Sie haben in den letzten Monaten und Jahren immer wieder Ihrer Sorge über Monopolgefahren im Softwarebereich öffentlich Ausdruck verliehen. Noch auf der Berliner Kartellkonferenz von Anfang Mai nannten Sie das Beispiel Microsoft und führten treffend aus, dass nicht so sehr die Unternehmensgröße sondern die Herrschaft über Kommunikationsschnittstellen eine Gefahr darstelle. Sie versicherten dabei, Ihre Behörde beobachte diese Gefahr sehr aufmerksam.
Leider scheint es aber in der EU Kollegen zu geben, die Ihr Gefahrenbewusstsein nicht teilen. Es werden derzeit Maßnahmen geplant, die auf eine Potenzierung der schon jetzt für Europa sehr nachteilhaften Monopoltendenzen in der Softwarebranche hinauslaufen.
Am 24. Juni soll auf der Konferenz der Europäischen Patentorganisationen in Paris ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der in Europa ein "Softwarepatent"-System nach amerikanischem Vorbild einführt.
In der Softwarebranche herrschen besonders deshalb seit Jahrzehnten besonders krasse Formen der Wettbewerbsverhinderung, weil Softwarefirmen, anders als traditionelle Publikations- oder Industrieunternehmen, besonders viele Schutzmittel auf einmal in Anspruch nehmen, z.B.:
- Urheberrecht und daraus abgeleitete Verwendungsbeschränkungen (z.B. Kopierverbot, Weiterentwicklungsverbot)
- Betriebsgeheimnis (Vorenthalten des Quelltextes, Verwendung undurchsichtiger Datenformate etc)
- Plattformstrategie (Festverdrahtung verschiedenartiger Systeme untereinander zu Einheitsplattformen, Beschränkung der Interoperabilität und damit der Möglichkeit unabhängiger Hersteller, aufgrund technischer Leistungen zu konkurrieren)
Wenn sich nun hierzu auch noch Patente auf Programmierideen als zusätzliches Schutzmittel gesellen, kann das die Kartellsituation nur noch verschärfen.
In den letzten Monaten haben Microsoft und andere Firmen sich Patentrechte auf Internet-Standards gesichert und damit das Genfer World-Wide-Web-Konsortium W3C vor eine Zerreißprobe gestellt. Zum Glück gilt dieser Patentschutz bisher nicht für Europa.
Bisher haben die EU-Länder den Patentschutz für Software strikt abgelehnt, soweit es sich um reine Informationswerke und nicht um Teile von industriellen Apparaten handelt. Anders als Maschinen, Chemikalien und sonstige Gegenstände des herkömmlichen Patentschutzes, ist ein Computerprogramm nämlich zunächst, ähnlich wie ein wissenschaftlicher Artikel, nicht ein industrielles Produkt, sondern eine formalsprachliche Beschreibung von Ideen und Handlungsanweisungen. Erst in einem zweiten Schritt kann man das reine Informationswerk zum Quasi-Industrieprodukt reduzieren, indem man es undurchsichtig macht und sein Entwicklungspotential einschränkt.
Die Weisheit des europäischen Ansatzes, für Programmiermethoden keine Patente zu vergeben, hat sich in den letzten Jahren besonders durch die steigende Bedeutung der quellenoffenen Software gezeigt. Systeme wie GNU/Linux, FreeBSD usw sind aus der freien Kommunikation von Fachleuten im Internet entstanden und haben durch ihre Leistungsfähigkeit und Stabilität viele bekannte industrielle Erzeugnisse in den Schatten gestellt. Ein neues post-industrielles Modell der Software-Entwicklung hat seine überlegene Produktivität bewiesen und sich inzwischen schon in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens fest etabliert.
Es ist verständlich, dass einige große industrielle Softwareproduzenten der USA sich angesichts dieser neuen Entwicklung, an der Europa einen Anteil von ca 50% hat, Sorgen machen.
In einer internen Studie von Ende Oktober 1998 konstatiert denn auch ein Microsoft-Stratege, dass seine Firma rein auf der Ebene der Qualität mit quellenoffenen Systemen wie Linux und Apache kaum konkurrieren könne, da letztere im Internet "unvergleichlich besser skalieren". Daher rät er seiner Firma zum Einsatz von zwei Kampfmitteln aus dem Arsenal der industriellen Produktionsweise:
- Proprietäre Erweiterung/Neuerfindung von Internetprotokollen
- Flächendeckende Anmeldung von Softwarepatenten
"Softwarepatente" sind auch in den USA Gegenstand heftiger Kontroverse. Anders als Industriepatente dienen sie kaum der Bekanntmachung von Neuerungen, bedrohen aber die im Softwarebereich ohnehin unvermeidliche tägliche Innovationstätigkeit mit einem Damoklesschwert. Spezialisierte Pionierunternehmen wie Adobe und Oracle haben Softwarepatente als "eher schädlich denn nützlich für die Innovation" bezeichnet. Nur einige wenige Branchenriesen mit allumfassender Plattformstrategie sind in der Lage, von der durch Softwarepatente erzeugten allgemeinen Rechtsunsicherheit zu profitieren.
Eine plötzliche Stärkung solcher Plattformstrategien durch europäische Gesetzgeber würde die gewachsene, von kleiner Unternehmensgröße, Vielfalt und Innovationsfreude gekennzeichnete europäische Softwarekultur dem übermächtigen Druck technisch stagnierender aber juristisch bestens ausgerüsteter amerikanischer Giganten aussetzen und dadurch mehr zunichte machen, als ein EU-Wettbewerbskommissar in vielen Jahren aufmerksamen Wettbewerbsschutzes für Europa erreichen kann.
In Anbetracht der Dringlichkeit dieser Angelegenheit wären wir Ihnen für eine baldige Antwort sehr dankbar. Insbesondere würden wir gerne erfahren, was die EU genau plant, mit wem wir noch in Kontakt treten könnten und wen wir als Dialogpartner, nicht zuletzt für den am 13. Juni in Köln stattfindenden Kongress "Informationelle Monokultur und die Alternativen", gewinnen könnten.
Auf diesem Kongress werden noch zwei weitere Gefährdungen der europäische Wettbewerbsordnung zur Sprache kommen:
- die geplante Kooperation des Landes Nordrhein-Westfalen mit Microsoft
- die geplante Kooperation/Fusion der Deutschen Telekom mit Microsoft
In beiden Fällen versuchen Träger von mehr oder weniger öffentlichen Funktionen, sich als Wegbereiter eines ganz Europa betreffenden Kartells zu verdingen.
Solche regionalen Wettbewerbsstörungen sind aber noch harmlos im Vergleich zu den Verheerungen, die ein EU-weites Software-Patentwesen anrichten könnte.
Wir wünschen Ihnen eine robuste Gesundheit und gute Inspiration für die großen Herausforderungen Ihres Amtes.
Unterzeichnerliste
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