| | Das goldene Schloss
Es
war einmal ein König und eine Königin, die wohnten in einem Schloss von purem
Gold.
Die Königin war eine Zauberin. Sie hatte unter vielen anderen Sachen auch
einen
Spiegel. Wenn der König ausging, dann schaute sie da hinein, und dann
konnte
sie alles sehen: wohin er ging, was er tat, gerade als hätte er vor ihr
gestanden,
zugleich hatte sie dann die Macht, ihn überall hingehen zu lassen, wohin
sie
wollte.
Es
geschah nun einmal, als sie den König auf diese Art spazieren gehen ließ, dass
er
endlich
an den Strand kam. Das erste, was er da fand, war ein toter Körper, den die
Wellen
ans Land geworfen hatten. Als er diesen näher besah, erkannte er, dass es
ein
ertrunkener Matrose war. Die Kleider erschienen ihm so seltsam, dass er sie für
sein
Leben gern mitgenommen hätte. Er zog sie denn auch dem Matrosen aus und
sich
selber an und ging so seinen Weg weiter.
Während
er dies tat, war die Königin in einem andern Zimmer; als sie nun
zurückkam
und in ihren Spiegel schaute, sah sie statt ihres Mannes einen Matrosen
am
Strande. Man kann sich leicht denken, wie sehr sie darüber erschrak. Der König
war
inzwischen nicht weniger in Unruhe, denn er fürchtete, es könnte einer von den
Gesellen
des Matrosen kommen und ihn als einen Mörder und Dieb ergreifen.
Bekümmert
und ängstlich ging er mal hierhin und mal dorthin, und er wusste nicht,
was
er machen sollte. Endlich begegnete ihm eine alte Frau, und er fragte sie recht
freundlich:
"Sagt einmal, Mütterchen, wo ist eigentlich der Weg nach dem goldenen
Schloss?"
"Nach
dem goldenen Schloss?" fragte die Frau. "Davon habe ich noch nie gehört,
und
es kann unmöglich hier in der Gegend liegen. Man sieht's auch wohl an Euren
Kleidern,
dass Ihr hier nicht zu Hause seid. Kommt aber mit mir zur Königin der
kriechenden
Tiere, die kann Euch vielleicht Bescheid geben."
Da
ging der König mit der Frau mit, und sie kamen zum Schloss der Königin der
kriechenden
Tiere. Sie klopften an, Lind eine Kröte kam und machte die Tür auf; und
als
der König ihr seine Bitte vorgetragen hatte, führte sie ihn vor die Königin.
Diese
saß
auf einem prächtigen Thron und umringt von kriechenden Tieren aller Art,
Schnecken,
Schlangen, Fröschen, Eidechsen und anderen mehr. Nachdem der
König
sie freundlich gegrüßt hatte, bat er sie, ihm zu sagen, ob sie nicht wisse, wo
das
goldene Schloss liegt.
"Das
goldene Schloss?" fragte die Königin verwundert; "das ist mir ganz
und gar
unbekannt,
es muss weit von hier liegen. Vielleicht weiß es einer meiner Untertanen."
Nun
pfiff sie dreimal, und eine zahllose Menge von Schlangen, Schnecken und
anderem
Gewürm kroch von allen Seiten herzu, aber keins von all den Tieren
kannte
das goldene Schloss.
"Es
tut mir sehr leid", sprach die Königin, "dass ich euch keinen
besseren Bescheid
geben
kann; das macht aber nichts:
Ich
werde Euch eine Führerin geben, die Euch zu der Königin der laufenden Tiere
bringen
soll. Die steht einen Grad höher als ich und kann es Euch eher sagen, wo
das
goldene Schloss liegt." Mit den Worten winkte sie einer Schlange, und das
war Das goldene Schloss
des
Königs Begleiterin. Er bedankte sich herzlich bei der Königin und folgte der
Schlange.
Nachdem
sie schon sehr, sehr weit gegangen waren, hielt die Schlange an einem
Schlosse
an, und der König klopfte. Ein Hund machte dem König die Tür auf, der
König
dankte der Schlange und wurde in das Schloss geführt und vor einen
kostbaren
Thron, der mit den schönsten Pelzen bezögen war. Darauf saß die
Königin
der laufenden Tiere, und um sie herum stand ihr Hofstaat, Löwen, Bären,
Tiger,
Wölfe, Mir- sehe und allerhand andere vierfüßige Tiere. Er grüßte sie höflich
und
fragte sie, ob sie ihm nicht sagen könne, wo das goldene Schloss liegt.
"Davon
habe ich nie sprechen hören", antwortete die Königin, "vielleicht
kennt es
einer
meiner Untertanen." Darauf pfiff sie dreimal, und da kamen Hunde, Katzen,
Hasen,
Füchse, Ratten und Mäuslein und Gott weiß was für Tiere gelaufen, auch
Bären,
Löwen, Kamele, und die Königin fragte sie, ob sie nicht wüssten, wo das
goldene
Schloss liegt.
Alle
besannen sich lange, aber sie erklärten endlich doch, sie wüssten es nicht
. Darüber
war der König sehr betrübt, aber die Königin tröstete ihn und sagte: "Alle
Hoffnung
ist noch nicht verloren; ich will Euch eine Begleiterin geben, die führt Euch
zur
Königin da fliegenden Tiere, die einen Grad höher steht als ich. Wenn die es
auch
nicht weiß, dann kann Euch niemand auf da ganzen Welt helfen." Damit
winkte
sie
einer Katze und gab diese dem König mit. Er bedankte sich herzlich bei der
Königin
und folgte dem Kätzlein.
Nachdem
sie schon manchen Schritt und Tritt
getan
hatten, kamen sie endlich zum Schloss der Königin der fliegenden Tiere. Die
Katze
miaute, und ein schöner weißer Schwan kam, öffnete das Tor und führte den
König
in das Schloss und vor die Königin. Diese saß auf einem prächtigen Thron, der
mit
schönen Federn von allen Farben veredelt war, und eine noch schönere Krone
prunkte
auf Ihrem Haupt. Rund um den Thron herum stand ihr Hofstaat, den Vögel
aus
allen Gegenden der Welt Adler, Pfauen, Paradiesvögel, Schwäne, Tauben und
Nachtigallen,
die liebliche Weisen sangen. Der König neigte sich höflich vor ihr und
sprach:
"Ach, Königin, ich habe mich verirrt und weiß nicht mehr, wie ich zu dem
goldenen
Schloss kommen soll."
"Das
goldene Schloss?". fragte sie verwundert, "davon haben meine Tiere mit
mir nie
gesprochen,
und die fliegen doch durch die ganze Welt Aber wartet, ich will sie noch
einmal
fragen." Mit den Worten pfiff sie, und eine Menge Vögel aller Art füllte
den
Saal.
Dann fragte die Königin: "Wer von euch kennt das goldene Schloss?. Aber
keiner
von all den Vögeln antwortete.
Nun
pfiff sie zum zweitenmal, und eine noch viel größere Zahl von Vögeln kam
herbeigeflogen,
aber auch von diesen kannte keiner das goldene Schloss. Da pfiff sie
zum
dritten Mal, und die fremdartigsten Vögel der Welt versammelten sich um sie.
Dreimal
fragte sie diese: "Wer von euch kennt das goldene Schloss?", aber alle
schwiegen
still und sahen einander verwundert an, denn davon hatten sie nie etwas
gehört.
Der arme König verzweifelte fast. Da sah einer von den Vögeln ganz, ganz
weit
in der Ferne ein Pünktchen, das immer näher kam und immer größer wurde,
und
als es endlich ganz nahe war, sah man, dass es ein Storch war. Die Königin
wurde
böse, dass er nicht gleich auf ihren Ruf gekommen war, sie fragte ihn: "Wo
bist
du denn so lange geblieben?" Der Storch antwortete: "Das müsst Ihr
mir nicht
übelnehmen,
ich komme von weit her. Ich saß auf dem goldenen Schloss, als ihr das erste Mal
pfifft." Da hüpfte dem König das Herz im Leibe vor lauter Freuden, und er
bedankte
sich mit viel schönen Worten bei der Königin. Diese gab ihm den Storch
als
Begleiter mit, er setzte sich rittlings auf ihn und flog so durch die Luft dahin,
so
hoch,
dass ihm die allergrößten Städte der Welt nur wie Ameisennester erschienen.
Nicht
weit von dem goldnen Schloss senkte der Storch sich immer mehr und mehr
und
ließ sich endlich dort nieder.
Man
kann sich leicht denken, wie die Königin sich freute, als sie den König
wiedersah,
nachdem sie ihn seit so langer Zeit für tot gehalten hatte, und der König
war
nicht weniger froh, endlich wieder zu Hause und bei seiner lieben Frau zu sein.
Nachdem
sie sich nun recht satt geküsst und geweint hatten, sprach der König zu
dem
Storch: "Wir danken dir hunderttausendmal, liebster Storch, dass du mich
hierher
gebracht hast. Sage uns nun, wie wir dir das vergelten können. Alles, was
du
verlangst, will ich dir geben." Der Storch antwortete: "Ich verlange
nichts anderes
als
deinen erstgeborenen Sohn; den hole ich mir nach Verlauf von sieben Jahren";
und
als er das gesagt hatte, verschwand er. Da stand nun der König und sah die
Königin
stumm und steif an; denn obgleich sie noch kein Kind hatten, konnten sie
doch
binnen sieben Jahren noch eins kriegen.
Und
so geschah es auch; es war noch kein Jahr vergangen, als die Königin schon
einen
Sohn gebar, ein Ober die Maßen schönes Kind. Je alter es wurde, um so
mehr
nahm es an Schönheit und an Klugheit zu, doch hatten der König und die
Königin
wenig Freude darüber, denn sie dachten immer nur an das siebente Jahr
und
an den Storch.
Endlich
kam das siebente Jahr, und im ganzen Schloss war Trauer; doch ließ der
König
alles gut und schön herrichten, um den Storch auf gebührende Weise zu
empfangen.
Kaum hatten sie alles fertig, als der Storch angeflogen kam. Mit Tränen
in
den Augen führten der König und die Königin ihr Söhnlein zu ihm und baten
ihn
nur,
dass er ihn doch nicht töten möge. Als der Storch das hörte, schlug er
freudig
mit
den Flügeln und klapperte ihnen zu: "Behaltet euren Sohn nur, die Königin
der
fliegenden
Tiere ist dadurch zufrieden gestellt, dass ihr euer Wort so treu gehalten
habt.
Was da für ein Jubel im Schloss war, du kann man mit keiner Feder
beschreiben.
Der König ließ ein großes Mahl anrichten, bei dem der Storch mit am
Tisch
saß, und vor ihm stand eine große Schüssel mit den schönsten und fettesten
Fröschen,
die man nur finden konnte. Nach dem Gastmahl tanzte man, und der
Storch
Wirte zuerst mit der Königin, blieb auch noch verschiedene Tage in dem
Schloss.
Dann aber nahm er eines Morgens vom König Abschied und flog weg.
Der
König und die Königin und ihr Sohn lebten von da ab in Glück und Freude, und
wenn
das goldne Schloss nicht zusammengefallen ist, dann steht es noch.
Wo
denn?
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