ╗Seht mal den alten MistkΣfer!½ Auf solche Ansprachen antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb unbeweglich auf seinem Platz, als sei die Tⁿr gar nicht ge÷ffnet worden. HΣtte man doch dieser Bedienerin, statt sie nach ihrer Laune ihn nutzlos st÷ren zu lassen, lieber den Befehl gegeben, sein Zimmer tΣglich zu reinigen! Einmal am frⁿhen Morgen - ein heftiger Regen, vielleicht schon ein Zeichen des kommenden Frⁿhjahrs, schlug an die Scheiben - war Gregor, als die Bedienerin mit ihren Redensarten wieder begann, derartig erbittert, da▀ er, wie zum Angriff, allerdings langsam und hinfΣllig, sich gegen sie wendete. Die Bedienerin aber, statt sich zu fⁿrchten, hob blo▀ einen in der NΣhe der Tⁿr befindlichen Stuhl hoch einpor, und wie sie mit gro▀ ge÷ffnetem Munde dastand, war ihre Absicht klar, den Mund erst zu schlie▀en, wenn der Sessel in ihrer Hand auf Gregors Rⁿcken niederschlagen wⁿrde. ╗Also weiter geht es nicht?½ fragte sie, als Gregor sich wieder umdrehte, und stellte den Sessel ruhig in die Ecke zurⁿck.
Gregor a▀ nun fast gar nichts mehr. Nur wenn er zufΣllig an der vorbereiteten Speise vorⁿberkam, nahm er zum Spiel einen Bissen in den Mund, hielt ihn dort stundenlang und spie ihn dann meist wieder aus. Zuerst dachte er, es sei die Trauer ⁿber den Zustand seines Zimmers, die ihn vom Essen abhalte, aber gerade mit den VerΣnderungen des Zimmers s÷hnte er sich sehr bald aus. Man hatte sich angew÷hnt, Dinge, die man anderswo nicht unterbringen konnte, in dieses Zimmer hineinzustellen, und solcher Dinge gab es nun viele, da man ein Zimmer der Wohnung an drei Zimmerherren vermietet hatte. Diese ernsten Herren - alle drei hatten VollbΣrte, wie Gregor einmal durch eine Tⁿrspalte feststellte - waren peinlich auf Ordnung, nicht nur in ihrem Ziminer, sondern, da sie sich nun einmal hier eingemietet hatten, in der ganzen Wirtschaft, also insbesondere in der Kⁿche, bedacht. Unnⁿtzen oder gar schmutzigen Kram ertrugen sie nicht. ▄berdies hatten sie zum gr÷▀ten Teil ihre eigenen Einrichtungsstⁿcke mitgebracht. Aus diesem Grunde waren viele Dinge ⁿberflⁿssig geworden, die zwar nicht verkΣuflich waren, die man aber auch nicht wegwerfen wollte. Alle diese wanderten in Gregors Zimmer. Ebenso auch die Aschenkiste und die Abfallkiste aus der Kⁿche. Was nur im Augenblick unbrauchbar war, schleuderte die Bedienerin, die es immer sehr eilig hatte, einfach in Gregors Zimmer; Gregor sah glⁿcklicherweise meist nur den betreffenden Gegenstand und die Hand, die ihn hielt. Die Bedienerin hatte vielleicht die Absicht, bei Zeit und Gelegenheit die Dinge wieder zu holen oder alle insgesamt mit einemmal hinauszuwerfen, tatsΣchlich aber blieben sie dort liegen, wohin sie durch den ersten Wurf gekommen waren, wenn nicht Gregor sich durch das Rumpelzeug wand und es in Bewegung brachte, zuerst gezwungen, weil kein sonstiger Platz zum Kriechen frei war, spΣter aber mit wachsendem Vergnⁿgen, obwohl er nach solchen Wanderungen, zum Sterben mⁿde und traurig, wieder stundenlang sich nicht rⁿhrte.
Da die Zimmerherren manchmal auch ihr Abendessen zu Hause im gemeinsamen Wohnzimmer einnahmen, blieb die Wohnzimmertⁿr an manchen Abenden geschlossen, aber Gregor verzichtete ganz leicht auf das ╓ffnen der Tⁿr, hatte er doch schon manche Abende, an denen sie ge÷ffnet war, nicht ausgenutzt, sondern war, ohne da▀ es die Familie merkte, im dunkelsten Winkel seines Zimmers gelegen. Einmal aber hatte die Bedienerin die Tⁿr zum Wohnzimmer ein wenig offen gelassen, und sie blieb so offen, auch als die Zimmerherren am Abend eintraten und Licht gemacht wurde. Sie setzten sich oben an den Tisch, wo in frⁿheren Zeiten der Vater, die Mutter und Gregor gegessen hatten, entfalteten die Servietten und nahmen Messer und Gabel in die Hand. Sofort erschien in der Tⁿr die Mutter mit einer Schⁿssel Fleisch und knapp hinter ihr die Schwester mit einer Schⁿssel hochgeschichteter Kartoffeln. Das Essen dampfte mit starkem Rauch. Die Zimmerherren beugten sich ⁿber die vor sie hingestellten Schⁿsseln, als wollten sie sie vor dem Essen prⁿfen, und tatsΣchlich zerschnitt der, welcher in der Mitte sa▀ und den anderen zwei als AutoritΣt zu gelten schien, ein Stⁿck Fleisch noch auf der Schⁿssel, offenbar um festzustellen, ob es mⁿrbe genug sei und ob es nicht etwa in die Kⁿche zurⁿckgeschickt werden solle. Er war befriedigt, und Mutter und Schwester, die gespannt zugesehen hatten, begannen aufatmend zu lΣcheln.
Die Familie selbst a▀ in der Kⁿche. Trotzdem kam der Vater, ehe er in die Kⁿche ging, in dieses Zimmer herein und machte mit einer einzigen Verbeugung, die Kappe in der Hand, einen Rundgang um den Tisch. Die Zimmerherren erhoben sich sΣmtlich und murmelten etwas in ihre BΣrte. Als sie dann allein waren, a▀en sie fast unter vollkommenem Stillschweigen. Sonderbar schien es Gregor, da▀ man aus allen mannigfachen GerΣuschen des Essens immer wieder ihre kauenden ZΣhne heraush÷rte, als ob damit Gregor gezeigt werden sollte, da▀ man ZΣhne brauche, um zu essen, und da▀ man auch mit den sch÷nsten zahnlosen Kiefern nichts ausrichten k÷nne. ╗Ich habe ja Appetit½, sagte sich Gregor sorgenvoll, ╗aber nicht auf diese Dinge. Wie sich diese Zimmerherren nΣhren, und ich komme um!½
Gerade an diesem Abend - Gregor erinnerte sich nicht, wΣhrend der ganzen Zeit die Violine geh÷rt zu haben - ert÷nte sie von der Kⁿche her. Die Zimmerherren hatten schon ihr Nachtmahl beendet, der mittlere hatte eine Zeitung hervorgezogen, den zwei anderen je ein Blatt gegeben, und nun lasen sie zurⁿckgelehnt und rauchten. Als die Violine zu spielen begann, wurden sie aufmerksam, erhoben sich und gingen auf den Fu▀spitzen zur Vorzimmertⁿr, in der sie aneinandergedrΣngt stehen blieben. Man mu▀te sie von der Kⁿche aus geh÷rt haben, denn der Vater rief: ╗Ist den Herren das Spiel vielleicht unangenehm? Es kann sofort eingestellt werden.½ ╗Im Gegenteil½, sagte der mittlere der Herren, ╗m÷chte das FrΣulein nicht zu uns hereinkommen und hier im Zimmer spielen, wo es doch viel bequemer und gemⁿtlicher ist?½ ╗O bitte½, rief der Vater, als sei er der Violinspieler. Die Herren traten ins Zimmer zurⁿck und warteten. Bald kam der Vater mit dem Notenpult, die Mutter mit den Noten und die Schwester mit der Violine. Die Schwester bereitete alles ruhig zum Spiele vor; die Eltern, die niemals frⁿher Zimmer vermietet hatten und deshalb die H÷flichkeit gegen die Zimmerherren ⁿbertrieben, wagten gar nicht, sich auf ihre eigenen Sessel zu setzen; der Vater lehnte an der Tⁿr, die rechte Hand zwischen zwei Kn÷pfe des geschlossenen Livreerockes gesteckt; die Mutter aber erhielt von einem Herrn einen Sessel angeboten und sa▀, da sie den Sessel dort lie▀, wohin ihn der Herr zufΣllig gestellt hatte, abseits in einem Winkel.
Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter verfolgten, jeder von seiner Seite, aufmerksam die Bewegungen ihrer HΣnde. Gregor hatte, von dem Spiele angezogen, sich ein wenig weiter vorgewagt und war schon mit dem Kopf im Wohnzimmer. Er wunderte sich kaum darⁿber, da▀ er in letzter Zeit so wenig Rⁿcksicht auf die andern nahm; frⁿher war diese Rⁿcksichtnahme sein Stolz gewesen. Und dabei hΣtte er gerade jetzt mehr Grund gehabt, sich zu verstecken, denn infolge des Staubes, der in seinem Zimmer ⁿberall lag und bei der kleinsten Bewegung umherflog, war auch er ganz staubbedeckt; FΣden, Haare, Speiseⁿberreste schleppte er auf seinem Rⁿcken und an den Seiten mit sich herum; seine Gleichgⁿltigkeit gegen alles war viel zu gro▀, als da▀ er sich, wie frⁿher mehrmals wΣhrend des Tages, auf den Rⁿcken gelegt und am Teppich gescheuert hΣtte. Und trotz dieses Zustandes hatte er keine Scheu, ein Stⁿck auf dem makellosen Fu▀boden des Wohnzimmers vorzurⁿcken.
Allerdings achtete auch niemand auf ihn. Die Familie war gΣnzlich vom Violinspiel in Anspruch genommen; die Zimmerherren dagegen, die zunΣchst, die HΣnde in den Hosentaschen, viel zu nahe hinter dem Notenpult der Schwester sich aufgestellt hatten, so da▀ sie alle in die Noten hΣtten sehen k÷nnen, was sicher die Schwester st÷ren mu▀te, zogen sich bald unter halblauten GesprΣchen mit gesenkten K÷pfen zum Fenster zurⁿck, wo sie, vom Vater besorgt beobachtet, auch blieben. Es hatte nun wirklich den ⁿberdeutlichen Anschein, als wΣren sie in ihrer Annahme, ein sch÷nes oder unterhaltendes Violinspiel zu h÷ren, enttΣuscht, hΣtten die ganze Vorfⁿhrung satt und lie▀en sich nur aus H÷flichkeit noch in ihrer Ruhe st÷ren. Besonders die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den Rauch ihrer Zigarren in die H÷he bliesen, lie▀ auf gro▀e NervositΣt schlie▀en. Und doch spielte die Schwester so sch÷n. Ihr Gesicht war zur Seite geneigt, prⁿfend und traurig folgten ihre Blicke den Notenzeilen. Gregor kroch noch ein Stⁿck vorwΣrts und hielt den Kopf eng an den Boden, um m÷glicherweise ihren Blicken begegnen zu k÷nnen. War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff ? Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen, bis zur Schwester vorzudringen, sie am Rock zu zupfen und ihr dadurch anzudeuten, sie m÷ge doch mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn niemand lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen wollte. Er wollte sie nicht mehr aus seinem Zimmer lassen, wenigstens nicht, solange er lebte; seine Schreckgestalt sollte ihm zum erstenmal nⁿtzlich werden; an allen Tⁿren seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein und den Angreifern entgegenfauchen; die Schwester aber sollte nicht gezwungen, sondern freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte neben ihm auf dem Kanapee sitzen, das Ohr zu ihm herunterneigen, und er wollte ihr dann anvertrauen, da▀ er die feste Absicht gehabt habe, sie auf das Konservatorium zu schicken, und da▀ er dies, wenn nicht das Unglⁿck dazwischen gekommen wΣre, vergangene Weihnachten - Weihnachten war doch wohl schon vorⁿber? - allen gesagt hΣtte, ohne sich um irgendwelche Widerreden zu kⁿmmern. Nach dieser ErklΣrung wⁿrde die Schwester in TrΣnen der Rⁿhrung ausbrechen, und Gregor wⁿrde sich bis zu ihrer Achsel erheben und ihren Hals kⁿssen, den sie, seitdem sie ins GeschΣft ging, frei ohne Band oder Kragen trug.
╗Herr Samsa!½ rief der mittlere Herr dem Vater zu und zeigte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, mit dem Zeigefinger auf den langsam sich vorwΣrtsbewegenden Gregor. Die Violine verstummte, der mittlere Zimmerherr lΣchelte erst einmal kopfschⁿttelnd seinen Freunden zu und sah dann wieder auf Gregor hin. Der Vater schien es fⁿr n÷tiger zu halten, statt Gregor zu vertreiben, vorerst die Zimmerherren zu beruhigen, trotzdem diese gar nicht aufgeregt waren und Gregor sie mehr als das Violinspiel zu unterhalten schien. Er eilte zu ihnen und suchte sie mit ausgebreiteten Armen in ihr Zimmer zu drΣngen und gleichzeitig mit seinem K÷rper ihnen den Ausblick auf Gregor zu nehmen. Sie wurden nun tatsΣchlich ein wenig b÷se, man wu▀te nicht mehr, ob ⁿber das Benehmen des Vaters oder ⁿber die ihnen jetzt aufgehende Erkenntnis, ohne es zu wissen, einen solchen Zimmernachbar wie Gregor besessen zu haben. Sie verlangten vom Vater ErklΣrungen, hoben ihrerseits die Arme, zupften unruhig an ihren BΣrten und wichen nur langsam gegen ihr Zimmer zurⁿck. Inzwischen hatte die Schwester die Verlorenheit, in die sie nach dem pl÷tzlich abgebrochenen Spiel verfallen war, ⁿberwunden, hatte sich, nachdem sie eine Zeit lang in den lΣssig hΣngenden HΣnden Violine und Bogen gehalten und weiter, als spiele sie noch, in die Noten gesehen hatte, mit einem Male aufgerafft, hatte das Instrument auf den Scho▀ der Mutter gelegt, die in Atembeschwerden mit heftig arbeitenden Lungen noch auf ihrem Sessel sa▀, und war in das Nebenzimmer gelaufen, dem sich die Zimmerherren unter dem DrΣngen des Vaters schon schneller nΣherten. Man sah, wie unter den geⁿbten HΣnden der Schwester die Decken und Polster in den Betten in die H÷he flogen und sich ordneten. Noch ehe die Herren das Zimmer erreicht hatten, war sie mit dem Aufbetten fertig und schlⁿpfte heraus. Der Vater schien wieder von seinem Eigensinn derartig ergriffen, da▀ er jeden Respekt verga▀, den er seinen Mietern immerhin schuldete. Er drΣngte nur und drΣngte, bis schon in der Tⁿr des Zimmers der mittlere der Herren donnernd mit dem Fu▀ aufstampfte und dadurch den Vater zum Stehen brachte. ╗Ich erklΣre hiermit½, sagte er, hob die Hand und suchte mit den Blicken auch die Mutter und die Schwester, ╗da▀ ich mit Rⁿcksicht auf die in dieser Wohnung und Familie herrschenden widerlichen VerhΣltnisse½ - hierbei spie er kurz entschlossen auf den Boden - ╗mein Zimmer augenblicklich kⁿndige. Ich werde natⁿrlich auch fⁿr die Tage, die ich hier gewohnt habe, nicht das Geringste bezahlen, dagegen werde ich es mir noch ⁿberlegen, ob ich nicht mit irgendwelchen - glauben Sie mir - sehr leicht zu begrⁿndenden Forderungen gegen Sie auftreten werde.½ Er schwieg und sah gerade vor sich hin, als erwarte er etwas. TatsΣchlich fielen sofort seine zwei Freunde mit den Worten ein: ╗Auch wir kⁿndigen augenblicklich.½ Darauf fa▀te er die Tⁿrklinke und schlo▀ mit einem Krach die Tⁿr.
Der Vater wankte mit tastenden HΣnden zu seinem Sessel und lie▀ sich in ihn fallen; es sah aus, als strecke er sich zu seinem gew÷hnlichen AbendschlΣfchen, aber das starke Nicken seines wie haltlosen Kopfes zeigte, da▀ er ganz und gar nicht schlief. Gregor war die ganze Zeit still auf dem Platz gelegen, auf dem ihn die Zimmerherren ertappt hatten. Die EnttΣuschung ⁿber das Mi▀lingen seines Planes, vielleicht aber auch die durch das viele Hungern verursachte SchwΣche machten es ihm unm÷glich, sich zu bewegen. Er fⁿrchtete mit einer gewissen Bestimmtheit schon fⁿr den nΣchsten Augenblick einen allgemeinen ⁿber ihn sich entladenden Zusammensturz und wartete. Nicht einmal die Violine schreckte ihn auf, die, unter den zitternden Fingern der Mutter hervor, ihr vom Scho▀e fiel und einen hallenden Ton von sich gab.
╗Liebe Eltern½, sagte die Schwester und schlug zur Einleitung mit der Hand auf den Tisch, ╗so geht es nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht nicht einsehet, ich sehe es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den Namen meines Bruders aussprechen, und sage daher blo▀: wir mⁿssen versuchen, es loszuwerden. Wir haben das Menschenm÷gliche versucht, es zu pflegen und zu dulden, ich glaube, es kann uns niemand den geringsten Vorwurf machen.½ ╗Sie hat tausendmal Recht½, sagte der Vater fⁿr sich. Die Mutter, die noch immer nicht genug Atem finden konnte, fing in die vorgehaltene Hand mit einem irrsinnigen Ausdruck der Augen dumpf zu husten an.
Die Schwester eilte zur Mutter und hielt ihr die Stirn. Der Vater schien durch die Worte der Schwester auf bestimmtere Gedanken gebracht zu sein, hatte sich aufrecht gesetzt, spielte mit seiner Dienermⁿtze zwischen den Tellern, die noch vom Nachtmahl der Zimmerherren her auf dem Tische lagen, und sah bisweilen auf den stillen Gregor hin.
╗Wir mⁿssen es loszuwerden suchen½, sagte die Schwester nun ausschlie▀lich zum Vater, denn die Mutter h÷rte in ihrem Husten nichts, ╗es bringt euch noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn man schon so schwer arbeiten mu▀, wie wir alle, kann man nicht noch zu Hause diese ewige QuΣlerei ertragen. Ich kann es auch nicht mehr.½ Und sie brach so heftig in Weinen aus, da▀ ihre TrΣnen auf das Gesicht der Mutter niederflossen, von dem sie sie mit mechanischen Handbewegungen wischte.
╗Kind½, sagte der Vater mitleidig und mit auffallendem VerstΣndnis, ╗was sollen wir aber tun?½
Die Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen der Ratlosigkeit, die sie nun wΣhrend des Weinens im Gegensatz zu ihrer frⁿheren Sicherheit ergriffen hatte.
╗Wenn er uns verstⁿnde½, sagte der Vater halb fragend; die Schwester schⁿttelte aus dem Weinen heraus heftig die Hand zum Zeichen, da▀ daran nicht zu denken sei.
╗Wenn er uns verstⁿnde½, wiederholte der Vater und nahm durch Schlie▀en der Augen die ▄berzeugung der Schwester von der Unm÷glichkeit dessen in sich auf, ╗dann wΣre vielleicht ein ▄bereinkommen mit ihm m÷glich. Aber so - ½
╗Weg mu▀ es½, rief die Schwester, ╗das ist das einzige Mittel, Vater. Du mu▀t blo▀ den Gedanken loszuwerden suchen, da▀ es Gregor ist. Da▀ wir es solange geglaubt haben, das ist ja unser eigentliches Unglⁿck. Aber wie kann es denn Gregor sein? Wenn es Gregor wΣre, er hΣtte lΣngst eingesehen, da▀ ein Zusammenleben von Menschen mit einem solchen Tier nicht m÷glich ist, und wΣre freiwillig fortgegangen. Wir hΣtten dann keinen Bruder, aber k÷nnten weiter leben und sein Andenken in Ehren halten. So aber verfolgt uns dieses Tier, vertreibt die Zimmerherren, will offenbar die ganze Wohnung einnehmen und uns auf der Gasse ⁿbernachten lassen. Sieh nur, Vater½, schrie sie pl÷tzlich auf, ╗er fΣngt schon wieder an!½ Und in einem fⁿr Gregor gΣnzlich unverstΣndlichen Schrecken verlie▀ die Schwester sogar die Mutter, stie▀ sich f÷rmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie lieber die Mutter opfern, als in Gregors NΣhe bleiben, und eilte hinter den Vater, der, lediglich durch ihr Benehmen erregt, auch aufstand und die Arme wie zum Schutze der Schwester vor ihr halb erhob.
Aber Gregor fiel es doch gar nicht ein, irgend jemandem und gar seiner Schwester Angst machen zu wollen. Er hatte blo▀ angefangen sich umzudrehen, um in sein Zimmer zurⁿckzuwandern, und das nahm sich allerdings auffallend aus, da er infolge seines leidenden Zustandes bei den schwierigen Umdrehungen mit seinem Kopfe nachhelfen mu▀te, den er hierbei viele Male hob und gegen den Boden schlug. Er hielt inne und sah sich um. Seine gute Absicht schien erkannt worden zu sein; es war nur ein augenblicklicher Schrecken gewesen. Nun sahen ihn alle schweigend und traurig an. Die Mutter lag, die Beine ausgestreckt und aneinandergedrⁿckt, in ihrem Sessel, die Augen fielen ihr vor Ermattung fast zu; der Vater und die Schwester sa▀en nebeneinander, die Schwester hatte ihre Hand um des Vaters Hals gelegt.