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Petition für ein Softwarepatentfreies Europa FFII EuroLinux jeder Browser MLHT

[Übersetzungsvorlage] [Hinweise]

 

EU-Grünbuch: Phrasen ohne Substanz

Nachdem das Europäische Patentamt bereits gesetzeswidrig Patente auf Programmlogik erteilt, möchten seine Vorstände, die Europäische Patentorganisation, im Zusammenspiel mit der EU-Kommission das geltende Patentrecht ändern, um es ihrer Praxis anzupassen. Die Wirkung dieser Änderung auf die Entwicklung der Informationstechnik haben sie nie ernsthaft studiert.

 

Was Patentämtern Geld einbringt, fördert die Innovation. Wer es den Patentamtskunden leicht macht, die Freiheit aller Bürger zu beschneiden, ist liberal. Innovationshemmend sind alle mit dem Patentbesitz verbundenen Pflichten, ausgenommen natürlich die Pflicht zur Zahlung von Gebühren an das Patentamt.

Auf Grundlage solch hehren Konsenses geben sich die Patentämter und die ihnen übergeordneten Justizministerien seit Jahren immer neue, immer innovationsfreundlichere Gesetze.

Dieses Jahr will nun die EU-Kommission europaweit für die "Förderung der Innovation durch Patente" eine Lanze brechen. Mit ihrem "Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa" sollen nunmehr auch nicht-industrielle Ideen in das Visier des Patentsystems rücken und so den Innovationsschützern einen neuen lukrativen Markt erschließen.

Wer kann schon gegen "Innovationsschutz" sein? Otto Normalbürger versteht die Sprache der Patentfachleute nicht, er hat sie bisher immer in eigener Sache entscheiden lassen. Ob die eng mit dem Patentwesen verbundene Patentpolitik-Abteilung des Bundesjustizministeriums demgegenüber eine wirksame demokratische Kontrollinstanz darstellt, darf bezweifelt werden. Von der Brüsseler EU-Kommission ganz zu schweigen.

Wo nie Kritik hindringt, etabliert sich schnell ein hehrer Konsens mit den passenden hölzernen Sprachregelungen. Das gilt für die Verlautbarungen des DDR-Politbüros ebenso wie die des "Grünbuchs" der EU-Kommission.

Besonders unhaltbar scheint die "Argumentation" im Kapitel "Patentfähigkeit von Computerprogrammen und softwarebezogenen Erfindungen":

Die Informationsgesellschaft und die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs bieten der europäischen Wirtschaft eine reelle Chance und stellen zugleich neue Herausforderungen dar. Die Einführung und ständige Verbesserung neuer Computer- und Softwareprogramme ist für die Entwicklung der Informationsgesellschaft und des elektronischen Geschäftsverkehrs sehr wichtig, um einen raschen, sicheren und präzisen Zugang zu den jeweils gesuchten Daten und interaktiven Diensten zu gewährleisten. Die Kommission hat bereits Massnahmen zur Schaffung bestimmter gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften ergriffen, um im Hinblick auf die Informationsgesellschaft für einen angemessenen Innovationsschutz zu sorgen. So veröffentlichte sie im November 1996 eine Mitteilung über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(31). Diese Vorschriften sind für ein reibungsloses Funktionieren der Informationsgesellschaft und des elektronischen Geschäftsverkehrs in der Europäischen Union unerlässlich, denn die meisten neuen Dienstleistungen dürften die Voraussetungen für den Schutz durch ein Recht des geistigen Eigentums erfüllen.

Der Gehalt dieses langen Abschnittes lässt sich etwa auf folgenden Satz reduzieren: "Die EU-Kommission ist sehr wichtig. Lange Zeit fand im Internet Innovation statt, ohne dass die EU-Kommission dabei mitredete. Damit muss jetzt Schluss sein."

Computerprogramme geniessen in der Europäischen Gemeinschaft als Werke der Literatur zwar Urheberrechtsschutz (32), jedoch sind sie "als solche" nicht patentfähig.

Computerprogramme sind rein informationelle Werke[1], ähnlich wie Romane oder Musikstücke. Ein Informationswerk "als solches" ist nie eine Erfindung, und kann folglich beim besten Willen nicht patentierbar sein. Ein Patent kann sich nicht auf ein Werk sondern allenfalls auf darin angewandte Methoden und Konzepte, z.B. neuartige rhetorische Stilmittel, Kompositionstechniken oder Programmierkonzepte (Algorithmen) beziehen.

Die Patentierbarkeit softwarebezogener Erfindungen würde den urheberrechtlichen Schutz von Computerprogrammen nicht in Frage stellen.

"Die Patentierbarkeit von Erzähltechniken würde den urheberrechtlichen Schutz von Romanen nicht in Frage stellen". Wie sollte sie auch?

Wegen der wachsenden Bedeutung von Computerprogrammen haben das Europäische Patentamt und einige nationale Patentämter in den letzten Jahren für logische Denkmodelle (die jeweils eine aus Ideen und Grundsätzen bestehende "technische Lösung für ein technisches Problem" darstellen) tausende von Patenten erteilt, die nicht für die Computerprogramme als solche gelten, sondern für softwarebezogener Erfindungen, die aus Hardware und zugehöriger, produktbezogener Software bestehen.

Es handelt sich hier genau deshalb um eine "technische Lösung", weil darin Maschinen einbezogen sind, die einen Industriebetrieb voraussetzen und nicht zum üblichen Rüstzeug einer Einzelperson (z.B. Romanschriftsteller, Autor freier Software) gehören. Der klassische Patentschutz setzt genau dort an, wo ein Konzept nur über ein Industriegewerbe umgesetzt werden kann. Deshalb spricht man auch von "gewerblichem Rechtsschutz". Computerprogramme erfordern aber ebenso wenig wie Romane eine gewerbliche Organisationsform, wie das Beispiel GNU/Linux eindrucksvoll zeigt.

Auf internationaler Ebene lässt sich feststellen, dass Artikel 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) die Patentfähigkeit von Computerprogrammen nicht ausschliesst. Einige Drittländer lassen eine Patentierung daher zu.

Umgekehrt: TRIPS schließt deshalb die Patentierbarkeit von Programmierkonzepten nicht aus, weil die USA zum Zeitpunkt der TRIPS-Verhandlungen sie bereits zuließen.

Die Vereinigten Staaten haben am 28. Februar 1996 neue "Leitlinien für die Prüfer von Erfindungen im Zusammenhang mit Computerprogrammen" aufgestellt. Während die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit einen Patentanspruch in bezug auf einen Algorithmus nur dann anerkannten, wenn eine physikalische Verarbeitung vorlag, wird in den neuen Leitlinien jetzt ein pragmatischerer Ansatz empfohlen, der auf den "Nutzen" der Erfindung abstellt.

Die USA haben den Begriff "gewerblich" (industrial) so weit ausgedehnt, dass darunter, wie bei TRIPS formuliert, "anything useful" verstanden werden kann. Das verstößt gegen das bewährte Verständnis des Patentwesens. Es ist eine äußerst "pragmatische", man kann auch sagen "kreative" Abweichung von der soliden Praxis. Vgl auch den Begriff der "kreativen Buchführung".

Dadurch vergrössert sich die Zahl der patentfähigen Erfindungen im Zusammenhang mit Computerprogrammen.

... und somit klingelt die Münze in der Kasse des Patentamts. Weswegen dessen "Pragmatismus" zu loben ist.

In der Praxis war man in den Vereinigten Staaten jedoch schon vorher sehr grosszügig vorgegangen: So galt die in Festkörpern wie einer Diskette enthaltene Software bereits vor der Veröffentlichung der Leitlinien als patentfähig(33).

"Großzügig" gegenüber Patentämtern, Patentanwälten und deren zahlenden Kunden.

Auch in Japan wird eine Änderung der für die Prüfer geltenden Leitlinien erwogen. So veröffentlichte das japanische Patentamt am 8. August 1996 einen entsprechenden Entwurf, der vorsieht, das Computerprogramme als solche nicht patentfähig sein sollen, es sei denn, die Erfindung weist einen hohen Grad technologischer Kreativität unter Anwendung der Naturgesetze auf.

  • Hiermit sind Verfahren zur akustischen Kompression etc gemeint, die meist nicht von Einzelpersonen sondern in Forschungslabors, also häufig in gewerblichem Umfeld, entwickelt werden. Das ist tatsächlich ein Grenzbereich.
  • Interessant ist, dass die EU keine eigenen Argumente für den Patentschutz von Programmierkonzepten anführt, sondern lediglich unterschwellig wertet und andere Länder als Vorbilder anführt.

In der Gemeinschaft wurden die an diesen Fragen interessierten Kreise im Wege eines von den Dienststellen der Kommission im Juli 1996 erstellten Fragebogens über die gewerblichen Schutzrechte in der Informationsgesellschaft konsultiert. Die erhaltenen Antworten waren unterschiedlich. Teilweise wird gefordert, das gegenwärtige Gleichgewicht zwischen urheberrechtlichem Schutz (für die Programme als solche) und Patentschutz (für softwarebezogener Erfindungen) zu erhalten und lediglich dafür zu sorgen, dass die einschlägigen Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich angewendet werden. Andere Stimmen fordern hingegen eine Änderung des Systems, insbesondere die Aufhebung von Artikel 52 Absatz 2 EPÜ, damit auch Computerprogramme als solche patentfähig werden. Die Befürworter dieser Lösung wollen an dem Erfordernis festhalten, dass eine Erfindung einen "technischen" Charakter haben muss; sollte jedoch ein auf einem Datenträger aufgezeichnetes Programm dieses Merkmal aufweisen und die Erfindung gleich nach dem Start zur Anwendung bringen, sollte es auch patentfähig sein.

  • Es wird hier nicht verraten, welche Kreise befragt wurden.
  • Noch unklarer ist, was aus der Patentierung eines Programms folgen soll: Nur dass das gleiche Programm nicht noch einmal geschrieben werden darf? Dann handelt es sich nicht um Patentschutz sondern Urheberrechtsschutz.
  • Sehr viele Softwarewerke kennen keinen "Start". Die EU-Kommission geht von amateurhaften Endanwender-Vorstellungen aus.
  • Nach der von der EU-Kommission bevorzugten "pragmatischen" Auslegung ist unter "technischem Charakter" lediglich Verwendbarkeit (anything useful) zu verstehen.

Was die von bestimmten Kreisen geforderte Aufhebung von Artikel 52 Absatz 2 EPÜ angeht, sind die damit verbundenen Folgen zu untersuchen, insbesondere in bezug auf die Anwendbarkeit sowohl des Urheber- als auch des Patentrechts auf dasselbe Werk bzw. dieselbe Erfindung.

Hier offenbaren die Autoren nur, dass sie selbst die beiden Rechte nicht auseinanderhalten können. Möglicherweise unterliegen sie einem volkstümlichen Missverständnis. Viele Leute meinen "Urheberrecht", wenn sie von "Patent" sprechen. Deshalb ist es sehr leicht, durch geschicktes Fragen eine Mehrheit für den "Patentschutz" an Software zu gewinnen.

In der EU-"Argumentation" fehlt jeglicher Hinweis auf die praktischen Erfahrungen und Probleme des amerikanischen Patentwesens. Es wird kein Versuch unternommen, zu beurteilen, wie sich der Patentschutz auf die für Europa typischen kleinen Unternehmen, auf die Plattformstrategien der großen Monopolisten oder auf die freie Software auswirken könnten.

Die Entscheider in Europas Patentwesen haben es nicht nötig, sich über das Gemeinwohl Gedanken zu machen. Selbst eine widerspruchsfreie Klärung der eigenen Fachbegriffe ist für sie bisher offenbar noch ein überflüssiger Luxus.


Anmerkungen

[1] "Werke der Literatur" scheint eine missverständliche Übersetzung von "works of literature" zu sein. Besser wäre "literarische Werke". Es geht nämlich nicht darum, zu behaupten, dass Computerprogramme zu einem festen Kanon namens "die Literatur" gehören.


http://swpat.ffii.org/stidi/gbkritde.html
2000-07 SWPAT-AG des FFII