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Text File  |  1996-10-04  |  28KB  |  48 lines

  1.  Gregor erfuhr nun zur Genⁿge - denn der Vater pflegte sich in seinen ErklΣrungen ÷fters zu  wiederholen, teils, weil er selbst sich mit diesen Dingen schon lange nicht beschΣftigt hatte,  teils auch, weil die Mutter nicht alles gleich beim ersten Mal verstand - , da▀ trotz allen  Unglⁿcks ein allerdings ganz kleines Verm÷gen aus der alten Zeit noch vorhanden war, das die  nicht angerⁿhrten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig hatten anwachsen lassen. Au▀erdem  aber war das Geld, das Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte - er selbst hatte nur ein  paar Gulden fⁿr sich behalten - , nicht vollstΣndig aufgebraucht worden und hatte sich zu einem  kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner Tⁿre, nickte eifrig, erfreut ⁿber diese  unerwartete Vorsicht und Sparsamkeit. Eigentlich hΣtte er ja mit diesen ⁿberschⁿssigen  Geldern die Schuld des Vaters gegenⁿber dem Chef weiter abgetragen haben k÷nnen, und jener  Tag, an dem er diesen Posten hΣtte loswerden k÷nnen, wΣre weit nΣher gewesen, aber jetzt  war es zweifellos besser so, wie es der Vater eingerichtet hatte. 
  2.  
  3. Nun genⁿgte dieses Geld aber ganz und gar nicht, um die Familie etwa von den Zinsen leben  zu lassen; es genⁿgte vielleicht, um die Familie ein, h÷chstens zwei Jahre zu erhalten, mehr war  es nicht. Es war also blo▀ eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen durfte, und die fⁿr  den Notfall zurⁿckgelegt werden mu▀te; das Geld zum Leben aber mu▀te man verdienen. Nun  war aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann, der schon fⁿnf Jahre nichts gearbeitet  hatte und sich jedenfalls nicht viel zutrauen durfte; er hatte in diesen fⁿnf Jahren, welche die  ersten Ferien seines mⁿhevollen und doch erfolglosen Lebens waren, viel Fett angesetzt und  war dadurch recht schwerfΣllig geworden. Und die alte Mutter sollte nun vielleicht Geld  verdienen, die an Asthma litt, der eine Wanderung durch die Wohnung schon Anstrengung  verursachte, und die jeden zweiten Tag in Atembeschwerden auf dem Sopha beim offenen  Fenster verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen, die noch ein Kind war mit ihren  siebzehn Jahren, und der ihre bisherige Lebensweise so sehr zu g÷nnen war, die daraus  bestanden hatte, sich nett zu kleiden, lange zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein  paar bescheidenen Vergnⁿgungen sich zu beteiligen und vor allem Violine zu spielen? Wenn  die Rede auf diese Notwendigkeit des Geldverdienens kam, lie▀ zuerst immer Gregor die Tⁿre  los und warf sich auf das neben der Tⁿr befindliche kⁿhle Ledersofa, denn ihm war ganz hei▀  vor BeschΣmung und Trauer. 
  4.  
  5. Oft lag er dort die ganzen langen NΣchte ⁿber, schlief keinen Augenblick und scharrte nur  stundenlang auf dem Leder. Oder er scheute nicht die gro▀e Mⁿhe, einen Sessel zum Fenster  zu schieben, dann die Fensterbrⁿstung hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt, sich ans  Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner Erinnerung an das Befreiende, das frⁿher fⁿr ihn  darin gelegen war, aus dem Fenster zu schauen. Denn tatsΣchlich sah er von Tag zu Tag die  auch nur ein wenig entfernten Dinge immer undeutlicher; das gegenⁿberliegende Krankenhaus,  dessen nur allzu hΣufigen Anblick er frⁿher verflucht hatte, bekam er ⁿberhaupt nicht mehr zu  Gesicht, und wenn er nicht genau gewu▀t hΣtte, da▀ er in der stillen, aber v÷llig stΣdtischen  Charlottenstra▀e wohnte, hΣtte er glauben k÷nnen, von seinem Fenster aus in eine Ein÷de zu  schauen, in welcher der graue Himmel und die graue Erde ununterscheidbar sich vereinigten.  Nur zweimal hatte die aufmerksame Schwester sehen mⁿssen, da▀ der Sessel beim Fenster  stand, als sie schon jedesmal, nachdem sie das Zimmer aufgerΣumt hatte, den Sessel wieder  genau zum Fenster hinschob, ja sogar von nun ab den inneren Fensterflⁿgel offen lie▀. 
  6.  
  7. HΣtte Gregor nur mit der Schwester sprechen und ihr fⁿr alles danken k÷nnen, was sie fⁿr ihn  machen mu▀te, er hΣtte ihre Dienste leichter ertragen; so aber litt er darunter. Die Schwester  suchte freilich die Peinlichkeit des Ganzen m÷glichst zu verwischen, und je lΣngere Zeit  verging, desto besser gelang es ihr natⁿrlich auch, aber auch Gregor durchschaute mit der Zeit  alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war fⁿr ihn schrecklich. Kaum war sie eingetreten, lief sie,  ohne sich Zeit zu nehmen, die Tⁿre zu schlie▀en, so sehr sie sonst darauf achtete, jedem den  Anblick von Gregors Zimmer zu ersparen, geradewegs zum Fenster und ri▀ es, als ersticke sie  fast, mit hastigen HΣnden auf, blieb auch, selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen beim  Fenster und atmete tief. Mit diesem Laufen und LΣrmen erschreckte sie Gregor tΣglich  zweimal; die ganze Zeit ⁿber zitterte er unter dem Kanapee und wu▀te doch sehr gut, da▀ sie  ihn gewi▀ gerne damit verschont hΣtte, wenn es ihr nur m÷glich gewesen wΣre, sich in einem  Zimmer, in dem sich Gregor befand, bei geschlossenem Fenster aufzuhalten. 
  8.  
  9. Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen, und es war doch  schon fⁿr die Schwester kein besonderer Grund mehr, ⁿber Gregors Aussehen in Erstaunen zu  geraten, kam sie ein wenig frⁿher als sonst und traf Gregor noch an, wie er, unbeweglich und  so recht zum Erschrecken aufgestellt, aus dem Fenster schaute. Es wΣre fⁿr Gregor nicht  unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten wΣre, da er sie durch seine Stellung  verhinderte, sofort das Fenster zu ÷ffnen, aber sie trat nicht nur nicht ein, sie fuhr sogar zurⁿck  und schlo▀ die Tⁿr; ein Fremder hΣtte geradezu denken k÷nnen, Gregor habe ihr aufgelauert  und habe sie bei▀en wollen. Gregor versteckte sich natⁿrlich sofort unter dem Kanapee, aber er  mu▀te bis zum Mittag warten, ehe die Schwester wiederkam, und sie schien viel unruhiger als  sonst. Er erkannte daraus, da▀ ihr sein Anblick noch immer unertrΣglich war und ihr auch  weiterhin unertrΣglich bleiben mⁿsse, und da▀ sie sich wohl sehr ⁿberwinden mu▀te, vor dem  Anblick auch nur der kleinen Partie seines K÷rpers nicht davonzulaufen, mit der er unter dem  Kanapee hervorragte. Um ihr auch diesen Anblick zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem  Rⁿcken - er brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden - das Leintuch auf das Kanapee und  ordnete es in einer solchen Weise an, da▀ er nun gΣnzlich verdeckt war, und da▀ die  Schwester, selbst wenn sie sich bⁿckte, ihn nicht sehen konnte. WΣre dieses Leintuch ihrer  Meinung nach nicht n÷tig gewesen, dann hΣtte sie es ja entfernen k÷nnen, denn da▀ es nicht  zum Vergnⁿgen Gregors geh÷ren konnte, sich so ganz und gar abzusperren, war doch klar  genug, aber sie lie▀ das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte sogar einen dankbaren  Blick erhascht zu haben, als er einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig lⁿftete,  um nachzusehen, wie die Schwester die neue Einrichtung aufnahm. 
  10.  
  11. In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern nicht ⁿber sich bringen, zu ihm  hereinzukommen, und er h÷rte oft, wie sie die jetzige Arbeit der Schwester v÷llig erkannten,  wΣhrend sie sich bisher hΣufig ⁿber die Schwester geΣrgert hatten, weil sie ihnen als ein etwas  nutzloses MΣdchen erschienen war. Nun aber warteten oft beide, der Vater und die Mutter, vor  Gregors Zimmer, wΣhrend die Schwester dort aufrΣumte, und kaum war sie herausgekommen,  mu▀te sie ganz genau erzΣhlen, wie es in dem Zimmer aussah, was Gregor gegessen hatte, wie  er sich diesmal benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung zu bemerken war. Die  Mutter ⁿbrigens wollte verhΣltnismΣ▀ig bald Gregor besuchen, aber der Vater und die  Schwester hielten sie zuerst mit Vernunftgrⁿnden zurⁿck, denen Gregor sehr aufmerksam  zuh÷rte, und die er vollstΣndig billigte. SpΣter aber mu▀te man sie mit Gewalt zurⁿckhalten,  und wenn sie dann rief: ╗La▀t mich doch zu Gregor, er ist ja mein unglⁿcklicher Sohn! Begreift  ihr es denn nicht, da▀ ich zu ihm mu▀?½, dann dachte Gregor, da▀ es vielleicht doch gut wΣre,  wenn die Mutter hereinkΣme, nicht jeden Tag natⁿrlich, aber vielleicht einmal in der Woche; sie  verstand doch alles viel besser als die Schwester, die trotz all ihrem Mute doch nur ein Kind  war und im letzten Grunde vielleicht nur aus kindlichem Leichtsinn eine so schwere Aufgabe  ⁿbernommen hatte. 
  12.  
  13. Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging bald in Erfⁿllung. WΣhrend des Tages wollte  Gregor schon aus Rⁿcksicht auf seine Eltern sich nicht beim Fenster zeigen, kriechen konnte er  aber auf den paar Quadratmetern des Fu▀bodens auch nicht viel, das ruhige Liegen ertrug er  schon wΣhrend der Nacht schwer, das Essen machte ihm bald nicht mehr das geringste  Vergnⁿgen, und so nahm er zur Zerstreuung die Gewohnheit an, kreuz und quer ⁿber WΣnde  und Plafond zu kriechen. Besonders oben auf der Decke hing er gern; es war ganz anders, als  das Liegen auf dem Fu▀boden; man atmete freier; ein leichtes Schwingen ging durch den  K÷rper; und in der fast glⁿcklichen Zerstreutheit, in der sich Gregor dort oben befand, konnte  es geschehen, da▀ er zu seiner eigenen ▄berraschung sich loslie▀ und auf den Boden klatschte.  Aber nun hatte er natⁿrlich seinen K÷rper ganz anders in der Gewalt als frⁿher und beschΣdigte  sich selbst bei einem so gro▀en Falle nicht. Die Schwester nun bemerkte sofort die neue  Unterhaltung, die Gregor fⁿr sich gefunden hatte - er hinterlie▀ ja auch beim Kriechen hie und  da Spuren seines Klebstoffes - , und da setzte sie es sich in den Kopf, Gregor das Kriechen in  gr÷▀tem Ausma▀e zu erm÷glichen und die M÷bel, die es verhinderten, also vor allem den  Kasten und den Schreibtisch, wegzuschaffen. 
  14.  
  15. Nun war sie aber nicht imstande, dies allein zu tun; den Vater wagte sie nicht um Hilfe zu  bitten; das DienstmΣdchen hΣtte ihr ganz gewi▀ nicht geholfen, denn dieses etwa  sechzehnjΣhrige MΣdchen harrte zwar tapfer seit Entlassung der frⁿheren K÷chin aus, hatte  aber um die Vergⁿnstigung gebeten, die Kⁿche unaufh÷rlich versperrt halten zu dⁿrfen und nur  auf besonderen Anruf ÷ffnen zu mⁿssen; so blieb der Schwester also nichts ⁿbrig, als einmal in  Abwesenheit des Vaters die Mutter zu holen. Mit Ausrufen erregter Freude kam die Mutter  auch heran, verstummte aber an der Tⁿr vor Gregors Zimmer. Zuerst sah natⁿrlich die  Schwester nach, ob alles im Zimmer in Ordnung war; dann erst lie▀ sie die Mutter eintreten.  Gregor hatte in gr÷▀ter Eile das Leintuch noch tiefer und mehr in Falten gezogen, das Ganze  sah wirklich nur wie ein zufΣllig ⁿber das Kanapee geworfenes Leintuch aus. Gregor unterlie▀  auch diesmal, unter dem Leintuch zu spionieren; er verzichtete darauf, die Mutter schon  diesmal zu sehen, und war nur froh, da▀ sie nun doch gekommen war. ╗Komm nur, man sieht  ihn nicht½, sagte die Schwester, und offenbar fⁿhrte sie die Mutter an der Hand. Gregor h÷rte  nun, wie die zwei schwachen Frauen den immerhin schweren alten Kasten von seinem Platze  rⁿckten, und wie die Schwester immerfort den gr÷▀ten Teil der Arbeit fⁿr sich beanspruchte,  ohne auf die Warnungen der Mutter zu h÷ren, welche fⁿrchtete, da▀ sie sich ⁿberanstrengen  werde. Es dauerte sehr lange. Wohl nach schon viertelstⁿndiger Arbeit sagte die Mutter, man  solle den Kasten doch lieber hier lassen, denn erstens sei er zu schwer, sie wⁿrden vor Ankunft  des Vaters nicht fertig werden und mit dem Kasten in der Mitte des Zimmers Gregor jeden  Weg verrammeln, zweitens aber sei es doch gar nicht sicher, da▀ Gregor mit der Entfernung  der M÷bel ein Gefallen geschehe. Ihr scheine das Gegenteil der Fall zu sein; ihr bedrⁿcke der  Anblick der leeren Wand geradezu das Herz; und warum solle nicht auch Gregor diese  Empfindung haben, da er doch an die Zimmerm÷bel lΣngst gew÷hnt sei und sich deshalb im  leeren Zimmer verlassen fⁿhlen werde. 
  16.  
  17. ╗Und ist es dann nicht so½, schlo▀ die Mutter ganz leise, wie sie ⁿberhaupt fast flⁿsterte, als  wolle sie vermeiden, da▀ Gregor, dessen genauen Aufenthalt sie ja nicht kannte, auch nur den  Klang der Stimme h÷re, denn da▀ er die Worte nicht verstand, davon war sie ⁿberzeugt, ╗und  ist es nicht so, als ob wir durch die Entfernung der M÷bel zeigten, da▀ wir jede Hoffnung auf  Besserung aufgeben und ihn rⁿcksichtslos sich selbst ⁿberlassen? Ich glaube, es wΣre das beste,  wir suchen das Zimmer genau in dem Zustand zu erhalten, in dem es frⁿher war, damit Gregor,  wenn er wieder zu uns zurⁿckkommt, alles unverΣndert findet und umso leichter die  Zwischenzeit vergessen kann.½ 
  18.  
  19. Beim Anh÷ren dieser Worte der Mutter erkannte Gregor, da▀ der Mangel jeder unmittelbaren  menschlichen Ansprache, verbunden mit dem einf÷rmigen Leben inmitten der Familie, im Laufe  dieser zwei Monate seinen Verstand hatte verwirren mⁿssen, denn anders konnte er es sich  nicht erklΣren, da▀ er ernsthaft danach hatte verlangen k÷nne, da▀ sein Zimmer ausgeleert  wⁿrde. Hatte er wirklich Lust, das warme, mit ererbten M÷beln gemⁿtlich ausgestattete  Zimmer in eine H÷hle verwandeln zu lassen, in der er dann freilich nach allen Richtungen  ungest÷rt wⁿrde kriechen k÷nnen, jedoch auch unter gleichzeitigem schnellen, gΣnzlichen  Vergessen seiner menschlichen Vergangenheit? War er doch jetzt schon nahe daran, zu  vergessen, und nur die seit langem nicht geh÷rte Stimme der Mutter hatte ihn aufgerⁿttelt.  Nichts sollte entfernt werden; alles mu▀te bleiben; die guten Einwirkungen der M÷bel auf  seinen Zustand konnte er nicht entbehren; und wenn die M÷bel ihn hinderten, das sinnlose  Herumkriechen zu betreiben, so war es kein Schaden, sondern ein gro▀er Vorteil. 
  20.  
  21. Aber die Schwester war leider anderer Meinung; sie hatte sich, allerdings nicht ganz  unberechtigt, angew÷hnt, bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors als besonders  SachverstΣndige gegenⁿber den Eltern aufzutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter  fⁿr die Schwester Grund genug, auf der Entfernung nicht nur des Kastens und des  Schreibtisches, an die sie zuerst allein gedacht hatte, sondern auf der Entfernung sΣmtlicher  M÷bel, mit Ausnahme des unentbehrlichen Kanapees, zu bestehen. Es war natⁿrlich nicht nur  kindlicher Trotz und das in der letzten Zeit so unerwartet und schwer erworbene  Selbstvertrauen, das sie zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte doch auch tatsΣchlich  beobachtet, da▀ Gregor viel Raum zum Kriechen brauchte, dagegen die M÷bel, soweit man  sehen konnte, nicht im geringsten benⁿtzte. 
  22.  
  23. Vielleicht aber spielte auch der schwΣrmerische Sinn der MΣdchen ihres Alters mit, der bei  jeder Gelegenheit seine Befriedigung sucht, und durch den Grete jetzt sich dazu verlocken lie▀,  die Lage Gregors noch schreckenerregender machen zu wollen, um dann noch mehr als bis  jetzt fⁿr ihn leisten zu k÷nnen. Denn in einen Raum, in dem Gregor ganz allein die leeren  WΣnde beherrschte, wⁿrde wohl kein Mensch au▀er Grete jemals einzutreten sich getrauen.  Und so lie▀ sie sich von ihrem Entschlusse durch die Mutter nicht abbringen, die auch in  diesem Zimmer vor lauter Unruhe unsicher schien, bald verstummte und der Schwester nach  KrΣften beim Hinausschaffen des Kastens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im Notfall  noch entbehren, aber schon der Schreibtisch mu▀te bleiben. Und kaum hatten die Frauen mit  dem Kasten, an den sie sich Σchzend drⁿckten, das Zimmer verlassen, als Gregor den Kopf  unter dem Kanapee hervorstie▀, um zu sehen, wie er vorsichtig und m÷glichst rⁿcksichtsvoll  eingreifen k÷nnte. Aber zum Unglⁿck war es gerade die Mutter, welche zuerst zurⁿckkehrte,  wΣhrend Grete im Nebenzimmer den Kasten umfangen hielt und ihn allein hin und her  schwang, ohne ihn natⁿrlich von der Stelle zu bringen. Die Mutter aber war Gregors Anblick  nicht gew÷hnt, er hΣtte sie krank machen k÷nnen, und so eilte Gregor erschrocken im  RⁿckwΣrtslauf bis an das andere Ende des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhindern,  da▀ das Leintuch vorne ein wenig sich bewegte. Das genⁿgte, um die Mutter aufmerksam zu  machen. Sie stockte, stand einen Augenblick still und ging dann zu Grete zurⁿck. 
  24.  
  25. Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, da▀ ja nichts Au▀ergew÷hnliches geschehe,  sondern nur ein paar M÷bel umgestellt wⁿrden, wirkte doch, wie er sich bald eingestehen  mu▀te, dieses Hin- und Hergehen der Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der M÷bel auf  dem Boden, wie ein gro▀er, von allen Seiten genΣhrter Trubel auf ihn, und er mu▀te sich, so  fest er Kopf und Beine an sich zog und den Leib bis an den Boden drⁿckte, unweigerlich  sagen, da▀ er das Ganze nicht lange aushalten werde. Sie rΣumten ihm sein Zimmer aus;  nahmen ihm alles, was ihm lieb war; den Kasten, in dem die LaubsΣge und andere Werkzeuge  lagen, hatten sie schon hinausgetragen; lockerten jetzt den schon im Boden fest eingegrabenen  Schreibtisch, an dem er als Handelsakademiker, als Bⁿrgerschⁿler, ja sogar schon als  Volksschⁿler seine Aufgaben geschrieben hatte, - da hatte er wirklich keine Zeit mehr, die  guten Absichten zu prⁿfen, welche die zwei Frauen hatten, deren Existenz er ⁿbrigens fast  vergessen hatte, denn vor Ersch÷pfung arbeiteten sie schon stumm, und man h÷rte nur das  schwere Tappen ihrer Fⁿ▀e. 
  26.  
  27. Und so brach er denn hervor - die Frauen stⁿtzten sich gerade im Nebenzimmer an den  Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen - , wechselte viermal die Richtung des Laufes, er  wu▀te wirklich nicht, was er zuerst retten sollte, da sah er an der im ⁿbrigen schon leeren  Wand auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk gekleideten Dame hΣngen, kroch eilends  hinauf und pre▀te sich an das Glas, das ihn festhielt und seinem hei▀en Bauch wohltat. Dieses  Bild wenigstens, das Gregor jetzt ganz verdeckte, wⁿrde nun gewi▀ niemand wegnehmen. Er  verdrehte den Kopf nach der Tⁿr des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rⁿckkehr zu  beobachten. 
  28.  
  29. Sie hatten sich nicht viel Ruhe geg÷nnt und kamen schon wieder; Grete hatte den Arm um die  Mutter gelegt und trug sie fast. ╗Also was nehmen wir jetzt?½, sagte Grete und sah sich um.  Da kreuzten sich ihre Blicke mit denen Gregors an der Wand. Wohl nur infolge der Gegenwart  der Mutter behielt sie ihre Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom  Herumschauen abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd und unⁿberlegt: ╗Komm, wollen wir  nicht lieber auf einen Augenblick noch ins Wohnzimmer zurⁿckgehen?½ Die Absicht Gretes  war fⁿr Gregor klar, sie wollte die Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von der Wand  hinunterjagen. Nun, sie konnte es ja immerhin versuchen! Er sa▀ auf seinem Bild und gab es  nicht her. Lieber wⁿrde er Grete ins Gesicht springen. 
  30.  
  31. Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt, sie trat zur Seite, erblickte den  riesigen braunen Fleck auf der geblⁿmten Tapete, rief, ehe ihr eigentlich zum Bewu▀tsein kam,  da▀ das Gregor war, was sie sah, mit schreiender, rauher Stimme: ╗Ach Gott, ach Gott!½ und  fiel mit ausgebreiteten Armen, als gebe sie alles auf, ⁿber das Kanapee hin und rⁿhrte sich  nicht. ╗Du, Gregor!½ rief die Schwester mit erhobener Faust und eindringlichen Blicken. Es  waren seit der Verwandlung die ersten Worte, die sie unmittelbar an ihn gerichtet hatte. Sie lief  ins Nebenzimmer, um irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus ihrer Ohnmacht  wecken k÷nnte; Gregor wollte auch helfen - zur Rettung des Bildes war noch Zeit - , er klebte  aber fest an dem Glas und mu▀te sich mit Gewalt losrei▀en; er lief dann auch ins Nebenzimmer,  als k÷nne er der Schwester irgendeinen Rat geben, wie in frⁿherer Zeit; mu▀te dann aber  untΣtig hinter ihr stehen; wΣhrend sie in verschiedenen FlΣschchen kramte, erschreckte sie  noch, als sie sich umdrehte; eine Flasche fiel auf den Boden und zerbrach; ein Splitter verletzte  Gregor im Gesicht, irgendeine Σtzende Medizin umflo▀ ihn; Grete nahm nun, ohne sich lΣnger  aufzuhalten, soviel FlΣschchen, als sie nur halten konnte, und rannte mit ihnen zur Mutter  hinein; die Tⁿr schlug sie mit dem Fu▀e zu. Gregor war nun von der Mutter abgeschlossen, die  durch seine Schuld vielleicht dem Tod nahe war; die Tⁿr durfte er nicht ÷ffnen, wollte er die  Schwester, die bei der Mutter bleiben mu▀te, nicht verjagen; er hatte jetzt nichts zu tun, als zu  warten; und von Selbstvorwⁿrfen und Besorgnis bedrΣngt, begann er zu kriechen, ⁿberkroch  alles, WΣnde, M÷bel und Zimmerdecke und fiel endlich in seiner Verzweiflung, als sich das  ganze Zimmer schon um ihn zu drehen anfing, mitten auf den gro▀en Tisch. 
  32.  
  33. Es verging eine kleine Weile, Gregor lag matt da, ringsherum war es still, vielleicht war das ein  gutes Zeichen. Da lΣutete es. Das MΣdchen war natⁿrlich in ihrer Kⁿche eingesperrt und Grete  mu▀te daher ÷ffnen gehen. Der Vater war gekommen. ╗Was ist geschehen?½ waren seine  ersten Worte; Gretes Aussehen hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete mit dumpfer  Stimme, offenbar drⁿckte sie ihr Gesicht an des Vaters Brust: ╗Die Mutter war ohnmΣchtig,  aber es geht ihr schon besser. Gregor ist ausgebrochen.½ ╗Ich habe es ja erwartet½, sagte der  Vater, ╗ich habe es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht h÷ren.½ 
  34.  
  35. Gregor war es klar, da▀ der Vater Gretes allzu kurze Mitteilung schlecht gedeutet hatte und  annahm, da▀ Gregor sich irgendeine Gewalttat habe zuschulden kommen lassen. Deshalb  mu▀te Gregor den Vater jetzt zu besΣnftigen suchen, denn ihn aufzuklΣren hatte er weder Zeit  noch M÷glichkeit. Und so flⁿchtete er sich zur Tⁿr seines Zimmers und drⁿckte sich an sie,  damit der Vater beim Eintritt vom Vorzimmer her gleich sehen k÷nne, da▀ Gregor die beste  Absicht habe, sofort in sein Zimmer zurⁿckzukehren, und da▀ es nicht n÷tig sei, ihn  zurⁿckzutreiben, sondern da▀ man nur die Tⁿr zu ÷ffnen brauche, und gleich werde er  verschwinden. 
  36.  
  37. Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche Feinheiten zu bemerken; ╗Ah!½ rief er gleich  beim Eintritt in einem Tone, als sei er gleichzeitig wⁿtend und froh. Gregor zog den Kopf von  der Tⁿr zurⁿck und hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den Vater wirklich nicht  vorgestellt, wie er jetzt dastand; allerdings hatte er in der letzten Zeit ⁿber dem neuartigen  Herumkriechen versΣumt, sich so wie frⁿher um die VorgΣnge in der ⁿbrigen Wohnung zu  kⁿmmern, und hΣtte eigentlich darauf gefa▀t sein mⁿssen, verΣnderte VerhΣltnisse anzutreffen.  Trotzdem, trotzdem, war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der mⁿde im Bett vergraben  lag, wenn frⁿher Gregor zu einer GeschΣftsreise ausgerⁿckt war; der ihn an Abenden der  Heimkehr im Schlafrock im Lehnstuhl empfangen hatte; gar nicht recht imstande war,  aufzustehen, sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme gehoben hatte, und der bei den  seltenen gemeinsamen SpaziergΣngen an ein paar Sonntagen im Jahr und an den h÷chsten  Feiertagen zwischen Gregor und der Mutter, die schon an und fⁿr sich langsam gingen, immer  noch ein wenig langsamer, in seinen alten Mantel eingepackt, mit stets vorsichtig aufgesetztem  Krⁿckstock sich vorwΣrts arbeitete und, wenn er etwas sagen wollte, fast immer stillstand und  seine Begleitung um sich versammelte? 
  38.  
  39. Nun aber war er recht gut aufgerichtet; in eine straffe blaue Uniform mit Goldkn÷pfen  gekleidet, wie sie Diener der Bankinstitute tragen; ⁿber dem hohen steifen Kragen des Rockes  entwickelte sich sein starkes Doppelkinn; unter den buschigen Augenbrauen drang der Blick  der schwarzen Augen frisch und aufmerksam hervor; das sonst zerzauste wei▀e Haar war zu  einer peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergekΣmmt. Er warf seine Mⁿtze, auf  der ein Goldmonogramm, wahrscheinlich das einer Bank, angebracht war, ⁿber das ganze  Zimmer im Bogen auf das Kanapee hin und ging, die Enden seines langen Uniformrockes  zurⁿckgeschlagen, die HΣnde in den Hosentaschen, mit vebissenem Gesicht auf Gregor zu. 
  40.  
  41. Er wu▀te wohl selbst nicht, was er vor hatte; immerhin hob er die Fⁿ▀e ungew÷hnlich hoch,  und Gregor staunte ⁿber die Riesengr÷▀e seiner Stiefelsohlen. Doch hielt er sich dabei nicht  auf, er wu▀te ja noch vom ersten Tage seines neuen Lebens her, da▀ der Vater ihm gegenⁿber  nur die gr÷▀te Strenge fⁿr angebracht ansah. Und so lief er vor dem Vater her, stockte, wenn  der Vater stehen blieb, und eilte schon wieder vorwΣrts, wenn sich der Vater nur rⁿhrte. So  machten sie mehrmals die Runde um das Zimmer, ohne da▀ sich etwas Entscheidendes  ereignete, ja ohne da▀ das Ganze infolge seines langsamen Tempos den Anschein einer  Verfolgung gehabt hΣtte. Deshalb blieb auch Gregor vorlΣufig auf dem Fu▀boden, zumal er  fⁿrchtete, der Vater k÷nnte eine Flucht auf die WΣnde oder den Plafond fⁿr besondere Bosheit  halten. Allerdings mu▀te sich Gregor sagen, da▀ er sogar dieses Laufen nicht lange aushalten  wⁿrde, denn wΣhrend der Vater einen Schritt machte, mu▀te er eine Unzahl von Bewegungen  ausfⁿhren. Atemnot begann sich schon bemerkbar zu machen, wie er ja auch in seiner frⁿheren  Zeit keine ganz vertrauenswⁿrdige Lunge besessen hatte. Als er nun so dahintorkelte, um alle  KrΣfte fⁿr den Lauf zu sammeln, kaum die Augen offenhielt; in seiner Stumpfheit an eine  andere Rettung als durch Laufen gar nicht dachte; und fast schon vergessen hatte, da▀ ihm die  WΣnde freistanden, die hier allerdings mit sorgfΣltig geschnitzten M÷beln voll Zacken und  Spitzen verstellt waren - da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert, irgend etwas nieder und  rollte vor ihm her. Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach; Gregor blieb vor  Schrecken stehen; ein Weiterlaufen war nutzlos, denn der Vater hatte sich entschlossen, ihn zu  bombardieren. 
  42.  
  43. Aus der Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen gefⁿllt und warf nun, ohne  vorlΣufig scharf zu zielen, Apfel fⁿr Apfel. Diese kleinen roten ─pfel rollten wie elektrisiert auf  dem Boden herum und stie▀en aneinander. Ein schwach geworfener Apfel streifte Gregors  Rⁿcken, glitt aber unschΣdlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen f÷rmlich in  Gregors Rⁿcken ein; Gregor wollte sich weiterschleppen, als k÷nne der ⁿberraschende  unglaubliche Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen; doch fⁿhlte er sich wie festgenagelt und  streckte sich in vollstΣndiger Verwirrung aller Sinne. Nur mit dem letzten Blick sah er noch,  wie die Tⁿr seines Zimmers aufgerissen wurde, und vor der schreienden Schwester die Mutter  hervoreilte, im Hemd, denn die Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht  Atemfreiheit zu verschaffen, wie dann die Mutter auf den Vater zulief und ihr auf dem Weg die  aufgebundenen R÷cke einer nach dem anderen zu Boden glitten, und wie sie stolpernd ⁿber die  R÷cke auf den Vater eindrang und ihn umarmend, in gΣnzlicher Vereinigung mit ihm - nun  versagte aber Gregors Sehkraft schon - die HΣnde an des Vaters Hinterkopf um Schonung von  Gregors Leben bat. 
  44.  
  45. Die schwere Verwundung Gregors, an der er ⁿber einen Monat litt - der Apfel blieb, da ihn  niemand zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische sitzen - , schien selbst den  Vater daran erinnert zu haben, da▀ Gregor trotz seiner gegenwΣrtigen traurigen und ekelhaften  Gestalt ein Familienmitglied war, das man nicht wie einen Feind behandeln durfte, sondern dem  gegenⁿber es das Gebot der Familienpflicht war, den Widerwillen hinunterzuschlucken und zu  dulden, nichts als zu dulden. Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde an Beweglichkeit  wahrscheinlich fⁿr immer verloren hatte und vorlΣufig zur Durchquerung seines Zimmers wie  ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte - an das Kriechen in der H÷he war nicht zu  denken - , so bekam er fⁿr diese Verschlimmerung seines Zustandes einen seiner Meinung nach  vollstΣndig genⁿgenden Ersatz dadurch, da▀ immer gegen Abend die Wohnzimmertⁿr, die er  schon ein bis zwei Stunden vorher scharf zu beobachten pflegte, ge÷ffnet wurde, so da▀ er, im  Dunkel seines Zimmers liegend, vom Wohnzimmer aus unsichtbar, die ganze Familie beim  beleuchteten Tische sehen und ihre Reden, gewisserma▀en mit allgemeiner Erlaubnis, also ganz  anders als frⁿher, anh÷ren durfte. 
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