Art. 54(1)
Art. 54(2)
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5.1 Eine Erfindung «gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik»
gehört. Der «Stand der Technik» ist definiert als «alles,
was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit
durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in
sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist». Der Umfang dieser
Definition ist zu beachten. Es bestehen keine Beschränkungen dahingehend,
an welchem Ort, in welcher Sprache und in welcher Weise die in Betracht zu ziehende
Information der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Die
Dokumente oder anderen Informationsquellen unterliegen auch keiner zeitlichen
Beschränkung. Es gibt jedoch bestimmte Ausnahmen (siehe IV, 8). Da der
dem Prüfer zugängliche «Stand der Technik» jedoch hauptsächlich
aus den im Recherchenbericht aufgeführten Dokumenten besteht, wird hier
auf die Frage der Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit lediglich
in bezug auf die schriftliche Beschreibung eingegangen (entweder allein oder
in Verbindung mit einer früheren mündlichen Beschreibung oder einer
früheren Benutzung).
Die Grundsätze, die bei der Beantwortung der Frage anzuwenden sind,
ob andere Arten des bisherigen Standes der Technik (die beispielsweise von einem
Dritten gemäß Art. 115 in das Verfahren eingebracht werden könnten)
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, sind in D-V, 3
dargelegt.
5.2 Eine schriftliche Beschreibung, d. h. ein Dokument, ist als der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht zu betrachten, wenn es Mitgliedern der Öffentlichkeit
zu dem maßgeblichen Zeitpunkt möglich gewesen ist, vom Inhalt des
Dokuments Kenntnis zu erhalten und wenn die Verwendung oder die Verbreitung
seines Inhalts nicht aus Vertraulichkeitsgründen in irgendeiner Weise beschränkt
war. Beispielsweise sind deutsche Gebrauchsmuster
schon ab dem «Eintragungstag», d. h. dem Tag ihrer Eintragung in das
Gebrauchsmusterregister, und damit noch vor der «Bekanntmachung im Patentblatt»
öffentlich zugänglich. Im Recherchenbericht werden auch
Dokumente angegeben, bei denen Zweifel bezüglich des Tatbestandes der Zugänglichkeit
für die Öffentlichkeit sowie Zweifel hinsichtlich des genauen Tages
der Veröffentlichung eines Dokuments nicht oder nicht voll ausgeräumt
sind (vgl. B-VI, 7.1). Bestreitet der Anmelder, daß das Dokument der Öffentlichkeit
zugänglich war, oder bezweifelt er den angenommenen Veröffentlichungstag
des Dokuments, so hat der Prüfer zu entscheiden, ob er selbst der Angelegenheit
nachgehen oder die Recherchenabteilung damit beauftragen soll. Hat derAnmelder
guten Grund zu bezweifeln, daß das Dokument in bezug auf seine Anmeldung
als «Stand der Technik» anzusehen ist, und können auch weitere
Ermittlungen diese Zweifel nicht ausräumen, so sollte der Prüfer die
Angelegenheit nicht weiterverfolgen. Für den Prüfer dürfte das
einzige weitere Problem in Fällen auftreten, in denen
i) ein Dokument eine mündliche Beschreibung wiedergibt (beispielsweise
einen öffentlichen Vortrag) oder einen Bericht über eine frühere
Benutzung enthält (beispielsweise eine Schaustellung auf einer öffentlichen
Ausstellung) und
ii) nur die mündliche Beschreibung oder der Vortrag der Öffentlichkeit
vor dem «Anmeldetag» der europäischen Patentanmeldung zugänglich
war, das Dokument selbst aber erst an oder nach diesem Tag veröffentlicht
worden ist.
In solchen Fällen sollte der Prüfer zunächst unterstellen,
daß das Dokument einen wahrheitsgetreuen Bericht des früheren Vortrags,
der früheren Schaustellung oder eines sonstigen früheren Ereignisses
enthält, und sollte daher das frühere Ereignis als zum «Stand
der Technik» gehörend betrachten. Bringt der Anmelder jedoch triftige
Gründe vor, durch die der Wahrheitsgehalt des in dem betreffenden Dokument
enthaltenen Berichts angefochten wird, so sollte der Prüfer die Angelegenheit
ebenfalls nicht weiterverfolgen.
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Art. 89
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5.3 Zu beachten ist, daß der «Anmeldetag» im Sinne des
Art. 54(2) gegebenenfalls der Prioritätstag ist (siehe Kapitel V).
Es wird auch daran erinnert, daß für verschiedene Patentansprüche
oder verschiedene Varianten, die in einem Patentanspruch beansprucht werden,
unterschiedliche Prioritätstage gelten können. Die Frage der Neuheit
muß für jeden Patentanspruch (oder Teil eines Patentanspruchs für
den Fall, daß in einem Patentanspruch mehrere Varianten aufgeführt
werden) gesondert geprüft werden, wobei der bei einem Patentanspruch oder
einem Teil eines Patentanspruchs zu berücksichtigende Stand der Technik
Merkmale enthalten kann, die einem anderen Patentanspruch oder Teil eines Patentanspruchs
nicht entgegengehalten werden können, weil für diese ein früherer
Prioritätstag gelten kann. Wenn natürlich alle zum Stand der Technik
gehörenden Merkmale der Öffentlichkeit vor dem Datum des frühesten
Prioritätsdokuments zugänglich gemacht worden sind, braucht (und sollte)
sich der Prüfer nicht mehr mit der Zuteilung der Prioritätstage zu
befassen.
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