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Inhaltsverzeichnis

 
Teil C, Kapitel IV
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9. Erfinderische Tätigkeit
     
 
Art. 56
 

9.1 «Eine Erfindung beruht auf einer erfinderischenTätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.» Neuheit und erfinderische Tätigkeit sind unterschiedliche Kriterien. Neuheit liegt vor, wenn ein Unterschied zwischen der Erfindung und dem bisherigen Stand der Technik besteht. Die Frage, ob eine erfinderische Tätigkeit gegeben ist, stellt sich nur, wenn Neuheit vorliegt.

9.2 Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit gilt als «Stand der Technik» die in Art. 54(2) hierfür festgelegte Definition (siehe IV, 5); der Stand der Technik umfaßt dabei nicht die in Art. 54(3) genannten später veröffentlichten europäischen Patentanmeldungen. Wie in IV, 5.3 erwähnt, ist der «Anmeldetag» im Sinne des Art. 54(2) gegebenfalls der Prioritätstag (siehe Kapitel V).

9.3 Bei jedem Patentanspruch, mit dem die Erfindung festgelegt wird, ist demnach zu prüfen, ob sich für einen Fachmann am Prioritätstag des betreffenden Patentanspruchs in naheliegender Weise etwas aus dem zu diesem Zeitpunkt bekannten Stand der Technik ergeben hätte, was unter den Patentanspruch fällt. Ist dies der Fall, so liegt bei dem betreffenden Patentanspruch keine erfinderische Tätigkeit vor. Der Ausdruck «in naheliegender Weise» bezeichnet etwas, das nicht über die normale technologische Weiterentwicklung hinausgeht, sondern sich lediglich ohne weiteres oder folgerichtig aus dem bisherigen Stand der Technik ergibt, d.h. etwas, das nicht die Ausübung einer Geschicklichkeit oder einer Fähigkeit abverlangt, die über das bei einem Fachmann voraussetzbare Maß hinausgeht. Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ist es im Unterschied zur Neuheit (siehe IV, 7.3) zulässig, veröffentlichte Dokumente im Licht der späteren Erkenntnisse auszulegen und den Wissensstand zu berücksichtigen, der dem Fachmann im allgemeinen zum Zeitpunkt des Prioritätstags des Anspruchs zugänglich ist.

9.3a Die beanspruchte Erfindung ist in der Regel als Ganzes zu betrachten. Grundsätzlich ist deshalb bei einem Kombinationsanspruch die Behauptung unrichtig, daß die einzelnen Merkmale der Kombination für sich genommen bekannt oder naheliegend seien und daß «deshalb» auch der beanspruchte Gegenstand insgesamt naheliegend sei. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist dann gegeben, wenn zwischen den Kombinationsmerkmalen keine funktionelle Wechselwirkung besteht, der Anspruch also nur auf eine Aneinanderreihung von Merkmalen und nicht auf eine echte Kombination gerichtet ist (siehe Beispiel in 2.1 der Anlage zu diesem Kapitel).

9.4 Obgleich der Patentanspruch in jedem Fall auf technische Merkmale gerichtet sein sollte (und beispielsweise nicht nur auf eine Idee), muß der Prüfer bei der Beurteilung, ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt,beachten, daß es verschiedene Wege gibt, auf denen der Fachmann zu einer Erfindung gelangen kann. Eine Erfindung kann beispielsweise auf folgendem beruhen:

i) Angabe einer Idee oder einer zu lösenden Aufgabe (wobei die Lösung naheliegend ist, sobald die Aufgabe klar dargelegt worden ist).

Beispiel: Die Aufgabe besteht darin, dem Fahrer eines Kraftfahrzeugs nachts die Mittellinie der Straße unter Nutzung des vom Fahrzeug ausgehenden Lichts anzugeben. Sobald die Aufgabe in dieser Form gestellt ist, erscheint die technische Lösung, nämlich reflektierende Markierungen auf der Straßenoberfläche vorzusehen, einfach und naheliegend. Als weiteres Beispiel siehe T 2/83, ABl. 6/1984, 265.

ii) Ersinnen einer Lösung für ein bekanntes Problem.

Beispiel: Das Problem der bleibenden Kennzeichnung von Vieh, beispielsweise Kühen, ohne den Tieren Schmerz zuzufügen oder deren Fell zu beschädigen, besteht seit Beginn der Viehzucht. Die Lösung («Gefrier-Kennzeichnung») besteht darin, die Entdeckung der Tatsache zu nutzen, daß dem Fell durch Gefrieren auf Dauer Pigment entzogen werden kann.

iii) Einsicht in die Ursache eines beobachteten Phänomens gewinnen (wobei die praktische Nutzung dieses Phänomens dann naheliegend ist).

Beispiel: Es wird festgestellt, daß der angenehme Geschmack von Butter durch geringfügige Mengen eines besonderen Bestandteils verursacht wird. Sobald diese Einsicht gewonnen worden ist, ist die technische Nutzung, die in der Beigabe dieses Bestandteils zu Margarine besteht, naheliegend.

Viele Erfindungen basieren natürlich auf einer Kombination der obigen Möglichkeiten, beispielsweise können sowohl das Gewinnen einer Einsicht in eine Ursache als auch die technische Nutzung dieser Einsicht erfinderische Fähigkeiten abverlangen.

9.5 Bei der Bestimmung des Beitrags einer gegebenen Erfindung zur Technik im Hinblick auf die Klärung der Frage, ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, ist in erster Linie zu berücksichtigen, was der Anmelder in seiner Beschreibung und den Patentansprüchen selbst als bekannt angibt. All diese Angaben über den bekannten Stand der Technik sind vom Prüfer als richtig anzusehen, es sei denn, der Anmelder erklärt, daß er sich geirrt hat (siehe VI, 8.5). Aufgrund des im Recherchenbericht enthaltenen weiteren Standes der Technik kann die Erfindung jedoch in ein völlig anderes Licht gerückt werden, als sie sich beim Lesen derAnmeldungsunterlagen ergibt (dieser im Recherchenbericht aufgeführte Stand der Technik kann in der Tat den Anmelder veranlassen, seine Patentansprüche von sich aus zu ändern, um seine Erfindung neu festzulegen, bevor seine Anmeldung geprüft wird). Wenn man zu einem abschließenden Ergebnis in der Frage gelangen will, ob der Gegenstand eines Patentanspruchs eine erfinderische Tätigkeit beinhaltet, so muß man den Unterschied zwischen dem Gegenstand dieses Patentanspruchs und dem Stand der Technik feststellen; bei der Prüfung dieser Frage sollte der Prüfer nicht nur unter dem Blickwinkel verfahren, den die Form des Patentanspruchs aufzeigt (Stand der Technik plus kennzeichnender Teil - siehe III, 2).

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit verfährt der Prüfer in der Regel nach dem Konzept «Aufgabe-Lösungs-Ansatz». Der «Aufgabe-Lösungs-Ansatz» gliedert sich in drei Phasen:

  1. Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik
  2. Bestimmung der zu lösenden technischen Aufgabe und
  3. Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre.

Nächstliegender Stand der Technik ist diejenige Kombination der einem einzigen Bezugsdokument zu entnehmenden Merkmale, die die beste Grundlage für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit bietet. Nächstliegender Stand der Technik kann beispielsweise sein:

i) eine bekannte Kombination auf dem betreffenden technischen Gebiet, die technische Wirkungen, den Zweck oder die beabsichtigte Verwendung offenbart, die denen der beanspruchten Erfindung am nächsten kommen, oder

ii) diejenige Kombination, die die größte Zahl technischer Merkmale mit der Erfindung gemeinsam hat und mit der die Funktion der Erfindung realisiert werden kann.

In der zweiten Phase wird die zu lösende technische Aufgabe objektiv bestimmt. Hierfür werden die Anmeldung (oder das Patent), der nächstliegende Stand der Technik und die zwischen der Erfindung und dem nächstliegenden Stand der Technik bestehenden strukturellen oder funktionellen Unterschiede in bezug auf die technischen Merkmale untersucht und anschließend die technische Aufgabe formuliert. Die technische Aufgabe besteht darin, über die Änderung oder Anpassung des nächstliegenden Standes der Technik die technischen Wirkungen zuerzielen, die die Erfindung über den nächstliegenden Stand der Technik mit sich bringt.

Die auf diese Weise abgeleitete technische Aufgabe entspricht möglicherweise nicht dem, was in der Anmeldung als «die Aufgabe» vorgestellt wird. Letztere muß unter Umständen neuformuliert werden, da die objektive technische Aufgabe auf objektiv festgestellten Sachverhalten beruht, die sich insbesondere aus dem im Laufe des Verfahrens ermittelten Stand der Technik ergeben, der sich von dem dem Anmelder zum Zeitpunkt der Patentanmeldung bekannten unterscheiden kann.

Inwieweit eine solche Neuformulierung der technischen Aufgabe möglich ist, muß entsprechend dem Sachverhalt im Einzelfall beurteilt werden. Grundsätzlich kann jede Wirkung der Erfindung als Grundlage für die Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, sofern die entsprechende Wirkung aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung ableitbar ist (siehe T 386/89, nicht im ABl. veröffentlicht). Es können auch neue Wirkungen herangezogen werden, über die der Anmelder erst im Verfahren berichtet, sofern für den Fachmann erkennbar ist, daß diese Wirkungen in der ursprünglich gestellten Aufgabe impliziert sind oder im Zusammenhang mit ihr stehen (siehe 9.10 und T 184/82, ABl. 6/1984, 261).

Der Begriff technische Aufgabe sollte jedoch weit ausgelegt werden; er impliziert nicht notwendigerweise, daß die Lösung eine technische Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik bringt. So könnte die Aufgabe einfach darin bestehen, nach einer Alternative zu einer bekannten Vorrichtung oder einem bekannten Verfahren zu suchen, das die gleichen oder ähnliche Wirkungen hat oder kostengünstiger ist.

Manchmal bewirken die technischen Merkmale eines Patentanspruchs mehr als einen technischen Effekt, so daß sich die technische Aufgabe in mehrere Teile oder Aspekte gliedert, denen jeweils eine technische Wirkung zuzuordnen ist. In solchen Fällen ist jeder Teil oder Aspekt generell für sich zu prüfen.

In der dritten Phase gilt es zu klären, ob sich im Stand der Technik insgesamt eine Lehre findet, die den mit dem technischen Problem befaßten Fachmann veranlassen würde (nicht einfach könnte, sondern würde), den nächstliegenden Stand der Technik unter Berücksichtigung dieser Lehre zu ändern oder anzupassen und somit zu etwas zu gelangen, was unter den Patentanspruch fällt, und das zu erreichen, was mit der Erfindung erreicht wird (siehe IV, 9.3).

9.5a Ist ein unabhängiger Patentanspruch neu und nicht naheliegend, so braucht nicht geprüft zu werden, ob dievon ihm abhängigen Patentansprüche naheliegend sind oder nicht; hiervon ausgenommen sind Fälle, in denen der Prioritätsanspruch für den Gegenstand des abhängigen Anspruchs aufgrund von Zwischenliteratur geprüft werden muß (siehe V, 2.6.3). Desgleichen muß, wenn ein Patentanspruch für ein Erzeugnis neu und nicht naheliegend ist, auch nicht mehr geprüft werden, ob Patentansprüche für ein Verfahren, das zwangsläufig zur Herstellung des betreffenden Erzeugnisses führt, oder Patentansprüche für eine Verwendung des Erzeugnisses naheliegend sind. Insbesondere sind Analogieverfahren patentierbar, sofern sie zur Herstellung eines neuen und erfinderischen Erzeugnisses führen (siehe T 119/82, ABl. 5/1984, 217).

9.6 Es ist zu unterstellen, daß es sich bei dem Fachmann um einen Mann der Praxis handelt, der darüber unterrichtet ist, was zu einem bestimmten Zeitpunkt zum allgemein üblichen Wissensstand auf dem betreffenden Gebiet gehört. Es ist auch zu unterstellen, daß er zu allem, was zum «Stand der Technik» gehört, insbesondere den im Recherchenbericht angegebenen Dokumenten, Zugang hatte und über die normalen Mittel und Fähigkeiten für routinemäßige Arbeiten und Versuche verfügte. Gibt die Aufgabe dem Fachmann den Hinweis, die Lösung auf einem anderen technischen Gebiet zu suchen, ist der Fachmann dieses Gebiets der zur Aufgabenlösung berufene Fachmann. Daher sind das Wissen und Können dieses Fachmanns bei der Beurteilung, ob die Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, zugrunde zu legen (siehe T 32/81, ABl. 6/1982, 225). Es kann auch Fälle geben, in denen es zweckmäßig ist, eher an Personengruppen, beispielsweise ein Forschungs- oder Produktionsteam, zu denken als an eine Einzelperson. Dies könnte beispielsweise für gewisse fortgeschrittene Techniken, wie Datenverarbeitungs- oder Telefonanlagen und für hochspezialisierte Verfahren, wie die kommerzielle Produktion integrierter Schaltungen oder komplexer chemischer Stoffe, zutreffen.

9.7 Bei der Prüfung, ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, ist es (im Unterschied zur Neuheit - siehe IV, 7) zulässig, die Offenbarungen zweier oder mehrerer Dokumente oder von Teilen von Dokumenten, verschiedener Teile desselben Dokuments oder anderer Teile des bisherigen Stands der Technik miteinander in Verbindung zu bringen, aber nur in Fällen, in denen eine solche Verknüpfung für den Fachmann zum tatsächlichen Prioritätstag des zu prüfenden Patentanspruchs naheliegend gewesen wäre (siehe T 2/83, ABl. 6/1984, 265). Bei der Bestimmung der Frage, ob die Verknüpfung zweier oder mehrerer verschiedener Offenbarungen naheliegend ist, sollte der Prüfer folgendes berücksichtigen:

i) Ist der Inhalt der Dokumente dergestalt, daß es wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich ist, daß der Fachmann, wenn er sich mit dem durch die Erfindung gelösten Problem befaßt, diese miteinander in Verbindung bringen würde? Wenn beispielsweise zwei gemeinsam in Betracht gezogene Offenbarungen in der Praxis nicht ohne weiteres in Verbindung gebracht werden können, weil für die Erfindung wesentliche offenbarte Merkmale miteinander nicht vereinbar sind, so sollte das Verbinden dieser Offenbarungen normalerweise nicht als naheliegend betrachtet werden.

ii) Stammen die Dokumente aus ähnlichen, aus benachbarten oder aus weit auseinanderliegenden Gebieten der Technik?

iii) [Text gelöscht] Die Verknüpfung zweier oder mehrerer Teile desselben Dokuments wäre naheliegend, wenn es für einen Fachmann einen Anhaltspunkt dafür gäbe, diese Teile miteinander in Zusammenhang zu bringen. Es wäre in der Regel auch naheliegend, einen bekannten Leitfaden oder ein Standardnachschlagewerk mit einem zum Stand der Technik gehörenden Dokument in Verbindung zu bringen; dies ist lediglich ein Sonderfall für die allgemeine Auffassung, daß es naheliegend ist, die Lehre aus einem oder mehreren Dokumenten mit dem allgemein üblichen Wissensstand auf dem betreffenden Gebiet in Verbindung zu bringen. Es wäre generell gesprochen auch naheliegend, zwei Dokumente miteinander in Verbindung zu bringen, von denen eines eine klare, unmißverständliche Bezugnahme auf das andere enthält (zu Bezugnahmen, die als Bestandteil der Offenbarung gelten, siehe 6.1 und 7.1). Bei der Feststellung, ob es zulässig ist, ein Dokument mit einem Teil des Standes der Technik in Verbindung zu bringen, der der Öffentlichkeit in anderer Weise, beispielsweise durch Benutzung, zugänglich gemacht worden ist, gelten ähnliche Erwägungen.

9.8 In der Anlage zu diesem Kapitel «Anleitung zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit» werden Beispiele aufgeführt, die als Anhaltspunkte dafür dienen sollen, wann eine Erfindung als naheliegend anzusehen ist oder wann sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Es ist hervorzuheben, daß diese Beispiele nur als Anleitung dienen und daß der in jedem Fall anzuwendende Grundsatz wie folgt lautet: «Was ist für einen Fachmann naheliegend?» Die Prüfer sollten nicht versuchen, einen Sonderfall in eines dieser Beispiele einzubeziehen, wenn dieser Fall nicht eindeutig anwendbar ist. Auch ist die Aufstellung nicht erschöpfend. [Text gelöscht]

9.9 Zu bedenken ist, daß bei einer Erfindung, die auf den ersten Blick naheliegend erscheint, in Wirklichkeit eine erfinderische Tätigkeit vorliegen kann. Ist eine neue Idee angegeben worden, so läßt sich oft theoretisch zeigen, wieman hierzu unter Zugrundelegung bereits bekannter Angaben durch eine Reihe sichtlich einfacher Schritte gelangen kann. Der Prüfer sollte sich vor ex-post-facto-Analysen dieser Art hüten. Er sollte immer berücksichtigen, daß die bei der Recherche ermittelten Dokumente zwangsläufig in Kenntnis des Gegenstands der vermutlichen Erfindung ermittelt wurden. In allen Fällen sollte er versuchen, sich den gesamten Stand der Technik zu vergegenwärtigen, mit dem der Fachmann vor dem Beitrag des Anmelders konfrontiert war; außerdem sollte er versuchen, eine wirklichkeitsnahe Beurteilung dieser und anderer wichtiger Faktoren vorzunehmen. Er sollte alles berücksichtigen, was bereits über den Hintergrund der Erfindung bekannt ist, und triftigen Argumenten oder beigebrachten Beweismitteln des Anmelders in angemessener Weise Rechnung tragen. Wenn beispielsweise bei einer Erfindung gezeigt wird, daß sie beträchtlichen technischen Wert hat, insbesondere wenn sie neue überraschende technische Vorteile bewirkt, und dies in überzeugender Weise mit einem oder mehreren Merkmalen in Beziehung gesetzt werden kann, die in dem Patentanspruch, in dem die Erfindung festgelegt wird, enthalten sind, so sollte der Prüfer nicht ohne weiteres den Einwand erheben, daß bei einem solchen Patentanspruch keine erfinderische Tätigkeit vorliegt. Das gleiche gilt für den Fall, in dem durch eine Erfindung ein technisches Problem gelöst wird, das die Fachwelt lange Zeit zu lösen versuchte oder wodurch ein seit langer Zeit bestehendes Bedürfnis befriedigt wird. Der kommerzielle Erfolg allein ist nicht als ein Zeichen erfinderischer Tätigkeit zu betrachten; der Nachweis des unmittelbaren kommerziellen Erfolgs in Verbindung mit dem Nachweis eines seit langer Zeit bestehenden Bedürfnisses ist jedoch relevant, sofern der Prüfer zu der Überzeugung gelangt, daß der Erfolg auf die technischen Merkmale der Erfindung und nicht auf andere Einflüsse (beispielsweise Verkaufsverfahren oder Werbung) zurückzuführen ist.

9.10 Die vom Prüfer bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigten zweckdienlichen Angaben und Beweismittel können in der ursprünglichen Patentanmeldung enthalten sein oder vom Anmelder im Laufe des Verfahrens eingereicht werden (siehe 9.5 und C-VI, 5.7, 5.7a, 5.7c und 5.7d).

Werden neue Wirkungen zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit genannt, so ist allerdings stets Vorsicht angebracht. Solche neuen Wirkungen können nur berücksichtigt werden, wenn sie in der ursprünglich gestellten Aufgabe impliziert sind oder zumindest im Zusammenhang mit ihr stehen (siehe auch 9.5, T 386/89 (nicht im ABl. veröffentlicht) und T 184/82, ABl. 6/1984, 261).

Beispiel für eine solche neue Wirkung:

Die Erfindung in der eingereichten Fassung bezieht sich auf eine pharmazeutische Zusammensetzung mit einer bestimmten Wirksamkeit. Auf den ersten Blick erscheint in Anbetracht des einschlägigen Stands der Technik mangelnde erfinderische Tätigkeit vorzuliegen. Später legt der Anmelder neue Beweismittel vor, die zeigen, daß die beanspruchte Zusammensetzung einen unerwarteten Voreil in Form geringer Toxizität aufweist. In diesem Fall ist es zulässig, die technische Aufgabe neuzuformulieren und den Gesichtspunkt der Toxizität aufzunehmen, denn pharmazeutische Wirksamkeit und Toxizität stehen insofern miteinander im Zusammenhang, als der Fachmann die beiden Gesichtspunkte immer zusammen betrachten würde.

Durch die Neuformulierung der technischen Aufgabe kann es unter Umständen zu einer Änderung und späteren Hinzufügung der technischen Aufgabe in der Beschreibung kommen. Eine solche Änderung ist allerdings nur dann zulässig, wenn die in VI, 5.7c genannten Bedingungen erfüllt werden. In dem obigen Beispiel einer pharmazeutischen Zusammensetzung könnte weder die neuformulierte Aufgabe noch die Angabe über die Toxizität ohne Verstoß gegen Art. 123(2) in die Beschreibung aufgenommen werden.

 

 
 
Teil  C, Kapitel IV 8. Unschädliche Offenbarungen
   

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Last updated on Sunday, 2 August 1999
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