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Inhaltsverzeichnis

 
Teil C, Kapitel IV
Vorherige Seite: 3. Ausnahmen von der Patentierbarkeit Nächste Seite: 5. Neuheit; Stand der Technik
4. Gewerbliche Anwendung
     
 
Art. 57
 

4.1 «Eine Erfindung gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann». «Gewerbliches Gebiet» ist im weitesten Sinne, d.h. so zu verstehen, daß es jede Ausübung einer Tätigkeit «technischen Charakters» (siehe IV, 1.2) einschließt, d.h. eine Tätigkeit, die zu den nützlichen und praktischen Techniken im Unterschied zu den ästhetischen Techniken gehört; dies bedeutet nicht unbedingt die Verwendung einer Maschine oder die Herstellung eines Erzeugnisses und könnte sich beispielsweise auf ein Verfahren zur Auflösung von Nebel oder ein Verfahren zur Umwandlung von Energie von einer Form in eine andere erstrecken. Art. 57 schließt somit sehr wenige «Erfindungen» von der Patentierbarkeit aus, die nicht bereits durch die Aufstellung in Art. 52(2) ausgeschlossen werden (siehe IV, 2.1). Eine weitere Klasse von «Erfindungen», die auszuschließen wäre, wären jedoch Artikel oder Verfahren, die angeblich in einer Art und Weise betrieben werden, die eindeutig imWiderspruch zu feststehenden physikalischen Gesetzen steht, beispielsweise ein Perpetuum mobile. Ein Einwand gemäß Art. 57 könnte sich nur insoweit ergeben, als der Patentanspruch im einzelnen Angaben über die angestrebte Funktionsweise oder den Zweck der Erfindung enthält; wird aber beispielsweise ein Perpetuum mobile lediglich als ein Artikel beansprucht, der eine besonders spezifizierte Bauweise hat, so ist ein Einwand gemäß Art. 83 zu erheben (siehe II, 4.11).

Art. 52(4)
Art. 54(5)
 

[Text gelöscht]

4.2 «Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, gelten nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren». Patente können jedoch für Instrumente oder Vorrichtungen erteilt werden, die bei chirurgischen oder therapeutischen Verfahren und bei Diagnostizierverfahren verwendet werden. Desgleichen ist die Herstellung von Prothesen oder künstlichen Gliedern sowie auch das Maßnehmen hierfür am menschlichen Körper patentierbar; ein Verfahren zur Herstellung einer Zahnprothese, bei dem ein Abdruck vom Gebiß des Patienten angefertigt wird, ist also ebenfalls nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, sofern die Zahnprothese außerhalb des Körpers hergestellt wird. Patente können auch für neue Erzeugnisse zur Verwendung bei diesen Behandlungs- und Diagnostizierverfahren erteilt werden, insbesondere für Stoffe oder Stoffgemische. Ein bekannter Stoff oder ein bekanntes Stoffgemisch darf jedoch nur für die Verwendung in diesen Verfahren patentiert werden, wenn der bekannte Stoff oder das Stoffgemisch nicht schon vorher zur Verwendung in der Chirurgie, der Therapie oder bei am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Diagnostizierverfahren offenbart war («erste medizinische Indikation»). Derselbe Stoff bzw. dieselbe Zusammensetzung kann später nicht für irgendeine andere derartige Verwendung patentiert werden. Ein Patentanspruch auf einen bekannten Stoff oder ein bekanntes Stoffgemisch zur Verwendung in chirurgischen, therapeutischen und/oder diagnostischen Verfahren sollte etwa folgende Form haben: «Stoff oder Stoffgemisch X» gefolgt von der Angabe des Verwendungszwecks, z. B. ...« zur Verwendung als Arzneimittel», ... «als antibakterielles Mittel» oder... «zur Behandlung der Krankheit Y». Im Gegensatz zu der in III, 4.8 angegebenen Regel sind diese Arten von Patentansprüchen so auszulegen, daß sie auf den Stoff oder das Stoffgemisch in der Aufmachung oder Verpackung für die Verwendung beschränkt sind. Art. 54(5) sieht eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz vor, daß Produktansprüche nur für (absolut) neue Produkte gewährt werden können. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Produktansprüche für die erstemedizinische Verwendung nicht alle anderen Patentierbarkeitsvoraussetzungen, insbesondere diejenige der erfinderischen Tätigkeit, erfüllen müssen (siehe T 128/82, ABl. 4/1984, 164). Ein Anspruch der Form «Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches X zur Behandlung der Krankheit Y» ist als auf ein durch Art. 52(4) ausdrücklich von der Patentierbarkeit ausgenommenes Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers gerichtet anzusehen und deshalb nicht zuzulassen.

Offenbart eine Anmeldung erstmalig eine Reihe gesonderter Verwendungsarten eines bekannten Stoffes oder Stoffgemisches für chirurgische und therapeutische Verfahren oder Diagnostizierverfahren, so können in der Regel in dieser Anmeldung unabhängige Patentansprüche aufgestellt werden, von denen jeder auf den Stoff oder das Stoffgemisch für eine der verschiedenen Verwendungsarten gerichtet ist, d. h. es sind nicht generell Einwände wegen mangelnder Einheitlichkeit der Erfindung zu erheben.

Ein Patentanspruch der Form «Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches X zur Herstellung eines Arzneimittels für eine therapeutische Anwendung Z» kann unabhängig davon zulässig sein, ob es sich um die erste oder eine «weitere» therapeutische Anwendung (zweite und folgende Anwendungen) handelt, wenn diese Anwendung neu und erfinderisch ist (siehe Entscheidung G 01/83, ABl. 3/1985, 60). Dasselbe gilt für Ansprüche der Form «Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels für eine therapeutische Anwendung Z, gekennzeichnet durch die Verwendung des Stoffes X» oder sachlich gleichwertige Ansprüche (siehe T 958/94, ABl. 6/1997, 241). Der Anmelder darf bei gleichzeitiger Offenbarung mehrerer «weiterer» therapeutischer Anwendungen nur dann in ein und derselben Anmeldung Patentansprüche der obengenannten Art, die auf die verschiedenen therapeutischen Anwendungen gerichtet sind, aufstellen, wenn diese eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen (Art. 82).

Art. 52(4)
 

4.3 Zu bemerken ist, daß Art. 52(4) lediglich die Behandlung durch chirurgische oder therapeutische Verfahren und Diagnostizierverfahren ausschließt. Daraus folgt, daß andere Verfahren zur Behandlung lebender Menschen oder Tiere, (z. B. von Schafen zur Förderung des Wachstums, zur Verbesserung der Fleischqualität oder zur Steigerung des Wollertrags) oder andere Verfahren zur Messung oder Aufzeichnung von Eigenschaften menschlicher oder tierischer Körper patentierbar sind, sofern sie (was der Fall sein dürfte) technisch und nicht im wesentlichen biologisch (siehe IV, 3.4) sowie gewerblich anwendbar sind. Die letztgenannte Bedingung ist besonders wichtig, wenn es um Menschen geht. So ist beispielsweise eine Anmeldung mit einemAnspruch auf ein Verfahren zur Empfängnisverhütung, das im privaten, persönlichen Bereich eines Menschen anzuwenden ist, nicht gewerblich anwendbar (siehe T 74/93, ABl. 10/1995, 712). Hingegen ist eine Anmeldung mit Ansprüchen auf die rein kosmetische Behandlung von Menschen durch die Verabreichung eines chemischen Erzeugnisses als gewerblich anwendbar anzusehen (siehe T 144/83, ABl. 9/1986, 301). Eine kosmetische Behandlung auf chirurgischem oder therapeutischem Weg wäre dagegen nicht patentfähig (siehe nachstehend). Ein Behandlungs- oder Diagnostizierverfahren ist nur von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, wenn es tatsächlich am Körper lebender Menschen oder Tiere durchgeführt wird. Ein Behandlungs- oder Diagnostizierverfahren, das am Körper eines toten Menschen oder Tieres angewandt wird, ist deshalb nach Art. 52(4) nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Die Behandlung von Körpergeweben oder -flüssigkeiten nach deren Entnahme aus dem menschlichen oder tierischen Körper oder daran vorgenommene Diagnostizierverfahren sind patentierbar, soweit die Gewebe oder Flüssigkeiten nicht wieder demselben Körper zugeführt werden. Die Behandlung von Blut zur Aufbewahrung in einer Blutbank oder Diagnosetests bei Blutproben sind damit im Gegensatz zur Dialysebehandlung von Blut, das wieder demselben Körper zugeführt wird, nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.

Bei Verfahren, die am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden oder sich darauf beziehen, ist zu beachten, daß Art. 52(4) lediglich den Zweck hat, nicht-kommerzielle und nicht-industrielle Tätigkeiten auf dem Gebiet der Human- und Veterinärmedizin von patentrechtlichen Beschränkungen freizuhalten. Diese Ausnahmeregelung darf nicht so ausgelegt werden, daß sie sich über ihren Zweck hinaus auswirkt (siehe Entscheidung G 01/83, ABl. 3/1985, 60).

Im Gegensatz jedoch zu den in Art. 52(2) und (3) genannten Gegenständen, die nur dann von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, wenn sie als solche beansprucht werden, ist ein Anspruch nach Art. 52(4) nicht gewährbar, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine Tätigkeit oder eine Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers oder einen diagnostischen Verfahrensschritt, der am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird, darstellt. In diesem Fall ist für die Anwendung des Art. 52(4) nicht rechtserheblich, ob der Anspruch Merkmale umfaßt oder aus Merkmalen besteht, die auf einen an einem technischen Gegenstand ausgeführten technischen Vorgang gerichtet sind (siehe T 820/92, ABl. 3/1995, 113 und T 82/93, ABl. 5/1996, 274).

Zu den drei Ausnahmen im einzelnen:

Der Begriff Chirurgie kennzeichnet nicht den Zweck, sondern die Art der Behandlung. Ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung für kosmetische Zwecke oder zur Verpflanzung eines Embryo ist also vom Patentschutz ebenso ausgeschlossen wie eine chirurgische Behandlung zu Heilzwecken.

Unter therapeutischer Behandlung sind die Heilung von Krankheiten und Störungen der Körperfunktionen sowie prophylaktische Maßnahmen wie z. B. Impfungen gegen eine bestimmte Krankheit (siehe T 19/86, ABl. 1-2/1989, 24) oder die Entfernung von Zahnbelag (siehe T 290/86, ABl. 8/1992, 414) zu verstehen. Ein Verfahren zu therapeutischen Zwecken, bei dem ein Gerät am lebenden menschlichen oder tierischen Körper eingesetzt wird, ist nicht vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn zwischen den am Gerät vorgenommenen Maßnahmen und der vom Gerät auf den Körper ausgeübten therapeutischen Wirkung kein funktioneller Zusammenhang besteht (siehe T 245/87, ABl. 5/1989, 171).

Unter Diagnostizierverfahren fallen nicht alle Verfahren, die mit der Diagnose zu tun haben. Verfahren zur Ermittlung von Meßwerten (Daten, physikalische Größen) am lebenden menschlichen oder tierischen Körper sind nicht durch Art. 52(4) ausgeschlossen, wenn sie lediglich Zwischenergebnisse liefern, die allein noch keine Entscheidung über eine notwendige medizinische Behandlung ermöglichen. Zu diesen Verfahren gehören in der Regel Röntgen- und NMR (Kernresonanz) -Untersuchungen sowie Blutdruckmessungen (siehe T 385/86, ABl. 8/1988, 308).

4.4 Prüfverfahren sollten als Erfindungen betrachtet werden, die gewerblich anwendbar und somit patentierbar sind, wenn die Prüfung zur Verbesserung oder Kontrolle von Erzeugnissen, Geräten oder Verfahren angewendet werden kann, die selbst gewerblich anwendbar sind. Insbesondere wäre die Verwendung von Tieren für Testzwecke in der Industrie, z. B. zum Testen gewerblicher Erzeugnisse (um beispielsweise das Fehlen pyrogener oder allergischer Wirkungen festzustellen) oder von Zuständen (z. B. zur Ermittlung der Wasser- oder Luftverschmutzung) patentierbar.

4.5 Es ist zu beachten, daß die «gewerbliche Anwendbarkeit» kein Erfordernis ist, das den in Art. 52(2) vorgesehenen Einschränkungen übergeordnet ist; so ist beispielsweise ein Verwaltungsverfahren zur Kontrolle eines Lagers nach Art. 52(2) c) nicht patentierbar, obwohl es auf das Ersatzteillager eines Betriebes angewandt werden könnte. Obwohl eine Erfindung «gewerblich anwendbar» sein und die Beschreibung die Art und Weise, in der die Erfindung gewerblich anwendbar ist, angeben muß, sofern dies nicht offensichtlich ist (siehe II, 4.12), brauchen die Patentansprüche andererseits nichtnotwendigerweise auf die gewerbliche Anwendbarkeit beschränkt zu werden.

 
Teil  C, Kapitel IV 3. Ausnahmen von der Patentierbarkeit 5. Neuheit; Stand der Technik
   

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Last updated on Sunday, 2 August 1999
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